Das Haus am See von Pit

Nicht eine einzige Welle konnte ich auf dem See ausmachen. Er lag ganz ruhig und friedlich da. Sanft wiegten sich die Weiden im Wind, die den See fast komplett umschlossen. Was heraus stach, war das Häuschen.

Trotz seiner kleinen Maße, prangte es mächtig zwischen zwei alten Weiden. Ich zog den Schlüssel ab und verließ den Rover. Der Wind blies mir sacht durchs Haar, schon etwas kühl  für meinen Geschmack.

Mein Blick wanderte abermals über den See. Wie lange ich hier schon nicht mehr war. Ich konnte mich noch sehr gut an die ausgelassenen Sommer erinnern, die ich mit Nick meinem Bruder hier verbracht hatte.

Wie oft waren wir mit Großvater am See gesessen, um stundenlang zu angeln. Oder die endlosen Wanderungen mit Großmutter. Aber das war schon sehr lange her. Meine Großeltern waren gestorben und Nick war in England.

Als Großvater vor drei Jahren starb, vermachte er mir und Nick das Haus. Nick hatte kein Interesse daran und es mir überlassen. Er hatte auch an sonst nichts Interesse, was die Familie betraf.

Ich atmete tief durch und stapfte zum Haus. Viel Arbeit hatte ich vor mir, das wusste ich jetzt schon. Es war nach dem Tod von Großvater nicht mehr viel gemacht worden. Weit und breit kein anderes Haus und somit sehr einsam.

Weit weg von allem, was mich an Gabriela hätte erinnern können. Nichts mehr war so gelaufen, wie es sollte. Seit ihrem Tod vor einem halben Jahr, war nichts mehr so gelaufen wie ich wollte.

Ich hatte die Leitung der Firma meinem Stellvertreter übergeben, nachdem ich sie wieder aus der Flaute heraus gezogen hatte. Alle glaubten, ich wäre verrückt, die Firma noch einmal mit soviel Geld aufzumöbeln.

Doch der Erfolg hatte mir Recht gegeben. Mittlerweile gehörte die Brauerei zu den erfolgreichsten in ganz Irland. Auch das Exportgeschäft war ernorm am Boomen. Aber das alles bedeutete mir nichts mehr, seit es Gabriela nicht mehr gab.

Etwas müde zog ich die Schüssel der Haustür aus meiner Jacke und schloss auf. Eine moderhafte Luft strömte mir entgegen und ich beschloss, erstmal ein paar Fenster zu öffnen, bevor ich mit dem Ausladen des Wagens begann.

Mein erster Weg führte mich nach rechts ins Wohnzimmer. Alle Möbel waren mit weißen Leintüchern abgedeckt. Ich griff nach dem Lichtschalter, aber nichts passierte. Hatte ich nicht angegeben, dass ich das Haus heute wieder beziehe und der Strom wieder angestellt werden sollte?

Ich ging zurück in den Flur, lief ein weiteres Stück nach hinten, bis ich vor der Kellertür stand. Ich öffnete sie und fand auch gleich den Sicherungskasten. Konnte ja sein, das nach so langer Zeit die Sicherung kaputt waren.

Natürlich war auch hier alles dunkel. So suchte ich in meinen Jackentaschen nach einem Feuerzeug, wo ich natürlich, jetzt wo ich eins brauchte, keines fand. So beschloss ich zum Wagen zu gehen, dort musste ich doch eine Taschenlampe haben.

Eine viertel Stunde und ein paar weitere Fluchausbrüche später, lehnte ich entnervt an meinen Wagen. Mit einer Zigarette in der Hand wartete ich, dass die Maklerin, die über das Haus wachte, endlich an ihr Telefon ging.

„Mac Gwyer.“

„Hallo Mrs. Mac Gwyer, hier ist Dominic MacLeann.”

“Hallo Mr. MacLeann, sind Sie schon in Galway angekommen?“

„Ich bin schon eine Stunde hier am Haus, aber ich musste feststellen, dass ich keinen Strom habe“, erklärte ich.

„Oh, Mr. Mac Gregor hat mir extra versprochen ihn anzuschalten.“

„Anscheinend hat er das vergessen“, meinte ich ärgerlich.

„Ich werde gleich bei ihm anrufen, damit er sich darum kümmert.“

„Danke“, sagte ich, obwohl ich das nicht wirklich meinte.

Ich verstaute das Handy wieder in die Innenseite meiner Jacke und zog kräftig an meiner Zigarette. Irgendwie schmeckte sie mir nicht. Ich warf sie zu Boden und trat sie aus. Mein Blick fiel wieder zum See.

Der kleine Steg stand immer noch, wo ich viele Sommer in der Sonne darauf verbracht hatte. Ein kurzer Blick auf meine Uhr – ein Schulterzucken – und schon war ich auf dem Weg zum See hinunter.

Die Erinnerungen kamen wieder, wie ich hier mit Nick spielte. Schritt für Schritt näherte ich mich dem Steg. Von irgendwo her konnte ich ein Brummen hören, aber klar definieren konnte ich es nicht.

Das Knarren unter meinen Schuhen brachte mich wieder in die Realität zurück. Das gute Stück hatte auch schon bessere Zeiten gesehen. Langsam bewegte ich mich weiter Richtung Wasser.

Ich drehte meinen Kopf nach hinten, denn das Brummen wurde stärker und ich konnte es als Auto einordnen. Jetzt konnte ich den dazugehörigen Pickup sehen, der auf der Privatstraße zum Haus unterwegs war.

Ich lief langsam rückwärts weiter und verfolgte den roten Pickup, bis er das Haus erreicht hatte. Ein Mann in meinem Alter stieg aus und als ich gerade rufen wollte, hörte ich ein Krachen unter mir.

Mit einem Schrei fiel ich nach hinten und anstatt wie gedacht, kam ich nicht auf den Brettern des Steges auf, sondern fühlte plötzlich viel kaltes Nass um mich herum. Ich ruderte wie wild mit meinen Armen, denn meine voll gesogenen Klamotten zogen mich nach unten.

„Geben Sie mir ihre Hand“, hörte ich jemanden rufen.

Plötzlich und ohne Vorwarnung tauchte dieses Gesicht vor mir auf. Ich versuchte nach der Hand zu greifen, was sich aber schwieriger als gedacht erwies. Mittlerweile hatte ich das Gewicht einer Bleiente.

Mein Gegenüber streckte sich noch etwas nach vorne und bekam mich dann letztendlich zu greifen.

„Luka zieh fester!“, hörte ich ihn sagen.

Mit wem redete er? Ich spürte seine kräftige Hand in meiner und den Ruck, mit dem er mich herauszog. Da ich mich nicht sonderlich bewegen konnte oder woanders hin hätte greifen können, landete ich direkt auf ihm.

Plötzlich vernahm ich ein herzhaftes Kinderlachen. Ich drehte kurz meinen Kopf und schaute in ein strahlendes Gesicht.

„Der Onkel ist aber ganz schön nass geworden, Papa.“

„Luka!“

„Ach lassen Sie, er hat ja Recht.“

„Ist Ihnen auch nichts passiert?“

„Nein, geht schon. Vielleicht etwas das Ego angekratzt.“

Mir wurde hoch geholfen und endlich konnte ich auch mein gegenüber genau sehen. Die gleichen blauen Augen wie der Sohn, auch das Lächeln war das Gleiche. Ich wusste nicht warum, aber ich verharrte bei den Augen, die mich so anstrahlten.

„Mein Name ist Jarrett Mac Gregor. Ich soll hier nach dem Strom schauen.“

Ich reichte ihm noch mal die nasse Hand.

„Dominic MacLeann“, erwiderte ich.

„Sie ziehen in das alte Haus ein?“

„Ja, es gehört mir.“

„Dachte immer, das Haus gehörte den alten Mac Gomereys.“

„Meine Großeltern.“

„Dann bist du… ähm Sie… Dominic?“

Er schaute mich fassungslos an.

„Kenn wir uns?“, fragte ich jetzt selber grübelnd.

Ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.

„Vielleicht erinnerst du dich noch an den dicken Jungen, der oft bei deinen Großeltern zu Besuch war.“

Mein Hirn arbeitete auf Hochtouren, Stimmt ich konnte mich sehr gut an den dicken Jungen erinnern, ich hatte einiges mit ihm erlebt. Mein Blick wanderte über Jarrett. Er hob die Arme und drehte sich einmal um sich selbst.

„Du bist Jarrett?“, fragte ich erstaunt.

Noch einmal schaute ich Jarrett von Kopf bis Fuß an. Irgendwie konnte ich das jetzt nicht fassen. Vor mir stand ein muskulöser Mann, in Latzhose gekleidet und da war kein Gramm zuviel.

Jarrett nickt mir bejahend zu. Der kleine Luka stellte sich dicht neben ihn und griff um sein Bein.

„Du bist so… so dünn. Wie hast du das gemacht? Ich meine, du hast wirklich viele, viele Pfunde zuviel drauf gehabt“, meinte ich.

„Ich musste hauptsächlich aus gesundheitlichen Gründen abnehmen, na ja ein paar private Motive waren auch dabei. Meine Eltern haben mich damals in ein Internat geschickt.“

„Ach deswegen warst du plötzlich nicht mehr da.“

„Ja.“

In mir stieg eine Kälte auf und ich begann zu zittern. Die nassen Sachen klebten an meinem Körper.

„Dominic du frierst ja, komm du musst aus den nassen Klamotten. Hast du zufällig was zum wechseln dabei?

„Du vergisst wohl, dass ich hier einziehe!“

Wenn die Situation nicht schon traurig genug gewesen wäre, hätte ich schallend angefangen zu lachen, als ich Jarretts betretenes Gesicht war.

„Komm gehen wir rein… weißt du in welchem Koffer du was zum wechseln hast?“, meinte Jarrett und schob mich langsam vor sich her.

„Luka, könntest du Papas kleinen Werkzeugkoffer aus dem Auto holen?“, fragte er.

„Oki, doki“, meinte Luka und düste los.

„Er ist goldig dein Kleiner“, sagte ich während ich triefend und frierend neben ihm her lief.

„Ja, er ist mein ganzer Stolz!“

„Und seine Mama? Kenn ich sie?“

Jarretts Gesicht verfinsterte sich ein wenig.

„Sorry, ich wollte dir nicht zu Nahe treten.“

„Tust du nicht. Mandy starb bei der Geburt unseres Sohnes…“

Jarrett sah dem kleinen Wirbelwind nach und ich ebenso.

„Komm, du musst rein, du holst dir hier draußen den Tod“, meinte Jarrett und schob mich Richtung Haus.

Käme mir gerade Recht, aber diesen Gedanken verwarf ich schnell wieder.

„Papa, ich habe ihn gefunden“, rief Luka uns entgegen.

Fast gleichzeitig betraten wir das alte Haus und Jarrett schloss hinter uns die Tür.

„Papa, hier ist es aber dunkel.“

Ich musste grinsen, als Luka das anmerkte und Jarrett rollte mit seinen Augen. Er lief an mir vorbei und öffnete die Tür zum Keller. Luka stellte den kleinen Koffer neben ihm auf den Boden und öffnete die Klappe.

„Danke Luka“, meinte Jarrett und wuschelte ihm durch die Haare. Luka quittierte das mit einem stolzen Lächeln. Ich schaute mich um und griff nach einem weißen Leintuch, das über einem Möbelstück hing.

Ich legte es um mich, was aber nicht wirklich etwas brachte. Das Zittern und Frieren blieb. Plötzlich ging im Flur das Licht an.

„Die Hauptsicherung war durch“, hörte ich Jarrett rufen.

Ich sah wie er seinem Sohn etwas gab und der es fein säuberlich wieder in das Köfferchen tat. Danach schloss Luka wieder die Klappe. Der Kleine war goldig, ich musste grinsen.

„So und jetzt… was soll ich dir reinbringen?“

Ich verstand erst nicht, was er meinte, bis das Zittern mich wieder in die Realität zurück brachte.

„Der schwarze Koffer auf der rechten Seite.“

„Okay, ich schaue, ob unten alle Ventile offen sind, dann kannst du ins Bad und duschen gehen.“

„Duschen?“, fragte ich.

„Du bist ins kalte Wasser gefallen, hast blaue Lippen, du brauchst etwas Wärmendes.“

„Ach so. Aber die Heizung braucht doch eine Weile bis das Wasser heiß ist.“

„Du hast wohl nicht mitbekommen, dass deine Großeltern an Fernwärme angeschlossen wurden.“

„Nein habe ich nicht.“

„Okay. Ich bringe dir dann deine Sache nach oben.“

Er schien oft noch hier gewesen zu sein, er kannte sich gut aus.

„Ähm… okay…“

„Luka, bringst du den Koffer wieder in den Wagen?“

„Ja Papa.“

Luka griff sich den kleinen Koffer und verschwand.

„Hm…, ich überlege grad, ob du heute nicht vielleicht bei mir schlafen solltest, Platz hätte ich ja“, riss mich Jarrett aus meinen Gedanken.

„Also wenn die Dusche so funktioniert, wie du gesagt hast, kann ich ruhig hier bleiben. Zudem, falls sich Mrs. Mac Gwyer an alles gehalten hat, müsste mein Schlafzimmer schon aufgestellt sein.”

„Okay, ich hole deinen Koffer.“

„Gut und ich werde nach oben gehen.“

So verschwand Jarrett durch die Haustür und ich schaltete erst einmal das Flurlicht wieder aus. Hier war es ja einigermaßen hell. Ich stieg die Treppe nach oben und blieb oben angekommen erst mal kurz stehen.

Vor meinen Augen konnte ich mich mit Nick kurz spielen sehen, wie wir früher hier über den Flur tobten. Zielsicher steuerte ich mein Zimmer an. Ich öffnete es und war doch erstaunt, dass es tatsächlich eingerichtet worden war.

Ich machte das Licht an und lief zu dem Fenster. Schnell waren die Vorhänge zurückgezogen und das Tageslicht hielt Einzug. Ich warf das mittlerweile nasse Leintuch auf den Boden und begann mich auszuziehen.

Als ich die triefende Jacke über den Stuhl hing, fiel mir mein Handy ein. Shit, dass war natürlich auch im Wasser gelegen. Ich griff in die Tasche und tatsächlich, auch das Handy tropfte.

Oh man, jetzt musste ich mir noch ein neues Handy zulegen. Nach und nach fielen meine Klamotten zu Boden, bis ich nur noch in Shorts da stand.

„Dominic, bist du hier irgendwo?“, hörte ich Jarretts Stimme auf dem Flur.

„Ja, hier!“

Die Tür öffnete sich. Aber als erstes spazierte Luka herein, dich gefolgt von seinem Vater und meinem Koffer. Er beäugte mich kurz. Sah sicher komisch aus, so tropfnass nur in Boxershorts dazustehen.

„Du kannst immer noch mitkommen, wenn du möchtest“, sagte Jarrett.

„Nein, aber danke, ich möchte meinen Wagen heute noch ausräumen.“

„Ich habe nachher Zeit und Luka geht dann eh zu seiner Großmutter. Ich könnte dir also helfen.“

Ich war angetan von seiner Hilfsbereitschaft.

„Da möchte ich nicht nein sagen und nehme gerne deine Hilfe in Anspruch. Wer weiß, was hier noch alles kaputt ist“, lächelte ich.

„Gut, dann bin ich in einer Stunde zurück“, meinte Jarrett und lächelte ebenfalls.

„Ich will zur Oma, Papa“, drängelte Luka.

Er stand zwischen uns und versuchte seinen Vater aus dem Zimmer zu drücken. Natürlich erfolglos. Der stand wie ein Stein da und schaute mich noch immer lächelnd an.

„Dann werde ich wohl duschen gehen…“, sagte ich.

Wir schauten uns immer noch in die Augen.

„Ähm… ja. Dann bis in einer Stunde“, meinte Jarrett und zog Luka hinter sich aus meinen Zimmer.

Was war das jetzt? Ich kratze meine nassen Haare und schaute auf den Haufen nasser Klamotten. Eine Gänsehaut überkam mich und ich dachte wieder an die Dusche. Ich lief zum Koffer und warf ihn aufs Bett. Schnell war er geöffnet.

Ich entschied mich für meinen Jogginganzug, der eh eine Nummer zu groß war. Schnell war eine neue Boxer gefunden und auch Socken. So lief ich ins Bad. Ich öffnete die Holztür und sie gab mit einem Knarren nach.

Was mir als erstes ins Auge fiel, war die weiße gusseiserne Wanne, die mitten im Raum stand. Ein kurzer Blick zur Dusche und mir war klar, dass ich mich da jetzt rein legen wollte. Ich legte meine Sachen auf einen Stuhl neben das Waschbecken.

Dann lief ich zur Wanne und drehte den Heißwasserhahn auf. Ein kurzes Gurgeln in der Leitung und plötzlich schwappte der erste Schwall Wasser aus dem breiten Hahn. Am Anfang noch etwas braun, wurde das Wasser aber schnell klar.

Ich griff in den Strahl und wunderte mich, wie heiß es doch war. So drückte ich erst den Stöpsel ins Loch in der Mitte der Wanne und das Wasser begann zu steigen. Ich drehte noch etwas den Kaltwasserhahn auf.

Durch das heiße Wasser bildete sich Dampf im Bad, der sich gleichmäßig verteilte. Als die Wanne bereits halb voll gelaufen war, testete ich nochmals die Temperatur. Ich schaute mich um, ob ich irgendwelche Sachen für das Wasser finden konnte.

In einem Schränkchen wurde ich fündig. Hier standen noch alle Badeöle, die ich von Oma kannte. Ich nahm eines nach dem anderen heraus und lass die Aufschrift. Hm… Apfel, hörte sich gut an.

Ich stellte die restlichen Flaschen zurück und ging zurück an die Wanne. Schnell hatte ich mich auch noch der nassen Boxer entledigt. Ich schraubte die Flasche auf und ließ langsam etwas von dem Öl ins Wasser laufen.

Schon jetzt machte sich ein leichter Geruch von Apfel bemerkbar. Langsam hob ich den Fuß über den Wannenrand und berührte mit dem großen Zeh das Wasser. Richtige Temperatur, dachte ich und ließ den Fuß eintauchen.

Wenige Sekunden später hatte ich mich völlig in der Wanne niedergelassen und drehte das Wasser ab. Etwas müde lehnte ich mich zurück und legte den Kopf an den Wannenrand. Ich schloss die Augen und genoss die Wärme.

Ich spürte, wie sich mein Körper langsam entspannte und wieder Leben in ihn zurückkam. Aber gleichzeitig merkte ich auch, wie meine Gedanken immer träger wurden und mich die Müdigkeit immer mehr überkam.

„Wir sehen uns heute Abend, Schatz.“ Sie gab mir einen Kuss und öffnete die Wagentür. „Ich hasse dieses Wetter, es könnte endlich mal aufhören zu regen“, sagte sie und lächelte mir noch einmal zu. Sie stieg aus und warf hinter sich die Tür zu. Ein quietschendes Geräusch ließ mich nach hinten schauen und ich sah nur noch, wie der Wagen auf uns zu rutschte. Ich konnte durch die geschlossene Tür Gabriellas Schrei hören. Ich hörte meinen Schrei…

„Dominic… ist mit dir alles in Ordnung?“

Ich schreckte auf und sah in Jarretts besorgtes Gesicht. Ein paar Sekunden später wusste ich auch wieder, dass ich noch in der Wanne saß. Jarrett kniete sich neben mich.

„Alles klar?“, fragte er.

„Sorry… ich muss eingeschlafen sein“, antwortete ich.

„Habe ich gemerkt, du hast mich nicht mal kommen hören.“

Mir wurde mit einem Schlag bewusst, ich lag noch in der Wanne und war deshalb auch nackt. Jarrett kniete vor der Wanne, so war ich also voll in seinem Visier. Ein Gefühl von Scham überkam mich.

Doch Jarretts Augen wanderten nicht einmal in die unteren Regionen, sondern sahen mir in die Augen. Ich rieb mir übers Gesicht.

„Hatte einen scheiß Traum…“, flüsterte ich.

Jarrett ließ sich neben mir auf den Boden nieder.

„Willst du mir davon erzählen?“, fragte er.

Irgendwie war die Situation komisch. Ich hatte Jarrett mindestens fünfzehn Jahre nicht mehr gesehen und jetzt saß er neben mir und war mir vertraut wie nie zuvor. Ich wusste nicht warum, aber ich fühlte mich wohl bei ihm.

Dieses Gefühl hatte ich nicht mehr, seit ich Gabriella verloren hatte. Plötzlich merkte ich, wie sich langsam Tränen lösten.

„Dominic, wenn du mir nichts erzählen willst, ist es okay!“

„Nein… das ist es nicht. In mir herrscht nur gerade ein Chaos.“

Ich drehte den Kopf leicht und schaute wieder in seine Augen.

„Vor einem halben Jahr habe ich meine Frau verloren. Bei Regen hatte ein Fahrer die Kontrolle über seinen Wagen verloren. Gabriella war gerade ausgestiegen…“

Jarrett verzog sein Gesicht. Ich schaute wieder aufs Wasser.

„Sie war sofort tot…“

„Das tut mir Leid, Dominic…“

Ich spürte den Drang zu weinen und gab ihm nach. Ungehindert floss nun das Nass über meine Wangen. Ich spürte Jarretts Hand an meiner Schulter.

„Ich krieg diese Bilder nicht aus dem Kopf… wie sie zwischen den Wagen…“

„Schhht… tu dir das nicht an Dominic…“

Ich lag nackt in der Wanne, heulte und hatte einen Mann neben mir sitzen. Trotzdem war hier irgendwie eine Vertrautheit, die ich schon lange nicht mehr gespürt hatte.

„Komm, das Wasser wird schon kalt sein. Wo hast du ein Handtuch?“

Ich atmete tief durch und wischte die Tränen aus meinem Gesicht.

„Noch in meinem Koffer… das habe ich vergessen.“

„Okay.“

Jarrett erhob sich und verließ das Badezimmer. Ich richtete mich auf und saß nun wieder. Wenige Minuten später kam Jarrett zurück und hielt mir ein Handtuch hin. Ich dachte nicht weiter nach und stand auf. Jarrett reichte mir das Handtuch, als man es unten klingeln hörte.

„Ich geh runter und schau nach“, sagte Jarrett und verschwand wieder.

Ich stieg vollends aus dem Wasser und trocknete mich fertig ab. Schnell war ich in meine Klamotten gestiegen und folgte Jarrett.

„Du musst dich noch einen Augenblick gedulden, Herr MacLeann ist noch oben“, hörte ich Jarretts Stimme.

Ich ging schnell in mein Zimmer, zog die Turnschuhe aus dem Koffer und schlüpfte hinein. Schnell war ich die Treppe hinunter gelaufen, wo ich Jarrett mit einem jungen Mann vorfand.

„Das ist Corbinian Mac Lan, er wird sich um deinen Steg kümmern. Er ist Schreiner. Hab mir erlaubt ihn gleich anzurufen“, erklärte Jarrett.

„Oh, danke, das ist auch nötig… also der Steg…“, oh man, warum begann ich jetzt zu stottern, „Dominic MacLeann ist mein Name.“

„Corbinian reicht…“, sagte der junge Mann und streckte mir seine Hand entgegen.

Ich schüttelte seine Hand.

„Okay, Dominic“, meinte ich und versuchte zu lächeln.

„Wo ist denn das gute Stück?“, fragte Corbinian.

„Gleich hinter dem Haus“, meinte Jarrett und wies auf die Eingangstür.

„Dann schau ich mir das mal an.“

Ich folgte den beiden hinaus. Jarrett erzählte irgendwas von Materialien und anderen Dingen, die ich nicht verstand. Wenig später waren wir am Steg angekommen.

„Oh, der muss wirklich gerichtet werden. Sieht so aus, als wäre hier jemand eingebrochen“, sagte Corbinian.

Jarrett grinste mich an und mir war das plötzlich sehr peinlich.

„Ich werde alles ausmessen und Ihnen dann Bescheid geben was es kostet, Dominic.“

„Okay, danke.“

*-*-*

Mittlerweile war auch der letzte Karton aus meinem Rover geräumt. Alles stapelte sich nun im Flur. Jarrett hatte alle Vorhänge zurückgezogen und auch die Leintücher entfernt, mit denen die Möbel abgedeckt wurden.

Er schaute auf die Kartons und dann auf mich.

„Da steht noch eine ganze Menge Arbeit an“, stellte Jarrett fest.

„He, du hast schon genug gemacht, willst du nicht zu Luka?“, fragte ich und lehnte mich erschöpft an die Haustür.

„Luka schläft bei seiner Oma heute Nacht. Für mich ist das hier mal eine Abwechslung.“

„Abwechslung? Du hast doch sicher viele Freunde hier.“

Jarrett schüttelt seinen Kopf.

„Bekannte vielleicht, aber keine Freunde. Ich lebe mit Luka recht zurückgezogen.“

Ich lehnte immer noch an der Haustür und starrte Jarrett verwundert an.

„Was?“, fragte er.

„Ich hätte echt nicht gedacht, dass du… na ja ein Einzelgänger bist.“

„So kann man es auch nicht nennen. Ich bin schon viel unterwegs, alleine durch meine Arbeit. Seit Kathleens Tod habe ich mich etwas aus dem gesellschaftlichen Leben zurückgezogen, sie war es, die Freunde hier hatte.“

„Aha… und was machst du dann sonst so, wenn du nicht bei der Arbeit bist und mit Luka beschäftigt bist?“

„Na ja, vielleicht findest du das jetzt lächerlich… oder kindisch. Ich habe eine große Modellbahn auf dem Speicher an der ich oft bastele.“

„Wieso sollte ich das kindisch finden. Wenn ich mal Zeit habe… öhm ich habe alle Zeit der Welt… eigentlich.“

Jarrett schaute mich fragend an.

„Mist, ich habe nicht mal etwas zum Trinken im Haus, sonst könnte ich dir etwas anbieten“, meinte ich.

Jetzt grinste Jarrett.

„Weißt du was“, begann er zureden, „lass uns die Karton auf ihre Plätze räumen, dann habe ich eine kleine Überraschung für dich.

Nun war ich es, der Jarrett wieder fragend anschaute. Er schnappte sich den ersten Karton.

„Soll ich die Kartons mit der Aufschrift… auch dort hinstellen?“

Ich nickte und nahm einen weiteren Karton auf und folgte ihm nach oben. Er begab sich in mein Zimmer und ich ins Bad. Nach ungefähr einer halben Stunde war alles verteilt, der Flur wieder leer.

„Einen Moment bitte“, sagte Jarrett und verschwand durch die Haustür.

Verdutzt schaute ich ihm nach, dann ging ich die Küche. Ich drehte den Wasserhahn auf und wusch mir meine Hände.

„Dominic?“

Jarrett war wohl schon wieder da.

„Hier in der Küche“, rief ich und suchte verzweifelt etwas zum Hände abtrocknen.

Jarrett betrat die Küche mit einem Korb. Er griff hinein und zog ein Geschirrtuch heraus.

„Suchst du das hier?“, fragte er und warf mir das Tuch zu.

„Danke! Sag mal, was hast du alles in dem Korb da?“

„Alles was dein Herz begehren könnte.“

Ich ging ein paar Schritte auf ihn zu, während Jarrett den Korb ausräumte. Da kamen lauter Köstlichkeiten zum Vorschein.

„Hast du den hiesigen Laden leer gekauft?“, wollte ich wissen.

„Ein guter Koch hat so etwas zu Hause.“

„Du kannst kochen?“, fragte ich verwundert.

„Du nicht?“, bekam ich als Gegenfrage.

Jetzt mussten wir beide lachen. Als Letztes zog Jarrett eine Flasche Wein mit zwei Gläsern heraus.

„Hast du etwas Größeres vor?“, fragte ich, nachdem ich all die Sachen auf dem Tisch nochmals angeschaut hatte.

„Ich dachte, es wär ein kleiner Grund zu feiern, dass wir uns nach all den Jahren endlich mal wieder sehen.“

„Da hast du allerdings Recht. Hast du auch an Teller gedacht? Ich meine, irgendwo muss doch alles, was du da kochen willst, drauf.“

„Oh schei… Daran hab ich nicht gedacht. Wo war ich nur mit meinen Gedanken.“

„Das würde mich auch interessieren“, grinste ich.

Jarrett wurde tief rot im Gesicht.

„Ich schau mal die Schränke durch. Irgendetwas muss ja noch von Grandma Anns Geschirr da sein“, meinte ich.

„Vermisst du nicht die Zeit, also früher, als wir noch Kinder waren?“, fragte Jarrett, der sich am Herd zu schaffen machte.

Ich atmete tief durch.

„Klar, erinnere ich mich gerne an früher. Alles war so unbeschwert… Kindsein eben.“

„Verstehe… man wird erwachsen und das Kind in dir verschwindet.“

„Ist doch normal, oder?“

Endlich wurde ich fündig. In einem der alten Schränke fand ich ein komplettes Service.

„Nein ich finde, man sollte sich etwas Kindliches behalten.“

„Deswegen die Eisenbahn?“, fragte ich neckisch.

Jarrett rollte mit den Augen und wandte sich wieder seinen Sachen zu. Er zog eine Pfanne und einen Topf heraus. Er begann das Gemüse zu schälen und zu schneiden. Ich hörte ein Handy klingeln, es war auf jeden Fall nicht meins.

Schnell wurde der Eigentümer hektisch und zerrte an seiner Hose herum.

„Ja?“, kam es von Jarrett, „ ja, ich hab dich auch lieb… ja schlaf gut… du auch…“

Ich hörte noch ein Kussgeräusch und Jarrett ließ das Handy wieder verschwinden.

„War Luka, er hat mir noch gute Nacht gewünscht.“

„Er telefoniert mit fünf?“, fragte ich erstaunt.

„Luka ist ein helles Köpfchen und drei- oder viermal in der Woche schläft er bei seiner Grandma, da ist es zur Gewohnheit geworden, dass er anruft.“

„Süß“, gab ich nur von mir.

Ich dachte wieder an Gabriella, wie sehr sie sich Kinder gewünscht hatte. Doch ich ihr den nicht erfüllen konnte. Im Bett war ich eine absolute Niete gewesen, womit das Thema gegessen war.

„Einen Cent für deine Gedanken“, meinte Jarrett und stand mit zwei gefüllten Rotweingläsern vor mir.

Ich zuckte etwas zusammen.

„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.“

„Hast du nicht, ich hab nur an etwas in der Vergangenheit gedacht.“

„Willst du darüber reden?“

„Wolltest du nicht kochen?“

„Steht schon lange in der Röhre, wir haben also Zeit.“

Jarrett grinste mich an.

„Hier in der Küche?“, fragte ich und schaute mich um.

„Wo immer du willst“, kam es von Jarrett.

„Wohnzimmer?“

Jarrett nickte. So lief ich ins voraus ins Wohnzimmer und Jarrett folgte mir. Als wir das Zimmer betraten, kam es mir etwas kühl vor.

„Soll ich den Kamin anzünden?“, fragte Jarrett.

Konnte er Gedanken lesen?

„Nein, das geht auch so.“

„Ist aber wirklich kein Problem. Du solltest nach deinem unfreiwilligen Bad im Warmen sein.“

Er ließ mich erst gar nichts dagegen einwenden und verschwand schon wieder aus meinem Blickfeld. Ein paar Minuten später tauchte er mit einem Arm vol Holz auf.

„Wo hast du das denn so schnell her, hast du das auch mitgebracht?“

Jarrett lachte.

„Nein, aber ich kenn mich hier immer noch gut aus. Draußen hinter dem Haus stapelt eine Menge Holz.“

Jarrett kniete sich vor den Kamin und belud ihn. Wenig später entzündete er Papier. Wo er das her hatte, wusste ich auch nicht. Etwa zehn Minuten später brannte das Feuer und Jarrett ließ sich in einer der Ohrensessel fallen.

Ich folgte seinem Beispiel und setzte mich in den anderen Sessel. Er prostete mir zu und nippte an seinem Weinglas. Mein Blick fiel zurück ins Feuer, welches mehr und mehr das Holz einnahm.

„Du bist so ruhig…“, hörte ich Jarrett sagen.

„Ja, ich bin nachdenklich… es ist einfach zuviel passiert.“

„Was hast du eigentlich die ganze Zeit gemacht? Wann bist du fort gegangen, wie lange ist das jetzt her?“

„Lass mich nachrechnen, mit sechzehn bin ich ins Trinity College in Dublin gekommen… fünfzehn Jahre bin ich jetzt weg gewesen. Dort bin ich auch geblieben. Dir sagt Kilkenny was?“

„Ja klar, mein Lieblingsbier.“

„Dann habe ich an dir verdient.“

„Bitte?“

Das verwunderte Gesicht Jarretts amüsierte mich.

„Du weißt, dass ich nicht gerade minderbemittelt bin.“

„Ja, man hat von einigen Millionen Pfund geredet, was dein alter Herr dir hinterlassen hat.“

„Du vergisst das Geld meiner Großeltern. Aber egal. Ich habe mich in die Firma eingekauft und den Laden modernisiert. Ich konnte alle Arbeitsplätze retten und das Geschäft wirft sogar wieder einiges ab.“

„Wow, habe ich also einen Bierspezialisten vor mir sitzen und ich speise dich mit einem Rotwein ab“, sagte Jarrett und nippte an seinem Glas.

„Kein Problem, ich trinke auch Rotwein gerne. Der hier ist sehr gut, aber ich muss zugeben, er hat es in sich, ich merke schon etwas.“

„Dann lass uns etwas essen, müsste auch schon fertig sein.“

Zwei Stunden später und zwei Rotweinflaschen leerer, saßen wir wieder in den Ohrensessel und schwelgten in Erinnerungen. Trotz des guten Essens, Jarrett hatte Irish Stew gekocht, was ich auch schon lange nicht mehr gegessen hatte, merkte ich die Flasche Rotwein, die ich intus hatte.

Man konnte sagen, ich hatte ordentlich einen sitzen. Ich war nur noch am Kichern. Fast gleichzeitig begannen Jarrett und ich zu gähnen.

„Ich werde dann mal langsam nach Hause fahren“, meinte er.

„Nichts wirst du, mit der Flasche Wein intus, fährst du kein Auto mehr.“

„Soll ich etwa das ganze Stück heim laufen?“

„Nein, du wirst hier schlafen. Als Kinder haben wir doch ständig zusammen geschlafen.“

„In deinem Bett?“, fragte Jarrett mit ernstem Gesichtsausdruck und kicherte dann plötzlich los.

„Ist für mich auch kein Problem, aber wenn du lieber hier auf der Couch schlafen willst?“

Wir blickten beide auf das viel zu kleine Teil und schüttelten beide gleichzeitig den Kopf.

„Wenn du wirklich noch einen kleinen Platz frei hast…, bleib ich gerne.“

„Okay… sollen wir noch zusammenräumen?“, fragte ich.

„Ja können wir. Möchte morgen nicht noch einmal anfangen müssen.“

Also erhob ich mich aus meinem Sessel und merkte wie ich leicht schwankte.

„Du bist wohl nichts gewöhnt“, meinte Jarrett hinter mir, der anfing, das Geschirr auf dem Esstisch abzuräumen.

„Kann sein, ich hab schon lange nichts mehr getrunken.“

„Muss ich dich jetzt ins Bett tragen?“, kicherte Jarrett.

„Nein, ins Bett werde ich es grad noch schaffen“, lächelte ich.

Jarrett stellte das komplette Geschirr in die Spüle und folgte mir in den Flur. Ich löschte alle Lichter und bewegte mich weiter schwankend auf die Treppe zu. Plötzlich spürte ich zwei Hände, die meine Hüften umfassten und mich die Treppe hinauf schoben.

Ich konnte nicht anders und begann zu kichern und verschüttete fast meinen Rotwein, den ich immer noch in meiner Hand hielt. Es war einfach so, dass ich unheimlich kitzlig war und Jarretts Hände sorgten dafür, dass ich einfach kichern musste.

„Was ist los, warum kicherst du so?“

„Das kitzelt!“, kicherte ich.

Da verschwanden die Hände und ich drohte fast nach hinten zu kippen. Diesmal spürte ich aber keine Hände, die mich auffingen, sondern ich lehnte plötzlich an Jarrett.

„Willst du wieder runter?“, fragte er und schaute mich lächelnd an.

Ich konnte nicht anders und begann wieder zu kichern. Der Rotwein war mir in den Kopf gestiegen und ich war voll. Langsam dirigierte mich Jarrett Richtung Schlafzimmer. Dass er auch nicht mehr fit war merkte ich daran, dass wir ein paar mal Haarscharf an der Wand entlang schlitterten.

Als wir an der Tür angekommen waren, blieb er abrupt stehen und ich lief auf.

„Ups… sorry, das wollte ich nicht“, meinte er.

„Macht nichts“, sagte ich und rieb mir über die Stirn.

Jarrett drückte die Türklinke hinunter und öffnete die Tür. Beim Hineingehen stellte ich mein Glas aus der Kommode ab. Durch die Lüftungsgitter, die mit dem offnen Kamin verbunden waren, strömte warme Luft ins Zimmer.

Eine mollige Wärme hatte sich breit gemacht und mir war vom Rotwein eh schon warm. Also begann ich mein Hemd aufzuknöpfen, was sich aber als schwierig heraus stellte, da meine Motorik nicht mehr das war, was es sein sollte.

So stand ich schwankend da und fummelte an meinem Hemd herum. Irgendwann hatte ich genug und zog es einfach über den Kopf. Es landete neben den Stuhl, denn zielen konnte ich auch nicht mehr.

Jarrett kicherte weiter, beobachtete den Kampf mit meiner Kleidung. Er hatte es leichter. Schnell war sein Shirt über den Kopf gestreift und die Hose ausgezogen. Zum ersten Mal sah ich ihn nur in Shorts.

Das Bild seiner Leibesfülle von früher kam mir in den Sinn und ich musste unweigerlich lächeln.

„Was ist?“, fragte Jarrett und hob mein Hemd auf.

„Du siehst wirklich gut aus“, sagte ich und nur wenig später wurde mir bewusst, ich hatte einem Mann wegen seines Aussehens ein Kompliment gemacht.

Sein Gesicht färbte sich leicht rot, was eine erneute Kicherattacke bei mir auslöste. Ich bückte mich und versuchte nun auch das letzte Hosenbein vom Fuß zu ziehen. Natürlich bekam ich Übergewicht und kippte nach vorne.

Ein kurzes Fluchen und ich lag auf Jarrett. Wir schauten uns kurz wortlos an und begannen laut zu lachen. Was mich aber etwas wunderte war, dass sich plötzlich ein Wohlbefinden in mir ausbreitete, als ich Jarrett unter mir spürte.

Unser Lachen verstummte und wir schauten uns in die Augen. Seine Pupillen verengten sich und das braun seiner Augen nahm ein seltsames Funkeln an. Plötzlich spürte ich seine Hand an meinem Nacken.

Langsam zog er mich zu sich. Keine Hemmungen, keinerlei Gewissensbisse begehrten in mir auf, ich ließ es einfach geschehen. Meinen Augen schlossen sich und wenige Sekunden später spürte ich Jarretts weiche Lippen auf den meinen.

Ich wußte nicht, wie mir geschah. Ein Gefühl, als würde Strom durch meinen Körper fließen, ließ meinen Körper erbeben. Nur dieser kleine Kuss setzte eine Gefühlswelt in mir frei, die ich bis dato noch nie erlebt hatte.

Unsere Lippen trennten sich wieder und ich öffnete die Augen. Aber nicht die funkelten Augen von Jarrett bekam ich zu sehen, nein, es war ängstlicher Blick.

„Was ist?“, fragte ich besorgt.

Jarrett drückte mich sanft von sich weg.

„Sorry, dass hätte ich nicht tun dürfen.“

„Was denn?“

„Dich küssen…“

Er wandte sich von mir ab.

„Jarrett, wenn ich es nicht gewollt hätte…“

„Vergessen wir es einfach, okay?“, fragte Jarrett, stand auf und nahm seine Kleidung.

„Was hast du vor?“, fragte ich, noch immer auf Boden sitzend.

„Ich werde nach Hause laufen…“

„Jarrett, ich ….“

„Lass es..”

Er lief schon zur Tür.

„Jarrett, bitte bleib…“

Ruckartig blieb er stehen, während ich aufgestanden war.

„Was für einen Sinn hätte das?“, fragte er mir zugewandt.

Ich lief zu ihm, legte meine Hand auf seine Schulter. Er zog die Schulter weg und meine Hand rutschte ab.

„Tut mir Leid Dominic, ich hab da einen riesen Fehler gemacht… es ist wirklich besser wenn ich jetzt gehe.“

Er griff nach dem Türknauf, aber so wollte ich ihn nicht gehen lassen. Ich griff diesmal nach seinem Arm und der Griff meiner Hand wurde stärker. Jarrett drehte den Kopf und schaute mich vorwurfsvoll an.

„Lass uns bitte reden… okay?“, fragte ich leise.

Jarrett atmete tief durch und es folgte ein Seufzer.

„Komm… bitte.“

Jarretts Widerstand war irgendwie gebrochen, denn plötzlich kam er mir klein und angreifbar vor. Ich zog etwas an seinem Arm und er setzte sich ohne Wehr  in Bewegung. Ich zog ihm seine Kleidung aus der Hand und warf sie auf den Stuhl.

Jarrett sagte kein Wort mehr, starrte nur stur auf den Boden. Mittlerweile war ich hinter ihm und schob ihn Richtung Bett. Dort angekommen drückte ich ihn nach unten, dirigierte ihn ins Bett und deckte ihn zu.

Danach lief ich um das Bett und ließ mich neben ihn fallen. Noch immer starrte er vor sich hin.

„So und jetzt Klartext, was ist los?“, begann ich.

„Was soll schon los sein. Ich habe dich geküsst, einen Mann…“, brummte Jarrett.

„Ja, das habe ich gemerkt, überdeutlich sogar.“

Sein starrer Blick löste sich, er setzte sich auf und wandte den Kopf zu mir.

„Verstehst du denn nicht…?“, begann er zu fragen.

Ich schüttelte den Kopf. Er rollte mit den Augen und ließ sich wieder in sein Kissen fallen.

„Tut mir Leid, wenn ich auf der Leitung stehe… ich muss sogar zugeben, dein Kuss hat mir gefallen…, solche Gefühle habe ich noch nie erlebt.“

„Wirklich?“

Ich musste über Jarretts verwunderten Gesichtausdruck lächeln.

„Ja…! Klar, ich bin noch nie von einem Mann geküsst worden, woher soll ich auch solche Gefühle kennen“, sprach ich weiter.

„Du… du warst verheiratet…“, gab Jarrett leise von sich.

Meine Gedanken wanderten zu Gabriella zurück und es war das erste Mal, dass es mir nicht gleich ein Stich in meine Brust versetzte, wenn ich an sie dachte.

„Ja war ich und Gabriella fehlt mir sehr.“

„Und dann gefällt dir, wenn dich ein Mann küsst?“

„Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“

„Du bist nicht schwul…“

„Bist du es?“, fragte ich Jarrett, dessen Blick mir plötzlich auswich.

„Jarrett, wir haben uns einmal ewige Freundschaft geschworen… gilt dies noch?“

„Das war ein Kinderschwur…“

„Für ein Kind warst du aber schon ganz schön bestückt…“

Ein leichtes Lächeln überzog Jarretts Gesicht. Nein ich hatte nicht vergessen, was wir bei den Weiden hinter den Felsen gemacht hatten. Er hob langsam den Kopf und sah mich an.

„Du hast es nicht vergessen?“, fragte Jarrett.

Ich schüttelte den Kopf.

„Wie kann man sein erstes Mal schon vergessen?“

Jarretts Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen.

„Du hast meine Frage nicht beantwortet“, meinte ich leise und sein Grinsen verschwand.

Jarrett sah mich lang an. Sein Atem war ruhig. Seine Augen funkelten im Schein der Nachtischlampe.

„Kathleen meinte immer, das wäre nur eine Phase bei mir, sie sagte, dass geht irgendwann vorüber.“

Nun senkte Jarrett seinen Blick.

„Doch tief in mir spürte ich etwas, was ich die ganzen Jahre verdrängt hatte. Ich spürte, dass all das falsch war, was um mich passierte, ich eigentlich ein anderes Leben führen sollte. Klar liebte ich Kathleen, aber dennoch quälten mich jeden Tag Selbstzweifel.“

„Warum dass denn?“

Jarrett hob den Kopf und sah mich wieder an.

„Wie würdest du dich fühlen, wenn du mit einer Frau verheiratet bist, tollen Sex hast, aber immer wieder an andere Männer denkst?“, fragte Jarrett.

„Hm…, ich weiß nicht… Gut ich gebe zu, diese Gedanken hatte ich auch ab und wann, aber belastet hat mich das nie.“

„Schön für dich!“

Ich hörte schon den leicht sarkastischen Unterton in Jarretts Stimme. Er verschränkte seine Arme über der nackten Brust und starrte in den Raum.

„Der Kuss eben hat Gefühle in mir ausgelöst, die ich nicht kenne… Aber es gefällt mir, was ich spüre“, sprach ich leise weiter.

„Und was fühlst du?“, fragte Jarrett, ohne mich anzuschauen.

„Schwer zu erklären… hm… Irgendwie fühlt es sich an, als würde Strom durch dich laufen, alles fängt an in dir zu vibrieren…“

„Wirst du jetzt zum Elektriker…, dass ist mein Job“, erwiderte Jarrett und ich musste lächeln.

Auch er musste lächeln und löste sich aus seiner Verspannung.

„Und was wird jetzt?“, fragte ich vorsichtig.

Jarrett atmete tief ein und blies die Luft wieder aus.

„Ich weiß es nicht…“, hörte ich Jarrett leise sagen.

Seine Augen waren leicht feucht und funkelten noch mehr im Schein der kleinen Lampe. Ich hob meine Hand, fasste Jarrett am den Nacken und zog ihn zu mir. Ohne Gegenwehr ließ Jarrett dies einfach mit sich tun.

Und erneut trafen sich unsere Lippen, aber diesmal zu einem innigeren Kuss als vorher.

*-*-*

So langsam wurde ich wach. Wie gewohnt wollte ich mich strecken, wenn ich morgens aufwachte, doch diesmal ging das nicht. Jarretts Kopf lag auf meiner Brust, sein Arm um meinen Bauch geschlungen.

Er sah so friedlich aus, wenn er schlief. Sein Kopf hob und senkte sich sanft zusammen mit meiner Brust. Ich strich ihm eine Strähne seines wilden braunen Haares aus dem Gesicht. Sollte wirklich etwas daran sein, dass ich auf Männer stehe?

War das der Grund, warum ich bei Gabriela im Bett immer versagte? Ich starrte an die Decke kramte in meinen Erinnerungen, ob irgendwelche unerklärlichen Dinge in der Vergangenheit sich mit diesem Punkt erklären ließen.

„Was grübelst du denn?“, hörte ich plötzlich Jarrett brummen.

Ich schaute zu im hinunter und lächelte.

„Guten Morgen Jarrett“, sagte ich.

„Morgen Dominic“, brummte er vor sich hin und begann sich zu strecken.

„Hast du gut geschlafen?“

Er blieb neben mir auf dem Rücken liegen.

„Ja!“, lächelte er, „…wie viel Uhr haben wir denn?“

Ich griff nach meiner Armbanduhr.

„Kurz nach sechs Uhr.“

„Also nichts mit liegen bleiben… Ich muss aufstehen.“

„Die Arbeit ruft wohl?“

„Ja und ich habe heute ein paar Aufträge abzuarbeiten.“

„… ich würd dir ja gern einen Kaffee kochen, aber ich habe leider nichts anzubieten.“

„Kein Problem, wir können uns ja nachher in der Stadt treffen und gemeinsam einen Kaffee trinken.“

„Das ist eine gute Idee, einkaufen werde ich sowieso noch müssen. Und wo treffen wir uns?“

„Lass mich mal überlegen, wo kann man den gut frühstücken…nach was steht dir denn der Sinn… etwas mit Fisch?“

„Ja, warum nicht.“

„Dann könnten wir uns bei McSwiggan’s Restaurant, am oberen Ende der Altstadt in der Nähe des Eyre Square gelegen, treffen.“

„Hört sich vornehm an.“

„Jarrett lächelte wieder und zog mich zu sich.“

„Aber ohne einen weiteren Kuss stehe ich nicht auf“, flüsterte er und schon spürte ich seine Lippen auf meinen.

Ich zerfloss regelrecht in seinen Armen und genoss seine Hand, die mir zärtlich über den Rücken streichelte, was mir eine Gänsehaut bescherte.

„So könnte für mich jeder Morgen beginnen“, meinte er und schlug die Decke zurück.

Ich lag nun auf dem Bauch und schaute ihn an.

„Wär das dein Wunsch?“, fragte ich leise.

Er saß nun am Bettrand mit dem Rücken zu mir. Ich strich sanft mit meiner Hand über seinen Rücken und fuhr die Konturen der Schulter nach.

„Ob das gut wäre?“, fragte er nun und atmete tief durch.

„Man soll nie eine Frage mit einer Gegenfrage beantworten.“

Er lehnte sich nach hinten, stützte sich mit der Hand auf dem Bett ab.

„Können wir da in Ruhe weiter drüber reden? Ich muss gleich los, ich will da nicht zwischen Tür und Angel drüber reden.“

„Noch bist du in meinem Bett…“

Er beugte sich hinunter und gab mir einen flüchtigen Kuss, dann stand er auf.

„Und wann treffen wir uns?“, fragte ich, während Jarrett in seine Hose schlüpfte.

„So gegen zehn?“

„Ja, bis dorthin bekomm ich einiges gearbeitet.“

Ich stand nun auch auf und zog mir nur mein Tshirt über. Gemeinsam gingen wir nach unten, wo Jarrett sein restliches Hab und Gut einsammelte. Dann begleitete ich ihn zur Tür.

„Okay, dann bis um zehn, ich freu mich schon darauf“, meinte Jarrett und öffnete die Haustür.

Frische Kühle zog herein und es fröstelte mich etwas. Jarrett zog mich noch einmal an sich und ein weiterer Kuss folgte.

„Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, wie süß du bist?“, fragte er.

Ich schüttelte den Kopf und er grinste.

„Also bis später…“

„Bis später“, sagte ich und schaute ihm nach, wie er zu seinem Wagen lief. Er stieg ein, startete den Motor und der Wagen setzte sich in Bewegung. Ein kurzes Winken seinerseits und ich sah nur noch die Rückfront seines Pickups.

Ich schloss die Haustür und lehnte mich gegen sie. Ich hatte eine Nacht mit einem Mann verbracht. Na gut… wir hatten nichts gemacht, nur nebeneinander geschlafen, aber trotzdem hat mir das gefallen.

Mein Blick wanderte über den Flur zu den offenen Türen. Ich seufzte. Was soll’s, ich hatte jede Menge Arbeit vor mir. Wenige Minuten später kam ich angezogen wieder herunter und suchte erstmal nach etwas Trinkbarem.

Jarrett hatte mir zwei Flaschen Mineralwasser da gelassen. So schenkte ich mir ein Glas voll ein und trank es in einem Zug leer. Wo sollte ich anfangen. So beschloss ich erstmal hier in der Küche anzufangen und das Geschirr von gestern Abend zu entsorgen.

Eine Spülmaschine musste her. Ich ging an meinen Aktenkoffer, der immer noch neben der Kommode im Flur stand, nahm ihn hoch und legte ihn auf die Kommode, wo ich ihn auch gleich öffnete.

Ein Bild von Gabriella aus glücklichen Tagen prangte mir entgegen. Ich seufzte kurz und nahm es heraus. Ich lief ins Wohnzimmer und stellte die Fotografie auf dem Kaminsims ab. Was wollte ich doch gleich?

Stimmt, ich wollte mir etwas zu schreiben holen. Also zurück in den Flur an meinen Aktenkoffer. Ich zog einen Block heraus mitsamt Kugelschreiber, notierte ‚Spülmaschine’ und nahm mir vor, nachher gleich Jarrett zu fragen, ob das bei mir möglich war.

Ich wollte sowieso einiges Bauliches im Haus ändern und Jarrett würde mir sicher mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ich legte den Block auf den Küchentisch und stand nun vor dem Berg Geschirr.

Eine halbe Stunde später und zehn verschrumpelte Finger mehr hatte ich die Küche wieder sauber, als ich draußen ein Motorgeräusch hörte. Ich lief in den Flur und öffnete die Haustür. Etwas enttäuscht stellte ich fest, dass es sich um den Schreiner handelte.

Ich ertappte mich, dass ich auf Jarrett gehofft hatte.

„Guten Morgen Dominic“, rief er mir entgegen.

„Morgen Corbinian“, rief ich zurück.

„Ist noch irgendetwas zu klären, oder kann ich gleich anfangen.“

Da fiel mir etwas ein.

„Wenn Sie so fragen, da fällt mir schon etwas ein.“

Corbinian stellte sein Werkzeugkoffer ab und lief zu mir.

„Wo drückt denn der Schuh?“, fragte er, als er bei mir ankam.

„Ich habe vor einiges in diesem Haus zu verändern und da wären sicherlich auch Holzarbeiten zu tätigen.“

„Und um was geht es da konkret?“

„Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen das gerne zeigen.“

„Ähm… Dominic…, Sie sind mit Jarrett befreundet und ich auch… Sie können also gerne du zu mir sagen.“

„Ja… ähm kein Problem.“

„Und um was geht es jetzt?“

„Moment ich zeige es Ihne… ähm …dir.“

Corbinian lächelte mich an. Dabei übersah ich natürlich nicht seine großen wachen und braunen Augen, die mich gerade anstrahlten. Sichtlich nervös lief ich vor ihm her zum hinteren Zimmer.

Auch hier hatte Jarrett alle Leinentücher entfernt und man konnte den herrlichen alten Schreibtisch sehen, der mitten im Raum stand.

„Hier würde ich gerne mein Arbeitszimmer einrichten“, erklärte ich.

„Ich nehme mal an, der Schreibtisch soll bleiben.“

„Richtig angenommen… aber ich brauche Abstellfläche… Regale.“

„Und sie sollten zum Schreibtisch passen.“

Ich nickte.

„Ich habe zu Hause ein paar Entwürfe von Möbeln, deren Stilrichtung hier fast passen würde. Wenn es dir Recht ist, bringe ich sie das nächste Mal mit.“

„Ja, klar, sicher würde mir das gefallen.“

„Okay. Noch etwas?“

„Ja, du siehst, hier ist es ziemlich dunkel und hinter dieser Wand befindet sich ja die Terrasse zum See. Wäre es möglich eine Tür nach draußen einzubauen?“

„Hm… wegen der Tür müsste ich mit einem befreundeten Glaser sprechen, aber ich denke, dass ist sicher kein Problem.“

„Gut, danke. Das wäre es erstmal.“

„Okay, dann mach ich mich mal an die Arbeit… bis später, Dominic.“

„Brauchst du mich noch für etwas?“

„Eigentlich nicht.“

„Gut, weil ich später in die Stadt möchte.“

„Kein Problem, ich habe alles dabei, was ich brauche.“

Ein paar Minuten später war ich wieder alleine. Ich beschloss im Wohnzimmer anzufangen, damit ich einen Raum hatte, wo ich Gäste empfangen konnte und sie nicht in irgendein Zimmer mit Kisten führen musste.

Ich hielt inne und lächelte. War ich doch vor kurzem zu dem Schluss hierher zu ziehen gekommen, um abzuspannen… Entfernung zur Vergangenheit zu bekommen, war ich jetzt schon wieder kräftig am Planen.

Dann sah ich wieder Jarrett vor mir und das Lächeln wurde stärker.

*-*-*

Unruhig lief ich vor dem Restaurant auf und ab. Es war schon fast halb elf und von Jarrett immer noch keine Spur. Blödsinnigerweise hatte ich natürlich keine Handynummer von ihm, aber er auch keine von mir.

Bei jedem roten Auto sah ich auf, aber es war kein Pickup. Wieder schaute ich auf die Uhr, als ich ein weiteres Auto vernahm und wieder aufschaute. Lächelnd nahm ich einen roten Pickup wahr. Jarretts Pickup.

Aber er war nicht alleine. Auf dem Beifahrersitz sah ich einen blonden Büschel Haare herausschauen. Recht rasant parkte Jarrett seinen Wagen in die Parklücke und der Motor erstarb.

Es ging nur seine Tür auf und wenige Sekunden später stand er dann vor mir.

„Hallo“, meinte ich mit einem Lächeln.

„Tut mir Leid Dominic, mir kam was dazwischen.“

Nun öffnete sich auch die zweite Tür und Luka kam aus dem Wagen geklettert. Jarrett sah mich wehleidig an und hob die Augenbraun.

„He, ist doch nicht schlimm. Euch gibt es eben nur im Doppelpack.“

Luka hatte uns mittlerweile erreicht und suchte die Hand seines Vaters. Jarrett sah zu ihm hinunter.

„Na!“, meinte er zu Luka.

„Guten Morgen“, sagte Luka und versteckte sich halbwegs hinter Jarretts Bein.

Ich ging in die Hocke, so dass ich auf Sichthöhe Luka’s war.

„Hallo kleiner Mann. Darf ich dir nachher ein Eis spendieren, du hast mich schließlich gerettet – aus dem Wasser gezogen.“

Das Lächeln dieses kleinen Mannes erwärmte mein Herz.

„Muss ich zu dir Onkel sagen?“, fragte Luka.

„Nein, musst du nicht. Du darfst auch Dominic sagen.“

Wieder lächelte er von einem Ohrläppchen zum Anderen.

„Dann sag ich Domi“, meinte er, löste sich aus der Hand seines Dads und sprang Richtung Eingang des Restaurants.

Ich stellte mich wieder auf und sah zu Jarrett, der nun auch lächelte.

„Danke“, meinte er.

„Für was?“, fragte ich.

„Wegen Luka…“

„Nichts zu danken, ich mag den kleinen Mann.“

Jarrett seufzte.

„Was ist?“, fragte ich.

„Du bist der … erste, der Luka akzeptiert…“

„Wie meinst du das?

„Ich habe in den vergangenen Jahren ein paar Männer kennen gelernt. Aber jedes Mal, wenn die Sprache von Luka war, wurde ich plötzlich uninteressant.“

„Domiiiiiiii kommst du?“, rief Luka.

Jarretts trauriges Gesicht verwandelte sich in ein Strahlendes.

„Klar komm ich und ich krieg dich bevor du im Restaurant bist.“

Also jagte ich dem kleinen Wirbelwind hinterher, der das laut juchzend quittierte. Jarrett stand da und beobachtete uns schmunzelnd. Als ich ihn schließlich zu packen bekam, zog ich ihn hoch und kitzelte ihn durch.

Luka quiekte wie verrückt.

„Lass uns rein gehen, ich bekomme allmählich Hunger“, meinte Jarrett grinsend neben mir.

„Was? Ich soll den Kleinen einfach so davon kommen lassen“, sagte ich gespielt entrüstet.

Diesen kleinen unachtsamen Augenblick nutzte Luka und bohrte mir seinen kleinen Finger in die Seite.

„Aaaaaaaaaaaaaaaah… du kleiner Teufel, na warte.“

Luka gluckste fröhlich vor sich hin.

*-*-*

Ein traditionelles Frühstück war vor uns aufgebaut. Bacon-Röllchen und gebratene Blut- und Leberwurst. Dazu gab es dann noch Eier und Bratkartoffel und mit einer gedämpften Tomate serviert.

In einem Körbchen konnte man zwischen Toast oder dunklem Sodabrot wählen, die man wahlweise mit Butter, Honig oder Marmelade bestreichen konnte. Natürlich durfte Ahornsirup nicht fehlen.

Als Getränk gab es den typisch irischen Schwarztee, der etwas malzig schmeckte. Orangensaft stand auch noch da. Luka selbst hatte einen großen Eisberg vor sich, den er gerade vergnüglich verdrückte.

„Sieht ja alles sehr lecker aus“, meinte ich und griff nach einem Toast.

„Luka und ich gehen hier oft essen. Sie haben auch immer etwas kindergerechtes da für ihn“, entgegnete Jarrett.

„Ach so, hätte ich kein Eis bestellen sollen?“

„Doch, du hast es ihm ja schon versprochen…“

„Ich hab nicht so eine Übung im Umgang mit Kindern…“

„Dafür kannst du aber mit Luka sehr gut“, meinte Jarrett und nippte an seinem Tee.

„Papa, ist Domi jetzt dein neuer Freund?“, fragte Luka dazwischen.

Ich verschluckte mich fast am Orangensaft, bevor mir klar wurde, wie Luka das jetzt gemeint hatte.

„Luka, der Domi und ich kennen uns schon ganz lange. Da war der Papa noch in deinem Alter, als er den Domi kennen gelernt hat“, erklärte Jarrett seinen Sohn.

„So lange schon, dann ist es ein alter Freund.“

Ich konnte nicht anders und musste kichern. Luka fing an zu lachen und sein herzhaftes Kinderlachen, steckte das halbe Restaurant an.

*-*-*

Luka’s Kopf lag auf der Schulter seines Vaters und schlief.

„Hast du irgendetwas Verderbliches in deinem Wagen?“, fragte Jarrett mich.

Jarrett sah unheimlich süß aus mit Sohnemann Luka auf dem Arm. Ich lächelte ihn an, bevor ich antwortete.

„Es müsste schon einiges in den Kühlschrank. Aber warum fragst du?“

„Hättest du keine Lust mit zu uns zu kommen, ich muss Luka zu seinem Mittagschlaf hinlegen. Deine Sachen kannst du bei mir kühl stellen…“

„Das würde allerdings gehen. Das Angebot nehme ich natürlich gerne an.“

„Fährst du mit deinem Wagen hinterher?“

„Klar, ich weiß ja nicht wo du wohnst. Ich kenne mich hier zwar noch etwas aus, aber ich glaube, ich würde mich trotzdem verfahren.“

„Ich wohne immer noch in meinem Elternhaus. Aber nun müssen wir los. Wenn Luka vorher aufwacht, ist er den ganzen Abend am Quengeln.“

„Das wollen wir doch nicht riskieren oder?“, grinste ich Jarrett an.

Jarrett hob vorsichtig seinen Sohn auf die Beifahrerseite seines Pickups, während ich bereits mein Auto bestieg. Ich startete den Motor und das satte Brummen ließ den Wagen leicht vibrieren.

Langsam fuhr ich aus meiner Parklücke und wartete auf Jarrett, dass ich ihm folgen konnte. Er zog recht zügig an und so hatte ich am Anfang Mühe ihm zu folgen. Wir folgten der College Road, um über die Dublin Road die Headford Road zu erreichen.

Vage erinnerte ich mich an das Haus seiner Eltern und ich wusste noch, dass es nicht weit von dem meiner Großeltern sein konnte, denn Jarrett kam immer mit dem Fahrrad zu uns, wenn wir da waren.

Im Gewirr des Baltinfoile Park bog er in eine kleine Nebenstraße wo er vor einem kleinen Haus zum stehen kam. Groß prangte das Schild am Giebels Hauses. Jarrett Mac Gregor Elektronics.

Ich parkte meinen Wagen auf seinem Kundenparkplatz und stieg aus. Jarrett hob den noch schlafenden Luka aus dem Pickup. Der Weg bis zur Coolagh Road und dann noch bis zu mir – mit dem Fahrrad, war das doch ein ganzes Stück.

Sicher gab es auch irgendwelche Wege, wo man diese Strecke abkürzen konnte, aber dennoch beeindruckte mich schon, wie weit Jarrett damals geradelt war. Mit dem Wagen waren es gerade mal fünf Minuten.

Ich lief hinter Jarrett her und wir durchquerten den kleinen gepflegten Vorgarten, den das Haus zierte. Bevor Jarrett aber die Haustür aufschließen konnte, wurde sie bereits von innen geöffnet.

„Hallo Jarrett, na is der Kleine wieder eingeschlafen.“

„Ja, der Berg Eis, den er bekommen hatte, war wohl doch zu anstrengend für ihn.“

„Kommst du noch kurz ins Büro, wenn du den Kleinen hingelegt hast?“

„Ja, und das ist übrigens ein guter Freund von früher. Dominic MacLeann.“

Ich hob meine Hand zum Gruß und er schüttelte sie.

„Joshua Fadden mein Name. Buchhalter und Jarretts emsige Sekretärin“, stellte sich der junge Mann vor.

Ich hörte Jarretts Kichern und folgte den beiden ins Haus. Joshua verschwand durch eine Tür gleich neben dem Eingang, während Jarrett den kleinen Flur weiter lief und eine Tür mit Aufschrift >Privat< öffnete.

Ich folgte ihm durch diese Tür. An die Zimmereinteilung dieses Hauses konnte ich mich nun wirklich nicht mehr erinnern, so stapfte ich Jarrett einfach hinterher. Er stieg die kleine Treppe hinauf und betrat gleich das erste Zimmer neben der Treppe.

Dies schien wohl Luka’s Zimmer zu sein. Von der Decke hingen einige Modellflugzeuge und auch der Rest des Zimmers war in Richtung Flugzeuge gestaltet. Sogar das kleine Bett, in das Jarrett Luka legte, hatte kleine Tragflächen an der Seite und sogar richtige Räder darunter.

„Toll. Das Zimmer gefällt mir“, flüsterte ich.

„Habe ich mit Corbinian zusammen selbstgebaut“, flüsterte Jarrett zurück, der vorsichtig Luka’s Schuhe auszog.

„So. Luka ist versorgt, wir können wieder nach unten.“

„Und wie lange schläft er jetzt.“

„So gegen drei Uhr wacht er wieder von alleine auf.“

Ich schmunzelte und folgte Jarrett wieder nach draußen.

„Macht es dir was aus, wenn ich kurz ins Büro gehe. Muss kurz schauen, welche neuen Aufträge Joshua für mich hat.“

„Ein süßer Typ“, meinte ich.

„Ja, aber total hetero und glücklich verheiratet seit einem Jahr. Aber er ist einer der wenigen, der über mich Bescheid weiß.“

„Er weiß dass du …?“

„Schwul bin… ja. Aber wie gesagt, dass wissen nur wenige.“

Ich wunderte mich über mich selbst, dass ich so ruhig blieb. Jarrett hatte sich vor mir geoutet und ich selbst war schwer am Grübeln, ob ich nicht ebenso empfand wie Jarrett. Müsste ich jetzt nicht am verzweifeln sein, wie man es schon so oft hörte.

Aber nichts von all dem passierte. Ich fühlte mich wohl in Jarretts Gegenwart und die Erinnerung an den letzten Kuss, bescherte mir erneut eine Gänsehaut. Noch auf der Treppe verhaarte Jarrett plötzlich und drehte sich um.

Er zog mich an sich und wieder folgte ein Kuss. Noch schöner im Empfinden, wie der am Morgen.

„Das hat mir gefehlt“, meinte er und lief weiter die Treppe hinunter.

Ich konnte nicht anders und grinste über das ganze Gesicht. Wieder folgte ich einfach Jarrett bis wir ins Büro kamen, wo Joshua hinter einem großen Schreibtisch saß.

„Hast du etwas Neues für mich?“, fragte Jarrett, als wir eingetreten waren.

„Zwei Reparaturen und eine Angebotsanfrage für eine Gartenbeleuchtung“, antwortete Joshua und hielt ihm einige Schriftstücke unter die Nase.

Joshua sah zu mir.

„Sind sie Mr. MacLeann, dem das Haus am See gehört?“, fragte er und ich nickte als Zustimmung.

„Ich habe ihren Großvater noch gekannt. Er und mein Großvater waren gute Freunde“, sprach Joshua weiter.

„Das wusste ich nicht. Ich war in den zehn Jahren sehr selten hier.“

„Und nun haben sie vor, hier zu bleiben? Ihr Großvater erzählte damals etwas über eine hohe Position bei einer Brauerei.“

„Das wusstest du?“, fragte Jarrett erstaunt.

„Ja. Aber dafür wusste ich nicht, dass ihr zwei euch kennt“, kam es von Joshua.

„Okay… gut, die zwei Sachen kann ich morgen machen und das Verkaufsgespräch legst du bitte auf den Freitag… morgens… so gegen 11.00 Uhr.“

„Mach ich. Ich rufe gleich dort an.“

„Hast du schon die Sicherungen bestellt?“

„Schon erledigt.“

„Und wann kommen die?“

„Sollen mit der Donnerstagslieferung kommen.“

„Na gut… ein Tag später wird auch noch reichen. Okay, ich bin dann hinten, falls noch etwas wäre“, sagte Jarrett.

„Ich melde mich, falls dein Typ verlangt wird.“

Jarrett lächelte und wandte sich an mich.

„Wir müssen noch deine Sachen zum Kühlen herein holen.“

„Stimmt, die hätte ich beinahe vergessen.

*-*-*

Bei einer Tasse Tee saßen wir in seinem Wohnzimmer und schwelgten in Erinnerungen.

Du hattest doch noch eine Schwester, wenn ich mich nicht irre. Oder?“

„Ja Nelly. Sie ist verheiratet und lebt in Dublin. Sie hat auch Ma zu sich genommen, als ich sie nicht weiterpflegen konnte.“

„War sie ernstlich krank?“

„Nein und sie befindet sich immer noch bei bester Gesundheit.“

„Und dein Dad?“

„Der ist letztes Jahr gestorben…“

„…das tut mir Leid… ich…“

„Nicht schlimm Dominic. Wir hatten eh kein gutes Verhältnis.“

„Weswegen… wenn ich fragen darf.“

„Mein Vater hatte die Überzeugung, um einen Sohn großzuziehen bedarf es einer Frau. Männer können und machen so etwas nicht. Er verlangte von mir, dass ich wieder heirate.“

„Oha…“

„Ja du sagst es. Er verstand nicht, warum ich nicht wieder heiraten wollte und konnte.“

„Hat er den wahren Grund erfahren?“

„Nein, außer meiner Schwester weiß es keiner in der Familie.“

„Papa?“, rief es vom Flur.

„Ich bin hier im Wohnzimmer“, antwortete Jarrett.

Die Tür ging auf und ein total strubbliger Luka betrat das Wohnzimmer. Ich musste lächeln, weil er so süß aussah. Er schaute mich verwundert an, dann  seinen Dad. Dann lief er weiter und krabbelte auf meinen Schoss.

Jarrett schaut mich verwundert an, musste aber dann doch lächeln.

„Du Domi?“, sagte plötzlich Luka.

„Ja Luka?“

„Spielst du etwas mit mir?“

Jarrett wollte schon etwas einwenden, aber ich gab Handzeichen, er solle schweigen.

“Ja, was willst du den spielen?“

„Hast du mein Zimmer schon gesehen?“

„Ja, als dein Dad dich ins Bett brachte.“

„Spielen wir mit meinen Flugzeugen?“

„Ja können wir, fliegst du gerne?“

„Ich bin noch nie geflogen, aber Papa war schon einmal mit mir auf dem Flughafen. Da habe ich richtige große Flugzeuge gesehen und die sind gelandet und gestartet.“

Mir gefiel, mit welcher Inbrunst Luka über Flugzeuge erzählte.

„Mal sehn, vielleicht nehm ich dich mal mit, wenn ich wieder fliege“, meinte ich.

Luka’s Augen wurden groß.

„Du kannst fliegen?“

Ich musste lachen.

„Nein, ich muss aber oft geschäftlich mit dem Flugzeug unterwegs sein, so wie dein Dad oft mit dem Auto unterwegs ist.“

„Hast du ein eigenes Flugzeug?

„Einen Firmenjet, aber der gehört der Firma in der ich arbeite, nicht mir.“

„Und mit dem darf ich mal fliegen?“

„Luka!“, sagte Jarrett mahnend im scharfen Ton.

„Ach, lass ihn doch Jarrett“, meinte ich, „mal sehen, vielleicht ergibt sich einmal die Gelegenheit und er kann mitfliegen.“

Luka sprang von meinem Schoss und breitete die Arme aus. Plötzlich stürmte er los und versuchte Geräusche eines Flugzeugs nachzumachen.

„Ich kann fliegen“, rief er und rannte aus dem Zimmer.

„Verwöhn mir den Kleinen nicht so“, sagte Jarrett und nippte an seinem Tee.

„Neidisch?“, fragte ich und musste lächeln.

„Ja…, erwischt!“

*-*-*

Meine Einkäufe waren verstaut, das Feuer im Wohnzimmer brannte und ich ließ mir gerade ein Bad ein, als das Telefon klingelte.

„MacLeann.“

„Hallo Dominic, hier ist Jarrett.“

„Hallo Jarrett, hat dich die Sehnsucht gepackt?“, fragte ich und musste lächeln.

„Auch, aber ich habe einen anderen Grund warum ich anrufe.“

„Und der wäre?“

„Meine Schwiegermutter kann morgen Luka nicht nehmen und ich habe neben den Reparaturen noch ein Beratungsgespräch in Moycullen, das wird sicherlich länger gehen.“

„Soll ich ihn nehmen?“

„Mir fällt ein Stein vom Herzen, dass du selbst fragst.“

„Warum dass denn?“

„Ich weiß nicht… Luka kann schon sehr anstrengend sein und ihr zwei kennt euch ja auch noch nicht richtig.“

„Das beste Mittel um uns näher kennen zu lernen, findest du nicht?“

„Da hast du recht… öhm könnte ich ihn dir morgen früh vorbeibringen?“

„Geht er nicht in den Kindergarten?“

„Um ehrlich zu sein, ist mir dass zu teuer. Und bisher ging es auch so.“

„Wann willst du ihn vorbeibringen?“

„So gegen acht Uhr?“

„Kein Problem, wenn ich das weiß, stelle ich mich darauf ein.“

„Ich bin dir was schuldig!“

„Ach was…, wie kommst du da drauf?“, fragte ich erstaunt.

„He, du tust mir einen riesen Gefallen mit Luka, wo fremdes hätte ich keine ruhige Minute.“

„Du kennst mich aber erst seit gestern wieder…“, sagte ich und grinste.

Anscheinend wusste er darauf nichts zu sagen.

„Noch da?“, fragte ich.

„Ja… vermisse dich… das gestern Nacht… einfach bei dir zu sein, das hat richtig gut getan.“

„Kannst du sofort wieder haben.“

„Du vergisst Luka…“

„Warum… bring ihn gleich mit. Im kleinen Zimmer steht auch ein Bett, da könnte er schlafen.“

„Wird dir das nicht zuviel?“

„Ach was.“

Wieder war Funkstille am Telefon. Anscheinend dachte er gerade über meine Worte nach.

„Gib mir ne Stunde, dann sind wir bei dir“, hörte ich Jarrett plötzlich.

„Ja, lass dir Zeit. Ich wollte sowieso noch baden.“

„Öhm… ja… gut, dann bis nachher.“

„Bye Jarrett.“

„Bye… Dominic.“

Lächelnd aber auch grübelnd drückte ich das Gespräch weg. Gedankenverloren lief ich in mein Zimmer hoch und entledigte mich meiner Kleidung. Was war nur mit Jarrett los. Er sagte, er sei schwul, aber trotzdem legt er mir gegenüber eine Scheu an den Tag, die ich nicht verstehe.

Gut, ich bin mit meiner Situation auch nicht im Klaren, ich weiß nicht was ich will, was sein wird. Ich weiß nur, dass ich mich bei Jarrett so wohl wie schon lange nicht mehr fühle. Kurz denke ich zurück an Gabriella, die sich langsam in den Hintergrund drängt. Sollte ich wirklich wie Jarrett schwul sein?

Ich streckte den Fuß in die Wanne – und ließ einen gellenden Schrei los. Scheiße war das Wasser kalt. Hatte ich den falschen Hahn aufgedreht? Ich drehte den Warmwasserhahn auf und tatsächlich kam da heißes Wasser heraus.

Wo war ich nur mit meinen Gedanken? Ich griff in das kalte Wasser, was mir eine Gänsehaut bescherte und zog den Stöpsel. Also konnte ich mir das Baden aus dem Kopf schlagen. Bis die Wanne wieder voll war, kamen meine zwei Gäste.

Vielleicht später dachte ich, wenn Luka am schlafen war. Ohne Unterwäsche zog ich mir einfach die Jogginghose über und ein Tshirt. Barfuss lief ich die Treppe hinunter. Ob die zwei schon etwas gegessen hatten? Genug Sachen hatte ich ja da. Vielleicht sollte ich mal nach dem Zimmer schauen in dem Luka schlief.

Ich drehte auf der letzten Stufe um und lief wieder nach oben. Mit einem leisen Knarren öffnete ich die Tür zu unserem früheren Kinderzimmer. Jetzt stand nur noch ein Bett da, früher, als Nick und ich hier schliefen, stand hier noch ein Stockbett.

In dem Zimmer hatte sich ansonsten nichts geändert. Die Regale mit den vielen Spielen hingen immer noch. Da fiel mir plötzlich etwas ein. Ich lief zum Fenster und ging auf die Knie.

Ich tastete den Holzboden ab. Irgendwo hier muss es doch gewesen sein. An einer bestimmten Stelle gab die Diele nach und das Holz hob sich an. Das Versteck gab es also immer noch. Ich lächelte und entfernte das Brett.

Natürlich waren nach all den Jahren überall Spinnweben und Dreck. Hier hatte ich meine geheimsten Sachen vor Nick versteckt und er hatte es nie gefunden. Ich griff durch die dreckige Öffnung und bekam die Kiste zu greifen.

Es war eine alte Zigarrenkiste, die mir Grandpa mal geschenkt hatte. Ziemlich verstaubt und mit Spinnweben überzogen kam sie zum Vorschein. Ich drückte das Stück Holz  wieder in den Boden und es sah wieder so aus wie vorher.

Ich öffnete das Fenster und hielt die Kiste nach draußen. Ich blies kräftig darüber, so dass sich die dicke Staubschicht löste und wie eine dunkle Wolke nach unten sank. Mühsam versuchte ich die Spinnweben zu lösen, die nun mehr an meinen Finger, als an der Kiste hingen.

Etwas angeekelt schüttelte ich wie wild meine Hand, bis das Zeugs sich endlich löste. Ich schloss das Fenster wieder und ließ mich aufs Bett fallen, das knarrend Zeugnis gab, was für ein Gewicht ich hatte.

Vorsichtig öffnete ich die Kiste und sein Inhalt kam zum Vorschein. Als erstes fiel mein Blick auf einen weißen Stein, den ich sogleich entnahm. Trotz seiner Härte fühlte er sich irgendwie weich an.

Würde einen guten Anhänger abgeben, dachte ich für mich. Mit einem Auge bemerkte ich, dass unter den vielen Papieren, die da in der Box lagen, das Eck einer Fotografie herausschaute. Ich zog es an der Ecke heraus und hielt es gegen das Licht.

Ich wusste nicht mehr, dass dieses Bild überhaupt noch existierte. Ein Bild von Jarrett und mir am See. Arm in Arm und lachend. Jarrett, rund wie eine Kugel und ich, dürr wie eine Bohnenstange.

Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Wie schnell man doch solche Augenblicke von früher vergessen hat. Gut, nach dem Tod unserer Eltern hatte ich viel verdrängt. Die Sommer bei meinen Großeltern waren aber immer etwas Besonderes für mich.

Die Zeit im Internat hatte ich schon lange verdrängt. Ich hörte ein Auto. Schnell hatte ich die Fotografie in die Kiste gesteckt und verließ das Zimmer wieder. Die Treppe hinunter und zur Haustür.

Kaum hatte ich sie geöffnet, kam mir auch schon ein Wirbelwind entgegen.

„Dommmmmmmmmiiiii, ich darf heut Nacht bei dir schlafen“, rief er ganz laut.

Mit einem braunen Bärchen unter dem Arm erreichte er mich und fiel mir um den Hals. Ich war mittlerweile in die Hocke gegangen.

„Ich weiß Luka, ich habe auch extra ein Zimmer nur für dich.“

„Ich krieg ein eigenes Zimmer?“, jubelte Luka, „Papa hast du gehört, ich hab ein eigenes Zimmer.“

Jarrett kam mit einer großen Tasche beladen nun auch Richtung Haus gelaufen.

„Hallo Dominic, hier sind wir.“

„Willst du hier einziehen?“, meinte ich und zeigte auf die Tasche.

Jarrett lächelte. Luka war inzwischen an mir vorbeigeschlüpft und ins Haus gelaufen. Jarrett schaute ihm nach und dann wieder zu mir.

„Hallo“, meinte er und schaute mich lächelnd an.

„Hallo“, meinte ich ebenso und lächelte zurück.

„Und? War das Bad erholsam?“

Ich schaute verlegen.

„Was ist?“, fragte Jarrett.

„Ich habe aus Versehen die Wanne mit kaltem Wasser gefüllt…“

Jarrett fing schallend laut an zu lachen. Ich lief nun ebenso ins Haus, weil mir so barfuss doch kalt wurde. Jarrett folgte mir und schloss hinter sich die Haustür.

„Luka?“, rief er.

„Jaha… hier bin ich.“

Wir folgten der Stimme und fanden Luka vor dem Kamin im Wohnzimmer. Er saß auf dem kleinen Flokati vor dem Feuer und schaute fasziniert hinein.

„Luka, aber nicht zu dicht dran gehen, du weißt bei heiß verbrennt man sich.“

„Ja Papa.“

„Gibst du mir die Tasche, ich bring sie gleich nach oben“, meinte ich.

„Du, das kann ich doch selbst machen, ich kenne mir hier ja aus.“

„Und Luka, willst du ihn auch bald ins Bett stecken?“

„Guck hin, lange ist er eh nicht mehr wach“, meinte Jarrett und zeigte auf Luka.

Es stimmte. Luka lag mittlerweile auf dem Teppich, mit seinem Bärchen im Arm und starrte aufs Feuer.

„Komm, dann gehen wir beide hoch und richten sein Bett, okay?“, fragte ich.

Jarrett nickte und gemeinsam liefen wir die Treppe hoch.

„Habt ihr schon etwas gegessen?“, fragte ich nun weiter.

„Ja, hatte Essen von meiner Schwiegermutter über.“

„Irgendwo müsste frische Bettwäsche sein. Ich müsste sie nur suchen“, meinte ich als wir die Treppe hinaufliefen.

„Brauchst du nicht, ich habe alles dabei, was Luka braucht.“

Er lächelte mich an, als würde noch irgendwas folgen, aber es kam nichts. So gingen wir in das Zimmer und richteten alles her. Er hatte wirklich an alles gedacht. In der großen Tasche waren Luka’s komplette Bettwäsche und auch ein paar andere nützliche Sachen.

Als wir endlich fertig waren, liefen wir wieder hinunter. Dabei kamen wir am Bad vorbei und mein Blick fiel auf meine Wanne.

„Willst du noch baden?“, frage Jarrett.

„Weiß nicht… dich alleine lassen…“

„Wir könnten ja zusammen…“, sagte er leise und blieb auf der Treppe stehen.

Ich lächelte ihn an.

„Warum nicht…, aber erstmal geht dein Sohnemann vor!“

„Ja, okay.“

Gemeinsam liefen wir wieder ins Wohnzimmer, wo nun Luka wirklich vor dem Kamin eingeschlafen war. Eng an sein Bärchen gekuschelt, hatte er ein Lächeln auf seinem Mund. Ich fand Luka einfach süß und musste lächeln.

Vorsichtig hob ihn Jarrett auf und trug ihn hinauf. Luka brummelte irgendetwas, was ich aber nicht verstand. Als Jarrett Luka versorgt hatte, steckte er noch eine kleine Lampe neben die Tür in die Steckdose.

Dann zog er die Tür zu bis auf einen Spalt.

„So geschafft. Wenn er mal fest schläft, dann hält das bis morgen.“

„Kann ich überhaupt das Wasser einlassen, ist das nicht zu laut?“, fragte ich.

Jarrett lächelte und ich fühlte mich irgendwie ertappt, weil ich nur das Baden mit ihm im Kopf hatte. Ohne weiteres Zutun färbte sich mein Gesicht ein und ich konnte bestimmt jeder Tomate Konkurrenz machen.

Er schüttelte den Kopf und gab mir einen Kuss auf die Nase. Also lief ich ins Bad, während er wieder runter ging. Ich steckte erneut den Stöpsel in die Wanne und drehte diesmal den Warmwasserhahn auf.

Ich hielt sogar meine Hand darunter, nur um sicher zu gehen, dass da auch wirklich das warme Wasser kam. Nachdem auch dies stimmte, zog ich mir mein Shirt über den Kopf und legte es über den Stuhl.

Nur noch in Jogginghose lief ich nach unten und suchte Jarrett. Ich fand ihn vor dem Feuer am gleichen Platz, wo Luka vorhin eingeschlafen war. Ich sagte kein Wort sondern kniete mich einfach hinter ihn und legte meine Arme um ihn.

Er zuckte leicht zusammen, also hatte er mich nicht kommen hören. Sein Blick starrte weiterhin ins Feuer und wir sagten auch nichts. Es bedurfte keine Worte. Wir wussten beide, was in uns vorging.

Er streichelte sanft über meinen Arm und sein Gewicht verlagerte sich nach hinten, gegen mich. Leise knisterte das Feuer vor sich hin.

„Ich muss nach dem Wasser sehen“, flüsterte ich und richtete mich langsam auf.

Er schaute mich an und ich sah, dass seine Augen feucht waren. Ich brachte nur ein gequältes Lächeln über die Lippen, mit dem ich ihn sicher nicht aufmuntern konnte. Sein Kopf wandte sich wieder zum Feuer.

Schnellen Schrittes nahm ich zwei Stufen auf einmal und schaute ins Bad. Noch nicht ganz voll. Aber nach unten gehen brauchte ich nun auch nicht mehr. So stand ich vor der Wanne und wartete bis sie zum richtigen Punkt vollgelaufen war.

Ich goss noch etwas Badeöl nach, was zur Folge hatte, dass die Schaumkrone auf dem Wasser noch größer wurde. Plötzlich spürte ich eine Hand auf dem Rücken und drehte mich um. Jarrett war mir gefolgt.

Er nahm mich einfach in den Arm und drückte mich.

„Jarrett…?“, begann ich leise, aber er legte seinen Finger auf meinen Mund und schüttelte den Kopf.

Also blieb ich ruhig. Ich drehte mich zu den Hähnen und stellte das Wasser ab. Nun war es wieder ruhig, nur den Wind, der draußen blies, war zu hören. Jarrett begann sich auszuziehen, während ich mich als erstes in Wasser begab.

Es war fast zu heiß, aber ich fand es wohltuend. Nun stand Jarrett nackt vor der Wanne und ich musste schlucken, weil Jarrett wirklich eine tolle Augenweite war. Vorsichtig setzte er seinen Fuß zwischen meine Beine und stieg ebenfalls in die Wanne.

Langsam setzte er sich vor mich und lehnte sich dann mit seinen Rücken an meine Vorderseite. Ein Lächeln überzog mein Gesicht und ich legte meine Arme um ihn. Sein Kopf kam auf meiner Schulter zur Ruhe.

Er hatte die Augen geschlossen, während ich ihn beobachten konnte.

„Was siehst du?“, fragte Jarrett plötzlich.

Ich musste grinsen.

„Sorry, ich kann immer noch nicht glauben, was für eine tolle Figur du hast.“

„Daran bist du nicht ganz unschuldig…“

„Ich?“

„Erinnerst du dich nicht mehr, wie du mich am Schluss, bevor du nach Dublin >dicker Schwabbel< nanntest?“

„Das hab ich gesagt?“

„Ja…“

„Öhm… tut mir Leid. Ich kann mich da wirklich nicht mehr daran erinnern. Bei was war das denn?

Auf Jarretts Gesicht breitete sich ein Grinsen aus.

„Bei unserem letzten Mal…, kannst du dich da wenigstens noch daran erinnern?“

Klar hörte ich den leichten sarkastischen Ton in Jarretts Worten. Und natürlich erinnerte ich mich an das letzte Mal, als Jarrett und ich zusammen Sex hatten. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mit jemandem schlief.

„Nach deinem Gesichtsausdruck zu urteilen, erinnerst du dich wieder“, meinte Jarrett.

„Wie soll ich das je vergessen. Es war einfach nur geil.“

„Stimmt, du bist mächtig in mir gekommen. Noch lange habe ich mich nach dir gesehnt.“

Ich grinste, aber gleichzeitig kam die Frage auf, wann ich zu ihm dicker Schwabbel gesagt haben sollte.

„Um dich nicht dumm sterben zu lassen, Dominic… als wir beide kurz vor dem kommen waren, da hast du laut gestöhnt, du liebst es wenn es bei mir dick schwabbelt.“

„Wirklich? Daran kann ich mich wirklich nicht erinnert. Aber was hat das dann mit deinem Abnehmen zu tun?“

„Ganz einfach… ich habe dir das nie abgenommen, dass ich dir gefalle. Ich habe mir dann vorgenommen, wenn wir uns wieder sehen, dann habe ich einige Pfunde verloren.“

„Wie konntest du wissen, wann wir uns wieder sehen?“

„Damals habe ich nicht gewusst, dass du in Dublin bleiben wirst. Ich habe begonnen Sport zu treiben, bin viel Fahrrad gefahren, mehrfach um den See gejoggt.“

„Klar, da purzeln die Pfunde.“

„Stimmt. Es dauerte fast ein Jahr, bis ich diese Figur so hatte, wie sie bis heute geblieben ist.

„Joggst du immer noch?“

„Klar, denn ich esse auch immer noch so gerne wie früher.“

Ich gab ihm einen Kuss auf seine Nase und er drehte den Kopf wieder nach vorne.

„Bis ich begriffen hatte, dass du nicht mehr kommen wirst, verging einige Zeit. Mittlerweile war ich in der hiesigen Fußballmannschaft.“

„Du spielst Fußball?“

„Ja. Aber die gälische Version. Aber seit Luka auf der Welt ist, habe ich auch dort vorgezogen, es langsamer angehen zu lassen.“

„Gälisch heißt eine Mischung zwischen Fußball und Volleyball oder?“

„Ja, ganz grob ausgedrückt schon.“

„Kein Wunder, dass du so muskelbepackt bist…“

„Findest du? Gefällt es dir denn nicht?“

„Doch und wie…“, sagte ich und grinste.

„Dann ist ja gut“, meinte Jarrett und rutschte an meinem Bauch hinunter, bis sein Kopf unter Wasser war.

Natürlich bleib das in den unteren Regionen bei mir nicht unbemerkt und es begann sich da unten Leben zu sammeln. Jarrett tauchte wieder auf und lehnte seinen Kopf wieder an meine Schulter.

„Mittlerweile habe ich aber mehr Spass am Schwimmen“, redete Jarrett weiter, „seit Luka seinen Schwimmkurs macht, gehen wir regelmäßig zusammen ins Schwimmbad.“

„Dein Element war doch eh immer das Wasser“, erwiderte ich.

*-*-*

Mitten in der Nacht wurde ich wach. Irgendetwas drückte in mein Gesicht. Ich griff nach oben und hatte einen Fuß in der Hand, genau genommen ein Kinderfuß. Es dauerte eine Weile, bis ich realisierte, dass dies der Fuß von Luka sein musste, der sich zwischen mir und Jarrett breit gemacht hatte.

Zu dem war der Fuß eiskalt. Durch das schwache Licht des Mondes, konnte ich langsam die Konturen von Luka erkennen, er lag wirklich da, als hätte ihn jemand hingeschüttet. Vorsichtig drückte ich den Fuß nach unten, bis ich mich ohne Probleme wieder bewegen konnte.

Ich drehte mich langsam um und versuchte Luka in eine halbwegs normale Schlafstellung zu bringen, deckte ihn zu. Ich konnte ein leises Brummeln vernehmen, aber verstehen konnte ich nichts.

Nur dass durch dieses Gebrummel plötzlich Jarrett zusammenzuckte und aufrecht im Bett saß.

„He, ganz ruhig!“, flüsterte ich.

Im schwachen Schein des Mondes konnte ich erkennen, wie sich Jarrett die Augen rieb.

„Seit wann liegt er denn hier?“, flüsterte er zurück.

„Weiß nicht, bin selber eben erst aufgewacht.“

„Tut mir Leid…“

„He muss es nicht. Ich finde das süß!“

„Wirklich?“

„Ja und jetzt schlaf weiter… du musst bald raus.“

„Danke“, flüstere Jarrett und beugte sich herüber, um mir einen Kuss zu geben.

„Papa… mach dich nicht so breit…“

Erschrocken guckten wir beide nach unten, doch Luka hatte seine Augen geschlossen und atmete ruhig und gleichmäßig. Ich hielt mir die Hand vor den Mund um nicht loszukichern. Beide legten wir uns nun wieder hin.

Es dauerte auch nicht mehr lange, bis ich wieder einschlief.

*-*-*

Ein Geräusch ließ mich hochfahren. Mittlerweile war es draußen schon etwas hell. Auch stellte ich fest, dass neben Luka kein Jarrett mehr lag und ein Blick auf meine Uhr sagte mir, dass er wohl schon raus musste.

Luka lag eng an mich gekuschelt, so dass ich fast Schwierigkeiten hatte, aufzustehen. Langsam erhob ich mich und verließ leise das Zimmer. Ich hörte Geräusche aus dem Bad, so beschloss ich nach unten zu laufen.

Mit nur in Shorts eine fröstelnde Angelegenheit. So schlich ich mich zurück in mein Schlafzimmer und zog ein Shirt aus meinem Koffer, den ich immer noch nicht ausgepackt hatte.

Etwas mehr auf der Haut und versichert, dass Luka noch fest schlief, begab ich mich wieder in den Flur. Da Jarrett immer noch im Bad war, beschloss ich ihm einen Kaffee zu kochen. Also tapste ich müde die Treppe hinunter zur Küche.

Ein Blick auf den Kamin zeigte mir, dass da immer noch glühte. So ging ich erst ins Wohnzimmer und legte noch ein paar Holzstücke auf. Das sollte reichen. Wenig später stand ich in der Küche und hatte Wasser aufgesetzt… irgendwo mussten doch die Kaffeefilter sein, die ich gestern gekauft hatte.

Nach kurzer Suche fand ich sie schließlich in einem der Hängeschränke und gleich daneben den Kaffee. Ich nahm Filter und Filterpapier und setzte beides auf die kleine Porzelankanne. Ich war froh, dass ich das gestern alles gekauft hatte.

Das Wasser begann zu kochen und ich goss vorsichtig Wasser in den Filter. Der Geruch von frischem Kaffee machte sich in der Küche breit. Außer dem Knistern des frisch brennenden Feuers im Wohnzimmer konnte ich auch Schritte auf der Treppe hören.

Wenige Sekunden später tauchte auch schon Jarrett in der Küche auf.

„Du bist schon auf? … mmmh riecht es hier gut.“

Ich lächelte und Jarrett nahm mich von hinten in den Arm und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

„Daran könnte ich mich ehrlich gewöhnen“, meinte er anschließend.

„Was zum Essen habe ich leider noch nicht…“

„Ist nicht schlimm, ich trinke morgens meist eh nur einen Kaffee  und frühstücke später.“

„Gut und der ist auch gleich fertig.“

Jarrett strahlte und ließ mich wieder los. Er setzte sich auf einen Stuhl und zog sich seine mitgebrachten Schuhe an. Erneute Geräusche auf der Treppe ließen mich aufhorchen. Da wird doch nicht… ja wenige Sekunden später hatte ich Gewissheit.

Luka kam in die Küche gelaufen. Er sah so goldig aus in seinem zu großen Pyjama. Er tapste zu seinem Dad, krabbelte auf seinen Schoss und schmiegte sich ohne ein Wort zu sagen an.

i„He, warum bist du schon wach?“, hörte ich Jarrett leise sagen.

„Wollt… doch bye sagen“, murmelte Luka müde.

Mittlerweile war der Kaffee durch und ich hatte Jarrett eine Tasse voll eingeschenkt. Luka blinzelte mich mit einem Auge an und grinste.

„Morgen Domi…“

„Morgen Luka und hast du gut zwischen deinem Papa und mir geschlafen.“

„Ja…“, antwortete er und gähnte herzhaft.

„Kommst du zu mir, dass dein Dad seine Kaffee trinken kann?“

Er nickte und streckte seine kleinen Arme aus. So zog ich ihn von Jarretts Schoss und nahm ihn auf den Arm. Sein Kopf wanderte automatisch auf meine Schulter.

„Süß!“, flüsterte Jarrett.

„Was?“, fragte ich.

„Das steht dir, gefällt mir…“

Er zeigte auf Luka und mich und ich musste lächeln. Ich streichelte Luka sanft über den Rücken, was dieser mit einem Schnurren quittierte.

„Der schläft gleich wieder ein“, meinte Jarrett und nippte an seinem Kaffee.

„Wie lange brauchst du für deinen Auftrag?“, fragte ich und setzte mich auf den anderen freien Stuhl.

„Weiß ich noch nicht, ich rufe dich auf Fälle an.“

Kleine Schnarchgeräusche zeigten mir, dass Luka bereits wieder eingeschlafen war.

„Eigentlich ist er ganz pflegeleicht, auch wenn er schon mal sehr nervend sein kann“, sprach Jarrett leise weiter.

„Ich werde schon mit ihm klar kommen“, erwiderte ich.

Jarrett schaute auf seine Armbanduhr.

„Ich muss dann los und ich meld mich dann später. Okay?“

Ich nickte. Wir standen auf und ich begleite ihn an die Tür.

„Bye“, meinte er und küsste mich sanft auf die Lippen.

„Bye“, gab ich zum Besten und lächelte über das ganze Gesicht.

Dann schob sich Jarrett durch die Haustür hinaus. Ich sah ihm nach, bis er in den Wagen stieg und wegfuhr. Erst jetzt merkte ich, dass ich noch recht müde war und beschloss mich mit Luka noch etwas hinzulegen.

*-*-*

„Domi, spielst du mit mir?“

Irgendwo aus der Ferne hörte ich eine Kinderstimme und irgendetwas rüttelte wie wild an mir. Ich schlug meine Augen auf und sah einen riesigen Blondschopf direkt vor meinem Gesicht.

„Domi, spielst du mit mir?“, fragte Luka nun noch mal und setzte seinen unwiderstehlichsten Welpenblick auf, den er konnte.

„Darf ich erst mal wach werden?“, fragte ich.

„Aber dann spielen wir.“

„Und was?“

„Weiß nicht“, antwortete Luka und krabbelte auf meinen Bauch.

Sonst würde mir ja dieses Leichtgewicht nicht ausmachen, aber ich spürte, wie meine Blase drückte.

„Zuerst geh ich mal auf die Toilette“, meinte ich und machte Anstalten mich zu erheben.

„Au ja, da muss ich auch hin… sogar ganz dringend.“

Schon hüpfte er von mir runter und rannte halb stolpernd zur Tür.

„Kommst du mit?“, fragte er mit leuchtenden Kinderaugen.

„Ja“, meinte ich und arbeitete mich mühsam aus dem Bett.

Ich war tatsächlich noch einmal fest eingeschlafen. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich noch mal drei Stunden geschlafen hatte. Luka hatte bereits die Tür aufgezogen und war verschwunden.

Ich rieb mir durch mein strubbeliges Haar und folgte ihm. Als ich ins Bad kam, saß er bereits auf der Schüssel.

„Bin gleich fertig“, meinte er und bekam einen roten Kopf.

„Lass dir ruhig Zeit, bin gleich wieder da“, meinte ich und verließ das Bad wieder.

Ich ging in Luka’s Zimmer, wo er die Nacht geschlafen hatte. Ich schüttelte seine Decke auf und klopfte sein Kopfkissen zu Recht. Dann hob ich das Geschwader Kuscheltiere auf, das wohl in der Nacht aus dem Bett befördert wurde.

„Domi, ich bin feeeeeeeertig!“

Ich musste grinsen. Luka kannte mich doch erst ein paar Tage und doch hatte er mich anscheinend schon in sein Herz geschlossen.

„Domi…, wo bist du denn?“

„Hier, in deinem Zimmer…“, rief ich zurück.

Keine Sekunde später kam Luka herein gerannt. Seiner Hose entledigt, sprang er jetzt nur noch halb nackt mit dem Oberteil herum. Ganz unbekümmert warf er sich auf das gemachte Bett und krabbelte zu seinen Stofftieren.

„Dann können wir dich ja gleich mal anziehen junger Mann, wenn du fertig bist.“

„Och… ich will aber nicht. Du hast ja auch noch nichts an…“

Erwischt, kleiner Schlaumeier.

„Okay, erst ziehen wir dich an, dann zieh ich mich an“, sagte ich.

„Und was soll ich anziehen?“, fragte Luka.

„Da gucken wir mal, was dein Dad alles eingepackt hat.“

Ich stellte die Tasche auf den Tisch und zog den Reisverschluss auf. Als erstes fiel mein Blick auf die Unterhosen, von denen ich gleich eine rausfischte. Eine Jeans… noch einen Pulli mit einer Gans drauf und bunte Socken.

Alles zusammen nahm ich und setzte mich neben ihn aufs Bett. Er hatte sich derweil sein Bärchen geschnappt und drückte es fest an sich.

„Papa hat gesagt, den hat mir Mama gekauft. Weißt du, Mama ist nicht mehr da. Sie sitzt auf einer Wolke und ist ein Engel. Sie passt auf mich auf.“

Er sagte dass so mit Stolz… ich musste schlucken. Der kleine Mann war für sein Alter schon so reif. Ich atmete tief durch.

„Das habe ich nicht gewusst. Aber deine Mama wird bestimmt böse gucken, wenn du dich jetzt nicht anziehst.“

„Glaubst du?“, fragte Luka und riss mir die Unterhose aus der Hand.

Er stellte sich auf das Bett, zog umständlich seine Unterhose an und entledigte sich dem Pyjamaoberteil. Das flog im hohen Bogen auf den Boden. Ich zog meine Augenbrauen hoch und schaute ihn an.

Er grinste verlegen, sprang vom Bett und hob das Teil auf. Dann legte er es fein säuberlich über den Stuhl. Plötzlich hielt er inne, überlegte etwas. Er verließ das Zimmer und tauchte wenige Augenblicke später wieder mit der Hose auf und hänge sie dazu.

Stolz lächelnd kam er wieder zu mir aufs Bett. Ich konnte nicht anders und musste lächeln. Wie ein Großer zog er alles an und präsentierte sich in Siegerpose auf dem Bett.

„Gut, dann zieh ich mich an. Wie sieht es mit Zähneputzen aus?“, fragte ich.

„Oh, Papa hat die bestimmt zu Hause vergessen.“

„Das glaube ich nicht“, erwiderte ich und ging zurück an die Tasche.

In einem Seitenfach fand ich sämtliche Badutensilien die ich für Luka brauchte. Mit der Zahnbürste und der Tube bewaffnet, machte ich mich auf Richtung Tür.

„Komm Zähne putzen Luka.“

„Och menno…“, meinte er, kam mir aber nach.

Im Bad füllte ich den Becher mit Wasser, drückte etwas Zahncreme auf die Zahnbürste und gab sie einem trotzigen Luka. Das Telefon klingelte.

„Ich bin gleich wieder da und ich guck mir deine Zähne an, ob du das auch richtig gemacht hast.“

„Ich mach das richtig, ich bin doch schon groß!“

Ich lächelte und wuschelte ihm übers Haar, bevor ich das Bad verließ, um zum Telefon zu rennen. Auf dem Weg hinunter fiel mir auf, dass, seit ich mich mit Jarrett so gut verstand, nicht einmal der Gedanke an Gabriella aufkam… jedenfalls kein so schmerzhafter wie sonst.

Ich nahm den Hörer ab und meldete mich.

„Dominic MacLeann.“

„Hallo hier spricht Eillien O’Brown.“

„Und was kann ich für sie tun?“, fragte ich verwundert.

„Ich weiß, dass mein Enkel bei ihnen ist…“

„Ach sie sind Jarretts Schwiegermutter.“

„Ja.“

„Freut mich sie kennen zu lernen“, sagte ich, weil mir grad nichts Besseres einfiel.

„Danke… auch wenn der Grund für meinen Anruf nicht so gut ist.“

Ihre Stimme klang traurig und angespannt.

„Ist etwas geschehen?“, fragte ich nun besorgt.

„Jarrett…“

„Was ist mit Jarrett“, fiel ich ihr ins Wort.

„Jarrett hatte einen Unfall auf der Baustelle. Man hat uns umgehend informiert. Er liegt im Krankenhaus.“

Ich musste trocken schlucken und spürte wie meine Beine weich wurden.

„Was… was ist denn passiert.“

„Er ist durch die Schuld eines anderen vom Gerüst gefallen.“

Sie klang sehr gefasst, obwohl ich mir vorstellen konnte, dass sie sehr besorgt war.

„Er liegt im Krankenhaus und ist immer noch ohne Bewusstsein.“

„Hat er sich etwas gebrochen… ist er verletzt?“, stotterte ich.

„Er hat keine inneren Verletzungen und das linke Bein ist gebrochen. Der Arzt meinte er hätte unwahrscheinliches Glück gehabt.“

Mir stiegen die Tränen in die Augen.

„… und seine Bewusstlosigkeit?“, fragte ich leise weiter.

„Das wissen die Ärzte noch nicht.“

Ich riss mich zusammen und wischte mir die Tränen aus den Augen.

„Soll ich Luka zu Ihnen bringen?“, fragte ich mit fester Stimme.

„Dominic… ich darf sie doch so nennen?“

„Ja, klar.“

„Ich hatte gestern Mittag ein langes Gespräch mit Jarrett. Unter anderem erzählte er mir auch von Ihnen. Ich habe meinen Schwiegersohn schon lange nicht mehr mit so leuchtenden Augen gesehen, außer wenn er mit Luka spielt.“

Ich wurde nervös, weil ich nicht wusste, was sie von mir wollte.

„Der Grund, warum ich Sie anrufe, ist, dass ich hier mit meinem Mann in Dublin bei einem Spezialisten bin und meinen Mann nicht alleine lassen kann. Deshalb würde ich Sie bitten nach Jarrett zu sehen.“

„Aber selbstverständlich Mrs. O’Brown.“

„Sagen Sie Eillien zu mir, denn ich denke, wir werden uns sicher noch näher kennen lernen.“

„Danke… und was mach ich jetzt mit Luka…?“, fragte ich.

Und wie aufs Kommando tigerte Luka in eine Küche, wo ich mich gerade befand.

„Frühstücken wir?“, fragte er.

„War das Luka?“, fragte Eillien

„Ja.“

„Können Sie ihn mir mal bitte geben?“

„Eillien, sagen Sie ruhig du zu mir, und Moment ich geb Ihnen Luka.“

Luka horchte auf, als er seinen Namen hörte.

„Luka, hier ist deine Oma, willst du mit ihr reden?“

Ohne einen Ton zu sagen hüpfte er vom Stuhl auf den gerade gekrabbelt war und riss mir förmlich den Hörer aus der Hand.

„Hallo Omimi, ich bin hier bei Domi“, hörte ich ihn sagen, während ich mich auf den freigewordenen Stuhl setzte.

„Ja, ich bin lieb… wirklich.“

Ich musste grinsen.

„Warum ist der Papa krank… heute Morgen hatte er noch nichts.“

Oje, ich hoffte nur, dass er jetzt nicht anfing zu weinen.

„Papa sagt immer, ich soll gut aufpassen, wenn ich wo hochklettere. Und wann kommst du dann?“

Bis jetzt machte er noch einen guten Eindruck, denn er drehte sich zu mir und lächelte mich an.

„Oh toll, dann darf ich noch eine Nacht bei Domi schlafen?“

Sein Lächeln zog sich nun über sein ganzes Gesicht und beide Augen strahlten um die Wette.

„Ja Omimi, ich bin brav…“ sagte er und lief zu mir, „da, Omimi will noch etwas zu dir sagen.“

Er gab mir den Hörer und krabbelte auf meine Beine.

„Ja? Hier ist Dominic.“

„Ich wollte mich nur noch einmal bedanken, dass Si.. du dich so um meinen Enkel kümmerst.“

„Dafür nicht, Eillien.“

„Doch, du bist der Erste, der sich auch für Luka interessiert…“

Sie schien doch mehr zu wissen, als ich ahnte.

„…falls du Luka mitnehmen möchtest, also ich meine ins Krankenhaus, dann gibt das sicher keine Probleme. Ich hoffe ich konnte ihm dass mit Jarrett erklären.“

„Er macht zumindest keinen traurigen Eindruck“, log ich, denn er schmiegte sich eng an mich.

„Gut! Mein Mann und ich werden morgen um die Mittagszeit in wieder in Galway sein.“

„Soll ich ihn dann vorbeibringen?“

„Falls du nicht gerade im Krankenhaus bist, gerne.“

„Das weiß ich noch nicht, Moment meine Handynummer, dann bin ich erreichbar“, meinte ich.

Natürlich hatte ich jetzt den Kopf voller Gedanken und meine Nummer nicht parat.

„Luka, könntest du kurz mal runter gehen, ich muss mein Handy holen.“

„Du hast doch ein Telefon.“

„Ich muss da was nachschauen…“

„Wo liegt es denn?“

Ich hörte ein leichtes Lachen am Telefon.

„Auf der Kommode im Flur“, meinte ich und schon war er in den Flur gesprungen.

Wenige Sekunden später kam er mit meinem Handy zu mir und reichte es mir.

„Danke!“, meinte ich und Luka strahlte über sein ganzes Gesicht.

Während ich die nötigen Tasten drückte um meine Nummer zu finden, kroch Luka wieder auf meinen Schoss. Ich gab Eillien noch meine Nummer und beendete das Gespräch.

„Fahren wir jetzt zu Papa?“, fragte Luka plötzlich.

Ich schaute ihn durchdringend an und nun war nichts mehr von dem Strahlemann zu sehen.

„Ich sollte mich aber erst anziehen und was essen müssen wir auch.“

„Ich habe aber keinen Hunger…“, meinte er trotzig.

„Luka…“, meinte ich mahnend.

„Aber dann fahren wir zu Papa.“

Ich nickte und er lächelte ein wenig. Draußen hörte ich eine Säge anlaufen und erhob mich mit Luka im Arm. Nun standen wir gemeinsam am Fenster und schauten nach draußen.

„Du Domi, das ist Onkel Cori… darf ich zu ihm?“, fragte Luka.

„Na meinetwegen, aber du musst dir noch eine Jacke anziehen.“

„Ich hol sie schnell… lass mich runter…“, meinte Luka und rannte aus der Küche.

Ich folgte ihm, denn ich sollte mich wirklich langsam anziehen und nicht im Shirt und Shorts herumlaufen. Als ich mein Zimmer betreten wollte stürmte er schon wieder aus seinem Zimmer.

Jarrett schien auch Gummistiefel eingepackt zu haben, denn die hatte Luka auch an.

„Aber Luka, den Onkel Cori nicht nerven und auch nicht zu nah ans Wasser gehen“, mahnte ich.

„Oki doki“, rief Luka und rannte die Treppe runter.

Ich wollte noch sagen, dass er langsamer machen sollte, aber da war er schon unten. Ich seufzte. Jarrett lag ohne Bewusstsein im Krankenhaus und jetzt wo ich alleine war, wurde mir bewusst was eigentlich geschehen war.

Mein Kopf realisierte jetzt erst richtig was mit Jarrett geschehen war. Ich begann zu zittern, Tränen liefen mir über die Wangen.

„Nicht noch einmal… dass überstehe ich nicht…“, sagte ich leise und stützte mich am Stuhl ab.

Draußen hörte ich Luka’s vertrautes Lachen. Ich ging zum Fenster und schaute hinaus. Dort sah ich Luka, wie er bei Cori stand und ihm half. Die Tränen versiegten nicht und irgendwie stürmten plötzlich tausend Gedanken auf mich ein.

Jarrett und ich zusammen – ein Sohn – neue Verantwortung – der Job – Jarretts Job- die Umgebung – warum ich hier war – was ich hier überhaupt wollte… Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf.

Fast mechanisch nahm ich frische Klamotten und zog mich an. Ich ging ins Bad und versuchte mich relativ ansehnlich zu machen. Nach dem ich meine Papiere und mein Geld aus dem Zimmer geholt und mir andere Schuhe für Luka geschnappt hatte, verließ ich das obere Stockwerk.

Ich zog mir meine leichte Jacke über, holte das Handy aus der Küche. Frühstücken würden wir irgendwo unterwegs. Ich wollte nicht alleine mit Luka in der Küche sitzen und eventuell seinen Fragen ausgesetzt sein.

Im Augenblick wusste ich eh nicht, was ich antworten sollte, wenn er nach seinem Papa fragen sollte. Ich verließ das Haus und schloss die Haustür ab. Als ich Cori und Luka erreichte, sah ich, dass er auf einem Stein hockte und genüsslich ein Brot aß.

„Wo hast du das denn jetzt her?“, fragte ich.

„Von mir… Morgen Dominic.“

„Morgen Cori…“

„Ich weiß… was geschehen ist… Luka hat mir schon alles erzählt.“

Ich konnte nicht anders und blickte Cori traurig an.

„He nicht Kopf hängen lassen…, das wird schon“, meinte Cori und lächelte mich dabei an.

Warum lächelte er so, was wusste er? Ich nickte ihm zu.

„Ich möchte dann fahren, Luka“, sprach ich mit fester Stimme weiter.

„Kann ich…schmatz…bei Onkel Cori bleiben?“, fragte Luka mit vollem Mund.

„Willst du denn nicht zu deinem Papa?“, fragte ich verwundert.

„Doch schon, aber Omimi hat am Telefon gesagt, das Papa heute nur schläft und wenn man schläft, wird man gesund und Papa soll schnell gesund werden… und ich bleib hier… weil er doch immer wegen mir wach wird.“

Cori konnte nicht anders und fing zu lachen an. Auf meinem Gesicht zeichnete sich auch ein Lächeln ab.

„Ich weiß nicht, ob du bei Cori bleiben kannst, er muss doch arbeiten.“

„Dominic, das macht mir nichts aus. Luka war schon oft bei mir mit auf der Baustelle.“

„Es macht dir wirklich nichts aus?“

„Nein, ganz bestimmt nicht, aber könntest du mich anrufen, wenn du weißt wie es Jarrett geht?“

„Öhm, könntest du mir deine Nummer geben?“, fragte ich.

„Klar, dann kann ich auch gleich deine abspeichern…“

Wir tauschten unsere Handys aus und gaben unsere Nummern ein, während Luka weiter an seinem Brot kaute. Cori gab mir mein Handy zurück, ich ihm seins.

„Luka du bist brav und hörst auf das was Cori sagt und bleib vom Wasser weg!“

„Ja Papa“, kicherte Luka.

„Hä?“

Bitte was war jetzt das?

„Papa redet immer genauso wie du“, sagte Luka und kicherte weiter.

Ich schüttelte den Kopf und Cori grinste breit.

„Also ich bin dann weg und meld mich dann, sobald ich mehr weiß.“

„Okay, lieb von dir“, entgegnete Cori.

Luka sprang auf und klammerte sich kurz um mein Bein.

„Tschühüsss“, sagte er etwas laut und kicherte wieder.

Ich wuschelte ihn über den Kopf und lächelte. Danach lief ich zurück zum Haus, wo mein Rover stand. Per Knopfdruck öffneten sich die Schlösser und ich steig ein. Ich drehte das Zündschloss und der satte Sound ließ den Wagen leicht erzittern.

Ich wendete und fuhr den kleinen Weg am See entlang hinauf zur Road, bog Richtung Stadt ein und gab etwas Gas. Ohne Schwierigkeiten zog der Rover los und beschleunigte schnell.

Auf der Coolagh Road erreichte ich schnell das Stadtzentrum. Oh ich Idiot. Ich fuhr zum Krankenhaus, aber zu welchem? Ich schüttelte den Kopf, zog den Rover nach links auf eine Parkbucht und stoppte.

Ich zog mein Handy heraus und wählte Coris neu erworbene Handynummer. Ich erklärte ihm kurz, warum ich anrief und wurde mit einem schallenden Lachen belohnt. Gut, das war verdient.

Er erklärte mir kurz, wie ich fahren musste und auch wo ich meinen Wagen parken konnte. Ich bedanke mich artig und verabschiedete mich. Ich schaute, ob ich freie Fahrt hatte und zog mit dem Rover wieder auf die Straße hinaus.

Quer durch die Stadt musste ich also. Cori meinte, wenn ich die Sandy Road fahren würde, wäre es eine große Abkürzung. Er hatte mir aber nicht gesagt, dass diese eine Nebenstrasse war.

Laufend musste ich halten und andere Autos auszuweichen oder vorbei zulassen. An der nächsten großen Kreuzung konnte ich endlich Dublin Road lesen. Ich überquerte die Bothermoore und fuhr das Stück die Sean Mulvoy Road hinunter, bevor ich auf die Dublin Road fahren konnte.

Von hier aus konnte ich auf den Lough Atalia sehen ein weiterer See in Galway. An der nächsten Kreuzung konnte ich schon das Schild Bo Secours Hospital lesen. Bald kam der Bau in Sicht und ich begann nach einem Parkplatz zu suchen.

Ich hatte Glück. Ein älterer Herr verließ mit seinem alten Vauxhall Cestra eine Parklücke. Als er umständlich die Lücke verlassen hatte preschte ich mit einem Hüpfer hinein. Ich ließ den Motor ersterben und stieg aus.

Was machte ich, wenn sie mich nicht zu ihm ließen, ich war schließlich kein Verwandter. Ich betrat das Haus durch die große Glastür und lief direkt an den Schalter.

„Guten Morgen, wie kann ich ihnen helfen?“, fragte eine junge Frau hinter dem Tresen.

„Ich möchte gerne zu Jarrett Mac Gregor, er ist heut Morgen nach einem Unfall eingeliefert worden.“

Sie schaute in ihren Hefter, den sie vor sich liegen hatte.

 

„Wie ist ihr Name?“, fragte sie und dies wunderte mich schon etwas.

„Ähm… Dominic MacLeann.“

„Zimmer Nr 213… die Treppe rauf zweiter Stock, rechter Gang.“

Ungläubig sah ich die Frau an.

„Die Schwiegermutter des Verunglückten hat vorhin hier angerufen und uns mitgeteilt, dass sie kommen werden“, erklärte mir die Dame, als hätte sie meine Gedanken gelesen.

„Danke“, meinte ich und machte mich auf den Weg in den zweiten Stock.

Auf den Aufzug wollte ich nicht warten, deshalb rannte ich die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend.

Im zweiten Stock angekommen, suchte ich den Flur nach den Zimmernummern ab und wurde auch fündig. Rechter Gang stimmt. Eine Schwester kam mir kurz vor Jarretts Zimmer entgegen.

„Entschuldigen sie bitte, muss ich irgendwelche Besonderheiten beachten, wenn ich Mr. Mac Gregors Zimmer betrete.“

Die Schwester schaute mich kurz an.

„Nein, gehen sie ruhig rein. Der Patient ist immer noch nicht aufgewacht.“

„Danke.“

Schweren Herzens ging ich zur Tür und wollte anklopfen. Dummer Gedanke, er kann es ja nicht hören und so hielt ich in der Bewegung inne. Ich drückte langsam die Türklinke hinunter und öffnete die Tür.

Als ich Jarrett so im Bett so liegen sah, blieb ich erst einmal geschockt stehen. Mein Blick fiel als erstes auf dessen Kopfverband. Ich atmete tief durch und schloss hinter mir die Tür. Außer den Geräuschen der Maschinen, die neben dem Bett standen, war es hier im Zimmer völlig ruhig.

Jarrett lag da, als würde er friedlich schlafen. Ich nahm einen Stuhl und setzte mich leise neben ihn. Lange sah ich ihn an, wie sich sein Brustkorb langsam hob und wieder senkte. Sein Herzschlag schlug gleichmäßig, die Atmung war ruhig.

Es sammelten sich Tränen in meinen Augen, ihn so da liegen zu sehen. Ich griff nach seiner Hand und streichelte sie sanft.

„Jarrett, du musst aufwachen…“, flüstere ich leise unter Tränen.

„Ich verkrafte es nicht… noch jemanden zu verlieren, der mir etwas bedeutet.“

Immer noch strich ich sanft mit dem Daumen über seinen Handrücken. Ob er mich hörte?

*-*-*

Irgendetwas rüttelte mich – ich fuhr nach oben.

„Entschuldigen sie bitte, ich wollte sie nicht erschrecken.“

Ich schaute zur Seite, wo ein junger Mann stand.

„Sie scheinen eingeschlafen zu sein“, redete er weiter.

Noch immer etwas verwirrt schaute ich zu Jarrett, der immer noch so friedlich dalag.

„Könnten sie kurz dass Zimmer verlassen bitte, ich müsste mich kurz um den Patienten kümmern.“

Ich atmete tief durch und nickte. Noch einen Blick auf Jarrett, dann verließ ich das Zimmer. Nun stand ich auf dem Flur und kam mir so verlassen vor. Einsam und alleine. Ich schaute zur Tür, durch die ich gerade gegangen war.

Eine Kinderstimme ließ mich aufhorchen. Ich schaute den Flur hinunter und konnte am Ende des Ganges Cori mit Luka an der Hand entdecken. Luka schien mich auch erkannt zu haben, denn er riss sich los und rannte auf mich zu.

Ich breitete die Arme aus und fing ihn auf, als er mich erreichte. Die Wucht mit der Luka auf mich prallte, schmiss mich fast um.

„Warst du bei Papa?“, fragt Luka leise und lächelte.

Ich nickte.

„Tun dir die Augen weh, oder warum sind die so rot?“, fragte Luka leise weiter.

Stimmt, ich hatte geweint, daran hatte ich nicht gedacht, ich wusste auch nicht wie ich gerade aussah. Cori hatte uns mittlerweile erreicht.

„Hallo Dominic, schon etwas erfahren?“

„Nein…“

In dem Augenblick gingen über der Tür alle drei Lichter an. Von allen Seiten kamen Schwestern gesprungen und liefen in Jarretts Zimmer.

„Domi, was machen die Leute denn?“, fragte Luka, „Onkel Cori hat gesagt, hier muss man ganz leise sein.“

„Ich weiß es nicht, Luka“, antwortete und versuchte ängstlich einen Blick ins Zimmer zu erhaschen.

Die Tür wurde geschlossen. Ich schaute ängstlich zu Cori, der aber nur mit der Schulter zuckte. Was war nur passiert? Dann wurde wieder die Tür aufgerissen und eine Schwester kam heraus.

„Entschuldigen Sie, können Sie…“, fragte Cori.

„Moment bitte“, meinte die Schwester und ließ uns einfach stehen.

*-*-*

Nun saß ich schon drei Stunden im Wartezimmer. Luka lag auf mir und schlief. Cori war bei mir geblieben. Er hatte alle seine Aufträge für den Tag abgesagt, weil er mir eine Stütze sein wollte.

Jarrett lag auf dem OP-Tisch. Es wurde ein Blutgerinnsel im Kopf festgestellt und seit zwei Stunden wurde operiert. Jedenfalls hatten wir noch nichts Gegenteiliges gehört. Weinen konnte ich nicht und durfte ich auch nicht.

Ich wollte Luka nicht noch weiter beunruhigen. Er hatte mitbekommen, wie Sie seinen Dad aus dem Zimmer geschoben hatten. Er hatte begonnen zu weinen, wollte zu ihm. Jetzt hatte er sich in den Schlaf geweint.

„Jarrett ist für mich irgendwie so etwas wie ein großer Bruder… weißt du?“, begann Cori plötzlich neben mir zu sprechen, nachdem wir uns ewig angeschwiegen hatten.

„Seit…“, ich räusperte mich, mein Hals war zu trocken zum Sprechen, „seit wann kennt ihr euch?“

Cori stand auf und schenkte uns zwei Tee ein. Er reichte mir eine Tasse und setzte sich wieder neben mich.

„Ich habe Jarrett damals auf dem Internat kennen gelernt. Er war der einzige, der sich für mich interessierte und auch zu mir hielt.“

„Wieso zu dir hielt.“

„Ach Dominic, so friedlich ich heute bin, war ich früher nicht. Keiner Schlägerei bin ich aus dem Weg gegangen, kein Besäufnis versäumt. Jarrett hat es geschafft mich davon abzubringen.“

„Das spricht irgendwie für Jarrett.“

„Als wir mit dem Internat fertig waren, trennten sich unsere Wege. Er kehrte nach Galway zurück und ich begann eine Schreinerlehre in Dublin.“

Ich nippte an meinem Tee und spürte wie die Wohltat langsam den Hals wieder befeuchtete.

„Und wie seid ihr dann wieder zusammen gekommen?“, fragte ich.

„Sind wir so gesehen gar nicht. Zwei Jahre später stand Jarrett plötzlich vor meiner Tür. Ich weiß bis heute noch nicht, ob es Zufall war, oder irgendeine Fügung… jedenfalls kam er genau richtig.“

„Wieso, was ist denn passiert?“

„Wie im Internat war ich wieder dem Alkohol verfallen… hatte meine Lehrstelle verloren und na ja… geprügelt habe ich mich auch wieder.“

Ich musterte Cori kurz etwas genauer und befand, dass ich froh war, bisher nie eine Faust von ihm zu spüren bekommen zu haben.

„Er holte mich aus diesem Sumpf und nahm mich mit nach Galway. Er suchte mit mir zusammen eine neue Lehrstelle, bewegte mich dazu, eine Abendschule zu besuchen, um einfach mehr Möglichkeiten später zu haben.“

„Jarrett hatte schon damals ein großes Herz. Wenn es irgendwie Streit zwischen mir und meinem Bruder gab, war er immer da und schlichtete.“

„Du hast noch einen Bruder?“

„Ja, aber der ist in London… unser Kontakt ist sehr spärlich.“

„Ein Bruder hat mir immer gefehlt. Aber seit ich Jarrett habe…“

Er brach mitten im Satz ab und ich schaute zu ihm. Corbinian hatte Tränen in den Augen. Ich stellte meine Tasse neben mir auf dem Stuhl und tätschelte ihm auf den Rücken.

„Es wir schon werden…“

„…Dich muss das doch viel mehr mitnehmen… jetzt wo ihr gerade…“

„Was?“, fragte ich.

„Also… ich geh doch recht in der Annahme… dass du und Jarrett zusammen seid… oder?“

Meine  Gesichtsfarbe färbte sich augenblicklich tomatenmäßig rot, was Cori ein Lächeln entlockte.

„Ja… ich… ich weiß auch nicht so recht… sind wir zusammen oder nicht…“, stammelte ich verlegen.

„Also, so glücklich wie in den letzten Tagen habe ich Jarrett noch nie erlebt, seit ich ihn kenne. Na ja, vielleicht als Luka auf die Welt kam.“

Luka rieb sich die Nase, brummte irgendetwas, schlief aber weiter, als sein Name fiel.

„Du weißt über Jarrett Bescheid?“, fragte ich verwundert.

Cori lachte leise.

„Ich wusste es noch vor ihm!“

„Bitte? … bist du auch… schwul?“

„Nein, bin ich nicht. Aber wie gesagt Jarrett und ich sind wie Brüder. Und ich habe das schon geahnt, bevor er diese Kathleen heiraten musste.“

„Wieso musste er sie heiraten… wegen Luka?“

„Nein, die beiden waren ja schon zwei Jahre verheiratet, als Luka zur Welt kam.“

„Und warum musste er sie dann heiraten?“

„Frag mich nicht… da wurde etwas von Abmachungen zwischen den Vätern erzählt, ich habe das nie verstanden.“

„Wie bitte? Ich dachte, wir haben das Mittelalter hinter uns…“

„Tja, mehr kann ich auch nicht dazu sagen. Ich weiß nur, dass nach Kathleens Tod sich Jarretts Gemütslage schwer verbesserte. Luka ist sein ganzes Glück bisher. Einen Mann zu seinem Glück hat er noch nicht gefunden, dies würde ihm noch fehlen.“

Ich wunderte mich, dass Cori so offen vor mir sprach.

„Hatte… hatte Jarrett viele Bekanntschaften vor mir?“

„Nein, würde ich nicht sagen. Jarrett ist eigentlich eher der schüchterne Typ. Er sitzt lieber zu Hause an seiner Eisenbahn, als mit mir in die Kneipe zu gehen.“

„Von schüchtern habe ich bis jetzt noch nichts bemerkt“, kicherte ich und wurde wieder rot, als mir bewusst wurde, was ich da gerade gesagt hatte.

Cori lächelte und nippte an seinem Tee. Traurig schaute er zum Fenster hinaus und nippte weiter an seiner Tasse.

„Mr. MacLeann?“

Ich schreckte auf.

„Ja?“, sagte ich, als ich die Schwester an der Tür wahrnahm.

„Wäre es Ihnen kurz möglich mitzukommen?“, fragte sie.

„Ja“, antwortete ich und schaute zu Cori, der gleich verstand was ich wollte und mir den schlafenden Luka aus dem Arm nahm.

Dann folgte ich der Schwester. Sie brachte mich zu einem Büro.

„Professor… hier ist Mr. MacLeann“, meinte die Schwester und ließ mich mit dem Professor alleine.

„Ah, Mr. MacLeann, schön dass Sie kommen konnten.“

„Ahm… ich weiß gar nicht, was ich hier soll.“

„Setzen Sie sich doch, ich werde es Ihnen gleich erklären.“

Er wies auf einen der Stühle vor seinem Schreibtisch. Also nahm ich Platz und wartete was da jetzt kommen sollte.

„Mr. Mac Gregors Schwiegermutter hat uns davon in Kenntnis gesetzt, das Sie Mr. Gregors Lebensgefährte sind und…“

Ich wollte etwas sagen, aber ich bekam keinen Ton heraus. Deswegen konnte ich Jarrett ungehindert besuchen.

„Und warum bin ich jetzt hier?“, fragte ich nochmals.

„Folgendes Problem Mr. MacLeann. Wir haben noch ein weiteres Gerinnsel gefunden.“

„Im Kopf?“, fragte ich schockiert.

„Nein… an seiner Wirbelsäule…“

„Und das heißt?“

„Dass Mr. Mac Gregor vielleicht nicht mehr laufen kann.“

Fassungslos sah ich ihn an. Tränen drückten sich durch meine Augen, ich konnte sie nicht unterdrücken.

„Es muss schnellstmöglich entfernt werden sonst sehen wir wirklich die Gefahr, dass er abwärts gelähmt sein könnte.“

„Und warum operieren Sie dann nicht?“, fuhr ich den Professor an.

„Ganz ruhig Mr. MacLeann. Ihr Freund hatte gerade eine Operation am Kopf, wir wissen nicht, ob wir ihn dieser Gefahr aussetzen können, noch eine weitere Operation anzuhängen.“

„Und warum haben Sie dann mich rufen lassen?“

„Wir haben die Möglichkeit zu warten und dann zu operieren. Aber je länger wir warten, desto höher wird die Gefahr der Lähmung oder noch schlimmer einer Amputation eines der Beine… oder wir operieren sofort… aber bei der Verfassung Ihres Freundes ist das Risiko groß, dass wir ihn verlieren würden.“

Ich sah ihn immer noch fragend an.

„Wir wissen nicht, wie wir uns entscheiden sollen…“, sprach der Professor weiter.

„Soll ich jetzt etwa entscheiden, ob …“

Der Professor schaute mich nur an. Ich war fassungslos. Ich sollte über das Leben eines anderen entscheiden. Ich rang nach Luft, mir wurde schlecht.

„Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Mr. MacLeann?“

Ich nickte.

„Haben Sie vielleicht ein Glas Wasser für mich?“, fragte ich leise.

„Aber natürlich…“

Der Professor eilte zu seinem Schrank und kam mit einem Glas Wasser zurück.

„Hier bitte…“

„Danke“, meinte ich und nahm das Glas entgegen.

Ich trank es in einem Zug leer.

„Wie groß ist die Gefahr…wenn sie sofort operieren?“, fragte ich.

„Ihr Freund ist von guter Statur… ich denke 50:50.“

Ich atmete tief durch. Was soll ich jetzt bloss machen. Ich kann doch nicht einfach über Jarretts Leben entscheiden… würde er sowas für mich auch tun… ich war kurz vorm verzweifeln.

Noch einmal atmete ich tief und stieß die Luft laut aus.

„Operieren sie bitte sofort…“, sagte ich fast mechanisch.

„Okay, ich werde sofort alles veranlassen… wenn Sie möchten können Sie der Operation beiwohnen…“

„Beiwohnen?“

„Ja, wir haben einen Besucherraum… von dem man aus die Operation beobachten kann.“

„Ich… ich muss das erst klären. Ich habe den Sohn meines Freundes bei mir, den kann ich nicht alleine lassen.“

„Okay, sagen Sie einfach Bescheid.“

*-*-*

Luka davon zu überzeugen bei Cori zu schlafen war nicht schwer. Wann konnte man schon mal auf einem Hausboot schlafen. Dass ich Cori unbedingt verständigen sollte, wie die Operation ausgegangen war, war mir ein leichtes…oder auch nicht.

Ich saß in der kleinen Kabine leicht oberhalb des Op’s. Jarrett war bereits hineingefahren worden und wurde gerade an die Maschinen angeschlossen. Mir gab es jetzt schon einen Stich ins Herz, als ich sah, wie er da so lag.

Irgendwie hilflos zwischen all diesen Leuten. Man hatte ihn auf den Bauch gedreht und mit Laken abgedeckt, nur eine kleine Stelle Haut war noch zu sehen. Mein Blick fiel auf einen kleinen Kasten, der anscheinend Jarretts Herzschlaf anzeigte.

Bis jetzt zeigte sich noch ein normaler Rhythmus. Unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her. Der Professor schien herein zu kommen, denn plötzlich kam Bewegung in die Sache. Er schaute kurz zu mir hoch und nickte mir zu.

Ich erwiderte sein Nicken. Dann machten sie sich an die Arbeit. Was in den nächsten Minuten kam, hätte ich mir nicht in den kühnsten Träumen vorgestellt. Ich konnte jedes Detail der Operation genau beobachten.

Ein kleiner Monitor im Raum deckte den Rest ab. Ich zitterte am ganzen Körper, saß verkrampft da und hatte Tränen in den Augen. Da lag Jarrett… mein Jarrett. Die Bilder von Gabriella kamen zurück.

Sie lag auf der Trage… blutüberströmt… ich schüttelte meinen Kopf, schloss die Augen und verdrängte diesen Gedanken. Im OP begann plötzlich eine Hektik, auch der Professor operierte nicht mehr.

Mein Blick fiel automatisch auf den kleinen schwarzen Kasten. Die Herzlinie war ungleichmäßig. Der Professor blickte kurz zu mir hoch. Ich hielt den Atem an und glaubte mein Herz würde es gleich zerreisen.

Doch dann operierte er weiter… die Herzlinie schien wieder normal. Ich atmete tief durch und entspannte mich etwas. Meine Augen hingen an diesem kleinen Kasten. Deutlich konnte ich die Ausschläge des Herzens sehn… Jarretts Herz.

Ich traute meinen Augen nicht, als die Ausschläge weniger wurden und unten im OP erneut Hektik ausbrach. Die Zeit schien still zu stehen und ich befand mich wie in einem Taumel … Nebel umfasste mich, meine Gedanken standen still … alles was ich noch wahrnehmen konnte, war die Linie. (Ein Dank an koshka für seine Hilfe an der Beschreibung!!!)

Ich erstarrte zu einer Salzsäule. Ein großer Kasten mit vielen Reglern wurde heran gefahren Jarrett umgedreht, sein Brustkorb frei gemacht. Mir wurde klar, was der Professor vorhatte. Ihn mit Stromstössen zurück zu holen.

Als Jarretts Körper vom ersten Stromschlag durchgeschüttelt wurde, krampfte mir das Herz. Meine Tränen flossen ungehindert die Wangen hinunter. Ich schloss die Augen, konnte den Anblick nicht mehr ertragen.

Das Zittern meines Körpers geriet außer Kontrolle. Ich musste mich halten, um nicht vom Stuhl zu rutschen. Mein nächster Blick fiel wieder auf diesen kleinen Monitor, wo sich Jarretts Herzschläge wieder gleichmäßig fortbewegten.

Ich atmete aus, doch mein Herz schlug mir immer noch hinauf bis in den Kopf. Jarrett wurde nun auf die Seite gedreht und der Professor begann die Wunde zu vernähen. War es das schon? Oder brach er die Operation ab?

Ich stand auf und verließ den kleinen Raum. Vor der Tür sank ich auf den Boden, zog die Knie an mich und fing richtig an zu weinen. Das letzte Mal, als ich so da saß hatte ich um Gabriella geweint.

*-*-*

Benommen saß ich an Jarretts Bett und hatte wieder seine Hand in meiner. Sanft streichelte ich mit meinem Daumen über seinen Handrücken.

„Domi?“, konnte ich leise von Jarrett hören.

„Ja… ich bin da … schhh… du sollst nicht reden.“

Eine einzelne Träne lief aus seinem Auge und tropfte auf das Kissen.

„He Jarrett… es ist alles in Ordnung, die Operation ist gut gelaufen…“, sagte ich leise und beugte mich über ihn.

Seine Augen waren feucht, aber er schaute mich an und sein Mund formte sich zu einem Lächeln. Langsam senkte ich mich nieder und gab ihm einen zärtlichen Kuss. Tränen liefen ungehindert an den Seiten hinab.

„Wir schaffen das… okay? Wir schaffen das gemeinsam!“

Sein Mund formte sich zu einem Ja.

*-*-*

Luka zog wie ein Verrückter.

„Jetzt mach doch langsam Luka, wir sind doch gleich da.“

„Darf ich zu Papa rennen?“

„Klar darfst du, da vorne sitzt er im Rollstuhl.“

Und schon düste Luka über die Wiese direkt zu seinem Dad. Ich wollte ja noch sagen, dass er langsam machen sollte, aber da stolperte er schon und überschlug sich regelecht. Erschrocken blieb ich stehen und wartete, dass das Geschrei losging.

Aber Luka hob nur den Kopf wuschelte sich über seine Haare. Dann stand er auf und rannte weiter. Ich schüttelte nur den Kopf und ging weiter. Ich musste schmunzeln. Der Kleine war echt zäh.

Die letzten Wochen hatte ich sehr genossen. Während Cori die gewünschten Umbauten in meinem Haus fertigte, vergnügte und kümmerte ich mich ausgiebig um Luka. Er hatte derweil seinen Dad erreicht und krabbelte bereits auf dessen Schoss.

Als ich näher kam, hörte ich wie Luka erzählte, was er wieder erlebt hatte.

„Du Papa… ich hab da mal eine Frage.“

„Und die wäre?“, fragte Jarrett mit seiner bekannten ruhigen Stimme.

„Wärst du mir arg böse…, wenn ich zu Domi Pa sage?“

Ich war stehen geblieben. Diese Szene rührte mich doch sehr.

„Wieso sollte ich dir böse sein… du Racker, klar darfst du das.“

„Oki doki… ich geh Enten jagen“, meinte Luka und war schon wieder vom Schoss gesprungen, als ich Jarrett endlich erreichte.

Erst jetzt drehte Jarrett seinen Kopf zu mir und strahlte mich an.

„Na du Pa, wie fühlt man sich in der Rolle?“, sagte er zu mir.

Ich wischte mir eine Träne aus dem Auge.

„Du hattest Recht, ich kann mir irgendwie ein Leben ohne Luka nicht mehr vorstellen“, erwiderte ich.

„Und sein Dad?“

Ich musste lächeln.

„Ohne den noch viel weniger“, sagte ich und hauchte Jarrett einen Kuss auf den Mund, „hallo…“

„Hallo Domi“, kam es von Jarrett und lächelte mich an.

„Müsst ihr schon wieder küssen?“, hörte ich Luka rufen, der am Rand des Teiches stand.

„Wieso? Was sollen wir denn sonst machen?“, rief Jarrett zurück.

„Mit mir spielen!“, rief er zurück.

„Du hast es gehört… man verlang nach uns“, meinte Jarrett und hob mir seine Hand entgegen.

Ich stellte mich vor ihn und zog an der Hand. Mit vereinten Kräften konnte Jarrett aufstehen.

„Brauchst du deinen Stock?“, fragte ich.

„Nimm ihn ruhig mit, wer weiß was Luka alles anstellt. Bis zum Teich halte ich mich an deiner Hand“, antwortete Jarrett.

Hand in Hand liefen wir zum Teich hinunter, wo Luka schon auf uns wartete.

*-* Ende *-*

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