Irland

Ärgerlich saß ich am Tisch meiner Eltern. Im Sommer hatten sie mich dazu überredet an einem Sprachenprogramm teilzunehmen. Ich war dann auch begeistert von der Idee, aber nun, nach einer längeren Krankheit, hatte ich es verpasst, mir eine Wunschgegend auszusuchen.

So bekam ich eine zugeteilt. Ich ließ grummelnd den Brief fallen, warum ausgerechnet Irland.

„Kevin, nun zieh doch nicht so ein Gesicht“, meinte meine Mutter.

„Ach ich weiß nicht, die anderen sind alle in England, bin der einzige der nach Irland muss“, sagte ich.

„Jetzt tu nicht so zickig“, kam es von meinem Dad, „in Irland rennen bestimmt auch schöne Jungen herum.

Meine Mum fing an zu lachen, stand auf und verschwand in die Küche. Ich verdrehte meine Augen und verschränkte meine Arme dabei vor meiner Brust. Mein Dad schaute mich amüsiert an.

„Es hilft nichts Kevin, da musst du nun durch. Setzt dich doch an den PC und schau nach, wo du genau hinkommst, da ist eine Homepageadresse dabei.“

„Aber nicht zu lange, in einer Stunde gibt es Abendessen“, rief meine Mutter aus der Küche.

So nahm ich mir die Unterlagen und ging hinauf in mein Zimmer. Der PC war schnell hochgefahren und ich kämpfte mich durch den Surfdschungel. Wieso hatte ich mich breitschlagen lassen, ein Jahr eine Sprachschule zu besuchen.

Flug, Daten über den Aufenthalt, alles war in den Unterlagen enthalten. Auch die meiner Gastfamilie.

Man konnte entweder in eine Pension gehen oder in eine Gastfamilie, ich hatte mich damals bei der Anmeldung für eine Gastfamilie entschieden. Siehe da, die McGills hatten sogar eine eigene Homepage.

Ich blättere drin herum bis ein Familienfoto auftauchte. Aha, zwei Söhne und eine Tochter, zwei davon in meinem Alter. Wenigstens etwas, dachte ich mir noch, bevor ich die Seite wieder schloss. Noch zwei Wochen hatte ich Zeit, dann ging es mit dem Flieger nach Belfast.

Da in der Berufsschule auch nichts mehr los war, die Noten standen schon fest, zogen sich diese zwei Wochen unendlich in die Länge. Mein Gepäck glich eher einer Weltreise, aber ich blieb ja schließlich fast ein Jahr in Irland.

 

* * *

 

Nun saß ich hier zum letzten Mal im Kreis meiner Freunde, bei einem Bierchen. Ich war gerade vom Friseur nach Hause gekommen, da ging das Telefon und ich wurde ohne eine Chance abzusagen, zu diesem Abend verdonnert.

„Ich dachte, du warst bei einem Friseur?“, meinte Meli grinsend.

„Wieso?“, fragte ich und fuhr mit den Fingern durch meine dichten Locken.

„Du hast noch denselben Wischmopp auf dem Kopf, wie am Sonntag.“

„Bist ja nur neidisch, weil du nicht solch eine Haarpracht hast, wie ich“, sagte ich und ließ es ein paar Mal nach links und rechts fallen, so wie man das von der Werbung her kannte.

Ich gefiel mir so wie ich war, na ja nicht gerade die Farbe, aber das rot der Haare stammte von meiner Mutter. Und die Muskeln, die ich mir immer wünschte hatte ich nicht. Ich war aber auch nicht abgemagert. Jeder hier akzeptierte mich als der, der ich war.

„Meldest du dich wenigstens mal?“, meinte Heiner.

„Bestimmt, weiß eh nicht, ob ich das Jahr durchhalte“, antwortete ich.

„Och, du findest bestimmt einen süßen Typen und bleibst für immer dort“, kam es von Lisa mit einem Schmunzeln.

„Also, die Söhne von meiner Gastgeberfamilie werden es bestimmt nicht, denn ich steh nicht auf rote Haare“, sagte ich, worauf alle anfingen zulachen, als sich Peter gespielt empört durch seine roten Haare fuhr.

„Ach Peterbabe, bei dir ist das was anderes, dich lieb ich heiß und innig“, meinte ich provokant.

Peter lehnte sich zärtlich an meine Schulter.

„Schatz, dass will ich dir auch geraten haben“, säuselte er mir in Ohr, was zu einer neuen Lachattacke führte.

Meine Clique werde ich wohl am meisten vermissen, dachte ich verfiel in eine leichte Depri.

„Was ist Kevin?“, fragte Michaela.

„Ihr werdet mir fehlen irgendwie, wer weiß, ob ich da drüber nicht zum Stubenhocker werde.“

„Du und Stubenhocker?“

Bernd lachte laut auf.

„Am ersten Abend werden dir die Mädchen zu Füßen liegen“, meinte er.

„Jo, und am Zweiten haben wir eine Nachrichtenmeldung, das in einer kleinen Stadt in Irland, das Massensterben der weiblichen Jugendlichen begonnen hat, weil rausgekommen ist, das unser Schnuckel hier schwul ist“, kam es von Peter.

„Wirst du dich in Irland auch outen?“, fragte Thorsten.

„Da fragst mich jetzt was, darüber habe ich mir wirklich noch keine Gedanken gemacht“, antwortete ich.

„Wie alt muss man denn sein in Irland, dass man was anstellen darf?“, fragte Thorsten grinsend.

„Mindestens siebzehn, also nichts für dich“, konterte ich.

Thorsten zog einen Schmollmund und alle fingen wieder an zu lachen. Der Abschied danach war irgendwie nicht so lustig, Die Mädchen hatten Tränen in den Augen und nach einer Weile wir Jungen auch. Aber es half nichts.

 

* * *

 

Die Nacht konnte ich überhaupt nicht schlafen. Zu viele Gedanken huschten in meinem Kopf  umher. Total gerädert stand ich dann in der Früh auf. Ich zog noch schnell mein Bett ab und verfrachtete meine Bettwäsche in den Wäschesack.

Fertig im Bad und angezogen stand ich nun in meinem Zimmer. Jetzt sah es irgendwie unbewohnt aus. Meine ganz persönlichen Sachen waren in den Koffern, der PC mit einer Haube überzogen, die Pflanzen herausgeräumt.

Tja, ab heute würde ich ein ganz anderes Leben führen. Ohne viele Worte, fuhren meine Eltern mich zum Flughafen. Gedankenverloren zog draußen die Landschaft an mir vorbei. In Händen hielt ich ein kleines Präsent, dass ich von meiner Clique geschenkt bekommen hatte.

Ich hatte es immer noch nicht ausgepackt und so riss ich langsam das Geschenkpapier auseinander. Mit glasigen Augen hielt ich einen Bilderrahmen in Händen. Von Jedem klebte ein Bild darauf, ein kleiner persönlicher Spruch darunter.

Als Erinnerung… damit du uns nicht vermisst….. Jetzt war doch der Augenblick gekommen, vor dem ich mich gefürchtet hatte. Langsam flossen mir die Tränen über die Wangen. Es war ja nur ein Abschied für ein Jahr, versuchte ich mir einzureden.

Aber was konnte in diesem Jahr alles passieren. Ich nahm mir vor, mit ihnen in Mailkontakt zubleiben, oder zumindest per Brief, falls ich keine Gelegenheit für einen PC fand. Die Mailadressen hatte ich mir vorsichtshalber herausgeschrieben

Ich griff nach meiner Brusttasche, wo ein kleines Büchlein ruhte. Ich hatte es von meinen Eltern bekommen, es nannte sich Moleskine. Mein Dad erzählte mir, dass dieses Notizbuch früher von berühmten Leuten verwendet wurde, wie Hemingway oder Van Gogh, und nun reihte ich mich ein, in die Besitzerliste, dieses berühmten Notizbuches.

Am Ende des Umschlags, war eine kleine Papiertasche angebracht, wo ich unter anderem die Adressen meiner Clique untergebracht hatte. Ich sah jeden auf dem Bild noch einmal an, mit einem leichten Lächeln, bevor ich es in meinem Rucksack verschwinden ließ.

Im Flughafen dauerte es ein wenig, bis mein Gepäck komplett aufgegeben war und es dauerte auch noch fast eine Stunde, bis mein Flug aufgerufen wurde. Nun hieß es auch Abschied nehmen, von meinen Eltern.

Sie drückten mich noch mal kräftig an sich, gaben mir auch die berühmten, unnötigen Elterntipps und Belehrungen, bevor ich schließlich einchecken konnte. Ich hatte einen Fensterplatz verschafft und sah Richtung Empfangshalle, wo ich meine Eltern vermutete.

Ich schnallte mich an, ließ die Sicherheitsbelehrungen über mich ergehen. Kurz nach dem die Maschine abgehoben hatte, kam eine Saftschubse des Weges und ich bestellte mir einen Tee. Ja, einen Tee, irgendwann muss ich mich ja daran gewöhnen, was das englische Nationalgetränk betraf.

Und da ich im englischen Teil von Irland war, würde es dort mittags um vier, bestimmt auch eine Teepause geben. Es war ja nur ein Kurzflug, aber dennoch schlief ich ein und schrak auf, als das Zeichen zum Anschnallen kam.

Ich schaute aus dem Fenster und konnte einen Teil von Belfast sehen. Langsam setzte der Vogel zur Landung an, und durch einen kräftigen Ruck, wusste ich, dass wir wieder Boden unter den Füßen hatten, jedoch diesmal Irischen.

Langsam machte ich mich mit meinem Handgepäck Richtung Ausstieg auf. Der Flug war voll ausgebucht, denn es dauerte eine Weile, bis ich endlich die Gangway betrat. Nach dem Auschecken suchte ich mein anderes Gepäck.

Da fiel mir ein rothaariger Junge mit einem Schild auf. >Kevin Neuman< stand darauf. Das musste der Sohn von McGills sein. Ich lief auf ihn zu.

„Hi Kevin, ging ja schneller als ich dachte, dich zu finden“, meinte er und ließ das Schild sinken, „bin übrigens Kyle.

„Ja, weiß ich, habe ich auf eurer Homepage gelesen“, sagte ich.

„Ja, einer von Dads große Leidenschaften… das Internet. Kann ich dir etwas abnehmen?“

„Nein geht schon, aber du kannst mir zeigen, wo ich mein restliches Gepäck finden kann.“

Kyle sah süß aus. Sein Gesicht war mit Sommersprossen überseht und sein wirres rotes Haar hing ihm frech in die Augen. Sonst war er normal gebaut wie ich.

„Kein Problem, meine Eltern erwarten uns schon dort.“

„Deine Geschwister auch?“

„Nein, Erin und Nick sind zu Hause geblieben, weil es sonst im Auto zu eng geworden wäre. Und übrigens Erin ist schon vergeben“, sagte er mit einem frechen Grinsen.

Na super, jetzt habe ich doch gleich den Eindruck von einem Schwerenöter hinterlassen, dabei hab ich nur fragen wolle. Ich folgte ihm durch den halben Flughafen, ohne ein weiteres Wort mit ihm zu wechseln.

Das Gepäck kam in Sicht und somit auch ein Ehepaar, das ich schon von der Homepage kannte. Ich streckte freundlich meine Hand entgegen und begrüßte Mr. und Mrs. McGill. Sie erkundigten sich nach meinem Flug und ich versicherte ihnen, das es keinerlei Probleme gab.

Eher jetzt, wo Mr. McGill mein ganzes Gepäck auf den Rollwagen sah.

„Es ist kein Problem für mich ich kann auch irgendwas noch auf meinen Schoss nach vorne nehmen“, meinte ich.

Mrs. McGill lachte und steckte ihren Mann damit an.

„Keine Sorge Kevin, mein Mann wundert sich nur immer, wie es Jungen ebenso zu soviel Gepäck bringen, wie es Mädchen auch tun.“

Ich grinste verlegen. Kyle stand gelangweilt neben uns und tippelte mit dem Fuß, seine Eltern dagegen nahmen anscheinend keine Notiz davon. Wir verließen den Flughafen und steuerten einen großen Parkplatz an.

Mein Gepäck wurde in einen Landrover verladen, also auch genügend Platz. Ich saß hinten bei Kyle, der aber immer noch nichts mit mir redete, was mir aber auch egal war, den ich hatte hier genug zu sehen.

Zudem fuhr Mr. McGill auf der linken Spur, etwas, woran ich mich auch gewöhnen musste. Als wir an einem großen See vorbei kamen, ging die Autobahn auf eine normale Landstraße über. Die bergige Landschaft gefiel mir, wo ich doch von zu Hause nur Flachland gewohnt war.

Nach ungefähr einer Stunde kamen die ersten Hinweisschilder auf Londonderry ins Blickfeld, die Stadt, wo ich in nächster Zeit wohnen würde. Kyle lag am Fenster angelehnt und war eingeschlafen. Wieder schweiften meine Blicke auf die Landschaft hinaus.

„Willst du die paar, freien Tage nützen, um dich hier ein wenig umzusehen, Kevin?“, fragte mich Mrs. McGill plötzlich.

„Das weiß ich noch nicht, ich lasse das einfach auf mich zukommen. Am Freitag soll ich mich sowieso in der Schule melden.“

„Zu was für Kursen hast du dich angemeldet?“

„Für genau drei Kurse, Deswegen bleibe ich hier auch bis Juli nächsten Jahres.“

Ich hatte mich schon gewundert, das du solange bei uns logierst, aber mir soll es recht sein“, meinte Mrs. McGill.

Sie wandte sich wieder Richtung Strasse.

„So nun kommt Derry in Sicht“, sagte Mr. McGill.

„Darf ich ihnen eine Frage stellen?“, kam es von mir.

„Natürlich, ständig“, meinte er.

„Warum nennen die einen diese Stadt Londonderry und andere sie nur Derry?“

„Londonderry, wird hier nur von den Protestanten bevorzugt, bei uns Katholiken bleibt es bei Derry.“

„Ich habe mir natürlich einwenig ihrer Geschichte angesehen und ich weiß auch über die Konflikte Bescheid, die bestehen, aber bei mir zu Hause leben katholische und evangelische Menschen friedlich beieinander.“

„Kevin, glaube mir, wir wären auch froh, es würde ein Ende nehmen, denn Blut wurde schon reichlich vergossen, aber schließlich dauert die Fehde nun schon über 800 Jahre an, und es gibt noch immer genug Randgruppen, die diesen Streit immer noch anschüren“, sagte Mrs. McGill.

„Manchmal frage ich mich, ob die überhaupt wissen, worum es früher ging, bei diesem Streit, oder ob sie nur auf Blutvergießen aus sind?“, kam es Mr. McGill.

„Da wir auf der anderen Seite von Derry wohnen, hast du jetzt die Möglichkeit ein wenig von der Altstadt zu sehen“, sagte Mrs. McGill, um das Thema zu wechseln.

Wir fuhren durch ein großes Stadttor, die Stadt besaß anscheinend noch eine intakte Stadtmauer. Kyle regte sich neben mir und wachte auf.

„Sind wir endlich da? Ich verpasse mein Training noch“, meckerte er ein wenig.

„Ich habe dir schon heute Morgen gesagt, dann lässt du es eben ausfallen, wenn die Zeit nicht mehr reicht“, sagte Mrs. McGill verärgert zu ihrem Sohn.

„Was für ein Sport?“, fragte ich um die Stimmung ein wenig aufzulockern.

„Football, sein ein und alles“, mischte sich Mr. McGill ein, bevor Kyle antworten konnte.

Kyle versuchte noch während der ganzen Fahrt einen Streit vom Zaun zu brechen, aber seine Eltern, reagierten nicht so drauf, wie er sich das wünschte. Sein Dad meinte abschließend nur, er solle endlich bessere Noten nach Hause bringen.

Wir hatten den Stadtrand erreicht und hielten vor einem Cottage. Ich stieg aus dem Wagen und reckte mich erst ein wenig.

„Schön haben sie es hier“, meinte ich zu Mrs. McGill.

Mrs. McGill lächelte. Zuerst wurde mir mein Zimmer gezeigt, damit ich mich frisch machen konnte. Ich stand in der Mitte des Raumes und sah mich um. Hier würde ich also ein ganzes Jahr wohnen.

Zwanzig Quadratmeter, die ich mein Eigen nennen durfte. Ein kleines Bad für mich alleine hatte ich auch im Zimmer. Ich machte mich daran, mein Gepäck auszupacken und alles zu verstauen. Das Foto, das meine Clique zeigte, welches ich zum Abschied bekommen hatte, stellte ich auf den Schreibtisch.

Danach stellte ich mich erst mal unter die Dusche, irgendwie fühlte ich mich nicht so, nach dem Flug. Frisch angezogen ging ich durch den schmalen Flur zum Rest des Hauses. Ich wusste nicht genau, wo sich die Familie befand, so schaute ich eben in jede offene Tür.

Beeindruckt blieb ich vor einem Raum stehen, der wohl eine Art Bibliothek war. Die Regale mit Büchern gingen bis unter die Decke.

„Ein Hobby meines Mannes und Nick unserem Ältesten.“

Mrs. McGill stand neben mir. Ich sah sie fragend an.

„Die Beiden beschäftigen sich mit der Vergangenheit der Iren, besonders mit den Kelten“, sprach sie weiter.

„Ich habe etwas über die Kelten gelesen, aber ein Hobby daraus zu machen?“, sagte ich.

„Ja, manchmal denke ich auch, sie übertreiben es.“

Mrs. McGill schob mich in den Raum und ich konnte mir die Bücher genauer anschauen.

„Das wäre auch eine gute Übung für dich, einfach Bücher auf Englisch zu lesen, damit sich die Worte besser einprägen.“

„Wenn ich mir welche borgen darf, gerne“, sagte ich.

„Das kannst du sicher. Wenn Nick nachher nach Hause kommt, kannst du ihn ja fragen.“

„Wo kann man denn hier ein wenig laufen, ich würde mir gerne noch die Beine vertreten. Der lange Flug und auch die Autofahrt, ich hab nur gesessen.“

„Hinter dem Haus fängt ein kleiner Weg an, der mündet in den Wald und läuft geradeaus zum Gebirge“, antwortete Mrs. McGill.

„Gut, dann werde ich mich mal auf den Weg machen. Wann gibt es Abendessen?“

„In zwei Stunden, sei aber bitte pünktlich, mein Mann mag es nicht, wenn unpünktlich gegessen wird.“

„Geht in Ordnung. Soweit möchte ich dann auch nicht laufen.“

Mrs. McGill lachte mich an.

„Ich habe festgestellt, du sprichst fast fließend englisch, wie kommt das?“, fragte sie mich.

„Meine Mum stammt ursprünglich aus England, ist aber schon vor meiner Geburt nach Deutschland gekommen.“

„Und du willst trotzdem diese Kurse besuchen?“

„Ja, reden kann ich ja, aber mit dem schreiben funktioniert es nicht so richtig.“

Wieder lachte Mrs. McGill, sie schien eine Frohnatur zu sein.

„Gut, dann lauf mal los, wir sehen uns dann beim Essen.“

Ich nickte ihr zu und verließ dann das Haus. Wie sie mir erzählte, fing hinter dem Haus ein Feldweg an. Ich atmete tief durch und genoss die frische Luft. Mir wurde bewusst, dass ich ja viel weiter im Norden war und hier der Winter eher einkehren würde.

Das Laub auf den Bäumen hatte schon sein volles Herbstrot, was bei uns erst begann. Ich zog den Kragen meiner Jacke zurecht und lief los. Ich schaute über die Wiesen Richtung der Berge. Mir gefiel die Gegend.

Es war ruhig, der nahe Stadtlärm verstummte langsam und so war ich alleine mit meinen Gedanken, mit mir selbst. Das tat gut, denn die letzten Tage waren schon stressig auch traurig, aber jetzt fühlte ich mich das erste Mal richtig wohl.

Irgendwoher hörte ich spielende Kinder, konnte sie aber nicht ausfindig machen. Der Weg machte eine Biegung und mündete nun in den Wald. Eng standen die Bäume nicht, trotzdem konnte man nicht weit hinein sehen.

Mir fiel am Wegrand etwas Funkelndes auf. Ich ging darauf zu und bückte mich danach. Es war ein zerbrochener Stein, dessen inneres so etwas wie ein Kristall verbarg.

„Das sind Bergkristalle, die findest du hier oft!“

Ich fuhr erschrocken herum, hinter mir stand ein Junge in meinem Alter.

„Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken.“

„Ich lebe noch“, meinte ich und lächelte.

„Ich kenne dich nicht, bis du neu hier?“, fragte er mich.

„Ja, bin heute erst angekommen. Ich wohne bei den McGills“, antwortete ich.

„Du bist Kevin?“

Etwas erstaunt war ich doch jetzt.

„Woher weißt du meinen Namen?“

„Ganz einfach, ich bin ein sehr guter Freund von Nick, der hat mir erzählt, dass du heute ankommst… ich bin Finley“, sagte er und reichte mir die Hand.

„Tja, Kevin, dass weißt du ja schon.“

Er lächelte und mir rutschte mein Herz in die Hose. Verlegen schaute ich auf den Stein, den ich eben gefunden hatte.

„Wollen wir noch ein Stück laufen, oder musst du schon zurück?“, fragte Finley mich.

„Nein, ich will noch ein Stück laufen, bin ja eben erst losgelaufen.“

„Gut, dann kann ich dir auch ein bisschen was zeigen.“

Also lief ich neben Finley her, der wie ein Wasserfall von sich, seiner Familie und der Freundschaft zu Nick erzählte. Mir war das nicht unrecht, ich wusste sowieso im Augenblick nicht, was ich sagen sollte.

Der Wald lichtete sich und der Weg stieg langsam an. wir kamen auf eine Art Plateau, wo man weit in die Ferne schauen konnte.

„Das ist schön“, meinte ich und ließ meinen Blick schweifen.

„Finde ich auch, ist mein Lieblingsplatz. Hierher ziehe ich mich immer zurück, wenn ich alleine sein will“, sagte Finley.

„Du bist eben von hier gekommen?“

Bedrückt schaute Finley zu Boden. Das war jetzt unangenehm, ich wusste nicht wie ich reagieren sollte. Schweigen oder weiter reden? Ich entschied mich für das Reden.

„Ist irgendwas? Ich meine, umsonst wirst du ja nicht hierher gegangen sein.“

„Stimmt schon, aber ich weiß nicht, wie ich dir das sagen soll.“

„Mein Englisch ist soweit gut, verstehen tu ich schon alles“, sagte ich, um es einfach lockerer klingen zu lassen.

Ein Lächeln huschte über Finleys Lippen.

„Das mit dem sehr guten Freund von Nick… kann sein, dass dies nicht mehr stimmt.“

Verwirrt schaute ich ihn an.

„Wieso das denn?“

„Ich habe ihm etwas über mich erzählt und er hat sehr negativ reagiert.“

Ich schwieg einen Moment, denn es war noch nicht allzu lange her, als ich dasselbe erlebte. Vor einem halben Jahr, hatte ich das Versteckspielen satt und outete mich vor meiner Clique. Zuerst sah es so aus, als würde alles schief laufen, aber durch lange Gespräche mit meinen Freunden wurde alles aus der Welt geschafft.

„Ich weiß nicht, was du ihm gesagt hast, aber ich kenne das! Ich habe selbst vor einem halben Jahr, dass Gleiche bei meiner Clique durchgemacht.“

„Und wie ist das ausgegangen?“, fragte Finley leise.

„Gut, es hat ein wenig gedauert, aber ging am Ende alles gut aus und ich bereue nicht ihnen das gesagt zu haben.“

„Och Nick ist so ein Sturkopf, ich konnte nicht mit ihm reden, er lief einfach davon.“

„Und wie lange kennst du Nick schon.“

„Seit dem Kinderhort, wir sind praktisch zusammen aufgewachsen.“

„Dir scheint Nick sehr viel zu bedeuten?“

„Ja tut er, er ist oder war… mein bester Freund.“

„Jetzt male mal nicht gleich schwarz, das wird sich schon einrenken.“

„Ich bin mir da nicht so sicher…“

„Darf ich fragen, was du ihm gesagt hast?“

Finley hob den Kopf und sah mich mit seinen feuchten Augen direkt an.

„Wenn ich dir das erzähle, reagierst du genauso und läufst weg.“

„Überlässt du bitte mir die Entscheidung, wie ich darauf reagiere! Ich bin nicht Nick, gut ich kenne ihn ja nicht mal.“

Finley scharrte mit dem Fuß durch den weichen Boden. Er schaute in die Ferne und ich merkte wie sehr er mit sich kämpfte.

„Ich bin schwul…“, sagte er leise.

Irgendwie brannte nun bei mir die Sicherung durch und ich fing laut an zu lachen. Entsetzt und verwirrt schaute mich Finley an und rannte los. Oh Scheiße, was hatte ich da nur angerichtet. Ich setzte ihm nach und konnte ihn vor der Wegbiegung wieder einholen.

Ich griff nach seinem Arm und stoppte ihn.

„Was willst du noch von mir, renn doch zu Nick und erzähl ihm das doch alles“, schrie mich Finley an.

Er holte aus und wenige Sekunden später, spürte ich einen stechenden Schmerz an meiner Wange.

„Man, Finley! Was soll die Scheiße?“, rief ich, „sorry, wenn ich gelacht habe, aber ich bin selber schwul.“

Finley blieb abrupt stehen und drehte sich um. Betroffen mit verweinten Augen schaute er mich an und stürze rücklings zu Boden.

„Und warum hast du mich dann ausgelacht?“

„Ich weiß auch nicht…, ich habe dasselbe wie gesagt vor einem halben Jahr durch gemacht. Ich fuhr hierher, mit der Angst was mache ich, wenn jemand heraus bekommt, dass ich schwul bin. Und nun lerne ich dich kennen und sagst mir gleich zu Anfang, du bist auch schwul.“

Finley erhob sich und trat wieder zu mir, reichte mir die Hand und half mir auf.

„Entschuldigung, ich wollte dich nicht schlagen, aber das tat eben so weh.“

„Ist meine eigene Schuld, ich hätte vielleicht anderst reagieren sollen“, sagte ich lächelnd.

Finley strich mir über die Wange, die furchtbar brannte.

„Wie kann ich das wieder gut machen?“, fragte er leise.

Ich schaute ihm in seine grünen Augen.

„Könnte wir uns ein wenig anfreunden…, ich meine, ich werde nun ein ganzes Jahr hier leben und könnte schon Freunde brauchen“, antwortete ich.

Ein Lächeln überzog sein Gesicht und er nahm mich in den Arm und drückte mich fest an sich. Ich musste ebenso lächeln, weil ich an den Satz dachte, den Peter losgelassen hatte, ich solle mir keinen Engländer angeln.

Tat ich ja auch nicht, er war ja Ire.

„Du musst los“, kam es plötzlich von Finley.

Fragend schaute ich ihn an.

„Wenn du pünktlich zum Essen sein willst, musst du jetzt loslaufen. Bob, Nicks Vater, fängt gerne pünktlich an.“

Ich schaute auf meine Uhr. War die Zeit so schnell vergangen.

„Ich lauf mit dir noch bis fast zum Haus, aber dann geh ich eine andere Richtung weiter.“

„Sehen wir uns wieder?“, fragte ich.

„Gerne.“

„Hast du ein Handy?“

„Ja, wieso?“

„Ich habe ein Jahresvertrag hier und habe noch keine Nummer eingespeichert, nur die von den McGills.“

Er lächelte wieder und sagte mir seine Nummer, die ich gleich abspeicherte. Auf dem Rückweg erzählte ich ihm von meiner Clique, wer da alles dabei war. Kurz vor dem Haus verabschiedete wir uns mit dem Versprechen uns am nächsten Tag wieder zusehen.

Ich umrundete das Haus, wo mir im Flur Mrs. McGill entgegen kam.

„Und hat dir der Sparziergang gefallen?“

„Ja, ich habe sogar jemanden kennen gelernt. Finley!“

„Was Finley? Ja, ein sehr netter Junge, ist Nicks bester Freund. Er schläft öfter mal hier.“

„Ach ja. Ich geh mir mal dann die Hände waschen, gibt ja gleich essen“, sagte ich.

„Ja, und ich werde den Tisch weiter decken.“

Ich lief den langen Flur entlang in den Anbau des Gebäudes, wo sich mein Zimmer befand. Ich warf meine Jacke über den Stuhl und ging zum Waschbecken m mir meine Hände zu waschen. Verschämt schaute ich mich im Spiegel an, wo ich meine rote Wange sah.

Was wird wohl Mrs. McGill gedacht haben? Als ich meine Hände abgetrocknet hatte, klopfte es an der Tür. Ich rief Come in und sie öffnete sich.

„Hallo, ich bin Nick, wie haben uns noch nicht gesehen.“

Ich musste schlucken, ein Traum von Mann stand vor mir, nur die roten Haare störten mich.

„Kevin“, sagte ich und streckte ihm die Hand entgegen.

Er plauderte ein paar belanglose Worte und ich nickte nur bejahend.

„Ich habe vorhin übrigens Finley kennen gelernt, einen netten Freund hast du da“, sagte ich.

Nicks Gesicht verfinsterte sich.

„Finley ist nicht mein Freund, mit dem will ich nichts mehr zu tun haben“, zischte er ärgerlich.

Wieder schien eine Sicherung bei mir durchzubrennen, so kannte ich mich nicht, denn ich wurde sehr laut.

„Nur weil er schwul ist? Ich bin es auch und wenn du damit Schwierigkeiten hast oder deine Familie, dann pack ich gleich meine Koffer und suche mir eine andere Bleibe, denn hier will ich nicht bleiben.“

Nick schaute mich entsetzt an, ich hatte ihn volle Kanne angeschrieen, was wohl auch im Rest des Hauses zu hören war, denn seine Mutter und sein Vater kamen herein gestürzt.

„Was ist denn hier los?“, fragte Mrs. McGill.

Ich drehte mich weg und zog meinen Koffer unter dem Bett hervor.

„Ihr Sohn hat etwas gegen mich, dann möchte ich lieber nicht hier bleiben.“

„Mal ganz langsam Kevin“, sagte Mr. McGill, „Nick was ist los?“

Nick stand immer noch steif da und sagte kein Wort.

„Ihr Sohn hat was gegen Schwule und ich bin schwul“, meinte ich ärgerlich und ging zum Schrank, fest entschlossen den Koffer zu packen.

Mrs. McGill kam auf mich zu und nahm meine Hände in die Ihrigen.

„Kevin, ich habe nichts dagegen, dass du schwul bist, aber handelst du nicht ein wenig vorschnell?“, fragte sie.

„Vorschnell? Dann fragen sie doch Nick, was mit Finley ist.“

„Finley? “, fragte Mr. McGill.

Ich war jetzt stink wütend, hatte keine Lust mehr irgendwas zu sagen.

Nick schaute sich kurz um und rannte aus dem Zimmer, es war nur noch das Knallen der Wohnungstür zu hören. Ich ließ mich auf mein Bett fallen. Mr. und Mrs. McGill schauten mich an. Er stellte sich an das Ende meines Bettes.

„Kannst du mir sagen, was mit Nick los ist?“, fragte er.

„Es tut mir leid, wenn ich eben so ausgerastet bin, aber was Nick mit Finley abgezogen hat, ging mir gegen den Strich“, sagte ich.

Mrs. McGill setzte sich neben mich aufs Bett.

„Hängt es damit zusammen, dass Finley auch schwul ist?“, fragte sie leise.

„Sie wissen das?“

„Ja, schon eine ganze Weile, seine Mutter hat es mir erzählt. Bob schließt du bitte die Tür, wir werden wohl doch heute mit Verspätung mit dem Essen beginnen, aber ich will erst mit Kevin reden.“

„Gut, ich lass euch beiden solange alleine und schau mal nach Nick.“

Sie nickte und ihr Mann verließ das Zimmer.

„Ich will ehrlich sein zu dir Kevin, du bist nicht rein zufällig hier.“

Ich schaute sie fragend an, weil ich nicht verstand was sie meinte.

„Deine Mutter und ich sind Freundinnen und wir haben immer noch regen Briefverkehr, auch wenn sie jetzt in Deutschland lebt.

„Sie kennen meine Mum?“

„Ja, wir sind zusammen hier auf die Schule gegangen, wusstest du nicht, das sie hier aus der Gegend stammt?

„Nein, ich dachte aus England, aber ich habe mir darüber auch noch nie Gedanken gemacht.“

„Du hast es ihr zu verdanken, das du bei uns gelandet bist, sie hat sich sehr dafür eingesetzt.“

„Und ich dachte, ich hab den Platz zugewiesen bekommen, weil ich mich nicht darum gekümmert habe.“

„Nein, dafür hat deine Mutter gesorgt.“

„Darf ich fragen, was das mit Nick zu tun hat?“

Mrs. McGill atmete tief durch.

„Mein Mann und ich hegen schon lang den Gedanken, dass Nick vielleicht schwul sein könnte und als ich erfuhr das Finley schwul ist, dachten wir es würde ihm leichter fallen sich zu outen. Sie sind fast jeden Tag zusammen und …“, sie brach im Satz ab und schaute zu Boden.

„Sind sie sicher, dass er schwul ist?“, fragte ich.

„Nein.“

„Mrs. McGill…“

„Ich heiße Joyce, du kannst ruhig du zu mir sagen.“

„Joyce, darf ich sie… dich etwas fragen?“

Sie schaute auf.

„Ja, natürlich.“

„Ich weiß wie schwer das ist, sich vor seiner Familie zu outen, ich habe das alles selbst durchgemacht. Können sie sich vorstellen, was Nick durchmacht, wenn er wirklich schwul ist?“

„Nein nicht wirklich.“

„Jeden Tag steht man auf, denkt wie wird der Tag heute. Du beginnst mit deinem Versteckspiel am frühen Morgen und versuchst so natürlich zuwirken wie es nur geht. In der Schule benimmst du dich wie deine Freunde, redest über Dinge, die dir vielleicht zu wider sind.“

„Ich verstehe schon, das dies ein wahnsinniger Denkprozess ist, ich wollte Nick doch nur helfen.“

„Haben sie… äh du vielleicht, aber vielleicht auch nicht. Gib ihm Zeit, jetzt nachdem was heute vorgefallen ist, wird es vielleicht schneller passieren, dass er sich outet, aber um ehrlich zu sein, ich glaube es nicht und Nick wird verschlossener werden.“

Joyce dachte angespannt nach.

„Lassen wir es ruhig angehen, du bleibst auf jeden Fall hier. Wäre ja noch schöner, dass der Sohn meiner Freundin, wo anders wohnt. Du siehst deiner Mutter übrigens sehr ähnlich“, meinte sie und strich mir durch die Haare.

„Ja, ich weiß, den roten Ton habe ich von ihr“, sagte ich.

„Dir gefallen rote Haare nicht?“, fragte Joyce.

„Nicht so sehr“, grinste ich.

„Und auf welche Farbe stehst du dann?“

„So in etwa wie die von Finley“, antwortete ich.

„Oh“, sagte Joyce und wir fingen an zu lachen.

 

* * *

 

Nachdem wir gegessen und ich auch noch Erin, die Tochter des Hauses, kennen gelernt hatte, war ich auf mein Zimmer gegangen um ein wenig Ruhe zu haben. Ich nahm mein Moleskine heraus und schrieb ein wenig meine Gedanken hinein.

Ich hörte vor meiner Tür Geräusche und schaute auf. Ich erhob mich von meinem Bett und öffnete die Tür, doch keiner stand davor. Nur auf dem Boden lag ein zusammen gefalteter Zettel. Ich hob ihn auf und öffnete ihn. >Sorry Kevin, das wollte ich nicht! Nick< war darauf zu lesen.

Ich hörte den Türgong und verzog mich wieder in mein Zimmer. Es dauerte nicht lange und es klopfte an meiner Tür.

„Kevin, du hast Besuch“, hörte ich Joyce rufen.

Nun war ich ein Tag hier und es schien schon so, als würde ich schon immer hier zuwohnen. Ich ging also wieder zu Tür und öffnete sie. Ich folgte Joyce, die bereits den halben Flur hinter sich hatte in die Küche.

Dort fand ich Finley vor, der mich mit einem Lächeln begrüßte.

„Hi, Kevin, so sieht man sich wieder“, hörte ich ihn sagen.

„Hallo Finley. Wir wollten uns doch morgen sehen“, sprach ich.

„Joyce hat mich angerufen und meinte Nick wäre verschwunden, nachdem du ihm etwas gesagt hast.“

„Gesagt?  Er hat ihn angeschrien“, meinte Joyce und verließ die Küche wieder.

Ich wurde rot. Finley schaute mich an und grinste.

„Einen Tag hier und schon alles auf den Kopf gestellt“, sagte er nur.

„Ich weiß selber, dass ich einen prima Start hingelegt habe, aber ich konnte mich nicht zurück halten, ich sage eben immer, was ich denke.“

„Und was denkst du über mich?“, fragte mich Finley um mich zu necken.

Kann man noch roter werden?

„Erwischt! Also, was hast du dem guten Nick an den Kopf geworfen?“

„Ich hab ihm nur dasselbe gesagt wie du, dass ich schwul bin“, antwortete ich.

„Und?“

Na ja, ich gebe zu ich habe ihn angeschrien, weil ich sauer war, wie er dich abfertigte.“

„Wie hat Nick reagiert?“

„Er ist weggelaufen, ohne einen Ton zu sagen.“

„So wie bei mir also.“

„Ja. Aber ich denke, bei mir hat es ihn mehr getroffen, weil ich ihn vor seinen Eltern bloß stellte.“

„Was hast du?“

„Das kurze, heftige Gespräch fand in einer Lautstärke statt, die hier im Haus wohl nicht zu überhören war, so kamen beide auch in mein Zimmer.“

„Oha!“

„Ja, oha. Danach suchte er das Weite, aber er scheint wieder hier zu sein.“

„Wie das?“

„Ich habe eben den Zettel vor meiner Tür gefunden.“

Ich reichte Finley den Zettel.“

„Das sind ja ganz neue Töne von Nick“, meinte Finley, nachdem er es gelesen hatte.

„Und was machen wir jetzt?“, fragte ich nervös.

„Zu ihm gehen was sonst“, antwortete Finley.

Er verließ die Küche und ich folgte ihm. Nach dem wir das obere Stockwerk erreicht hatten, blieb Finley vor einer der Türen stehen. Er klopfte, aber es kam keine Reaktion von Innen.

„Nick, ich kann auch wieder gehen, wenn es dir lieber ist“, rief Finley, blieb aber stehen.

Von drinnen war ein Knacken zu hören und die Tür öffnete sich einen Spalt. Finley öffnete sie und zog mich hinter sich her. Nick saß auf einem Sessel vor dem Fenster und starrte hinaus. Ich sah Finley hilflos an, der mich aber anwies, mich auf Nicks Bett zu setzen.

Er dagegen ging neben Nick auf die Knie.

„Es tut mir leid Nick, ich wollte dich mit nichts verletzen, ich wollte nur ehrlich sein zu dir“, begann Finley.

„Wie lange weißt du das schon?“, sagte Nick leise.

„Dass ich schwul bin?“

Nick nickte, drehte sich aber nicht um.

„Schon eine ganze Weile.“

„Und warum hast du es mir dann nicht früher gesagt?“

„Weil ich es mich nicht traute, um vielleicht einer solchen Situation, wie sie jetzt herrscht, aus dem Weg zu gehen“, antwortete Finley.

Nick schwieg, und Finley schaute zu mir herüber, ich zuckte mit den Schultern.

„Du denkst also auch ich bin schwul?“, kam es plötzlich von Nick.

„Ich denke gar nichts, aber wieso auch?“

„Meine Eltern, denken das!“

„Stimmt es?“

Nick drehte sich um und schaute Finley an. Ich war darauf gefasst, dass er jetzt gleich anfangen würde zu schreien, aber er blieb ruhig.

„Ich weiß es nicht“, kam es fast flüsternd von Nick, der sein Gesicht wieder zum Fenster drehte.

„Sind wir noch Freunde?“, fragte Finley ebenso leise.

Nick nickte kurz und ich hörte ihn schluchzen. Finley nahm ihn zärtlich in den Arm. Mir war unwohl und beschloss zu gehen.

„Nein Kevin, bleibe hier“, hörte ich Nick leise sagen.

Also ließ ich mich langsam aufs Bett zurück gleiten und schwieg weiterhin.

Finley ließ Nick los, der sich die Tränen aus den Augen wischte. Er stand auf und kam auf mich zu.

„Können wir noch mal von vorne beginnen?“, fragte Nick und streckte mir die Hand entgegen.

„Ich bin Kevin und für ein Jahr euer neuer Mitbewohner“, sagte ich und schüttelte ihm die Hand.

Nick lächelte.

„Danke!“

„Für was?“

„Dass du mir eine zweite Chance gibst!“

„Na ja, ich habe dir beim ersten Mal auch nicht wirklich eine Chance gegeben, oder?“

„Nicht wirklich“, sagte Nick.

Finley grinste mich an. Er kniete immer noch auf dem Boden und sah sogar süß dabei aus. Irgendwie war der Faden jetzt verloren, denn ich saß auf dem Bett, Nick stand vor mir und Finley immer noch kniend auf dem Boden.

„Vielleicht sollte ich nun wirklich gehen, ihr habt euch bestimmt noch einiges zu sagen“, meinte ich und erhob mich wieder.

„Willst du nicht hier bleiben?“, fragte mich Nick, als würde er vor etwas Angst haben.

„Wollt ihr beide das wirklich? Ich meine, ihr kennt mich gerade mal ein paar Stunden, du Nick eigentlich seit ein paar Minuten.“

„Schon“, sagte Nick, „aber du wirst jetzt ein Jahr hier wohnen und nachdem wir so … na ja intime Dinge ausgesprochen haben, solltest du hier bleiben.“

„Wirklich? Dein Bett ist äußerst bequem und ich will nicht laufend aufstehen müssen.“

Finley fing laut an zu lachen und erhob sich aus seiner unbequemen Stellung ließ sich auf den Sessel fallen.

„Du bist also der Sohn von Susan?“

Ich schaute Finley an.

„Du kennst meine Mutter?“

„Nicht direkt, aber sie scheint hier sehr bekannt zu sein, man erzählt noch viel von ihr“, antwortete Finley.

„Bin ich also hier bekannt, ohne es zu wissen?“

„So kann man es sagen“, meinte Nick.

„Auf was habe ich mich da nur eingelassen?“, fragte ich und ließ mich nach hinten fallen, was ich aber gleich wieder bereute, da ich mir mein Kopf an der Rückwand anschlug. Nick und Finley fingen an zu Lachen.

Viel später danach, lag ich in meinem Bett und dachte über diesen Tag nach. Er hätte anders laufen können, aber er tat es nicht. Mit einem Lächeln auf meinen Mund und der Ungewissheit, was noch folgte, schlief ich nach diesem ersten, doch sehr aufregenden Tag ein.

 

* * *

 

Durch lauten Krach im Haus wurde ich geweckt. Es schien sich wohl um eine morgendliche Diskussion zu handeln, wer wie lange das Bad benutzen durfte. Erin war wohl der Wortführer und das auch noch recht laut.

Ich sah auf meinen Wecker und vergrub mich wieder in mein Kissen. Wie konnte man so früh am Morgen, solchen Lärm machen? Der Lärm legte sich langsam und ich schlummerte wieder ein. Die ersten Sonnenstrahlen kitzelten mich wach.

Gähnend richtete ich mich auf und schaute mich in dem ungewohnten Zimmer um. Ich entschloss mich erst mal zu duschen, damit ich vollends wach werden würde. Nach dem Duschen, stand ich unschlüssig vor dem Schrank, nicht wissend, was ich anziehen sollte.

Ich entschloss mich für etwas Bequemes und ging danach in die Küche.

„Schon wach?“

„Wach ist gut“, meinte ich zu Joyce, die in der Küche Essen vorbereitete, „Erins Ansicht, warum sie als erstes ins Bad muss, hat sie lautstark vertreten.“

„Daran wirst du dich gewöhnen, diese Diskussion findet jeden Morgen statt“, meinte Joyce und schob mir eine Tasse Kaffee herüber.

„Danke.“

„Milch, Zucker?“

„Nein danke, ich trinke ihn schwarz.“

Eine kurze Pause entstand, in der Joyce alles im Kühlschrank verräumte und mit dem Abwasch begann.

„Ihr hattet wohl ein erfolgreiches Gespräch in Nicks Zimmer?“

„Warum?“, fragte ich.

„Heute Morgen konnte Nick nicht mal Kyles allmorgendliche schlechte Laune aus der Ruhe bringen, so friedlich war er noch nie beim Frühstück“, antwortete sie.

„Abwarten, wie es sich entwickelt, mit nichts vorgreifen!“, sagte ich und nippte an dem viel zu heißen Kaffee.

„Okay Doktor Neumann, welche Gangart schlagen sie vor?“

Ich verschluckte mich fast am Kaffee vor Lachen, weil ich bemerkte, dass Joyce dies als Spaß auffasste.

„Lass Nick Zeit, dann wird sich alles von alleine regeln, glaub mir“, meinte ich und setzte mich an den Tisch.

Hunger hatte ich nicht wirklich, ich war keiner, der gerne morgens frühstückte. Aber der Geruch, von den leckeren Sachen, die sich überall auf dem Tisch befanden, ließ mich doch in Versuchung führen, etwas zu essen.

„Greif ruhig zu, wir essen erst heute Abend warm, wenn alle wieder zu Hause sind“, meinte Joyce und verräumte das gespülte Geschirr.

„Was machst du eigentlich, wenn die anderen nicht da sind?“, fragte ich.

„Den Haushalt schmeißen“, antwortete sie.

„Nein ich meine, in deiner Freizeit?“

„Ich weiß schon was du meinst, ich male!“

„Du malst?“

„Ja, ich male mit Vorliebe Landschaften.“

„Interessant. Darf ich deine Kunstwerke sehen?“, fragte ich und biss in ein undefinierbares Brötchen, das mehr Zucker intus hatte als ich vertrug.

„Die ich noch zu Hause habe gerne, ansonsten musst du in unseren Laden in der Stadt.“

„Ihr habt einen Laden?“

„Ja, wir verkaufen Antiquitäten, und neben her meine Landschaftsbilder.“

Wir unterhielten uns noch eine Weile, bis mir Joyce vorschlug, ihren Mann doch gemeinsam zu besuchen, um auch etwas von der Stadt zu sehen. Ich ging also wieder in mein Zimmer um mich Ausgehtauglich anzuziehen.

Joyce lenkte ihren Wagen souverän durch den Stadtverkehr von Derry. Sie zeigte mir auch, wo meine Schule lag, in die ich dann in zwei Wochen täglich musste. An einer kleinen Ladenzeile hielt sie an und parkte.

„An den Linksverkehr werde ich mich wohl nie gewöhnen“, meinte ich, als wir ausstiegen.

Auf einem älteren hölzernen Schild prangte mir >McGills Antiquitäten< entgegen. Ich sah mir die Auslage im Schaufenster an, bevor ich Joyce in den Laden folgte. Sofort fielen mir die Bilder in einer Ecke des Ladens auf.

Bilder in herrlichen Farben, mit schönen Motiven. Unten in der Ecke jedes Bildes waren die Initialen von Joyce zu entdecken.

„Schatz, ich glaube du hast gerade einen neuen Fan gefunden“, hörte ich Mr. McGill hinter mir sagen.

„Guten Morgen, Mr. McGill“, sagte ich, während ich mich zu ihm umdrehte.

„Guten Morgen, Kevin. Nach dem du schon zu meiner Frau du sagst, kannst du es bei mir auch tun! Bob heiße ich.“

„Danke Bob!“

„Wie war deine erste Nacht?“

„Traumreich aber ruhig und erholend“, antwortete ich.

„Das hört sich gut an.“

Ich schaute mich ein wenig um, bestaunte die alten Möbel, die hier standen.

„Und der Laden läuft?“, fragte ich.

„Ja, er wirft genug ab, um davon zu leben“, antwortete Bob.

Mir hatte es eine kleine Figur aus Stein angetan. Gebannt schaute ich sie an, doch der Preis, riss mich wieder aus den Träumen.

„Das ist eine alte keltische Steinfigur“, hörte ich Bob sagen, „sie stammt aus der Zeit, als Patrick lebte.“

„Patrick?“

„Ja Patrick, er erschloss sozusagen Irland für das Christentum. Wenn du mehr Interesse daran hast, zu Hause haben wir jede Menge Bücher darüber.“

„Gerne. Gib es eigentlich alte Schriften aus dieser Zeit?“

„Die Kelten hatten keine Schrift, jedenfalls nicht in der Form, wie wir sie kennen.“

„Wie wurde dann etwas von den Kelten überliefert?“, fragte ich verwundert.

„Meist durch alte Schriften der Römer oder Griechen, die Kelten selbst besaßen nur die Oghamschrift, die aus sechzehn Zeichen bestand. Die wurde für kurze Nachrichten benutzt und meist in stehende Steine eingeritzt, die aber auch nur von den Druiden beherrscht wurde“, antwortete Bob.

„Also, sind alle Überlieferungen aus frührer Zeit, auf die Römer und Griechen zurückzuführen?“

„Ja, selbst bei Patrick ist man sich nicht ganz sicher, ob er nicht mit einer zweiten unbekannten Person, geschichtlich, verschmolzen wurde.“

„Hat er dich schon angesteckt?“, fragte Joyce.

Ich musste Lachen und stellte die Figur wieder zurück ins Regal, die ich die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte.

„Muss zugeben, dass alles hört sich schon interessant an. Ich würde gern mehr erfahren, über die Druiden und was es zu der Zeit so gab“, antwortete ich.

„Dann lass ich euch beiden mal alleine und gehe einkaufen“, meinte Joyce.

Sie gab ihrem Mann einen Kuss, wuschelte mir durch die Haare und verließ den Laden. Bob bot mir einen Tee an und kümmerte sich dann um einen Kunden, der eben den Laden betrat. Auf Bobs alten Schreibtisch, lagen überall Schriften und Bücher verstreut.

Auf einem Cover konnte ich Druiden entziffern. Ich nahm es mir und setzte mich auf einen Stuhl. Und da kam wieder mein altes Problem, ich konnte zwar sehr gut Englisch reden, aber lesen und schreiben.

Langsam arbeitete ich mich durch die erste Seite, bevor ich merkte, dass es nur eine Widmung des Autors war. Ich blätterte ein paar Seiten weiter und begann erneut mich durch den Buchstabenurwald zu kämpfen.

„Was liest du da?“, fragte mich Bob, der kurz bei mir vorbei schaute.

„Irgendwas mit Druiden“, meinte ich und zeigte ihm das Cover.

„Stimmt, da steht drin, was man beherrschen musste, um Druide zu werden.“

„Könnte man Druiden eigentlich als Zauberer, der frühen Zeit bezeichnen?“

„Moment, ich beantworte dir deine Fragen gleich, ich muss den Kunden noch fertig bedienen.“

„Kauft er was?“

„Ja!“, sagte Bob, mit einem strahlenden Gesichtsausdruck.

Während Bob die Ware einpackte, vertiefte ich mich wieder in den Text. Das konnte ja heiter werden. Ein Jahr auf dieser Schule und ich hatte so Schwierigkeiten. Also weiter im Text, ich wollte ja was lernen.

Druiden wurden in Irland auch Drui genannt, so weit kam ich, denn Bob kam zurück und setzte sich zu mir.

„Also Druiden würde ich nicht als Zauberer oder Magier bezeichnen, Druide ist der Oberbegriff für die gesamte Priesterklasse gewesen.“

„Also Keiner, der irgendwelche Tricks oder Heilmittelchen auf Lager hatte?“, fragte ich.

„Doch schon, ein Druide hatte sehr viel Aufgaben unter anderem auch Heilung, oder Religion, Weissagung, Dichtung oder auch Recht.“

„Recht? Gab es da nicht irgendwie Herrscher dafür?“

„Bei den Kelten lief das anders, es gab zwar Könige, in Irland auch jede Menge davon, aber ohne einen Druiden konnte ein König nicht handeln, aber ich sehe schon an deinem Gesicht, ich muss weiter ausholen.“

„Ich bitte darum“, sagte ich mit einem Lächeln.

„Das keltische Irland war in ungefähr 150 Kleinkönigtümer auch Tuath genannt eingeteilt. Diese wiederum wurden zu erweiterten Königtümern zusammengefasst, von denen es ungefähr dreißig gab.“

„Hört sich kompliziert an“; meinte ich.

„Nicht so schlimm. Diese Dreißig wurden von sieben Provinzkönigen regiert und diese von einem Hochkönig, den man auch Ard ri nannte.“

„Und jeder hatte einen eigenen Druiden?“

„Ja, jeder!“

„Das gibt ja ganz schön viele.“

„Druiden kannst du mit unserer heutigen Rechtssprechung vergleichen. Sie machten Vorschläge, oder urteilten Menschen ab und der König führte diese Vorschläge oder Urteile aus.“

„Für mich hatten Druiden immer etwas magisches“, sagte ich.

„So gesehen, hatten sie in der Zeit schon etwas Magisches. Alleine durch ihr Grundwissen in der Heilkunde über Pflanzen, Wirkungen durch Kräuter hatten sie diesen Schein.“

„Also könnten die erfundenen Geschichten, die man sich über Druiden erzählt, durchaus möglich sein, oder?“

„Ja, das können sie.

Anscheinend freute sich Bob über mein Interesse. Er war voll in seinem Element und erzählte mir noch mehr von Druiden und Königen dieser Zeit. Es dauerte nicht lange und Joyce tauchte mit ihren Einkäufen wieder auf.

„Hallo ihr beiden, und habt ihr euch gut unterhalten?“, fragte sie.

„Sehr gut!“, sagte ich mit einem Lächeln.

Bob lächelte ebenfalls.

„Hast du wieder ein Opfer für deine Keltengeschichten gefunden“, sagte Joyce und ich merkte, dass dies er liebevoll gemeint war.

„Ja, Kevin zeigt großes Interesse an diesem Thema.“

„Gut, dann könnten wir doch irgendwann am Wochenende aufs Land fahren, etwas angucken, oder so“, meinte Joyce.

„Sicher, Nick wird bestimmt mitfahren. Außer ihr beiden habt noch nicht alles geklärt zwischen euch“, sagte Bob zu mir.

„Doch, soweit ist alles ausgebügelt“, gab ich von mir.

Bob sah mich länger an und ich bemerkte er hatte etwas auf dem Herzen. Ich schaute zwischen Bob und Joyce hin und her.

„Was ist?“, fragte ich.

„Das würden wir dich gerne fragen!“, sagte Joyce

„In Bezug auf was?“

„Nick!“, sagten beide gleichzeitig.

„Also, ich kann euch da nicht viel erzählen, er hat sich zu dem Thema, für das ihr euch sicher interessiert, also ob er schwul ist, nicht geäußert. Und außerdem würde ich auch nichts sagen, dass ist alleine Nicks Aufgabe, euch das zu erzählen!“

Beide sprachen kein Wort, aber nickten mir zu.

„Ich hoffe ihr seid mir nicht böse deswegen, aber im Grunde genommen geht es mich auch nichts na, ich bin nur Gast bei euch“, schob ich leise hinterher.

„Nein sind wir nicht und du hast auch völlig recht, falls dir Nick etwas anvertraut, sollst du das auch für dich behalten, finde ich edel von dir“, meinte Bob.

„Ich hätte auch nichts anderes erwartet, von dem Sohn meiner Freundin“, lächelte Joyce.

„Da du gerade von meiner Mutter anfängst. Sie scheint hier ja sehr bekannt zu sein?“, fragte ich.

„Ja, das ist sie heute noch!“, grinste Bob.

„Darf ich den Grund erfahren, also ich meine, hat sie irgendwas Schlimmes gemacht, um so in den Gedächtnissen zu bleiben?“

„Schlimm war vielleicht der Schlag, dem sie unserem Kapellmeister damals versetzte, der tat sicher weh“, grinste Bob.

Ich sah die beiden verwirrt an.

„Nun reiß doch nicht einfach einen Teil aus der Geschichte heraus, wenn dann erzähle Kevin die komplette Version“, meckerte Joyce.

„Ist ja schon gut, Liebling“, meinte Bob.

Also setzte sich Joyce zu uns und Bob schenkte noch einmal Tee aus. Dann begann Bob zu erzählen.

„Wie jedes Jahr, feiern wir am 17. März den St. Patrick Day zum Gedenken an Patrick, der an diesem Tag 461 gestorben ist. Nun ja, so wie immer beteiligte sich die ganze Stadt an den Feierlichkeiten, auch die Schulen.“

Bob nahm einen Schluck, bevor er weiter sprach.

„Die Oberstufe, in der wir und auch deine Mutter waren, hatte sich für die Parade, die wieder stattfinden sollte, etwas Besonderes überlegt. Es wurde alles mit den Stadtältesten besprochen und genehmigt.“

„Und was habt ihr euch so besonderes überlegt?“, fragte ich.

„Wir wollten an die typischen irischen Klänge und Tänze erinnern und diese auch auf der Bühne vortragen.“

„Und was für ein Problem gab es da?“, fragte ich weiter.

„Probleme hatten wir mit dem Kapellmeister, der wie jedes Jahr für die Musik zuständig war und eine weiter Musikgruppe neben sich nicht duldete“, kam es von Joyce.

„Ich dachte aber, es wäre alles genehmigt worden“, meinte ich.

„Ja, das schon, aber der Kapellmeister stellte sich quer“, sagte Bob, „als wir unsere Auftritte hatten und die Tänze zeigten und unsere Musikgruppe, ihre Musik zum Besten gab, stellte er seine Kapelle einfach an eine andere Stelle auf und spielte seine Musik wie jedes Jahr.“

„Oha“, entfleuchte es mir.

„Ja! Die Gäste waren sehr irritiert, da sie nun nicht mehr wussten welcher Musik sie zu hören sollten“, meinte Bob.

„Und was hat das mit meiner Mutter zu tun?“, fragte ich.

Beide begannen zu lachen.

„Deine Mutter gehörte zu unserer Tanzgruppe. Sie hüpfte wütend von der Bühne, mitten im Tanz rannte zur Kapelle, scheuerte dem Kapellmeister eine und entriss ihm seinen Dirigentenstab. Abrupt und vor Schock hörte die Kapelle auf zu spielen und deine Mutter kam zurück und beendete mit uns den Tanz“, erzählte Bob grinsend.

Ich verzog ein wenig das Gesicht und fuhr mir über die Wange.

„Und was passierte dann?“

„Du wirst es kaum glauben, der Kapellmeister wurde von den Ältesten danach getadelt, mit der Begründung, dass er sich in die Bemühungen unserer Stadt, durch die Jugend, eingemischt und gehindert hatte. Deine Mutter musste sich nicht einmal bei dem Mann entschuldigen“, erzählte Bob weiter.

„Und das hat wohl jeder in der Stadt mitbekommen?“, fragte ich leise.

Beide nickten und grinsten sich eins.

„Und jeder in der Stadt weiß natürlich, dass ich der Sohn bin?“, fragte ich weiter.

„Na ja nicht jeder, aber viele!“, lachte Bob.

„Oh Gott, wo bin ich hier nur hingeraten“, sagte ich, wodurch die Beiden nur noch mehr lachten.

„Da kann ich mich ja nirgends mehr sehen lassen, mich hält doch jeder für den Sohn einer Schlägerin“, sagte ich.

„Nein, so schlimm ist es nicht, deine Mutter genießt hier sehr hohes Ansehen“, sagte Joyce.

„Von dem Allem, hat sie mir nie was erzählt“, meckerte ich.

„Sie wird sicherlich ihre Gründe haben“, kam es von Joyce.

„Das kann ja echt heiter werden, gibt es noch mehr Überraschungen von den ich nichts weiß.

Joyce und Bob grinsten weiter und nippten an ihrem Tee.

 

* * *

 

Am späten Mittag kamen Nick, Kyle und Erin aus der Schule zurück. Mir gefiel die Schuluniform die sie trugen. Alle drei verschwanden gleich auf ihr Zimmer um sich anscheinend umzuziehen. Ich dagegen hatte mich auf mein bett zurückgezogen und versuchte in einem Buch zu lesen, dass mir Bob empfohlen hatte.

Feiner Teegeruch durchzog das Haus und lockte mich zu Joyce in die Küche.

„Auch eine Tasse?“, fragte sie.

„Ja, danke gerne.“

Es dauerte nicht lange, bis auch der Rest in der Küche eingefunden hatte. Nick hatte sich auf die Eckbank verdrückt und lass in irgendeinem Buch. Erin und Kyle stritten sich um etwas aus der Schule, das heute wohl die Runde gemacht hatte.

Ich beobachtete die Drei und nippte an meiner Tasse Tee.

„Du Nick, Kevin war mit mir heute bei Dad und hat großes Interesse an den Kelten gezeigt“, sagte Joyce plötzlich.

„Wirklich?“, fragte er und sah mich an.

Ich nickte ihm zu.

„Hättest du Lust nachher noch spazieren zu gehen?“, fragte er weiter.

„Ja, können wir machen. An die große Lichtung?“

„Die kennst du schon?“

„Du vergisst, dass ich dort Finley kennen gelernt habe.“

„Stimmt, also wollen wir?“

„Jetzt gleich? Da muss ich mich wärmer anziehen, draußen geht ein ziemlicher Wind!“

„Okay, in fünf Minuten draußen vor der Tür.“

Schnell war ich umgezogen und traf Nick draußen vor der Tür, Wir gingen denselben Weg, den ich gestern auch genommen hatte. Diesmal dauerte es nicht so lange, bis wir die kleine Anhöhe erreicht hatten.

Die ganze Zeit hatte Nick keinen Ton neben mir gesagt. Irgendwie genoss ich die Stille

„Wie ist es eigentlich einen Jungen zu küssen?“, fragte Nick plötzlich.

Etwas verschreckt schaute ich ihn mit großen Augen an.

„Da fragst du den Falschen“, antwortete ich leise und lief weiter.

„Wieso… du bist doch schwul?“

„Das heißt aber nicht, dass ich schon einen Jungen geküsst habe.“

„Du hast nicht?“

„Nein!“

„Hätte ich jetzt nicht gedacht“, sagte Nick und vergrub sich noch weiter in seine Jacke.

„Nick, es macht keinen Unterschied zwischen Mädchen oder Jungen. Meinst du für mich ist es leichter einen Freund zu finden, wie für dich eine Freundin, eher viel schwerer.“

„Wieso dass denn?“

„Nick es läuft nicht jeder mit dem Schild herum, ich bin schwul.“

Er grinste vor sich hin.

„Nehmen wir an, ich würde mich in dich verlieben.“

Nick wollte schon etwas sagen, aber ich ließ ihn erst gar nicht zu Wort kommen.

„Wie sollte ich das anstellen? Zu dir hingehen und sagen ich liebe dich?“

„Du kannst es ja versuchen!“, kam es von Nick.

War das jetzt Spaß oder im Ernst gemeint, ich wurde unsicher.

„Haha, sehr lustig. Wenn ich Pech habe, bekomme ich dann eins auf die Nase.“

„Würde ich nie tun“, sagte Nick und hob die Hand, als wolle er mir das schwören.

„Wieso weißt du nicht ob du schwul bist oder nicht?“, fragte ich nun ihn.

Stille trat ein.

„Wie soll ich das erklären…?“

„Ruhig und gelassen, ich bin ganz Ohr!“

„Du denkst jetzt sicher an Finley, oder?“

„Ja, der kam mir dabei auch in den Sinn.“

„Stimmt schon, das ich mich mit oder bei Finley, sehr wohl fühle.“

„Aber du weißt nicht, wie du damit umgehen sollst?“

„Nein weiß ich nicht. Und als Finley mir sagte er wäre schwul, bekam ich Panik.“

„Vor dir selbst?“

„Woher weißt du?“

„Nick, ich habe dass alles schon selbst durch gemacht.“

„Also bin ich jetzt schwul?“

„Mach mal langsam. Denkst du an Sex?“

„Was soll die Frage?“

Ich blieb stehen und schaute ihn an.

„Du denkst sicher an Sex, aber wie denkst du daran, ich meine, hast du Vorstellungen von Mädchen oder Jungen?“

Nicks Augen wurden immer größer.

„Ich habe da noch nie mit jemandem darüber geredet.“

„Wenn du nicht möchtest, ist es nicht schlimm, ehrlich nicht“, versuchte ich ihn zu beruhigen.

„Doch, doch, aber das Gespräch lässt mich gerade nicht kalt.“

„Spielen die Hormone verrückt?“, fragte ich grinsend.

„Nicht nur die“, bekam ich von Nick als Antwort zurück.

Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und nahm Nick einfach in den Arm und drückte ihn einen Kuss auf den Mund. Der anfängliche Widerstand, sein Sträuben, seine Abwehrhaltung verschwanden.

Ich drückte ihn sanft von mir Weg und sah ihm in seine Augen.

„Man kannst du geil küssen“, sagte Nick lächelnd.

„Damit ist deine Frage jetzt ja wohl geklärt, wie es ist, Jungen zu Küssen“, sagte ich und lief weiter.

„Dann beantworte ich mal deine Frage und sage Ja!“

„Was ja?“

„Ich denke an Sex mit Jungen, aber auch mit Mädchen.“

„Was wiegt mehr auf?“, fragte ich.

„Jungen… besser gesagt Finley“, kam es leise von Nick und ich blieb wieder stehen.

„Du hast dich in Finley verliebt, kannst aber noch nicht zu deinen Gefühlen stehen, oder?“

„Kevin, du bist überhaupt der Erste, mit dem ich darüber rede.“

„Du weißt, dass Finley dich liebt?“

„Bitte?“

„Meinst du, warum Finley dir das gesagt hat, sich vor dir geoutet hat? Er wollte ehrlich sein zu seinem Freund und keine Geheimnisse vor dir haben. Er liebt dich, er kennt dich sehr gut und auch schon sehr lange.“

Nick schaute mich nur an, aber sagte nichts zu mir.

„Ich dränge dich zu nichts, aber denk in Ruhe mal darüber nach, was du machen willst, ob du zu dir stehen willst. Ich tu es auf alle Fälle und bin für dich da!“, sprach ich leise weiter.

Nick fiel mir um den Hals und weinte leise.

 

* * *

 

Zwei Tage war ich nun da und war schon so vereinnahmt. Wieder lag ich in meinem Bett und schrieb nieder, was ich den Tag so erlebte. Zu Hause hatte ich Angst, dass es mir hier zu langweilig werden könnte.

Dachte, ich würde starkes Heimweh bekommen. Und nun war ich gerade dabei, im Leben eben. Ich legte mein Tagebuch Weg und löschte das Licht. Es dauerte nicht lange und ich fiel in einen langen unruhigen Schlaf.

Als ich erwachte lag ich auf einer Wiese, die Sonne schien und ich hörte Gemurmel in der Ferne. Zuerst wusste ich gar nicht was los war. Wo war ich, wie bin ich hier her gekommen? Ich richtete mich auf.

Ich lag auf keiner Wiese sondern auf der kleinen Lichtung, wo ich am Vorabend mit Nick war. Aber es sah irgendwie anders aus. Genauso hatte ich komische Kleidung an. Es war ein braunes Gewand und ich hatte Sandalen an.

Total verwirrt stand ich auf. Es war die gleiche Lichtung, aber ich konnte die Häuser nicht sehen, es standen einfach keine da. Nur ein paar alte Holzhütten mit einer großen Feuerstelle konnte ich ausmachen.

Leise schritt ich dem Gemurmel nach, das aus der Nähe zu kommen schien. Ich sah einen alten Mann im weißen Gewand. Seine Haare waren ergraut, ebenso sein Bart, der lange nach unten hing.

„Ich habe euch erwartet, junger Kevin“, sagte er plötzlich und drehte sich zu mir.

Erschrocken blieb ich stehen.

„Ihr kennt meinen Namen?“, fragte ich leise.

„Ja, ich habe deinen Geist gerufen, damit du mir hilfst“, sprach der Mann weiter.

„Meinen Geist? Jetzt verstehe ich gar nichts mehr“, kam es von mir.

Der Mann schritt auf mich zu und blieb dicht vor mir stehen.

„Auch wenn du es nicht glaubst, du bist nun im Jahre 452, ich habe dich hier hergeholt, um mich deiner Hilfe zu bedienen.“

„Meiner Hilfe, wem kann ich schon helfen, überhaupt in dieser Zeit, ich weiß doch überhaupt nichts.“

„Doch junger Kevin, du wirst mir eine sehr große Hilfe sein, ich habe die Sterne gefragt und sie haben mir dich geschickt.“

War ich am verrückt werden, oder träumte ich, ich wusste es selbst nicht mehr. Unsicher sah ich mich um, konnte aber aus dem Wald und der Wiese nichts weiter erkennen.

„Mein Name ist MacConroy und ich bin Maghnus Druide“, stellte sich der Mann vor.

„Das ich Kevin bin, wisst ihr ja bereits. Aber sagte mir bitte, für was braucht ihr mich?“.

„Es steht ein großer Krieg zwischen den Tuathen an und ich brauche dich um ihn zu verhindern“, antwortete MacConroy.

„Einen Krieg? Ich verhindern? Wie stellt ihr das euch vor?“, fragte ich entsetzt.

„Mit deinem Wissen über unsere Kultur, wirst du mir Hilfe genug sein, aber nun kehre zurück in deine Welt, wir werden uns hier wieder sehen“, sagte er und langsam wurde alles um mich Dunkel herum.

Ich lag wieder in meinem Bett, es schien schon später zu sein, denn die Sonne war bereits aufgegangen. Total von der Rolle sprang ich aus meinem Bett und lief zu der kleinen Bibliothek. Ich stand vor den großen Regalen und suchte nach einer Jahreszahl.

Überall hingen kleine Hinweiszettel.

„Willst du nicht erst frühstücken?“, kam es von hinten.

Erschrocken drehte ich mich um, Joyce stand vor mir. Langsam wurde mir bewusst, dass ich nur in Shorts vor ihr stand, das war oberpeinlich.

„Ich habe… habe etwas geträumt und wollte etwas nachsehen“, stammelte ich.

„Gut, dann zieh dich erst mal an und dann wird gefrühstückt, danach kannst du immer noch schauen“, sagte Joyce und verschwand wieder.

Es schien noch jemand da zu sein, ich hörte Joyce in der Küche mit jemandem reden. Peinlich berührt lief ich wieder in mein Zimmer und stolperte fast über Nick.

„Morgen Kevin“, sagte er und half mir wieder auf.

Er musterte mich von oben bis unten, denn ich stand immer noch nur in Shorts da.

„Nett“, meinte er grinsend und lief die Treppe hoch in sein Zimmer.

Hoch rot lief ich zurück in mein Zimmer und stellte mich gleich unter die Dusche. Kann es etwas Peinlicheres geben, wie das eben? Fertig angezogen, erschien ich wenig später in der Küche, in der Joyce und Nick saßen und noch am Frühstücken waren.

„Morgen“, brummelte ich und setzte mich an den Tisch.

„Du bist ja wirklich total daneben, was hast du nur geträumt?“, fragte Joyce und schenkte mir einen Kaffee ein.

Ich erzählte ihnen haargenau, was ich geträumt hatte. Sie sahen sich beide nur kurz an und fingen dann laut an zu lachen.

„Ich habe ja schon viel gehört, Kevin, aber das jemand von den Kelten so vereinnahmt wurde, bis jetzt noch nicht“, kam es von Joyce und biss von ihrem Brot ab.

„Moment“, sagte Nick und verschwand kurz um kurz darauf mit einem Buch wieder zu erscheinen.

„Komisch, aber diesen MacConroy und Maghnus gab es wirklich, Mum“, sagte Nick und setzte sich wieder zu uns.

„Und die Zeitangabe stimmt auch ungefähr“, sprach er weiter.

Mir war das doch jetzt sehr unheimlich, weil ich dieses Buch, dass Nick in der Hand hatte noch nie gesehen hatte, geschweige denn etwas aus dieser Zeit wissen konnte.

„Für einen Traum war das auch sehr genau, was du uns da erzählt hast“, meinte Joyce plötzlich.

Ratlos saßen wir alle drei am Tisch. Nick überflog die Seiten

„Von was für einen Krieg hat der geredet, ich kann keine Angaben darüber finden“, sagte Nick und blätterte weiter.

„Es war doch nur ein Traum, das habe ich bestimmt irgendwo gelesen, woher sonst kenne ich die Daten und Namen so genau?“, fragte ich.

„Kevin, diese Zeit ist mit Berichten und Überlieferung sehr mager, also es gibt nicht viel darüber zu lesen. Es ist nur eins gewiss, dass Maghnus hier um diese Zeit Provinzkönig war“, sagte Nick.

Mir blieb der Bissen fast im hals stecken, ich fing an zu husten. Joyce klopfte mir auf den Rücken und hielt mir ihr Glas Wasser entgegen. Am Liebsten würde ich das jetzt alles vergessen, und versuchte das Thema zu wechseln.

„Warum bist du heute nicht in der Schule?“, fragte ich Nick.

„Lehrerausflug”, betrifft aber nur unsere Stufe“, antwortete Nick.

„Du hast also frei heute?“

„Ja, und schon etwas vor heute morgen?“

„Nein, ich dachte, Joyce hat eine Idee, wusste ja nicht, dass du heute zu hause bist.“

„Ich sehe schon, mein Typ ist heute nicht gefragt. Soll ich Mittagessen kochen?“, mischte sich Joyce in das Gespräch.

Nick sah mich kurz an und schüttelte den Kopf.

„Nein, ich rufe nachher noch Finley an und sind dann über Mittag nicht zu Hause“, sagte Nick.

Ich sah ihn fragend mit großen Augen an, aber ich bekam keine Reaktion von ihm. Nach dem Frühstück, halfen wir beide noch alles zu verräumen. Kaum aus der Küche hing Nick auch schon am Telefon und hatte Finley an der Strippe.

„Okay, wir warten hinter dem Haus auf dich, bye bis gleich“, sagte Nick und legte auf.

„Was stehst du hier noch herum, zieh dir was über, Finley kommt gleich vorbei uns abzuholen“, meinte Nick zu mir.

Sprachlos ging ich in mein Zimmer, zog meine festen Schuhe an und kam mit meiner Daunenjacke zurück an die Haustür, an der Nick schon wartete.

„Ohne Klamotten, machst du einen besseren Eindruck“, sagte er und ließ mich in der offenen Haustür stehen.

Wie in Trance lief ich hinter ihm her und konnte Finley hinter dem Haus entdecken.

„Morgen ihr zwei, nah gut geschlafen?“, fragte Finley.

„Ich schon, aber unser Festländler hier hatte eine Vision“, meinte Nick.

„Eine was?“, fragte Finley und ich gleichzeitig.

„Kevin, du hast viel zu detailliert geträumt, als dass sich es nur um Träumerei handeln würde, oder was denkst du Finley?“

„Um was geht es denn eigentlich?“, fragte Finley.

In kurzen Worten gab Nick meinen Traum wieder.

„Und was hast du jetzt vor?“, fragte Finley.

„Ich will mit euch an den Ort des Geschehens, um zu schauen, ob wir irgendetwas finden können“, antwortete.

„Aha“, sagte ich nur.

Finley grinste mich an.

„Keine Sorge Kevin, Nick und sein Vater sind den Kelten verfallen, ich bin das schon gewohnt“, sagte Finley zu mir.

Ich schaute zwischen Nick und Finley hin und her.

„Also, wenn ihr meint, wir finden dort was, lasst uns gehen“, sagte ich und lief langsam zwischen den Beiden hinter her.

Ich konnte nicht verstehen was Nick zu Finley sagte, aber dieser strahlte über beide Wangen. Anscheinend hatte das Gespräch gestern Abend doch gefruchtet und Nick wollte Finley seine Situation erklären.

Jedenfalls bekam ich noch mit, dass Finley Nick einen kleinen Kuss auf die Wange drückte.

„Wenn ich euch beide störe, sagt es bitte, ich kann auch wieder zurücklaufen“, meinte ich.

Die Beiden sahen sich an und grinsten. Sie ließen mich zu ihnen aufholen und henkten sich beide bei mir unter.

„Du bist der Grund, das wir uns wieder vertragen, da wollen wir dich doch nicht alleine lassen“, meinte Finley.

Nick beugte sich zu mir ein wenig rüber und drückte mir einen Kuss auf die Wange, Finley tat dasselbe von der anderen Seiten. Erstaunt schaute ich beide an.

„Für was nun das?“, fragte ich.

„Für deine Hilfe. Du hast uns beiden geholfen, obwohl du uns nur wenig kennst, das nenne ich einen wahren Freund“, antwortete Nick.

„Ich bin derselben Meinung wie Nick, du hast uns mit deiner offenen Art gezeigt, wo es lang geht!“, sagte Finley.

„Ist ja schon gut, hört auf, sonst glaub ich euch das Märchen vom barmherzigen Samariter noch“, meinte ich.

Beide fingen an zu lachen und bogen mir in den Wald.

„Wo sagtest du, bist du aufgewacht?“, fragte Nick.

„Da oben!“, sagte ich und zeigte die Stelle vom Traum.

„Und dann?“, kam es diesmal von Finley.

„Dann bin ich hier runter gelaufen, und dort am Wegrand, traf ich dann MacConroy“, antwortete ich.

Nick drückte mit den Schuhen das hohe Gras hinunter. Finley machte sich am Busch zu schaffen.

„Was macht ihr da, wenn ich fragen darf?“, warf ich ein.

„Wir suchen nach Hinweisen“, antwortete Finley.

„Hinweisen? Das ist doch über 1600 Jahre her, was ich geträumt habe“, meinte ich.

„Hier kommt her, ich habe etwas gefunden“, rief Nick.

Finley und ich rannte zu Nick, der vor einem hochkant stehenden, kleinen Quader stand.

„Was ist das?“, fragte ich.

„Das ist ein Oghamstein, davon gibt es vielleicht 300 in Irland“, erklärte Nick.

„Ogham? Davon hat mir gestern dein Vater etwas erzählt, ist das nicht die Schrift, die, die Druiden verwendet haben?“, fragte ich.

„Ja, siehe hier an der Ecke, hier wurden die meisten Schriftzeichen eingeritzt. Oghamschrift besteht aus ursprünglich sechzehn Zeichen und wurden später auf zwanzig verbessert. Man glaubt, sie stammt von der römischen Schrift ab, da die Zeichen sehr der römischen Zahlen gleichen, aber das sind wie gesagt nur Vermutungen“, erklärte Nick.

„Und was steht da nun?“, wollte ich wissen.

„Das kann ein Fluch sein, aber auch nur ein Hinweis auf einen Weg, der hier verlief“, meinte Nick.

„Du solltest in deinem nächsten Traum fragen, was MacConroy da hin geschrieben hat“, sagte Finley grinsend.

„Ja und mir gleich noch die Übersetzung dieser zwanzig Buchstaben beibringen, damit ich alles lesen kann“, sagte ich verstimmt.

Aber das dauerte nicht lange, denn wir fingen alle drei an zulachen. Es war irgendwie unheimlich von diesem Platz geträumt zu haben und dann auch noch etwas zu finden, was aus der Zeit stammt. Ich löste mich von den Beiden und lief zur Lichtung hinauf.

Oben angekommen ließ ich erst mal meinen Blick schweifen. Ich atmete tief durch und ließ meinen Gedanken freien Lauf.

„Einen Cent für deine Gedanken“, sagte Nick hinter mir.

„Nichts, rein gar nichts. Ich genieße nur die Aussicht und lass mich treiben.“

„Gut so, ich dachte schon, dieser Traum macht dir zu schaffen“, sagte Nick.

„Um ehrlich zu sein, das macht es auch. Aber hier oben kann man sich einfach von allem lösen.“

„Ich weiß, warum das mein Lieblingsplatz ist“, meinte Finley und nahm Nick in den Arm.

Ich dagegen ließ mich einfach nieder, setzte mich im Schneidersitz auf den Boden und schaute weiter in die Ferne. Die Beiden taten es mir gleich und setzten sich zu mir. Während ich weiter den Horizont entlang blickte, saßen die beiden neben mir und küssten sich.

Das Zeitgefühl hatte ich schon lange verloren, denn plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter.

„Es freut mich junger Kevin, das du wieder gekommen bist.“

Ich drehte mich um und hinter mir stand MacConroy. Wieder hatte ich diesen komischen Umhang an.

„Ich schlafe doch gar nicht, warum bin ich dann hier?“, fragte ich verwundert.

„Du hast einen Tagtraum, noch eine Möglichkeit für mich, mit dir Kontakt aufzunehmen“, antwortete MacConroy leise.

„Ihr habt gesagt, ich kann euch helfen einen Krieg zu verhindern, wie meintet ihr das?“

„Schwarze Wolken ziehen über das Land. Es gibt einen jungen Priester, der versucht, eine andere Religion ins Land zu bringen“, antwortete MacConroy.

„Patrick?“, fragte ich.

„Ihr kennt diesen Fremden?“

„Ja, in dem Irland, in dem ich lebe, verehrt man diesen Patrick, weil er den Glauben in das Land gebracht hat“, erklärte ich.

„Und du?“

„Ich bin nicht von hier, ich stamme aus Deutschland“, antwortete ich.

„Wo liegt das, von diesem Königreich habe ich noch nie etwas gehört“, sagte MacConroy.

„Das gab es zu eurer Zeit noch nicht. Es liegt auf dem Festland, dass sich hinter England befindet.“

„Ich sehe, du bist ein Reisender und schon viel herum gekommen.“

„Wenn man es so sieht, ja bin ich.“

„Dieser Patrick ist einigen ein Dorn im Auge. Königreiche, die sich schon bekehren lassen haben, stehen in Ungnade mit den Königen, bei denen Patrick noch nicht war.“

„Aber Patrick will doch euren Glauben nicht unterdrücken“, sagte ich stolz, weil ich auch mal etwas Geschichtliches wusste.

„Das sage ich auch nicht, aber viele Führer denken er bringt Unheil über uns.“

„Er ist nicht das Böse“, sagte ich.

„Was meinst du damit, junger Kevin?“

„Ich meine damit, er ist nicht der Teufel, verführt euch nicht zur Sünde.“

„So was kennt unser Volk nicht. Wenn hier etwas Unrechtes tut, muss er mit seinem Leben bezahlen. Zudem muss er die von Unrecht verfolgte Familie entschädigen.“

„Wie viel ist denn ein Leben wert?“

„Das kommt auf den Rang des Opfers an“, meinte MacConroy, „je nach Stellung, bekommt man ein Stück Vieh oder zwei.“

„Ihr habt wohl noch kein Geld?“, fragte ich eher aus Spaß jetzt.

„Wieder etwas aus eurer Zeit, was wir nicht kennen“, antwortete MacConroy.

„Eine Frage möchte ich euch noch stellen. Was habt ihr auf den Stein geschrieben, der da unten am Wegrand steht?“

„Das ich euch am gestrigen Tage getroffen habe“, sagte MacConroy.

MacConroy hielt mir ein Kleeblatt entgegen und drehte sich um.

„Kevin… Kevin, du träumst ja nur noch, los wir wollen weiterlaufen.“

Das kam von Nick, der hinter mir aufgestanden war. Ungläubig sah ich ihn an.

„Was ist?“, fragte er.

„Ich war wieder in der Vergangenheit“, antwortete ich leise.

„Quatsch, du saßt die ganze Zeit vor mir und an mich gelehnt“, sagte Finley.

„Ich habe aber mit MacConroy gesprochen, über Patrick und den Krieg“, erzählte ich.

Nick ließ sich wieder nieder und ich drehte mich um zu den Beiden. Wieder versuchte ich haargenau wieder zugeben, was ich eben erlebt, oder geträumt hatte.

„Und dein Name ist da jetzt eingeritzt?“, fragte Finley fassungslos.

„Das weiß ich nicht genau“, antworte ich.

„Ich frage mich, warum gerade du das in deinen Träumen erlebst, du bist nicht mal von hier“, sagte Nick.

„Du vergisst, seine Mutter stammt von hier und kann auf eine sehr alte Familie hinweisen.“

„Habe ich etwa noch Verwandte hier?“, fragte ich.

„Da müsste ich meine Mutter fragen, das weiß ich nicht“, sagte Nick.

„Dann lass uns zurück gehen, das würde mich schon interessieren.“

 

* * *

 

„Dein Großvater hatte einen Bruder und dessen Kinder müssten noch hier leben… ich müsste Bob anrufen, der kennt sich besser mit der Geschichte unserer Stadt aus“, sagte Joyce.

Wir waren nach Hause gerannt und hatten sie regelrecht überfallen. Nun saßen wir alle vier am Küchentisch und tranken einen Tee. Joyce stand auf und ging zum Telefon.

 

„Hallo Bob, ich bin’s…..

 

… nein, es ist alles in Ordnung. Ich wollte dich nur fragen, ob die Kinder vom alten Georg noch immer in Derry leben…

 

… wirklich, dass wusste ich gar nicht. Ich werde mit Kevin gleich vorbei gehen und einen Besuch abstatten, er würde so gerne jemand aus seiner Verwandtschaft kennen lernen…

 

… gut ich werde dir heute Abend erzählen, was daraus geworden ist. Bye“

 

Joyce kam wieder zurück. Die ganze Zeit waren wir still, um zuhören, was sie am Telefon sagte. Sie grinste, als sie sah, dass Nick und Finley Händchen hielten.

„Gibt es etwas, wovon ich noch nichts weiß?“, fragte sie die Beiden, die nun hochrot am Tisch saßen.

Nick sah mich flehend an.

„Das solltest du ihr schon selber sagen“, meinte ich.

Joyce setzte sich wieder zu uns an den Tisch. Nick sah verschüchtert zu Boden.

„Dann seid ihr beiden, also endlich zusammen“, sagte Joyce, was die Beiden mit einem Nicken bejahten.

„Nick, hör mal zu, ich habe dich Deswegen nicht weniger lieb. Du bist und bleibst mein Ältester und für Dad gilt das genauso.“

Ich konnte ein sanftes Lächeln auf Joyces Mund entdecken und sah wie sie ihre Hand, nach Nick ausstreckte.

„Und du hast wirklich nichts dagegen?“, fragte Nick schüchtern.

„Nein, wieso sollte ich das? Du weißt ich mag Finley sehr und ich muss auch zugeben, du hast einen sehr guten Geschmack.“

Ich konnte nicht anders und begann leise zu Lachen. Nick griff nach der Hand seiner Mutter und drückte sie fest. Finley saß die ganze Zeit ruhig auf seinem Platz, er schaute mich kurz an und ich wusste, er war glücklich.

„So ihr Beiden, Kevin und ich werden euch nun alleine lassen, also stellt mir nicht soviel an und last das Haus stehen!“, sagte Joyce und stand wieder auf.

„Wo gehen wir den hin?“, fragte ich.

„Zu deiner Verwandtschaft“, antwortete sie.

Ich war zu ergriffen, um etwas zu sagen und folgte ihr einfach nach draußen. Am Auto blieb ich stehen, doch sie gab mir einen Wink, das wir laufen würden.

„Ich wusste nicht, das sie in unserer Nähe wohnen, es ist also nicht weit und wir können laufen“, sagte Joyce.

Wieder folgte ich ihr und lief bald neben ihr her.

„Ich wollte mich noch bei dir bedanken“, sagte sie plötzlich.

„Für was denn?“, fragte ich.

„Dass du das mit Nick und Finley geregelt hast.“

„Ich habe beiden lediglich nur zugehört“, sagte ich.

„Du bist sehr bescheiden, aber das spricht für dich, Kevin. Wer dich abbekommt, hat ein wahnsinniges Glück.“

„Ich glaube, der müsste erst gebacken werden.“

„Bitte?“

„Ach, das ist so ein Spruch bei uns, wenn man jemanden sucht und gewisse Vorstellungen von Einem hat.“

„Und wie sind deine Vorstellungen?“

Ich überlegte kurz, obwohl mir schon seit langem klar war, wie mein Traumtyp sein sollte.

„Ich sehe schon, darüber willst du nicht so gerne reden“, meinte Joyce.

„Nein, das ist es nicht, ich weiß nur nicht, wie ich mich ausdrücken soll.“

„Versuche es!“

„Vertrauen spielt bei mir eine große Rolle. Ehrlichkeit und Toleranz auch.“

„Also, innere Werte meinst du?“

„Ja, mir ist es eigentlich egal, wen ich da kennen lerne, aber im Herz sollte es schon stimmen.“

„Morgen backen wir“, sagte Joyce mit einem Lächeln.

„Bitte?“

„Wir backen dir morgen einen Freund!“

Beide fingen wir laut an zu lachen. Wenig später bogen wir in eine Strasse ein.

„So, wir sind da, mal sehen ob jemand zu Hause ist“, meinte Joyce und öffnete das Gartentor.

Ich lief hinter ihr her und blieb vor der Haustür stehen. Sie drückte den Klingelknopf und wir warteten, dass sich etwas tat. Etwas aufgeregt war ich jetzt schon, wer lernt schon irische Verwandte kennen, von denen man nichts wusste.

Die Tür ging auf und eine Frau trat heraus.

„Hallo, was kann ich für sie tun?“, fragte sie und beäugte mich argwöhnisch.

„Ich bin Joyce McGill. Ich habe erfahren, das sie mit Susan O`Farrel verwandt sind“, meinte Joyce.

„Ja, das ist die Cousine meines Mannes, aber die lebt schon seit langen in Deutschland und habe nichts mehr von ihr seitdem gehört“, sagte die Frau.

Den Mädchennamen von meiner Mutter hatte ich auch noch nie gehört, wie wenig ich doch meine Mutter kannte.

„Dann darf ich ihnen Susans Sohn Kevin vorstellen, er ist für ein Jahr auf der Sprachschule und solange unser Gast“, kam es von Joyce und trat zur Seite.

„Unsere Susan hat einen Sohn?“, fragte die Frau aufgeregt.

Joyce nickte und schob mich ein wenig vor sich. Wieder beäugte mich die Frau von oben bis unten, aber diesmal war es ein netter Blick.

„Kevin?“

„Ja!“, antwortete ich.

„Mir kam das Gesicht gleich so bekannt vor, du hast viel von deiner Mutter, aber kommt doch beide erst mal rein“, sagte sie und trat zur Seite.

Joyce schob mich durch den Türrahmen ins Hausinnere. Wir folgten dieser Frau ins Wohnzimmer.

„Setzt euch doch, ich rufe schnell Henry an,  und erzähle ihm, dass ihr hier seid.”

Und schon war sie verschwunden. So ganz recht, fühlte ich mich jetzt doch nicht. Etwas unsicher schaute ich Joyce an.

„Jetzt hab dich nicht so, freu dich, du hast noch mehr Verwandte.“

Sie kam zurück, mit einem Tablett gefüllt mit Teetassen einer Kanne und Gebäck.

„Ich bin Ellen, habe ich ganz vergessen zu sagen, und du bist hier um unsere Sprache zu lernen?“

„Die Sprache beherrsche ich schon, nur mit dem Lesen und Schreiben, funktioniert es noch nicht so ganz“, antwortete ich.

„Und dann willst du gleich ein ganzes Jahr hier bleiben?“

„Ja, ich habe mich für drei Kurse angemeldet.“

Sie setzte sich zu uns.

„Und hast du schon euren Familienbesitz angeschaut?“

„Familienbesitz?“

Irritiert schaute ich zu Joyce, die ebenso erstaunt war wie ich.

„Ja, das alte Gutshaus mit dem Reiterhof, das Susans Vater deiner Mutter vererbt hatte“, sagte sie und schenkte den Tee ein, ohne zu fragen ob ich überhaupt einen wollte.

„Nein, davon weiß ich nichts, meine Mutter hat mir davon nichts erzählt“, antwortete ich immer noch fassungslos.

„Warte bis Henry nach Hause kommt, der kann dir da mehr erzählen.“

Wie aufs Stichwort, schloss jemand die Haustür auf und ein paar Sekunden später stand ein großer Mann im Wohnzimmer. Seine Familienähnlichkeit war Wahnsinn, ich hätte schwören können, er wäre als Bruder meiner Mutter durchgegangen.

„Hallo, ich bin so schnell nach Hause gefahren, wie ich konnte.“

Er schritt auf mich zu und ich stand auf. Er drückte mich fest an sich, klopfte mir dabei auf die Schulter,  dass es wehtat. Joyce, gab er die Hand und schüttelte sie wild.

„Das Susan sich überhaupt nicht bei uns gemeldet hat, wundert mich“, sagte Ellen.

„Ich mich nicht“, warf Henry ein.

Alle drei sahen wir ihn fragend an.

„Als Susans Vater starb, bekam sie Streit mit meinem Vater, ihrem Onkel. Sie packte darauf ihre Sachen und zog aus. Wenig später erfuhren wir, das sie nach Deutschland ausgewandert war. Worum es in dem Streit ging weiß ich aber bis heute nicht“, erklärte er.

„Es wird Zeit, dass ich meine Mum mal anrufe und sie zur Rede stelle, denn ich wusste wirklich von dem hier alles nicht, ich war sogar der Meinung sie sei in England aufgewachsen“, sagte ich und nahm mir jetzt doch die Teetasse und nippte daran.

„Ich wusste ebenso nichts davon Kevin, natürlich das Susan im Gutshof aufgewachsen war, aber nicht, das sie aus diesem Grund Derry verlassen hat“, sagte Joyce.

„Und was meinte Ellen vorhin mit dem Gutshof?“

„Der Gutshof gehörte deinem Großvater, mein Vater hatte dort nur lebenslanges Wohnrecht“, erklärte Henry.

„Und nun gehört er meiner Mutter?“, fragte ich.

„Ja, und er läuft sehr gut, mit Pferden kann man eben gute Geschäfte machen und geritten wird auch gerne.“

Mir war das alles jetzt zu viel, ich entschuldigte mich kurz und ging nach draußen ins Freie und zog mein Handy heraus. Mir war es egal, wie viel das jetzt kostete, aber ich wollte zu Hause anrufen.

Es klingelte ewig, bis endlich jemand dran ging.

 

„Neumann.“

 

„Mum, endlich, wo hast du gesteckt?“

 

„Auch guten Tag, nett von dir zuhören, Kevin“, meinte meine Mum etwas beleidigt.

 

„Sorry Mum, aber ich habe eben soviel Dinge über dich erfahren…, warum hast du mir nie etwas erzählt?“

 

„Das tut mir leid Kevin, ich habe Irland damals den Rücken zugedreht und wollte nie wieder dahin, Deswegen auch keine Erzählungen von mir aus der Heimat.“

 

„Ich habe gerade dein Cousin Henry kennen gelernt und was ich da zu hören bekam…“

 

„Was Henry, den gibt es noch?“

 

„Ja, in voller Größe und mit Frau Ellen.“

 

„Da hat er dann doch noch jemand gefunden, gegen allen seiner Befürchtungen.“

 

„Und ich habe gehört, du besitzt hier einen Reiterhof.“

Jetzt war Stille am anderen Ende.

 

„Mum bist du noch da?“

 

„Ja, bin ich Schatz, Was hast du da gerade gesagt?“

 

„Du besitzt einen Gutshof mit Pferden.“

 

„Ich dachte, ich…“

 

„Und was machen wir jetzt?“

Wieder war nichts zu hören am anderen Ende.

 

„Mum?“

„Ja, ja, ich bin noch da. Ich wollte mit deinem Vater erst an Weihnachten als Überraschung dich besuchen kommen, aber ich denke ich werde früher kommen müssen. Und du bist sicher mit dem Haus?“

 

„Ja, Mum. Henry hat mir das gerade erzählt.“

 

„Ich muss jetzt erst mal dein Vater anrufen, ich melde dich später wieder bei dir.“

 

„Okay Mum, ich hab dich lieb.“

 

„Ich dich auch, Sohnemann. Also bis nachher!“

 

„Bye Mum!“

 

„Bye!“

Ich drückte das Gespräch Weg und lief wieder ins Haus.

„Und? Hast du dich wieder beruhigt?“, fragte Joyce.

„Ich habe mit Mum telefoniert und sie war genauso erstaunt, wie ich über diese Nachricht.“

„Und jetzt?“

„So wie es sich angehört hat, will sie kommen“, antworte ich.

„Susan kommt her?“, fragte Henry überschwänglich.

„Ja, so hat es sich angehört.“

„Dann müssen wir ein großes Fest feiern“, meinte Henry und rannte aus dem Zimmer.

„Mir kommt es vor, als würde Henry große Stücke auf meine Mum halten“, flüsterte ich Joyce zu.

„Ich habe dir doch gesagt, sie ist hier sehr bekannt und beliebt.“

„Aber doch nicht so!“, meinte ich und bemerkte, dass ich dies wohl zu laut gesagt hatte, denn Ellen schaute mich verwirrt an.

 

* * *

 

Durch die Aufregung hatte ich meine Träumereien natürlich vergessen. Wir saßen noch eine Weile mit Henry und seiner Frau zusammen. Ich bekam noch so manches von meiner Mutter zu hören, was mich immer wieder zum schmunzeln brachte.

Auf dem Heimweg war ich ziemlich im Gedanken und hörte erst gar nicht was Joyce mich fragte.

„Kevin, hallo, wo bist du mit deinen Gedanken?“

„Schwer zusagen, alles erscheint plötzlich in einem anderen Licht. Ich meine, wenn Mum nun hier herziehen will, weil sie diesen Hof doch wieder übernehmen will, ändern sich doch auch meine ganzen Zukunftspläne.“

„Würde es dir denn hier gefallen, könntest du dir vorstellen immer hier zu bleiben?“

„Ich bin zwar erst drei Tage da, aber ich habe schon soviel erlebt, das ich denke, ich wäre schon länger hier. Ja es gefällt mir sehr gut hier!“

„Aber warte erst mal ab, was nun aus dem Besuch deiner Mutter wird. Ich hatte nie verstanden, warum sie so Hals über Kopf weggelaufen ist. In ihren Briefen bekam ich auch nie eine Antwort dafür.“

„Jetzt wissen wir es, und irgendwie verstehe ich sie auch. Ich ließe mir auch nicht gerne, durch Streitereien, mein Erbe wegnehmen.“

„Der Meinung bin ich auch, aber weißt du was? Ich freue mich riesig deine Mum wieder zu sehen. Es ist zwanzig Jahre her als ich sie zum letzten Mal hier sah und hatte auch wirklich nur noch Briefkontakt zu ihr.“

„Dann wird es auch Zeit. Willst du ein Bild von ihr sehen?“, fragte ich.

Sie nickte und ich zog meinen Geldbeutel aus der Tasche. Als ich das Bild meiner Eltern hervorziehen wollte, fiel mir ein Kleeblatt entgegen. Plötzlich war alles wieder da.

„Kevin, was ist los?“, fragte Joyce und blieb stehen.

„Das… das Kleeblatt hat mir MacConroy geschenkt…“

 

* * *

 

Als wir wieder ins Haus der McGills eintraten, war es ungewöhnlich ruhig.

„Ob die zwei noch einmal weggegangen sind?“, fragte ich.

„Normalerweise hinterlässt Nick eine Nachricht, wenn er noch mal das Haus verlässt“, antwortete Joyce.

Ich lief nach oben und klopfte an Nicks Tür. Als ich von drinnen nichts hörte, öffnete ich leise die Tür. Nick lag auf seinem Bett und schlief. Und in seinen Armen hielt er Finley, der ebenso die Augen geschlossen hatte.

Leise schloss ich wieder die Tür und lief grinsend zur Treppe. Dort angekommen wurde mir leicht schwarz vor den Augen und schwindelig. Vorsichtig lief ich runter zu Joyce in die Küche.

„Wenn du nichts dagegen hast, würde ich mich gerne ein wenig hinlegen, mir ist etwas übel!“

Joyce griff mir an den Kopf, um an meiner Stirn zu fühlen.

„Du glühst ja Kevin, ab ins Bett mit dir, ich bringe dir gleich noch einen Tee vorbei“, sagte sie und schob mich in Richtung meines Zimmers.

„War wohl heute etwas viel für mich“, sagte ich.

Es dauerte auch nicht lange und ich schlief in meinem Bett ein.

„Ah, das ist der junge Mann wieder.“

Ich schaute auf und ich lag auf einem Strohlager, in einer Hütte aus Holz und Lehm.

„MacConroy?“, sagte ich.

„Ja, junger Kevin.

Er stand an einer Feuerstelle und rührte etwas in einem Kessel.

„Was kocht ihr da?“

„Etwas um dein Fieber zu senken, es ist sehr hoch und hat euch sehr geschwächt“, antwortete er.

„MacConroy?“

„Ja?“

„Wieso braucht ihr mich, um einen Krieg zu verhindern?“

Er nahm einen Kelch und goss eine Flüssigkeit aus dem Kessel hinein. Er trat an mein Strohlager und setzte sich zu mir.

„Hier trink, junger Kevin, danach wirst du viel mehr verstehen“, sagte er nur und reichte mir den Kelch.

Als ich den letzten Schluck genommen hatte verschwamm das Bild der Hütte wieder. Ich konnte Landstriche sehen, Siedlungen mit Hütten, wie die in der ich lag. Ich sah Männer miteinander kämpften und auch Menschen, die tot auf dem Boden lagen.

Plötzlich war ich wieder bei MacConroy.

„Du siehst welche Auswirkungen dieser Patrick auf unser Volk hat. Ich werde nun die Aufgabe übernehmen, Frieden zu stiften, zwischen den Tuathen und Königen. Dich werde ich mitnehmen, weil du mein Garant bist, dass ich diese Reise unbeschadet machen kann.“

„Wieso ich?“, fragte ich.

„Ihr seid in unserer Welt ein berühmter Kämpfer, der von Jedem geachtet wird, im ganzen Land.“

„Wie bitte?“

Verwirrt richtete ich mich auf. Ich fühlte mich wieder kräftig genug um aufzustehen.

„Kommt her und schau selbst“, meinte MacConroy.

Ich schaute in ein Behältnis in dem Wasser war. Im Spiegelbild konnte ich mich selbst sehen. Ich hatte eine Art Rüstung an. Erst jetzt sah ich auf mich hinunter. An der Seite trug ich sogar ein Schwert.

Erstaunt schaute ich MacConroy an.

„Nun wisst ihr, warum ihr bei mir seid. Mit deinem Wissen über die Zukunft, bist du allen voraus. Deswegen achten dich alle und schätzen deinen Rat, so wie es nur normalerweise von einem Druiden angenommen wird.“

„Und was machen wir jetzt?“, fragte ich.

„Wir werden zu König Maghnus gehen, er wird dir einen seiner Söhne zur Seite stellen.“

„Wieso das denn?“

„Er wird dir dienen, um im Kampf ausgebildet zu werden.“

„Aber ich kann doch nicht…“

Mitten im Satz hielt ich inne, weil ich wie selbstverständlich mein Schwert hervorzog und es durch die Luft gleiten ließ.

MacConroy grinste und verließ die Hütte, ich folgte ihm. Draußen stand ein Pferd angebunden.

„Sag bloß nicht, ich kann auch noch reiten?“, fragte ich und erwartete keine Antwort, als ich MacConroy wieder grinsen sah.

Ich ging zu dem Pferd hin, dass sein Kopf zu mir drehte und zu wiehern begann, es schien mich zu kennen. Ohne Probleme stieg ich auf. MacConroy brachte mir noch ein Schild und eine Lanze.

„Das gehört dir auch noch!“, sagte er und schritt voraus.

„Habt ihr kein Pferd?“, fragte ich verwundert.

„Nein, ich laufe lieber!“

So lenkte ich mein Pferd hinter ihm her und folgte ihm im kurzen Abstand.

„Es ist herrlich hier, diese Stille tut gut, keine Autos, kein Fluglärm“, sagte ich.

MacConroy wandte den Kopf und sah mich kurz an.

„Ach so, verzeiht, ich rede nicht mehr von der Zukunft“, meinte ich.

Ich konnte ein kurzes Nicken seinerseits wahrnehmen und folgte ihm still. Der Wald lichtete sich und ich konnte eine Steinmauer in der Ferne sehen. Dahinter befanden sich wieder Hütten und ein größeres Gebäude.

„Ist das so was wie ein Palast?“, fragte ich.

Wieder nickte MacConroy, schritt aber weiter, ohne einen Ton zu sagen. Ich beschloss das Gleiche zu tun und ritt weiter hinter ihm her. Wir durchquerten eine Öffnung in diesem Steinwall und ich konnte endlich andere Menschen sehen.

Ehrfürchtig verneigten sie sich vor uns oder verschwanden sogar in ihren Hütten. Ich wusste nicht, ob ich irgendwelchen Gruß sagen sollte, so verhielt ich mich weiter still. Am großen Gebäude, ein hohes Dach, das von dicken Holzstämmen getragen wurde und mit Schnitzereien verziert war, machte MacConroy Halt.

Ich stieg von meinem Pferd und band es an einem Baumstamm fest. MacConroy betrat nun das Gebäude und ich folgte ihm. Vor uns lag ein Raum mit einem großen Tisch in der Mitte. Rechts und links standen Bänke und hinten, uns gegenüber, ein großer Holzstuhl.

Dort saß ein kleiner, dicker Mann und aß. MacConroy lief auf ihn zu.

„Sei gegrüßt edler Maghnus, ich bringe euch frohe Kunde.“

„Da seid ihr ja endlich, alter Druide, und habt ihr Kearney überreden können, euch zu begleiten?“, sagte dieser.

Mit Kearney war wohl ich gemeint, Kevin gefiel mir da besser.

„Ja, er wird mich begleiten und ich sehe ein Erfolg in ganzer Linie“, kam es von MacConroy, der einen kurzen Blick zu mir warf.

Ich schritt ein wenig vor und verneigte mich kurz vor König Maghnus.

„Ich habe gehört, guter Freund, ihr seid sehr schweigsam“, sprach Maghnus mich an.

„Ich bin kein Freund großer Worte und lasse meine Waffen sprechen!“

Hatte ich das eben wirklich gesagt?

„So ist es recht! Fendrick ruft meinen Sohn, er soll auf der Stelle herkommen.“

Ein unscheinbarer Mann, den ich nicht bemerkt hatte weil er im Schatten stand, trat hervor und verneigte sich, war aber gleich wieder verschwunden.

„Shane, wartet schon die ganze Zeit aufgeregt, wann es endlich losgeht“, erzählte König Maghnus.

„Es wird ihm gut ergehen bei uns“, sagte MacConroy.

„Da habe ich auch keine Sorge, ihr seid bei Kearney in guten Händen.“

Ich hörte schnelle Schritte und ein junger Mann kam in den Raum gerannt.

„Sind sie da?“, hörte ich ihn rufen, noch bevor er in meine Sichtweite kam.

„Ja, mein Sohn. Shane, das hier ist Kearney, er wird euch die nächsten Wochen unterweisen!“, sagte König Maghnus.

Endlich trat Shane ins Licht. Wie anscheinend alle vom Adel trug er einen wollenden Umhang gehalten von einer edlen Brosche. Er verneigte sich vor mir bevor wir den ersten Blickkontakt hatten.

Sein schwarzes Haar lag wirr auf dem Kopf und brachte seine glänzenden grünen Augen wunderschön zur Geltung.

Ich hörte ein klingelndes Geräusch, die Umgebung verschwand vor mir.

Es war mein Handy, das klingelte. Ich lag wieder auf meinem Bett und Griff danach.

„Ja?“

 

„Hallo Kevin, hier ist deine Mum.“

 

„Hallo Mum, entschuldige, aber ich habe ein wenig geschlafen.“

 

„Stimmt irgendetwas nicht?“

 

„Mir war nicht gut, da hat Joyce gemeint ich soll mich ein bisschen hinlegen.“

 

„Gut, ich wollte dir nur sagen, dass wir am Freitagmittag in Irland ankommen.“

 

„Was? Wow!“

 

„Ja, ich wusste, das du dich freust!“

 

„Natürlich freue ich mich, wenn ihr herkommt, sollen wir euch abholen, ich meine vom Flughafen?“

 

„Nein Kevin, dein Dad möchte einen Mietwagen nehmen.“

 

„Das muss ich gleich Joyce erzählen!“

 

„Okay, sag ihr einen Gruß von mir!“

 

„Mache ich, und du einen von mir an Dad!“

 

„Gut, wir sehen uns Freitag.“

 

„Ich freue mich!“

 

„Ich mich auch. Bye!“

 

„Bye Mum!“

 

Schon war das Gespräch beendet. Ich stand auf und lief aus meinem Zimmer. Auf halben Wegen kam mir Erin entgegen.

„Hoppla dir geht es ja wieder besser, Mum dachte schon sie muss einen Arzt holen.“

„Was, bitte? Ach so, ja ist alles wieder in Ordnung.“

„Und dein hohes Fieber?“

„Habe ich etwas bekommen!“, sagte ich und ließ Erin im Flur stehen.

„Von wem denn?“, rief sie hinter mir her.

Aber das nahm ich nur noch am Rande war. Joyce stand in der Küche und wusch Geschirr ab.

„Hallo Joyce, Mum hat eben angerufen, sie kommen am Freitag.“

Joyce sah mich entgeistert an. Sie faste mir, mit ihren feuchten Händen an die Stirn und schüttelte den Kopf.

„Wieso ist plötzlich dein Fieber weg, ich wollte eben unseren Hausarzt anrufen“, sagte sie.

„MacConroy hat mir schon was gegeben“, erwiderte ich.

„Wie bitte, wer?“

Nun wurde mir klar, wie sehr ich eben Realität mit Traum verband, aber mein Fieber war gesunken.

„Entschuldige Joyce, ich habe wieder geträumt“, antworte ich.

Sie trocknete ihre Hände ab und zog mich in das Wohnzimmer. Dort setzten wir uns auf ein großes Sofa.

„Kevin, ich mach mir so langsam Sorgen um dich“, begann sie.

„Das glaube ich dir gerne, aber ich weiß selbst nicht warum ich so intensive Träume habe und sie so real scheinen.“

„Und was hast du diesmal geträumt?“

Langsam und genau erzählte ich ihr alles, bis ich mein Handy hörte und der Traum verschwand. Joyce saß die ganze Zeit still neben mir.

„Ich weiß Kevin, es mag sich verrückt anhören, aber ich glaube wirklich an diese Zeitsprünge. So wie mir Bob erzählte, waren die Druiden sehr mächtige Männer und waren zu allerlei Dingen fähig, aber warum du plötzlich ein Krieger sein sollst, weiß ich auch nicht.“

„Ob Bob irgendetwas von einem Kearney in seine Unterlagen hat?“, fragte ich.

„Das weiß ich nicht, aber ich würde vorschlagen, du isst erst mal etwas um zu Kräften zu kommen.“

„MacConroys Trank hat mir…“, abrupt hielt ich inne.

„Du könntest deinen Druiden mal fragen, ob er mir das Rezept verraten würde. Und außerdem, sah Shane wirklich so gut aus, wie du ihn vorhin beschrieben hattest?“

Grinsend stand sie auf und ich wurde rot.

„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen du hast dich verguckt!“

Lachend verließ sie das Wohnzimmer und ließ mich alleine. Nick schneite herein.

„Na Kevin, ich hörte du bist wieder fit!“

„So fit, wie du nach deinem Mittagsschlaf“, erwiderte ich.

Nicks Wangen färbten sich leicht rot.

„Woher weißt du denn dass schon wieder?“

„Ich habe euch beiden friedlich schlafend gesehen, war wohl ein sehr anstrengendes Gespräch?“

„Was für ein Gespräch?“, wollte Nick wissen.

Ich begann zu lachen und folgte Joyce in die Küche.

Als Bob später nach hause kam, erzählte Joyce ihm alle Neuigkeiten. Bei meinem Traum wurde er hellhörig und verschwand gleich in sein Arbeitszimmer. Irgendwie komisch, das alle hier mir sofort glaubten, was ich träumte und mich keiner für verrückt hielt.

Trotz meines langen Schlafes am Mittag lag ich ein wenig später wieder auf meinem Bett, wo ich schnell wieder einschlief.

Ich saß auf dem Boden vor einem Lagerfeuer. MacConroy saß auf einem Baumstumpf und sah sich irgendwelche Pflanzen im Schein des Feuers an. Shane lag dich neben mir uns schlief.

„MacConroy, kann ich kurz mit euch reden?“

Er schaute auf und ließ die Pflanzen sinken.

„Ich weiß meine Bedeutung in eurem Vorhaben, und mittlerweile macht es mir auch nichts mehr aus, in meinen Träumen in eure Zeit zu reisen, aber ich bekomme Schwierigkeiten, die Zukunft und die Vergangenheit auseinander zuhalten.“

MacConroy legte die Pflanzen auf den Boden und stocherte im Feuer.

„Junger Kevin, ich weiß über deine Zwietracht deiner Gedanken Bescheid und ich kann dir versprechen, das du keinen Schaden nehmen wirst, nicht hier und auch nicht in eurer Zeit.“

Ich sah ihn lange an.

„Ihr haltet irgendetwas zurück, so fühle ich es jedenfalls!“, sagte ich.

„Das stimmt, aber ich darf euch in diesem Punkt nichts weiter sagen“, entgegnete er und schaute dabei auf Shane.

Mit meiner Hand strich ich ihm durch seine schwarzen Locken.

„Könnte er jener sein, der für mich auserwählt ist?“, fragte ich mich eher selbst, aber dennoch laut genug, dass es MacConroy hörte.

„Die Liebe ist etwas Ungewisses, unabhängig von der Zeit und dem Ort. Lass uns aber ein wenig schlafen, wir haben Morgen einen weiten Weg vor uns.“

Er stand auf und machte es sich auf einer Decke vor dem Feuer bequem. Da Shane mit seinem Kopf an mir lehnte, hielt ich es für besser sitzenzubleiben, um ihn nicht zu wecken.

 

* * *

 

Als ich meine Augen öffnete, schaute ich mich erst um, wo ich denn überhaupt war. Ich lag im Bett, war also wieder in meiner Zeit und träumte nicht. Ich entschloss mich auch, weiter nichts mehr von meinen Träumen zu erzählen und auch zu versuchen, nichts durcheinander zu bringen.

Ich stand auf und stellte mich erst mal unter die Dusche. Als ich später in die Küche kam, wartete wie gewohnt Joyce mit dem Frühstück auf mich.

„Und eine gute Nacht gehabt?“, fragte sie mich.

„Ja, ich habe sehr gut geschlafen und fühle mich wieder völlig fit“, antwortete ich.

„So fit, um mit mir in die Schule zufahren?“

„Wie in die Schule, ich dachte da muss ich erst morgen hin.“

„Ja, aber da deine Eltern morgen ankommen, habe ich mir erlaubt auf der Schule anzurufen und zu fragen ob du heute schon kommen könntest und somit den Tag morgen, voll zur Verfügung zu haben.“

„Das ist keine schlechte Idee. Wann müssen wir los?“

„In einer halben Stunde!“

„Dann werde ich wohl mein Frühstück ausfallen lassen und mich fertig machen, wir können ja danach vielleicht etwas in der Stadt essen gehen“, meinte ich.

„Auch keine schlechte Idee. Dann verräume ich hier alles und wir treffen uns draußen am Auto.“

„Okay bis gleich“, sagte ich und ging wieder auf mein Zimmer.

Etwas aufgeregt war ich schon, denn es war eine neue Schule, eine neue Situation für mich, weil ich nicht wusste, was mich erwartete. Der Leiter Mr. McConners nahm mir aber gleich zu Anfang meine Angst, in dem er mir genau erklärte, was auf mich zu kam, mit wem ich meine Kurse besuchte.

Joyce saß die ganze Zeit still neben mir, denn sie war auf meinen Wunsch mit hereingekommen. Als auch noch die letzten Formalitäten erledigt waren und ich auch schon einen Stundenplan bekommen hatte, verließen wir wieder die Schule.

Ich war doch froh, keine Schuluniform tragen zu müssen, so wie es in den normalen Schulen hier üblich war. Auch war meine Klasse gemischt, was in Irland immer noch nicht ganz Fuß gefasst hatte und es somit noch immer reine Jungen und Mädchenschulen gab.

Langsam schlenderte ich mit Joyce durch die Innenstadt und schaute mir die Auslagen in den Schaufenstern an.

„An was denkst du?“, fragte Joyce.

„Im Augenblick versuche ich an nichts zu denken, außer, dass ich alles langsam angehen lassen will um zu sehen, was kommt.“

„Gute Einstellung finde ich, hast du Hunger?“

„Ja, etwas zu Essen könnte ich schon vertragen“, meinte ich und rieb über meinen Bauch.

„Ich kenne da ein kleines Lokal, wo es Spezialitäten unseres Landes gibt, hättest du daran Interesse?“, fragte Joyce.

„Ja, natürlich, ich will ja nicht nur die Sprache kennenlernen, sondern auch das Land. Das Land meiner Urahnen“, schob ich mit einem Grinsen hinter her.

Joyce grinste ebenso, denn sie wusste wie ich das meinte. Nach dem Essen beschlossen wir Bob zu besuchen. Der war sehr erfreut, über unser Erscheinen. Wieder blieb ich vor der kleinen Steinfigur stehen und war in ihren Bann gezogen.

„Dann bin ich mal gespannt, was uns das Wochenende bringt“, sagte Bob.

„Liegt der Hof weit von hier weg?“, fragte ich.

„Nein, so wie es uns Henry erklärt habe, ist es am Stadtrand von Derry, also nicht weit von unserem Zu Hause“, antwortete Joyce.

„Meinst du wir könnten dort mal vorbei fahren?“

Joyce lächelte.

„Ich habe schon darauf gewartet, wann du mich das fragst. Aber ich muss zu geben, ich bin ebenso neugierig, wie du“, sagte sie.

Also verabschiedeten wir uns von Bob wieder und liefen zurück zum Auto. Während der Fahrt schaute ich mir wie immer die Gegend an. Ich glaube fast, Joyce fuhr jedes Mal einen anderen Weg, dass ich mehr zu sehen bekam.

„Irgendwo muss doch diese kleine Strasse sein“, fluchte Joyce neben mir und riss mich aus meinen Gedanken.

„Da ist sie ja, so, nun sind wir gleich da.“

Die Häuser wurden weniger und vor uns taten sich weite Wiesen auf.

„Bist du eigentlich schon mal geritten?“, fragte Joyce, die ein wenig Schwierigkeiten mit dem Wagen hatte, weil sie den Schlaglöchern ausweichen musste.

„Nein, bei uns zu Hause gibt es keine Möglichkeiten zu reiten.“

„Dann kannst du es ja hier ausprobieren.“

„Ein Versuch wäre es wert.“

Ein großes Holzgatter kam, dass wir durchfuhren. Auf einer Koppel neben uns sahen wir einige Pferde grasen. Hinter einer Baumgruppe kam dann ein altes Herrenhaus zum Vorschein. Joyce und ich sahen uns erstaunt an.

„Ich wusste zwar, dass Susan von einem Hof stammte, aber sie hat immer mich besucht, ich sie nie“, kam es von ihr.

Sie parkte auf einem Platz neben dem Haus und stellte den Motor ab.

„Das soll alles meiner Mum gehören?“, fragte ich.

Joyce und ich saßen noch eine Weile im Auto und schauten uns um, ohne auch nur einen Ton zusagen. Aus dem Haus kam ein Mann gelaufen, direkt auf uns zu. Er blieb an Joyces Fenster stehen, sie kurbelte es hinunter.

„Kann ich ihnen irgendwie helfen?“

„Kann ich den Inhaber sprechen?“, fragte Joyce und ich wunderte mich.

„Der Inhaber ist zurzeit nicht da, aber ich bin der Verwalter und somit, kann ich ihnen bestimmt auch Auskunft geben.

Joyce zog den Schlüssel ab und stieg aus. Ich gurtete mich ebenfalls ab und folgte ihr.

„Mein Name ist Joyce McGill. Ich habe erfahren, dass dieses Anwesen Susan O`Farrel gehört.“

„Das ist richtig ja, aber wie gesagt, die Eignerin ist nicht zugegen“, antwortete der Mann.

„Das weiß ich, Mrs. O’Farrell lebt in Deutschland, hat dort geheiratet und heißt nun Neumann!“

„Woher wissen sie?“, stotterte ihr gegenüber.

„Das hier ist ihr Sohn Kevin Neumann, der bei uns zu Gast ist.“

„Sie müssen entschuldigen, aber Mrs. O’Farrell war nicht zu erreichen, sämtliche versuche per Telefon oder schriftlich wurden abgewiesen. Ich wusste nicht, dass sie unter einem anderen Namen in Deutschland lebt.“

„Ja, etwas ungewöhnlich, ab so ist es nun mal!“, sagte Joyce.

„Wir sich Mr. Neumann hier dann auch melden?“

„Sie kommt am Wochenende vorbei“, sagte ich, was ich bereute, weil mir Joyce einen bösen Blick zuwarf.

„Oh Gott, und wir haben überhaupt nichts vorbereitet“, meinte der Mann.

„Dass sollen sie auch nicht! Lassen sie alles so wie es ist. Sind sie gut belegt?“, fragte Joyce.

„Wir können uns nicht beschweren, Evens ist übrigens mein Name“, sagte er und hob Joyce die Hand zur Begrüßung.

„Gut Mr. Evens, könnten sie Kevin hier das Anwesen etwas zeigen?“

„Natürlich, mach ich doch gerne. Ich weiß, das wir seit 20 Jahren versuchen, die rechtmäßige Eigentümerin zu finden, aber dass nun gleich der Sohn vor mir steht, ich bin noch etwas, wie soll ich sagen…“

„Von den Socken?“, fragte ich.

Mein zweiter vernichtender Blick von Joyce.

„Ja, das trifft es genau“, meinte Evens.

„Wer hat bisher, die Leitung über dieses Haus geführt?“

„Der alte Mr. O’Farrell hat in seinem Testament sehr genau beschrieben, wie er die Führung haben wollte. Sollte seine Tochter verhindert sein, und die Leitung nicht übernehmen können, war in der Verfügung ebenso eine Lösung angegeben. Eine Stiftung wurde gegründet, die das Vermögen der O’Farrells verwaltete und ein Verwalter, mich, direkt hier am Hof eingesetzt.“

„Und das läuft nun seit zwanzig Jahren so?“, fragte Joyce.

„Ja, und das erwirtschaftete Geld kommt entweder dem Gutshof oder der Familie O’Farrell zu Gute.“

„Das ist ja interessant. Da müsste sich ja ein kleines Vermögen angesammelt haben, in all den Jahren“, sagte Joyce zu mir.

„Nicht nur ein Kleines“, meinte Evens, sich selbst lobend.

„Gut, dann lass uns mal einwenig hier herumschnüffeln, Kevin“, sagte Joyce.

„Ja, dafür wäre ich auch!“, erwiderte ich.

Evens betrat vor uns das Haus. Er zeigte uns die Wirtschaftsräume, einen kleinen Esssaal, für die Gäste, die hier übernachteten. Er zeigte uns sogar eins der Zimmer, das im Augenblick nicht belegt zu sein schien.

„Sie sagten Neumann?“, fragte Evens.

„Ja, warum?“, antwortete Joyce

„Mir fällt gerade ein, dass sich ein Ehepaar namens Neumann für das Wochenende angemeldet hat.“

Ich musste grinsen, ich würde meiner Mum ohne weiteres zutrauen, dass sie sich im eigenen Haus eingemietet hat. Joyce und dieser Evens unterhielten sich weiter und ich hatte so Zeit mich doch etwas genauer und vor allem alleine umzuschauen.

Nach dem ich das Haus verlassen hatte, lief ich Richtung Stallungen. Ich sah verschiedene Pferde in ihren Boxen. Eins fiel mir ganz besonders auf, es sah aus wie das aus meinem Traum. Als ich mich ihm näherte, hob es den Kopf und schaute mich direkt an.

Vorsichtig ließ ich meine Hand über seine Nüstern wandern und es schien ihm zu gefallen.

„Vorsichtig junger Herr, Brainstone, mag das nicht, er lässt sich von fast niemand anfassen!“

Ich drehte mich um und sah einen Jungen, mir stockte der Atem. Dieser Junge sah fast so aus wie Shane. Etwas verwirrt ließ ich meine Hand sinken. Der Junge kam zu mir, aber hielt sicheren Abstand zum Pferd.

„Komisch, er macht mir nicht den Eindruck, irgendwie gefährlich zu sein. Kann man ihn reiten?“, ragte ich.

„Bisher wollte ihn niemand reiten, weil er sehr jähzornig ist und jeden abwirft.“

„Wie ist dein Name?“

„Shane heiße ich, junger Herr!“

Mir lief es kalt den Rücken herunter. Er hatte sein Aussehen, seine Stimme und er hieß auch wie er.

„Entschuldigung, ich wollte ihnen keine Angst machen“, sagte Shane, der offensichtlich mein Gesichtsausdruck so deutete, dass er mir einen Schrecken eingejagt hatte.

„Nein, ist schon gut, ich habe nur an etwas gedacht. Ich heiße übrigens Kevin und du kannst zu mir ruhig du sagen“, erwiderte ich, um ihn zu beruhigen.

„Mir ist es nicht erlaubt, unsere Kundschaft mit du anzureden“, sagte Shane leise.

„Du hast von mir die ausdrückliche Erlaubnis, und wenn sich jemand über dich ärgert, schick ihn zu mir.“

Shane sah mich fassungslos an.

„Ist es nun möglich, Brainstone zu reiten oder nicht?“, fragte ich.

„Ich habe sie… dich gewarnt, aber wenn du ihn unbedingt reiten willst, sattle ich ihn gerne für dich“, antwortete er.

Ich sah dem Pferd tief in die Augen und nickte.

Shane öffnete eine benachbarte Tür und kam wenig später mit einem großen Sattel zurück. Ich beobachtete ihn, wie er Brainstone aus der Box führte. Ihm schien das Pferd ja dann wohl zu trauen. Es begann auch nicht unruhig zu werden, als Shane ihm den Sattel auflegte und festzurrte.

„Hast du Reiterstiefel?“, fragte Shane.

„Um ehrlich zu sein, habe ich überhaupt nichts dabei“, antwortete ich.

„Welche Schuhgröße?“

„Ich habe zweiundvierzig.“

Wieder verschwand er im Haus und kam mit einem Paar Reiterstiefel zurück. Er reichte sie mir und meinte ich solle sie probieren. Gleich beim ersten Versuch schaffte ich es auch sie anzuziehen. Er hielt nun das Pferd, damit ich aufsteigen konnte.

Ich steckte meinen Schuh in den Bügel und schwang mich hinauf, so wie ich es im Traum gemacht hatte.

„Mr. Neumann, halt, sie können das Pferd nicht reiten!“

Evens kam mit Joyce um die Ecke gebogen.

„Bis jetzt ist Brainstone doch sehr ruhig, ich werde es einfach versuchen.“

„Er wird sie abwerfen“, rief Evens entsetzt.

„Das lassen sie mal meine Sorge sein!“, erwiderte ich.

„Shane, warum hast du den jungen Herrn nicht davon abgehalten, gerade dieses Pferd zu nehmen“, sagte Evens recht schroff.

„Hat er, Mr. Evens, aber ich habe es so gewünscht!“, sagte ich im selben Ton.

Joyce trat an mich heran.

„Bist du verrückt, du kannst doch gar nicht reiten“, sagte sie leise.

„Keine Sorge, in diesem Leben bin ich noch nicht geritten, dafür in einem Anderen.“

Verwundert schaute mich Joyce an und ich lächelte ihr zu.

„Lass es mich bitte probieren, Joyce!“

„Aber doch nicht gerade, auf dem wildesten Pferd, dass es auf dem Hof gibt.“

„Gerade deshalb, vertrau mir!“

Sie nickte und ich ritt los. Hinaus zum Tor Richtung Wiesen. Kurz drehte ich noch mal meinen Kopf und lächelte den Dreien zu. Im flotten Galopp verließ ich den Hof Richtung Berge. Brainstone machte keinerlei Anstalten irgendwie nicht meiner Führung zufolgen.

Pferde merken, wenn man es gut mit ihnen meint, heißt es doch immer. Der Weg begann zu steigen und Brainstone legte sich ins Zeug, um nicht an Geschwindigkeit zu verlieren. Ich brauchte ihn auch nicht besonders anzutreiben, er galoppierte einfach von selbst auf die Anhöhe.

Oben angekommen zog ich an den Zügeln und Brainstone blieb stehen. Es schien die gleiche Hügelkette zu sein, wie bei McGills hinter dem Haus. In der Weite konnte ich die kleine Lichtung sehen, an der ich nun schon ein paar Mal war.

Beruhigend klopfte ich Brainstone am Hals, der zufrieden graste.

„Na, du bist doch gar nicht so wild, wie die sagen. Wollen wir schon zurück, oder willst du noch graden?“, fragte ich.

Brainstone wieherte und graste weiter. Ich genoss die Aussicht und ließ wieder meine Blicke schweifen. Erst das Pferd, dass ich aus meinen Traum schon kannte und nun auch Shane, der dem mir anvertrauten Shane im Traum fast glich.

Etwas unheimlich war mir schon, aber ich dachte an MacConroy. Bei ihm schien alles möglich, auch Wunder. Warum er mich überhaupt dabei haben wollte, schien mir ein Rätsel, denn so ein mächtiger Mann, benötigte keinen Schutz, auch meinen nicht.

Waren es wirklich nur Träume oder war es Wirklichkeit. Ich bewegte Brainstone zur Umkehr und brav folgte er meiner Führung. Wenig später trabte ich wieder in den Hof des Gutes, wo die Drei immer noch an derselben Stelle standen.

„Brainstone gehorcht prima, und abgeworfen hat er mich auch nicht“, rief ich ihnen entgegen.

Ich kam zum stehen und ließ mich herunter gleiten. Shane nahm die Zügel entgegen und führte Brainstone wieder zu seiner Box.

„Dass ist das erste Mal, dass er niemand abwirft“, sagte Evens begeistert.

„Dann hast du anscheinend ein Pferd gefunden, dass zu dir passt“, sagte Joyce.

„Ja, Brainstone ist ein herrliches Pferd.“

Joyce zog mich zu sich ran.

„Wo hast du auf einmal reiten gelernt, du hast gesagt, du bist noch nicht auf dem Rücken eines Pferdes gesessen“, sagte sie leise zu mir.

„Habe ich auch noch nicht“, gab ich leise zurück, während ich versuchte mich von diesen Reiterstiefeln zu befreien.

„Könntest du mich mal aufklären, habe ich etwas verpasst?“

„Sozusagen schon“, meinte ich und war froh der ersten Stiefel geschafft zu haben.

„Kevin, jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.“

Ich schaute mich um, ob wir alleine waren. Keiner war weit und breit zu sehen.

„Du weißt doch, dass ich von der Vergangenheit geträumt habe?“, fragte ich.

„Ja und?“

„Das blieb nicht bei dem einen Mal, praktisch immer wenn ich einschlafe, wandere ich in die Vergangenheit.“

Joyce sah mich mit großen Augen an.

„Ja und im letzten Traum habe ich ein Pferd bekommen, dass dem gleicht, das ich hier geritten bin“, beendete ich meine Ausführungen.

Joyce sagte immer noch kein Wort, sie schnappte ein wenig nach Luft.

„Du kannst mich zwar jetzt verrückt halten, aber als ich das Pferd sah, wusste ich, es tut mir nichts, weil es mich kennt!“

„Ich halte dich nicht für verrückt, aber es muss doch einen Grund geben, warum du immer in die Vergangenheit wanderst. Ich glaube zwar nicht so an das Übersinnliche, aber ich glaube dir!“

„Ich weiß es auch nicht, ich weiß nur das ich einem Druiden MacConroy helfen muss einen Krieg zu verhindern. Dort habe ich sogar einen Schüler zu Seite bekommen.“

„Einen Schüler?“

„Ja, er ist der Sohn von König Maghnus, er soll bei mir das Kämpfen lernen.“

„Du und kämpfen, woher sollst du denn das können?“

„In der Vergangenheit kann ich es, da bin ich ein geachteter Kämpfer mit namens Kearney.“

„Kearney? Der Name sagt mir was. Wenn wir zu Hause sind, dann muss ich mit Bob reden, der kann dir sicher weiter helfen.“

„Helfen?“

„Kevin, wenn es so ist, wie du erzählst, dann brauchst du wirklich jede Hilfe die du bekommen kannst. Weiß noch jemand von deinen Träumen?“

„Außer Nick und Finley, und jetzt du weiß das niemand.“

„Dabei sollten wir es vielleicht auch belassen, wer weiß, vielleicht bekommt es ja noch in den falschen Hals!“

„Kann ich kurz stören?“

Shane war zu uns getreten.

„Ja, Shane?“, meinte ich.

„Stimmt es, was die anderen sich erzählen, du bist der Sohn der Eigentümerin des Hofes?“, fragte er schüchtern.

„Ja, der bin ich, deswegen darfst du auch du zu mir sagen, ohne das du Ärger bekommst. Erlaubnis von höchster Stelle.“

Shane grinste und ging wieder seiner Arbeit nach.

„Ach so, habe ich ganz vergessen, dieser Shane, sieht dem Königssohn aus meinen Träumen sehr ähnlich und heißt auch Shane“, meinte ich leise.

„Du wirst langsam unheimlich.“

„Ich mir auch.“

„Lass uns nach Hause fahren, sonst kommen wir zu spät zum Essen.“

„Ja stimmt, seit ich da bin, habe ich euren Zeitplan ganz schön durcheinander gebracht.“

„Stimmt!“, sagte Joyce und lachte.

 

* * *

 

Sehr spät, als ich schon im Bett lag, klopfte es noch an meiner Tür. Nick streckte seinen Kopf herein.

„Können wir noch reden?“, fragte er.

„Natürlich komme herein!“, sagte ich.

Nick hatte wie ich schon seine Short und Tshirt zum Schlafen an. Etwas unbeholfen und verfroren saß er auf einem Stuhl neben meinem Bett. Ich hob die Decke und lächelte.

„Bist du sicher?“

„Jetzt komm schon, mir wird kalt“, meinte ich.

Schnell schlüpfte er unter meine Decke und machte es sich bequem.

„So, und nun erzähl, was ist los?“, fragte ich.

„Ich wollte dir eigentlich nur noch einmal danken, für die Sache mit Finley.“

„Nichts zu danken, habe ich doch gerne gemacht.“

„Und wie kann ich das gutmachen?“

„Warum willst du etwas gutmachen?“

„Es ist doch so, wenn man etwas für einen macht, dann macht der andere auch etwas für einen selbst!“

„Hör mal Nick, ich erwarte nicht, dass du etwas für mich machst. Ich konnte dir helfen und jetzt lass es gut sein.“

Nick kuschelte sich näher an mich.

„Du bist ja völlig kalt! Komm her in  meinem Arm, du zitterst ja.“

Ich nahm ihn in meinen Arm. Es dauerte nicht lange und wir schliefen beide ein.

Wieder schien ich in der Vergangenheit zu sein. Ich lehnte an einem Baumstamm. Shane schmiegte sich näher an mich heran, und öffnete die Augen. Etwas erschrocken wich er zurück.

„Verzeiht mir, ich habe geträumt“, meinte er zu mir.

Ich strich ihm über sein Haar und sah ihn liebevoll an.

„Das ist doch nicht schlimm! Schlafe noch ein wenig, wir haben heute noch einen weiten Weg vor uns“, sagte ich mit sanfter Stimme.

Sein Gesicht überzog sich mit einem Lächeln. Ich zog ihn wieder zu mir heran. Es dauerte nicht lange und ich konnte wieder seinen gleichmäßigen Atem hören.

„Dir gefällt dieser Junge!“, kam es von MacConroy.

Etwas verlegen schaute ich zu dem alten Druiden hinüber. MacConroy richtete sich auf blieb aber unter seiner Decke eingehüllt. Er legte ein paar Stücke Holz auf, worauf das Feuer wieder größer wurde und es wieder genug Wärme spendete.

„Wie soll ich sagen, ich fühle mich schon jetzt zu ihm hingezogen, obwohl ich ihn noch nicht lange kenne.“

„Euch verbinden eine starke Fügung, die nicht zu trennen sein wird.“

„Über unseren Tod hinaus?“, fragte ich und wunderte mich, das ich solch ein Thema anschnitt.

„Ihr werdet euch in einem anderen Leben wiedersehen, sei gewiss, aber wird es nicht leicht werden.“

Wie meint ihr das?“

„Mehr kann ich euch nicht sagen, aber hütet Shane, wie euren Augapfel, er ist das Pfand für euer Leben.“

Mehr gab MacConroy nicht von sich. Wie soll da einer daraus schlau werden. Ich sah zu Shane hinunter und strich ihm die Haare aus seinem Gesicht, was dieser mit einem feinen Lächeln quittierte.

Ich hatte mir nie große Gedanken gemacht einen festen Freund zu haben, doch nun in dieser Zeit, was konnte ich schon tun. War der Shane in meiner Zeit ebenso? Fragen über Fragen taten sich in meinem Kopf auf.

Ich hatte beide Shanes nur wenig kennen gelernt, nicht viel mit ihnen geredet. Beide faszinierten mich aber, beide auf ihre Art. Ein Gefühl machte sich in mir breit, das ich bis jetzt noch nicht kannte.

Nicht mal das Küssen mit Nick, hat dieses Gefühl in mir erweckt. Tief in mir machte sich ein Wohlgefühl breit, eine Wärme, die mich erschaudern ließ. Shane schien davon wach zu werden.

„Ist euch auch kalt?“, fragte er.

„Nein, Shane. Schlaf weiter!“, antwortete ich.

„Ich kann nicht mehr schlafen, meine Gedanken hindern mich daran.“

„Welche Gedanken?“, fragte ich.

Shane richtete sich auf und setzte sich aufrecht neben mich.

„Es gibt sicher viele, die euch ehren?“

„Das kann sein, ich weiß es nicht.“

„Aber alle achten euch wegen eurer Kraft.“

„Sie sollten mich als Mensch achten, nicht als das, was sie in mir sehen!“

Shane sah mich mit großen Augen an. Ich legte meine Hand auf seine Schulter.

„Man soll einen Menschen nicht nach seinen Äußerlichkeiten beurteilen, sondern nach seinen inneren Werte“, versuchte ich zu erklären.

„Kevin, ihr überfordert ihn, er versteht euch nicht, wenn ihr so redet wie ihr es gewohnt seit!“, warf MacConroy ein.

Ich seufzte und wieder schaute ich zu Shane.

„Shane, du siehst den kräftigen Kämpfer in mir, oder?“

Shane nickt mir zu.

„Weißt du aber, wie ich wirklich bin? Du siehst nur meinen Umhang, meine Waffen, mein Schild, aber siehst du was sich dahinter verbirgt? Sicher nicht. Du lässt dich von meinem Äußeren blenden!“

„Ihr meint, ihr seid nicht so mutig und kräftig wie man sich erzählt?“, sagte Shane.

„Das habe ich nicht gesagt, aber du kennst eben nur diesen einen Teil, aber ich bestehe aus vielen Teilen.“

Ein großes Fragezeichen machte sich auf Shanes Gesicht breit und ich musste das erste Mal ein wenig grinsen.

„Ich grinst?“, fragte Shane erstaunt.

„Ja, ich kann sogar lachen. Shane, das meine ich damit, du kennst mich nicht von allen Seiten.“

„Ich will euch aber kennen, so wie ihr seid!“

„Dazu hast du jede Menge Zeit“, meinte ich und erhob mich.

Ich lief zu meinem Pferd das die Ohren stellte, als ich zu ihm trat.

Etwas rüttelte an mir und ich öffnete die Augen, ich lag wieder in meinem Bett bei Nick.

„Was ist denn los?“, brummte ich müde.

„Das wollte ich gerade dich fragen. Du schläfst total unruhig und redest wirres Zeug“, antwortete Nick.

Schlagartig war ich hell wach.

„Was habe ich geredet?“

„Ich habe nur ein paar Worte verstanden, wie Kämpfer, Äußerlichkeiten oder innere Werte.“

Sprach ich nun im Schlaf, was ich dort erlebte? Unsicher zog ich die Decke an mich, begann am ganzen Körper an zu zittern. Nick schien dies zu merken, rückte wieder näher und nahm mich in den Arm.

„Was macht dir so Angst?“, fragte er.

„Ich bekomme Angst vor mir selbst, was passiert mit mir, werde ich verrückt?“

„Hattest du so was schon früher?“

„Das ich von Kelten und Druiden träume?“

Nick nickte und lächelte sanft dabei. Ich schüttelte den Kopf.

„Bevor ich zu euch kam, hatte ich mit Irland und Kelten nichts im Sinn, das ist eine andere Welt für mich, etwas Neues!“

„Und doch träumst du anscheinend sehr intensiv davon?“

„Ja.“

„Darf ich dich noch etwas fragen?“

Ich schaute Nick an und nickte.

„Wer ist Shane?“

Ich fühlte die Wärme, die sich in meinem Gesicht breit machte und atmete tief durch.

„Wie soll ich das erklären…? Es gibt zwei davon…“

„Zwei?“

„Einmal den Shane in meinen Träumen, ein Königssohn, der mir anvertraut wurde, der mich wie einen Gott verehrt. Und zu anderen gibt es einen Shane, der als Pferdeknecht auf dem Gut meiner Mutter arbeitet.“

Es war zwar dunkel im Zimmer, aber ich konnte doch genau sehen, wie sich Nicks Mund zu einem frechen Grinsen verzog.

„Und in welchen davon hast du dich verliebt?“

„Ich kenn die zwei doch noch gar nicht richtig, ich weiß nur, das sie sich fast gleichen!“

„Wie gleichen?“

„Ich mache dir einen Vorschlag. Morgen wenn meine Eltern in Irland angekommen sind, werde ich zum Gutshof fahren, weil sie sich dort ein Zimmer genommen haben. Komm einfach mit, dann kann ich dir Shane zeigen, und du weißt auch, wie der Shane in meinen Träumen aussieht.“

„Ich weiß zwar nicht ob ich dass jetzt verstehen soll, aber gut, ich komme mit dir mit. Aber wir sollten nun weiter schlafen, ich muss nachher früh aufstehen und zur Schule.“

„Du willst also bei mir liegen bleiben?“, sagte ich ebenso mit einem frechen Grinsen.

„Daran könnte ich mich fast gewöhnen“, erwiderte er.

„Würde mich interessieren was Finley dazu sagt“, konterte ich.

Verlegen begann Nick wieder zu grinsen und kuschelte sich dicht an mich. Wieder fielen wir bald in einen tiefen Schlaf, der aber diesmal traumlos blieb und mir die verdiente Ruhe brachte, die ich wohl nötig hatte.

 

* * *

 

Auch wenn ich morgens schwer aus dem Bett kam, stand ich mit Nick auf, auch wenn er es eilig hatte, weil er in die Schule musste.

„Du Nick, wenn es dich nicht stört kannst du ja meine Dusche mitbenutzen“, sagte ich.

„Wirklich? Das würde mir sehr viel Zeit und Ärger ersparen“, kam es von ihm.

„Ärger?“

„Ja, mir bliebe die morgendlichen Streitereien mit meinen Geschwistern erspart.“

„Ich verstehe was du meinst, habe ich schon mitbekommen.“

Nick verschwand kurz aus meinem Zimmer, um wenig später wieder mit einem Knäuel von Klamotten wieder bei mir zu erscheinen. Er begann sich völlig auszuziehen und stand dann nackt vor mir.

„Da könnte man ja auf Finley richtig neidisch werden“, meinte ich, als ich Nicks Hintern taxierte.

Nick drehte sich noch einmal um, grinste mich an, bevor er in der Dusche verschwand.

„Der, der dich mal abkriegt, ist aber auch zu beneiden, bei der Beule in deiner Shorts“, hörte ich ihn von drinnen rufen.

Entsetzt sah ich nach unten und merkte jetzt erst, das ich eine ordentliche Morgenlatte schob. Verschämt ließ ich mich wieder in mein Bett fallen und vergrub mich unter meiner Decke. Irgendwie musste ich wohl eingeschlafen sein, denn als ich die Augen öffnete, ritt ich wieder ruhig neben MacConroy her.

„Ich sehe, der Schlaf hat dir gut getan, du siehst erholt aus“, meinte er.

„Ja, so fühle ich mich auch“, antworte ich und ließ suchend mein Blick wandern, bis ich mein Ziel gefunden hatte.

Shane lief etwas müde hinter uns her. Ich zog an den Zügeln und mein Pferd blieb stehen. Ich streckte meine Hand nach Shane aus, der aber nicht gleich begriff, was ich wollte.

„Komm steig auf, mein Pferd kann uns beide tragen!“

Verschüchtert nahm er meine Hand und ich zog ihn hoch auf den Rücken des Pferdes.

„Kevin reitet doch schon mal vor, und schau dir die Gegend an, aber sei vorsichtig, es gibt hier genug Hinterhalte“, meinte MacConroy.

Ich lächelte ihm zu und forderte den Braunen mit den Beinen auf schneller zu werden. Unbeholfen hüpfte Shane hinter mir auf und nieder, dass er fast den halt verlor.

„Halt dich ruhig an mir fest“, meinte ich.

Zögernd legte er seine Arme um meine Hüften und ich konnte endlich schneller reiten. Ich genoss die Nähe und die Wärme dieses Jungen. Es ließ mich auch unvorsichtig werden, so erschrak ich wie plötzlich jemand vor uns auf dem Weg auftauchte.

Der Braune ging kurz vorne hoch, als würde er den Fremden zertrampeln wollen, was Shane nicht gut bekam. Er rutschte vom Pferd und schlug hart auf dem Boden auf. Zornig schaute ich auf den Fremden, der sich nicht vom Fleck bewegte.

„Begrüßt man so alte Freunde?“, fragte er.

Etwas verunsichert, stieg ich ab und half Shane wieder auf die Beine.

„Ist das nicht Bevan, Sohn des König Daray Cillian?“, flüsterte mir Shane leise zu.

Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und drehte mich wieder zu dem Fremden.

„Bevan, seit wann tritt man als Freund aus einem Hinterhalt?“, fragte ich und setzte alles auf eine Karte.

„Ihr erinnert euch an mich, Kearney?“, sagte der Fremde und zog seine Kapuze herunter.

Ein junger Krieger, mit langen blonden Haaren kam zum Vorschein.

„Nicht jeder unscheinbare Königssohn gerät in Vergessenheit!“, sagte MacConroy der hinter mir wie aus dem Nichts auftauchte.

„MacConroy, schön euch zu sehen!“, sagte Bevan und verneigte sich.

„Was führt dich so früh in den Wald“ fragte MacConroy.

„Es sind Wilddiebe unterwegs, die, die Tiere meines Vaters erlegen, ich wollte dem Einhalt halten.“

„Menschen, die hungern“, gab MacConroy scharf von sich.

„Ich weiß, dass die Lebensweise meines Vaters euch nicht gefällt, MacConroy!“

„Es ist nicht wichtig, was ich denke! Ist dein Vater zu sprechen?“, fragte MacConroy.

„Ich denke, er wird sich freuen, euch nach so lange Zeit wieder zu sehen, MacConroy, euch Kearney, übrigens auch.“

Ich warf einen verwunderten Blick zu MacConroy, der mich aber mit einer Handbewegung beruhigte. Bevan lief an die Stelle zurück, aus der er getreten war und zog ein Pferd hervor.

„Wie ich sehe, junger Shane, hat dir dein Vater noch immer kein Pferd anvertraut“, kam es von Bevan.

Shane versuchte etwas zu sagen, aber ich hinderte ihn daran.

„Er steht unter meiner Obhut, also wenn du ihn angreifst, so greifst du mich an“, sagte ich und legte meine Hand auf den Knauf meines Schwertes.

„Nein, so war es nicht gemeint, edler Kearney“, meinte er und wich zurück.

Mir wurde bewusst, das MacConroy recht hatte, dass hier anscheinend jeder eine hohe Meinung von mir hatte. Ich stieg wieder auf mein Pferd und reichte Shane die Hand. Unsicher schaute dieser zu Bevan, bevor er meine Hand ergriff und sich hoch ziehen ließ.

„Du hast Glück, Shane, einen solchen Meister zu haben!“, meinte Bevan und stieg ebenfalls auf.

Er ritt langsam vor uns her, aber ohne ein weiteres Wort zu verlieren.

„Macht dir keine Gedanken, Kevin, es wird dir niemand etwas tun“, sagte MacConroy, der neben uns herlief.

Shane, schaute fragend zwischen mir und MacConroy hin und her.

„Warum sagt ihr immer Kevin, zu Kearney“, fragte er plötzlich.

„Weil das mein Name ist!“, sagte ich.

 

* * *

 

Total quer wachte ich in meinem Bett auf. Mein Arm schmerzte, weil ich auf ihm lag. Ich richtete mich auf und fand einen kleinen Zettel neben mir liegen.

 

Hallo Kevin,

danke für die Nacht, sie

war wunderschön.

Dein Nick

 

Man könnte meinen, wir hätten etwas angestellt. Mit einem Grinsen stand ich auf und entledigte mich meiner restlichen Klamotten. Unter der Dusche kamen meine Lebensgeister wieder. Ich stand diesmal länger unter der Dusche, als gewohnt.

Ich ließ einfach das heiße Wasser über meinen Körper laufen. Heute Mittag werden ich meine Eltern wieder sehen. So schnell konnten sich die Dinge ändern. Bis sie aber ankamen, bis Nick wieder von der Schule zurückkam, hatte ich genug Zeit, mich um etwas anderes zu kümmern.

Da Joyce ebenfalls nicht da war, ließ ich kurzerhand das Frühstück ausfallen. Nach dem ich alles verräumt hatte, denn ich wollte Joyce keine unnötige Arbeit machen, ging ich in Bobs Arbeitszimmer.

Ich saß vor den Bücherwänden und studierte in den Büchern, lass die Quervermerke. Bob schien einiges gefunden zu haben und hatte mir einige Bücher zurecht gelegt. In einem Buch fand ich sogar eine Zeichnung des damaligen Kearney.

Es lief mir kalt den Rücken herunter, denn die Zeichnung dieses Herrn war recht gut getroffen, er sah mir ähnlich. Aber nirgends konnte ich etwas finden, ob nun ein Krieg ausbrach oder nicht. Sicher standen die Könige aufgelistet und ebenso waren Daray Cillian und auch sein Sohn Bevan vorhanden.

Aber ich konnte keinerlei Verbindung zu König Maghnus finden. Interessant war die Beschreibung, die ich über Shane fand. Er hatte es jedenfalls zu etwas gebracht, er wurde Nachfolger seines Vaters, aber über private Dinge konnte ich in keinem Buch etwas finden.

Nur das er alleine blieb, nie heiratete. Was ich noch interessant fand, dass sich alles hier in der Gegend um Derry abspielte. Ich war so vertieft in der Leserei, dass ich nicht mitbekam, das Joyce wieder nach Hause kam.

„Hallo Kevin, na endlich wach?“

Ich schrak ein wenig zusammen. Sie hatte sich neben mich gestellt und schaute nach dem Buch, das ich in der Hand hielt.

„Ja, schon eine Weile“, antwortete ich.

„Schon etwas gefunden?“

„Eine Menge, die Leute aus meinen Träumen, gab es alle wirklich.“

„Oha, das ist ja interessant. Hier scheint ein magischer Ort zu sein, nur verstehe ich nicht, warum das auf dich solche Auswirkungen hat“, sagte Joyce.

„Ich habe hier Stammbäume gefunden. Na ja, wenn du so willst ist meine Mutter ein Nachfahre von König Maghnus.“

„Susan ist königlicher Herkunft?“

„So wie es aussieht ja.“

„Und warum hat das Bob nie entdeckt? Ich meine, diese Bücher stehen ja nicht seit gestern erst hier.“

„Das kann ich dir auch nicht sagen. Ich habe einfach genau nach Daten gesucht, was Bob, so anscheinend nicht gemacht hat.“

„Steht auch etwas über uns drin?“

„Nein, nur die kleine Notiz deines Mannes, das ihr wahrscheinlich von Wikinger abstand“, meinte ich gelassen und ernst.

Entsetzt schaute mich Joyce an und suchte nach dem Notizzettel ihres Mannes.

„Ich wusste gar nicht, dass man dich so leicht aufs Glatteis führen kann“, meinte ich und konnte mir das Lachen nicht mehr verbeißen.“

Das Lachen wurde mit einer Kopfnuss quittiert. Aber schließlich begann auch Joyce an zu lachen.

„Hilfst du mir noch einen Kuchen backen?“, fragte sie.

„Gibt es denn typische irische Rezepte für Kuchen?“

„Sicher, du wirst über die Vielfalt staunen.“

„Gut, dann mal los, ich bin ein emsiger Lerner!“

Ich folgte Joyce in die Küche. Sie packte die Tüten aus, die sie vom Einkauf mithatte und richtete sich die Zutaten für den Kuchen hin.

„Ich dachte du wolltest einen Kuchen backen?“, fragte ich.

„Wieso, tu ich doch!“

„Und was hat dann Kartoffelpüree im Kuchen zu suchen?“

Ich hielt ihr das Päckchen unter die Nase.

„Das gehört zum Rezept.“

„Kartoffel in einem Kuchen?“, fragte ich noch einmal.

„Ja, stell doch schon mal das Wasser auf! Die komplette Menge.“

Ich tat was sie gesagt hatte, nahm ihr den Topf aus der Hand, maß das Wasser ab und stellte ihn auf die offene Flamme des Gasherds. Es dauerte nicht lange und das Wasser kochte. Sie rührte das Püreepulver ein und zog den Topf von der Flamme.

„Reichst du mir mal bitte das Mehl?“, fragte sie.

Ich tat wie geheißen und stellte mich wieder neben sie. Sie nahm das Mehl rührte ein paar Löffel unter. Danach folgten der Zucker und auch noch Backpulver. Sie nahm einen Löffel und gab mir ein wenig davon zu probieren.

„Das schmeckt nicht schlecht“, sagte ich und Joyce stellte den Teig in den Kühlschrank.

„Der muss jetzt erst mal abkühlen, derweil kannst du mir die fünf Äpfel schälen.“

„Okay, verrat mich aber bitte nicht bei meiner Mum, dass ich dir in der Küche helfe, daheim hatte ich mich bis jetzt immer davor gedrückt“, sagte ich lächelnd.

„Und warum nun, das plötzliche Interesse?“, fragte Joyce.

„Ich weiß auch nicht, vielleicht um auf andere Gedanken zu kommen!“

Nach einer Weile holte Joyce den Teig wieder aus dem Kühlschrank und trennte ihn in zwei verschieden große Teile. Denn größeren rollte sie aus und legte ihn in eine hohe runde Backform, die ich vorher einfetten durfte.

„So, nun leg die Apfelscheiben hinein“, meinte sie und reichte mir die Schüssel, mit den Äpfeln.

„Müssen die irgendwie in ein schönem Muster liegen?“, fragte ich.

„Nein, da kommt ein Teigdeckel darauf, sieht man später nicht mehr.“

Also verteilte ich die Scheiben in der Backform. Joyce streute Zucker und Zucker über die Äpfel und verteilte auch noch ein paar Löffel Honig darüber.

„Wird das nicht zu süß?“, fragte ich.

„Lass dich überraschen, er wird dir sicher schmecken!“, antwortete sie.

Nun nahm sie den Restteig und rollte ihn ebenso aus, dann legte sie ihn über die Backform, drückte den Rand fest und schnitt das Überstehende ab.

„So nun kannst du das noch mit Ei bestreichen“, meinte Joyce und fing an, das Geschirr wegzuspülen.

Es kam dann noch mal Zucker obendrauf und sie stach mit einer Gabel ein paar Löcher in den Teigdeckel, damit der Dampf besser entweichen konnte, wie Joyce mir erklärte. Dann schob sie ihn in die Röhre.

Bei einer Tasse Tee saßen wir nun zusammen und beobachteten, wie der Kuchen nach einer Weile langsam eine goldgelbe Farbe annahm.

„Da bin ich wirklich gespannt, wie das schmeckt, ich habe noch nie Kartoffelpüree in einem Apfelkuchen gegessen“, meinte ich.

„Der Kuchen wird auch gerne zu Halloween gebacken, ein absoluter Renner.“

Ich spielte mit meiner Tasse und schaute Löcher in die Luft.

„Freust du dich, dass deine Mum herkommt.“

„Schon, aber ich habe immer noch ein mulmiges Gefühl im Bauch“, antwortete ich.

„Dass deine Mum vielleicht hier bleiben möchte?“

„Ja!“

„Und? Was ist daran schlimm?“

„Ich weiß es nicht, es geht plötzlich alles so schnell. Ich bin gerade eine Woche da und habe Sachen erlebt, die reichen bei anderen ein ganzes Leben.“

„Du hörst dich gerade sehr altklug an.“

Ich atmete tief durch und nippte an meiner Tasse Tee.

 

* * *

„Kearney, kann ich euch etwas fragen?“, meinte Shane.

Immer noch ritten wir Bevan hinter her, dicht gefolgt von MacConroy. Ich schaute zu Shane und nickte.

„Kearney, habt ihr keine Angst?“

„Vor was?“, fragte ich.

„Wir wissen nicht, was uns bei Daray Cillian erwartet. Er war noch nie ein Freund des Friedens. Aber seine Meinung zu ändern wäre gut, denn er ist mit dem größten Königreich, auch derjenige, nach dem sich die anderen richten.“

„Daray Cillian ist heimtückisch und niederträchtig“, mischte sich MacConroy ein.

„Er will also einen Krieg?“, fragte ich.

„Das glaube ich kaum, denn er hat bei seinem letzten Kampf sehr viele Krieger verloren“, antwortete MacConroy.

„Und wahrscheinlich, jede Menge Kühe abgeben müssen“, setzte ich an.

„Es gilt ihn davon zu überzeugen, dass dieser Patrick uns nichts Schlechtes bringt, trotz des Misstrauens, was die Provinzkönige gegen die Anderswelt hegen.“

„Anderswelt?“, fragte ich.

„Jene Gebiete, die nicht zu den Königreichen gehören, werden hier als Anderswelt bezeichnet“, erklärte MacConroy.

„Ihr wisst nichts von der Anderswelt“, fragte Shane verwundert.

„Doch schon, aber nicht so wie du denkst“, antwortete ich.

Ich wandte mich zu MacConroy, der dicht hinter dem Pferd lief.

„Ist es noch weit?“, fragte ich.

„Nein, wir haben bereits die Grenze zum Königreich Daray Cillian überschritten. Der Wald lichtet sich schon“, antwortete er.

Plötzlich scheute mein Pferd wieder, aber diesmal hatte ich es besser im Griff und Shane musste keine unfreiwillige Landung, auf den Boden machen. Ein weiterer Reiter kam aus dem Dickicht.

„Duncan, was willst du hier?“, rief Bevan, der den Reiter ebenso bemerkt hatte.

„Das zu beenden, zu was du nicht fähig bist, Bruder.“

Er zog sein Schwert und ritt auf uns zu. Shane glitt schnell vom Pferd und brachte sich mit MacConroy in Sicherheit. Ich zog nun ebenfalls mein Schwert, blieb aber stehen. Mit einem Urschrei, raste dieser Duncan auf mich zu.

Er holte zu einem ersten Schlag aus, doch ich konnte diesen mit meinem Schild abwehren. Das Schild schlug mir bei der Wucht, gegen meine Schulter, was höllisch schmerzte. Schnell wendete ich das Pferd um Duncan nicht im Rücken zu haben.

Wieder startete er einen Angriff. Scharf klangen die Schwerter, die hart gegeneinander schlugen. Funken sprühten durch die Luft, als ich einen weiteren Schlag mit dem Schwert abwehrte.

„Zu lange weilst du unter uns“, rief Duncan wutentbrannt und holte erneut zu einem Schlag aus.

Doch ich war schneller, ich konnte diesen Angriff nicht nur abwehren, sondern es gelang mir sogar, ihm das Schwert aus der Hand zu schlagen. Siegesgewiss hob ich die Schwertspitze an seinen Hals.

„Das wird auch noch eine Weile so bleiben“, sagte ich ruhig, auch wenn mir die Luft dazu fehlte.

„Duncan, bist du von allen guten Geistern verlassen?“, schrie Bevan, der nun zu uns kam.

Verächtlich schaute Duncan seinen Bruder an.

„Irgendwann bringe ich zu Ende, was ich nun versäumt habe“, meinte er und ritt wie gejagt davon.

Shane hob das verlorene Schwert auf und wollte es Bevan reichen.

„Nein Shane, das Schwert gehört nun dir“, sagte ich.

Shane schaute mich ungläubig an, aber auch Bevan nickte ihm zu.

„Nimm es ruhig, mein Bruder, wird nicht mehr damit kämpfen, weil es ihn so im Stich gelassen hat“, sagte Bevan und drehte sein Pferd  um weiter zu reiten.

MacConroy trat zu Shane.

„Es wundert mich, dass Duncan nicht gesiegt hat“, meinte er.

„Warum?“, fragte ich.

„Das ist das Schwert von Nuadha. Wer es trägt, wird nicht besiegt, durch seine Feinde!“

„Ich bin kein Feind!“, sagte ich schaute mir das Schwert genauer an.

Wie mehrere Schlangen ineinander verschlungen zeichnete sich der Knauf ab, gefolgt von einer sehr langen und schmalen Klinge.

„Nuadha war einer der Götter, die am Anfang zu uns kamen“, sprach MacConroy weiter.

„Ein Gott?“, fragte ich.

„Ja, er kam zu uns um als menschlicher Herrscher über unser Land zu regieren und tauchte nach seinem Tod, den er im Kampf gegen Dämonen von Fomore fand, als Gott in das Elfenreich ein.“

Wieder sah ich auf das Schwert, dass Shane immer noch bewundernd in seinen Händen hielt.

„Man erzählt, er habe damit zwei Drachen auf einmal besiegt.“

„Drachen und Elfen? Ihr glaub an ihre Anwesenheit?“, fragte ich.

„So wird es überliefert“, meinte MacConroy.

Ich half Shane wieder auf das Pferd, der stolz dieses Schwert in Händen trug.

„Jetzt verstehe ich auch, warum Duncan, nicht mit diesem Schwert weiter kämpft, weil er glaubt es habe seine Kräfte verloren“, sagte Shane.

MacConroy nickte ihm zu. Langsam ritt ich weiter und folgte somit wieder Bevan, der schon einen beachtlichen Vorsprung hatte.

 

* * *

 

Ich schlug meine Augen auf und lag in meinem Bett. Wieder schien ich eingeschlafen zu sein, draußen vor der Tür hörte ich Joyce rufen.

„Kevin, deine Mum ist am Telefon, kommst du?“

„Ja, sofort“, rief ich und sprang aus dem Bett.

Meine Schulter schmerzte, ich rieb sie ein wenig. Ich kam zu Joyce, die mich ein wenig ungläubig ansah und mir den Hörer entgegenhielt.

„Mum?“, rief ich hinein.

„Ja, hallo Kevin, wir sind eben gelandet und dein Vater sucht den Schalter, wo wir unser Auto bekommen.“

„Wow ich freue mich wahnsinnig, euch zu sehen“, meinte ich.

„Du bist gerade mal fünf Tage weg“, meinte Mum.

„Ja, aber in den fünf Tagen ist schon soviel passiert, ich habe euch jede Menge zu erzählen.“

„Gut, wenn wir das Mietauto haben, werden wir gleich losfahren. Wir kommen dann direkt zu euch.“

„Du weißt wo Joyce wohnt?“

„Ja, du vergisst ich bin in Derry aufgewachsen. Gut, dein Vater winkt mich zu sich, wir sehen uns später“, meinte sie.

„Okay, ich freue mich. Bye.“

„Bye“, kam von ihr und schon hatte sie aufgelegt.

„Wie lange werden sie brauchen?“, fragte ich Joyce, die immer noch neben mir stand.

„Ungefähr eine Stunde, aber was ist mit dir passiert?“, fragte sie.

„Wieso passiert?“, fragte ich verwundert.

„Du bist total weiß im Gesicht und dein Haar steht ab, als hättest du in die Steckdose gelangt.“

„Nein, ich habe nur wieder geträumt“, sagte ich und wollte schon wieder gehen, um nicht weiter darauf eingehen zu müssen.

„Was ist denn in deinem Traum passiert?“

„Ich hatte einen Kampf gegen irgendeinen Trottel.“

„Einen Kampf?“, fragte Joyce entsetzt.

Mir tat meine Schulter immer noch weh. Ich hatte das doch nur geträumt, dass das Schild gegen meine Schulter prallte, warum tat mir das jetzt weh. Ich rieb wieder an meiner Schulter, aber es wurde nicht besser.

„Ja, so ein Königssohn wollt mir mit dem Schwert an die Gurgel, konnte ihn aber abwehren!“

„Und warum reibst du so an deiner Schulter?“, fragte sie.

Ach, ich weiß auch nicht. Im Traum hab ich das Schild gegen meine Schulter bekommen und jetzt tut es mir weh.“

„Wow, du träumst wirklich sehr realistisch, soll ich dir was zum eincremen geben? Wo tut es denn weh?“

Ich zog den Kragen meines Shirts zur Seite, so dass man auf die Schulter blicken konnte.

„Das ist ja ganz blau, Kevin“, meinte Joyce erschrocken.

„Dementsprechend tut es auch weh, ich hab nicht gesehen, dass das blau ist.“

Jetzt war ich doch erschrocken, diese Traumgeschichte nahm Ausmaße an, dir mir immer unheimlicher wurden. Konnte so was sein? Ich folgte Joyce ins Bad, die mir die Schulter eincremte. Mit nacktem Oberkörper legte ich mich dann wieder aufs Bett und wartete, bis die Creme eingezogen war.

In einer Stunde sollten meine Mutter und auch mein Dad ankommen, ich freute mich darauf, wusste aber nicht, ob ich ihnen das mit meiner Träumerei erzählen sollte. Unschlüssig stand ich wieder auf und lief zum Fenster.

Warum hatte ich diese Träume? Wurde ich jetzt verrückt? Ich beschloss mich draußen vor das Haus zu setzen, um die Ankunft meiner Eltern abzuwarten. Als ich Tür öffnete, stürmte mir Kyle entgegen.

„Hallo Kevin, ich habe früher Schule aus, wegen einem Spiel, keine Zeit zum Reden, muss mich umziehen.“

Ich schaute Kyle nach, wie er die Treppe rauf verschwand. Mit einem Lächeln im Gesicht setzte ich mich vor das Haus. Trotz der Kühle, genoss ich die Sonnenstrahlen in meinem Gesicht. Viel von Derry hatte ich noch nicht gesehen, auch das Derry am Wasser lag hatte ich außer der kühlen Luft noch nicht bemerkt.

Wenn alles hier seinen normalen Weg ging, also ich auf der Sprachschule, dann wollte ich mir Derry mal näher unter die Lupe nehmen. Jetzt aber genoss ich die Ruhe, die ab und zu von einem vorbeifahrenden Auto unterbrochen wurde.

„Möchtest du eine Tasse Tee?“

Joyce stand an der Tür, mit einem dampfenden Pott, den sie mir entgegenstreckte..

„Ja, gerne“, antwortete ich.

Sie reichte mir die Tasse und setzte sich zu mir.

„Eine aufregende Woche“, meinte sie und nippte an ihrer Tasse.

„Sie ist noch nicht vorbei, das Wochenende steht ja noch vor der Tür“, meinte ich.

Drinnen hörte ich Poltern und Kyle kam aus dem Haus gestürmt.

„Bis heute Abend Mum, bin dann weg“, sagte Kyle im Vorbeistürzen.

Er rannte die Strasse hinunter und war hinter der nächsten Biegung verschwunden.

„So hat jeder in eurer Familie seine Beschäftigung“, meinte ich.

„Ja, das stimmt, aber ich finde es auch gut so, keine langweiligen Kinder zu haben“, entgegnete Joyce.

Unweigerlich musste ich grinsen, denn auch Bob hatte sie mit dem Spruch einbezogen.

„Grins du nur, irgendwann hast du auch Familie, dann wirst du schon sehen.“

„Du, ich denke ein Freund würde mir reichen“, sagte ich und nippte an meinem Tee.

Joyce begann zu Lachen, sie verschüttete fast dabei ihre Tasse.

„Ihr könnt doch trotzdem Kinder adoptieren“, meinte sie.

„Na ja, ich weiß nicht. So ein Wirbelwind wie Kyle, wie soll man so was bändigen?“

Am Ende der Strasse tauchten Nick, Finley und Erin auf, die sich angeregt unterhielten. In ihren Schuluniformen sahen sie aus wie brave Schüler. Erin löste sich von den beiden und kam auf uns zu.

Nick und Finley dagegen blieben an der Strasse stehen.

„Na ihr zwei, die Sonne genießen?“, sagte Erin, als sie uns erreicht hatte.

„Jeden Strahl muss man mitnehmen, bald kommen wieder die kalten trüben Herbsttage, dann ist es aus damit“, antwortete Joyce.

Erin betrat das Haus und verschwand. Beide, Joyce und ich beobachteten Nick und Finley, wie sie am Straßenrand standen und etwas unbeholfen mit einander redeten.

„Wer gibt wem einen Kuss?“, fragte Joyce mich plötzlich.

„Ich weiß es nicht. Nick ist noch sehr schüchtern, vor allem steht er noch am Anfang. Finley dagegen, kenne ich noch nicht genug“, antwortete ich.

Nick beugte sich vor und gab Finley einem kleinen Kuss auf die Wange, der dann strahlend weiter lief, Richtung nach Hause.

Etwas rot im Gesicht, setzte sich Nick zu uns.

„Na du Casanova“, sagte Joyce, mit einem frechen Grinsen im Gesicht.

Auch ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

„Ihr seid doch bloß neidisch, dass ihr nicht so einen süßen Freund habt“, kam es von Nick, der immer noch Finley hinter her sah.

„Wie war die Schule?“, fragte Joyce.

„Interessant!“, sagte Nick.

„Interessant? Ist das wirklich mein Sohn?“, meinte Joyce und sah ihn genau an.

Nick begann zu kichern.

„Ich gehe schnell rein und zieh mich um, bleibt ihr hier noch sitzen?“

„Also ich schon“, meinte ich und Joyce nickte ebenfalls.

Doch kaum war Nick im Haus verschwunden, klingelte das Telefon. Joyce seufzte stellte ihre Tasse auf das Fenstersims und lief zum Telefon. Wenig später kam Nick in normalen Sachen heraus und setzte sich wieder zu mir.

Dicht an mich gelehnt, schaute er ebenfalls Richtung Sonne.

„Was war denn so interessant in der Schule?“, fragte ich.

„Du und ich“, antwortete er.

„Ich?“, fragte ich verwundert.

„Ja, unser Kuss diese Woche schien nicht unbeobachtet geblieben zu sein“, antwortete Nick.

„Und was hat das mit der Schule zu tun?“

„Man ist an mich heran getreten und gefragt ob ich schwul sei und du mein Freund bist.“

Ich schaute Nick durchdringend an.

„Ich sagte nein!“

„Du sagtest nein?“

„Ja, weil Finley gleich darauf zu mir stand und sagte er sei mein Freund.“

„Und wie wurde es aufgenommen?“

„Super, es fiel nicht ein blödes Wort, alle haben uns beglückwünscht.“

„Dann war ich ja wohl dann Geschichte.“

„Nein, warst du nicht. Dass Finley und ich zusammen sind, hat sich in der Oberstufe herum gesprochen wie ein Lauffeuer. Na ja, und irgendwann kam ein schüchterner Patrick aus der Nachbarklasse auf mich zu und fragte ob du schon vergeben wärst.“

„Bin ich es?“, fragte ich.

„Ich habe zu ihm gesagt, das weiß ich nicht, dass muss er selber heraus finden, aber ich konnte ihm versprechen, dass du ein hervorragender Küsser wärst.“

Ich verzog mein Gesicht zu einer Fratze.

„Das war ja klar, dass dies kommen musste.“

„Na ihr zwei, über was unterhaltet ihr euch denn?“

Joyce kam wieder aus dem Haus und setzte sich.

„Das Kevin unheimlich gut küssen kann“, meinte Nick und grinste mich dabei an.

„Und woher weißt du das so genau?“, fragte Joyce.

Die plötzliche Röte in Nicks Gesicht, ließ mich an meine Tee verschlucken. Laut hustend hielt ich die Tasse weit von mir weg, um nicht auch noch etwas über mich zu gießen. Ein Wagen kam die Straße entlang gefahren.

„Ich glaube unser Besuch kommt“, sagte Joyce und stand auf.

Ich konnte meine Mum am Steuer erkennen und sprang ebenso auf. Nachdem ich meine ohnehin fast leere Tasse abgestellt hatte, rannte ich zur Straße um meine Eltern in Empfang zu nehmen.

Mein Dad stieg als erstes aus und ihm fiel ich auch dann um den Hals.

„He, Junior, was für ein stürmische Begrüßung“, sagte Dad und drückte mich fest an sich.

Mein Mum kam ums Auto herum und sie wurde ebenso begrüßt. Joyce und Nick waren jetzt ebenfalls an das Auto heran getreten.

„Hallo Joyce, schön dich zu sehen“, meinte Mum.

Joyce lächelte und hob die Arme.

„Susan, altes Haus, komm her lass dich drücken, nach zwanzig Jahren bist du mir das schuldig.“

Die Frauen fielen sich in die Arme, während mein Dad seinen Arm um mich legte.

„Und das wohl scheint Andreas zu sein, von dem du mir in unzähligen Briefen vorgeschwärmt hast“, sagte Joyce und ging zu meinem Vater.

„Hat sie?“, fragte er verlegen und reichte Joyce die Hand.

„Das hier ist mein ältester, Nick“, sagte Joyce und schob ihn an sich vorbei.

„Und du sagtest, hier gibt es keine schönen Jungen“, meinte meine Mum frech zu mir, als sie Nick die Hand schüttelte.

„Mum!“, rief ich, weil es mir peinlich war.

„Keine Sorge, Mrs. Neumann, ich bin bereits vergeben“, sagte Nick selbstbewusst.

„Ja, und das hat er eurem Kevin zu verdanken, weil er sich für ihn eingesetzt hat, zwar mit einer ungewöhnlichen Methode, aber dafür effektiv“, meinte Joyce.

Wie rot kann man eigentlich in einem Gesicht werden? Alle grinsten vor sich hin.

„Wollt ihr zwei gleich auf das Gut hinaus fahren, oder habt ihr noch Zeit für einen Tee?“, schloss sie an.

„Also für mich gerne einen Tee, aber für Andreas denke ich mal einen Kaffee“, sagte Mum.

Mein Dad nickte. Gemeinsam liefen wir ins Haus, wo uns auch Erin über den Weg lief. Eine herzliche Begrüßung folgte, bei der Erin meiner Mum versicherte, dass viele ihrer Mitschülerinnen sie kennen würden, jedenfalls aus den Erzählungen der Eltern.

„Ich dachte nicht, dass ich so gut in Erinnerung geblieben bin“, sagte Mum.

„Ja und ich bin der Sohn dieser Frau“, sagte ich gespielt vorwurfsvoll.

„Du musst Höllenqualen durchlitten haben“, kam es von ihr, wobei ich an ihren Augen sah, wie höllisch sie dabei funkelten.

Ich wurde ernst.

„Das schon, aber aus einem anderen Grund“, meinte ich.

Große Fragenzeichen bildeten sich auf den Stirnen meiner Eltern. So nahm ich allen Mut zusammen und erzählte ihnen von meinen Träumen. Auch Erin, die bis jetzt noch nichts mitbekommen hatte, von dem Ganzen, saß mit offenem Mund da.

Als Beweiß meiner Geschichte, zeigte ich noch meine blaue Schulter, die nicht mal Nick zu sehen bekommen hatte. Innerlich aufgewühlt, von meiner Geschichte saßen alle um mich herum.

„Mein Großvater hat mir, als ich klein war, viel über die Kelten erzählt und das wir direkte Nachfahren von den Kelten wären“, sagte meine Mum.

„Also ich weiß nicht, ich bin nicht so gläubig, was Seelenwanderungen oder Seelenverwandtschaft betrifft“, meinte Dad.

„Ich weiß nicht warum ich das träume, aber die Personen gab es teilweise wirklich, ich habe sie in den Büchern von Bob gefunden“, sagte ich.

„Bob?“, fragte mein Dad.

„Das ist mein Mann, er hat sich den Kelten verschrieben und alles was mit ihnen zu tun hat, Nick hier auch“, meinte Joyce.

„Und jedes Mal wenn du einschläfst, findest du dich im alten Keltenreich wieder?“, fragte meine Mum.

„Ja, warum?“

Etwas unsicher schaute meine Mum in die Runde.

„Was ist?“, fragte Joyce.

„Ich habe das verdrängt, aber als ich in Kevins Alter war, hatte ich dieselben Träume.“

„Das wusste ich nicht“, meinte Joyce.

„Ich habe ja auch nie mit jemand darüber geredet.“

„Hattest du einen Namen?“, fragte ich.

„Ja, den werde ich nie vergessen, man nannte mich Rigatona.“

„Rigatona? Wirklich?“, kam es von Nick.

„Ja, wieso?“

„Rigatona galt als die Tochter des Königs der Unterwelt. Sie war die Göttin der Pferde und dem heiligen Land“, erklärte Nick.

„Das passt ja, mit den Pferden“, sagte Joyce lächelnd.

„Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich einen Mitstreiter hatte.“

„Tigernonos?“, kam es wieder von Nick.

„Ja stimmt, du bist wirklich gut in keltischen Sachen, stelle ich fest“, sagte Mum.

„Aber komisch ist es schon, dass Susan und jetzt auch Kevin, davon träumen und vor allem so realistisch“, sagte Erin.

„Ich weiß, ich habe eine Aufgabe zu erfüllen, obwohl ich meinen Namen Kearney nicht gefunden habe, ich keinem der Bücher, die ich entziffern konnte“, sagte ich.

„Alle Achtung, du liest schon in englischen Büchern“, meinte mein Vater anerkennend.

„Kearney heißt übersetzt Krieger. Du hättest ruhig etwas sagen können, ich hätte dir geholfen, etwas darüber zu finden“, meinte Nick.

„Es hilft nichts, Träume hin oder her, ich möchte jetzt zum Reiterhof, wenn ihr nichts dagegen habt“, kam es plötzlich von meiner Mum.

„Ja, gut! Dann kann ich dir mein Pferd zeigen?“, sagte ich.

„Du hast ein Pferd?“, kam es im Chor von den Anderen.

„Na ja. Sein Pferd. Er ist der Einzige den das Pferd auf sich reiten lässt?“, meinte Joyce.

„Du kannst reiten? Seit wann?“, fragte mein Vater erstaunt.

Ich begann zu grinsen.

„Seit ich weiß, dass Mum Pferde besitzt“, antwortete ich und stand auf.

„Und wer geht alles mit?“, fragte Joyce.

Dass dies eine unnötige Frage war, konnte sie sich denken. Erin und Nick wollten auch mit. Und Nick selbst legte einen Dackelblick auf, dass ich gleich wusste, was er wollte.

„Dann ruf Finley an, er soll kommen, aber schnell, wir wollen fahren“, sagte ich.

Schon war Nick verschwunden.

Ich zeigte meinen Eltern noch mein Zimmer, was Nick auch die nötige Zeit verschaffte seinen Liebling herzubringen.  Als alle zusammen waren und auch Finley meinen Eltern vorgestellt wurde, konnten wir uns langsam mit zwei Wagen in Bewegung setzten.

Joyce hatte mit Bob ausgemacht, dass er später noch folgte. Ich saß bei meinen Eltern im Wagen, der Rest bei Joyce.

„Mum, darf ich dir eine Frage stellen?“

„Natürlich Kevin!“, antwortete sie während sie den Wagen durch die Strassen steuerte.

„Warum hast du mir nie etwas aus deiner Kindheit erzählt. Ich meine, von hier, von Derry, was du erlebt hast?“

„Darf ich die Frage beantworten?“, fragte mein Dad, Mum.

Sie nickte. Er drehte den Kopf zu mir.

„Als ich deine Mutter kennen lernte, war sie ziemlich am Boden zerstört. Sie erzählte mir gleich zu Anfang, was sie hier erlebt hatte und sie so fluchtartig nach Deutschland kam. Nach dem wir dann schon eine Weile zusammen waren, vereinbarten wir, das Thema Irland nicht mehr zu erwähnen, auch als du auf die Welt kamst. Sie stammt aus England und fertig.“

„Ihr wolltet mir das nie sagen?“

„Doch Kevin“, fing meiner Mum an, „sonst hätten wir dich nicht hier her geschickt. Wir dachten, du sollst dir selbst ein Bild machen und nicht irgendwie von uns, besonders von mir beeinflusst werden.“

„Aber warum wusstest du nicht, was hier los war, ich meine, der Reiterhof, das hättest du doch wissen müssen?“

„Ich habe mir ganz zu Anfang einen Anwalt genommen, es war ja nicht so, dass ich arm wie eine Kirchenmaus war. Er sollte sich um alles kümmern, damit ich nicht behelligt wurde. Das hat so auch ganz gut geklappt. Lediglich der Briefkontakt zu Joyce brachte mich Derry wieder näher.“

„Dann bin ich mal gespannt, was du zu dem Anwesen sagst“, meinte ich und lehnte mich wieder zurück.

Da Joyce vorausfuhr brauchte ich den Weg nicht zu erklären. Bald fuhren wir wieder an den Koppeln mit den Pferden vorbei. Der Parkplatz war diesmal gefüllter und wir fanden gerade noch zwei freie Plätze.

Mein Dad und Mum waren still, sie ließen alles auf sich wirken.

„Das alles gehört dir?“, fragte er.

„Uns Schatz, uns!“

„Wow. Da rackere ich mich Jahre lang ab und hier besitzen wir einen Reiterhof.“

„Das könnte sich nun ja ändern“, meinte sie.

Ich schaute beide fragend an.

„Was ist Kevin, du schaust so komisch“, meinte mein Dad.

„Habt ihr irgendetwas ausgeheckt, von dem ich noch nichts weiß?“, fragte ich.

„Würde es dir sehr gegen den Strich gehen, für immer hier zu bleiben?“, meinte meine Mum.

„Sieh mal Kevin, auf meiner Arbeit werde ich mich wohl nicht mehr verbessern. Jüngere und erfolgreicher Arbeiter werden mir vorgezogen, mir gefällt es da nicht mehr und für den Hungerlohn schon gar nicht“, erklärte Dad.

„Ihr meint also, ihr wollt zu Hause alles abbrechen und hierher ziehen?“, fragte ich.

„Wäre das schlimm?“

„Also ich muss zugeben, mich überrascht das nicht. Ich bin zwar erst eine knappe Woche hier, aber ich bin so herzlich aufgenommen worden und habe auch schon so viel erlebt, dass ich mir durch aus vorstellen könnte, hier zu leben!“, erwiderte ich.

Meine Eltern lächelten mich an und wir stiegen aus. Es dauert nicht lange und Mr. Evens kam aus der Tür gestürmt, sicher hatte er drinnen Joyce und mich erkannt.

„Mrs. Neumann?“

Meine Mum nickte und streckte ihm die Hand zur Begrüßung entgegen.

„Es freut mich sie endlich kennen lernen zu dürfen!“, sagte Evens.

Was für ein Schleimscheißer, dachte ich. Irgendwie mochte ich diesen Typ nicht, er war mir zu aalglatt.

„Ja, irgendwann musste ich ja mal dieses Anwesen anschauen“, kam es von meiner Mutter.

„Es wird sie freuen, es arbeitet sogar noch jemand hier, den sie kennen. Darf ich vorgehen?“

„Nur zu Mr. Evens“, sagte meine Mum und verdrehte die Augen, als dieser ihr den Rücken zuwandte.

Die anderen folgten uns still. Er führte uns zu den Ställen, wo ich auch gleich Brainstone erblickte, der wie das letzte Mal in seiner Box stand. Ohne abzuwarten, lief ich zu ihm. Anscheinend erkannte mich Brainstone, den er wieherte leise und hob den Kopf.

„Na, mein Alter, sollen wir wieder ausreiten?“, fragte ich ihn.

„Hallo Kevin, wieder da?“, kam es von der Seite.

Ich drehte meinen Kopf und Shane stand vor mir.

„Hallo Shane, schön dich zu sehen und wie läuft es?“, fragte ich.

„Na ja, es wird hier viel gemunkelt. Vor allem das die Chefin kommt, und ein paar Leute sicher gehen müssen“, antwortete er in einem traurigen Ton.

„Ganz langsam Shane, nicht so voreilig. Darüber wurde noch gar nicht gesprochen und ich denke meine Mum wird sicher niemand entlassen, auch dich nicht.

Shanes Gesicht hellte auf.

„Willst du Brainstone wieder ausreiten?“, fragte er lächelnd.

„Ich hätte nichts dagegen“, meinte ich.

„Gut dann sattele ich ihn schon mal.“

„Gibt es ein Pferd, das du gerne reitest?“, fragte ich.

Verschüchternd schaute er erst zu Boden und guckte dann kurz zu einer anderen Box. Ich folgte seinem Blick und sah dort ein weißes Pferd.

„Das dort?“

„Ja, das ist Faballa, sie ist wie Brainstone, schon eine Weile hier.“

„Dann sattele auch sie und komm mit, ich kenne mich hier schließlich nicht aus!“, meinte ich.

„Das kann ich nicht machen, dass ist den älteren Bediensten erlaubt, mit den Gästen auszureiten, mir nicht.“

„Das wollen wir mal sehen“, meinte ich und lief zurück zu meiner Mutter, die gerade von einem älteren Mann umarmt wurde.

„Mensch Devin, dass du noch hier arbeitest?“, hörte ich sie sagen.

„Dafür hat dein Vater gesorgt und mir hier eine Lebensstellung gegeben.“

Meine Mum war sichtlich gerührt und wischte sich die Tränen aus den Augen. Als ich fast neben ihnen stand, bemerkte man dich.

„Darf ich dir meine Sohn Kevin vorstellen, der hier seit einer Woche zur Sprachschule ist?“, fragte meine Mum und zog mich nach vorne.

„Von dir habe ich schon gehört, du bist also der, der Brainstone ohne Probleme reiten kann!“

„Hat sich das schon herum gesprochen?“, fragte ich verwundert.

„Shane erzählt von nichts anderem, seit du da warst“, meinte dieser Devin.

„Wenn wir gerade von Shane sprechen, könnte er mit mir ausreiten? Ich kenne die Gegend hier nicht“, fragte ich.

„Aber sicher, wollen die Drei auch mit reiten?“, fragte Devin und zeigte auf Nick, Finley und Erin, deren Gesichter sofort einen glücklichen Schein bekamen. Sie schauten Joyce an, die ihre Zustimmung gab.

Also ging ich wieder zurück zu Shane, mit Nick und Erin im Gefolge.

„Shane, würde es gehen, wenn noch drei weitere Pferde gesattelt werden, ich habe noch jemand, der mit uns beiden mit reitet“, sagte ich zu ihm.

„Ich darf mit?“

„Ja, natürlich.“

„Moment, da brauche ich Verstärkung“, entgegnete er mir und düste sofort in den offen Stall.

Zurück kam er mit einem Mann, der ihm dann half noch drei weitere Pferde zu satteln. Nick stand ehrfürchtig vor Brainstone.

„Keine Angst, er tut dir nichts“, meinte ich.

Nick schien mir nicht zu glauben. Nach dem uns Shane auch noch die Reiterstiefel brachte und wir diese angezogen hatten, konnte es losgehen.

„Ist das eigentlich derjenige, von dem du mir erzählt hast?“, flüsterte mir Nick zu.

Ich wurde ein wenig rot und Nick grinste.

 

* * *

 

Stolz saß Shane auf Faballa und ritt langsam neben her, dicht gefolgt von Erin und am Schluss unsere zwei Turteltäubchen.

„Und deine Mutter hat wirklich vor wieder her zuziehen?“, fragte Erin.

„Ja, aber ich denke, es wird noch bis zum Jahresende dauern, bis zu Hause alles erledigt ist, und solange bleib ich euch noch bei euch wohnen“, antwortete ich.

„Und dann ziehst du zu uns auf das Gut?“, fragte Shane.

„Du wohnst auch hier?“, fragte ich.

„Ja, ich bin Vollweise und Devin ist mein Vormund, ich wohne bei ihm in einem kleinen Häuschen am Rande des Gutes.“

„Das wusste ich nicht, tut mir leid wegen deinen Eltern“, meinte ich.

„Macht nichts, ich habe sie nie kennen gelernt.“

Von hinten kam ständiges Kichern, Nick und Finley fielen fast vom Pferd, bei dem Versuch sich zu küssen.

„Sind die beiden…?“, begann Shane seine Frage.

„Ja, die beiden sind schwul! Probleme damit?“, meinte ich.

Anscheinend hatte ich das jetzt doch ein wenig zu forsch gesagt, denn Shane wich mit dem Pferd ab und bekam einen roten Kopf.

„Nein“, kam es leise von ihm, „ich dachte nur…“, und wieder verstummte er.

Nick und Finley legten einen Zahn zu und ritten an uns vorbei, Erin folgte ihnen.

„Was ist los, Shane?“

„Ist schon gut, ich habe das nur noch nie gesehen?“

„Dass sich zwei Jungen küssen?“

„Ja.“

„Du hast eben gemeint, du dachtest nur…, was meintest du damit?“

Shane schwieg, schien sich wohl nicht zu trauen, etwas zu sagen. Ich griff ihn am Arm und hielt ihn an. Faballa und Brainstone bleiben beide stehen.

„Was ist dir so peinlich, Shane?“, fragte ich.

Er sah nach vorne, wie die Drei davon ritten.

„Shane, wenn es das ist was ich denke, brauchst du vor mir keine Scheu zu haben, denn ich bin selbst schwul.“

„Was du?“, fuhr Shane herum, „du bist doch… nein, das glaube ich nicht.“

„Ob du es glaubst oder nicht, ich bin was ich bin.“

„Du sagst dass nicht nur, um mich zu beruhigen, damit ich zugebe, genauso zu fühlen?“

Also hatte ich Recht! Mein Herz machte ein Freudensprung, ich hätte vor Freude am liebsten laut losgejohlt.

„Nein Shane, so etwas würde ich nicht tun!“

Ein weiches Lächeln zierte sein Gesicht und seine grünen Augen begannen zu Funkeln.

„Hast… hast du schon einen Freund?“, fragte er vorsichtig.

„Nein, aber ich denke, dass wird sich bald ändern“, antwortete ich.

Sein Gesicht wurde wieder Ernst und ich bemerkte, dass er mich falsch verstanden hatte.

„Shane, ich glaube du hast gerade etwas falsch verstanden“, sagte ich.

Ich griff nach seinem Gesicht, streichelte sanft über seine Wange und zog ihn zu mir. Wir schlossen beide gleichzeitig die Augen und wenige Sekunden später trafen sich unsere Lippen.

„Könntet ihr mal aufhören zu küssen, wir wollen weiter.“

Wir fuhren auseinander, denn wir hatten die anderen völlig vergessen. Die Drei standen mit ihren Pferden schon auf der nächsten Koppel.

„Wer erster bei ihnen ist“, meinte ich zu Shane.

Beide gaben wir ordentlich Zügel und Faballa und Brainstone zogen los. Ich merkte bald, dass Shane schneller war, so kam mir die Idee mit Brainstone über das Gatter zuspringen um die Strecke abzukürzen.

„Kevin, nein … nicht!“, hörte ich Nick noch schreien.

Aber da war es schon zu spät. Brainstone sprang hoch über das Gatter und kam auf der anderen Seite hart auf. Mich riss es aus dem Sattel und flog vom Pferd. Alles lief vor mir wie in Zeitlupe ab, dann kam Dunkelheit.

 

* * *

 

Ich strich mir über den Kopf und sah auf MacConroy herab.

„Kevin, Daray Cillian verletzt seine Gegenüber gerne mit Worten. Versuche deine Worte mit Bedacht zu wählen!“, sagte er zu mir im leisen Ton.

Die Menschen, die sich auf der Strasse aufhielten, sahen uns misstrauisch an. Die meisten aber, verschwanden in ihre Behausungen. Ich half Shane vom Pferd um dann selbst ab zusteigen. Ein älterer Mann kam aus dem großen Holzhaus herausgetreten. Ich vermutete ein Druide, denn er sah MacConroy ähnlich.

„MacConroy, was führt dich zu uns, und wen hast du da im Gefolge?“, fragte er.

„Mannix, dir ist sicher bekannt, warum wir hier sind“, sagt MacConroy.

„Daray Cillian hat mir nichts gesagt, doch wunderte ich mich, zu sehen, wie Duncan völlig verstört zurückkehrte.“

Sein Blick fiel auf Duncans Schwert, dass Shane in den Händen hielt.

„Duncan ist selbst schuld, wenn er sich nicht an das hält, was ihm sein Vater sagt“, meinte MacConroy.

Inzwischen hatte ich das Pferd an einen Baumstumpf festgebunden und war zu MacConroy getreten.

„Kearney ist euch sicher bekannt und Shane, Sohn des großen Maghnus auch“, sprach MacConroy weiter.

Mannix trat auf mich zu, nicht ohne das Schwert von Duncan aus den Augen zulassen.

„Kearney, eurer Ruf eilt euch voraus, und nun wundert mich auch nicht mehr, an wem Duncan scheiterte, aber warum trägt dieser Junge sein Schwert und nicht du?“

„Da müsst ihr Duncan fragen, warum er vor den Füssen des Jungen, sein Schwert fallen ließ“, gab ich im ruhigen Ton von mir.

Shane schien auch etwas sagen zu wollen, aber er beließ es, als ich ihn kurz anschaute. Mannix machte eine einladende Bewegung Richtung Haus und wir folgten ihm. Im Gegensatz zu Maghnus, hatte Daray Cillian ein paar Wachen aufgestellt, die mich untätig beäugten.

Ich ließ mich nicht davon beirren und folgte Mannix weiter. Auch hier war ein großer Raum der Mittelpunkt und ein Mann saß am Ende eines langen Tisches. Neben ihm standen Bevan und Duncan. Den dritten jungen Mann kannte ich nicht.

„MacConroy, da seid ihr ja endlich, was hat euch aufgehalten“, rief der Mann.

„Ein kleiner Zwischenfall im Wald, aber keinerlei Bedeutung Wert, Daray Cillian.“

Mit der Hand am Knauf meines Schwertes folgte ich MacConroy an das andere Ende des Tisches.

„Wie ich sehe, habt ihr Shane im Gefolge, den schwachen Sohn Maghnus“, meinte Daray Cillian.

„Er genoss nicht die gute Ausbildung eurer Söhne“, entgegnete MacConroy.

Ich spürte, wie es in Shane innerlich brodelte. Als ich meine Hand auf seine Schulter legte schien dieses Gefühl aber abzuflauen.

„Setzt euch und berichtet mir, was dich zu mir führt.“

Nun setzten wir uns alle an den langen Tisch, wobei ich immer noch misstrauisch Duncan beobachtete, ebenso den Fremden, der Daray Cillians dritter Sohn zu sein schien. Er schaute aber ebenso mürrisch zu mir herüber.

Vom Alter her schien er einwenig älter als ich zu sein. Vor allem merkte ich auch, das Shane neben mir immer wieder zu ihm sah. Ich lauschte den Worten von MacConroy, der versuchte zu erklären, was Patrick möchte.

Auch er wählte seine Worte mit Bedacht um Daray Cillian keine Angriffsfläche zu bieten. Einwände kamen immer von Mannix, der sich seiner Macht beschnitten fühlte. Aber irgendwie konnte MacConroy auch ihn überzeugen. Mein unbehagliches Gefühl blieb aber die Zeit über.

„Kearney, ihr seid so still, habt ihr etwas auf dem Herzen?“, fragte mich Mannix.

„Nein, MacConroy hat euch unser Anliegen erklärt, dazu habe ich nicht hinzuzufügen“, antworte ich klar und deutlich.

Daray Cillian stand auf und lief um den Tisch.

„Daibhaid, du wirst einen Boten schicken, ich möchte diesen Patrick kennen lernen“, meinte er zu dem Fremden.

Dieser nickte kurz und verschwand aus dem Raum. Daray Cillian lud uns noch zum Essen ein, was MacConroy dankend ablehnte, mit der Begründung sich auf den Weg zu machen.

 

* * *

 

„Das schien mir zu leicht, MacConroy“, als wir uns schon wieder auf den Rückweg waren.

„Du hast Recht, ich traue Daray Cillian immer noch nicht, aber ich vertraue auf Patricks Stärke im Wort. Er wird auch ihn auf seine Seite ziehen!“

Shane war die ganze Zeit stumm gewesen und nicht von meiner Seite gewichen.

„Was ist Shane?“, fragte ich.

„Wirst du an meiner Seite bleiben?“, kam es von ihm.

Ich wusste, was er meinte, wollte aber nicht darauf eingehen. Mein ungutes Gefühl meldete sich wieder und ich stoppte das Pferd. Ich ließ mich vom Rücken herunter gleiten und zog mein Schwert. Und als hätte ich es geahnt, kam wie aus dem nichts Duncan auf mich zu gerannt, mit einem Dolch in der Hand.

Shane schrie auf, und ich konnte mich auch noch drehen, aber die Spitze des Dolchs durchdrang schon mein Gewand. Wo es aber verharrte und nicht weiter eindrang. Ebenso erstaunt wie ich, ließ Duncan von mir ab, um einen neuen Angriff zu starten.

Wo er plötzlich ein Schwert her hatte, war mir ein Rätsel. Hart schlugen unsere Klingen aneinander. Wieder und wieder hieb er auf mich ein. Sein Gesicht war entstellt, von Hass verzerrt. Seine Schreie wurden immer lauter.

Wieder setze er zum Schlag an doch diesmal war ich aber schneller, wehrte den Angriff mit meinem Schwert ab. Der Dolch flog im hohen Bogen durch die Luft. Mit einer schnellen Drehung schlug ich mit der Faust in Duncans Gesicht, der darauf zu Boden taumelte und dort benommen liegen blieb.

Shane war in der Zwischenzeit auch vom Pferd gesprungen und stand mit seinem Schwert in Abwehrstellung da. Mit meiner Klinge drückte ich sein Schwert hinunter.

„Es ist gut, Shane“, sagte ich, bückte mich und nahm Duncan nun auch dieses Schwert weg, blieb aber mich wachen Augen auf die Umgebung stehen.

Irgendetwas stimmt noch nicht.

„Daibhaid tritt heraus“, rief ich laut.

Sogar MacConroy fuhr zusammen, als Daibhaid dicht neben ihm aus dem Dickicht kam.

„Woher wusstest du von meiner Anwesenheit?“, fragte Daibhaid.

„Ich konnte deine Anwesenheit spüren“, antwortete ich, ohne aber mein Schwert zu senken.

„Ihr könnt beruhigt sein, ich werde nicht wie mein Bruder sinnlos auf euch losgehen, ich weiß übrigens auch, dass ihr ein Kettenhemd tragt.“

Ein Kettenhemd? Deswegen war der Dolch von Duncan nicht eingedrungen.

„Und was willst du wirklich?“, fragte ich.

„Ich möchte mich euch anschließen“, gab Daibhaid als kurze Antwort.

Ich schaute kurz zu MacConroy, der mir kurz zunickte.

„Das trifft sich gut, denn ich habe auch schon eine Aufgabe für dich“, meinte ich und ließ mein Schwert sinken.

„Eine Aufgabe?“, fragte er verwundert.

„Ja, ich vertraue euch das Leben von Shane an.“

Sein Gesicht hellte auf und ein Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.

„Warum das?“, fragte Shane entsetzt.

Ich drehte mich zu dem enttäuschten Shane und legte ihm meine Hand auf die Schulter.

„Shane, ich bin ein Reisender, ich kann nicht die ganze Zeit mit dir und MacConroy durch das Land ziehen. Zu dem hast du einen treuen Gefährten in Daibhaid.“

Ich spürte, dass Shane nicht verstand was ich sagte. Mir wurde aber auch klar, dass ich mit meiner Vermutung richtig gelegen war. Es war die ganze Zeit die Absicht von MacConroy, Daibhaid und Shane zusammen zu bekommen. Zwei Königssöhne gemeinsam mit einem Druiden, diese Wirkung würde ihr Ziel nicht verfehlen.

Ich ging vor Shane auf die Knie und schaute in dieses süße Gesicht, das stark von Emotionen geprägt war.

„Shane, hör mir zu. Es ist nicht meine Aufgabe, auf dich aufzupassen und wird es auch nie sein.“

„Aber Vater hat doch gesagt…“

„Dein Vater wollte, dass ich dich in Kampfkunst unterweise, aber dafür bin ich nicht da. Ich schätze Daibhaid wird dir alles Wichtige beibringen.“

Mein Blick fiel auf Daibhaid, der immer noch lächelte.

„Ich möchte aber nicht, dass ihr mich verlasst“, kam es traurig von Shane.

„Shane, ich kann nicht bei dir bleiben. Ich lebe in einer anderen Welt, und du in deiner Eigenen! Du wirst irgendwann ein Frau finden, Kinder haben und Verbündete, so wie jetzt Daibhaid. Mach etwas daraus, das liegt nun in deine Händen.“

Eine Träne rann über die Wange von Shane, der Junge war sehr eingenommen von mir. Ich zog meinen Handschuh aus und wischte die Träne weg.

„Irgendwann werden wir uns wieder sehen, Shane, dann werden deine Wünsche in Erfüllung gehen, deine Geheimnisse dich nicht mehr quälen! Die Zeit wird kommen, das verspreche ich dir.“

Shane wollte noch etwas sagen, aber ich ließ es nicht dazu kommen. Ich nahm ihn einfach in den Arm und drückte ihn fest an mich. Danach stand ich auf und ging zu Daibhaid. Ich gab ihm das Schwert seines Bruders.

„Pass auf den Jungen auf, er wird dir ein guter Freund sein und nur das zählt!“, sagte ich zu ihm.

Er nickte und nahm das Schwert entgegen. Danach wandte ich mich noch an MacConroy, der lächelnd und still das Ganze beobachtet hatte.

„Ihr wolltet nie, dass ich euch helfe, einen Krieg zu verhindern. Ich sollte einfach nur da sein, damit die beiden sich kennen lernen!“, meinte ich zu ihm.

„Das spricht für dich junger Kevin, denn du hast Recht. Es wird nie einen Krieg geben, verzeiht mir meine kleine List.“

„Schon vergeben“, lächelte ich, „ich habe in meinem Leben nun auch das gefunden, was mir wichtig ist!“

„Also haben beide Seiten ihren Nutzen davon gezogen“, meinte MacConroy, der irgendetwas in seiner Tasche suchte.

E zog eine kleine Figur aus Stein heraus, die der, in Bobs Antiquitätengeschäft, aufs Haar glich.

„Die ist für dich, junger Kevin. Sie soll dich an unsere Zusammenkunft immer erinnern.“

Er reichte sie mir. Ich drehte sie und schaute sie mir aus allen Richtungen an.

„Danke MacConroy, ich habe auch nicht vor euch zu vergessen.“

Ich verneigte mich und lief wieder zu meinem Pferd.

„Shane, wir werden uns wieder sehen, versprochen!“, sagte ich noch einmal, bevor ich mich auf den Rücken vom Pferd schwang.

Er trat zu mir und reichte mir meine Lanze und das Schild.

„Ich werde auf den Tag mit Freude warten, an dem wir uns wieder sehen“, sagte er und trat wieder einen Schritt zurück.

„Daibhaid, bringe deine Bruder Duncan zurück, und unterweise ihn in Vernunft und Geduld, dass macht den waren Krieger aus!“, sagte ich und Daibhaid verbeugte sich ebenso vor mir wie ich mich vor ihm.

Ich hob die Hand noch einmal zu Gruß und ritt davon.

 

* * *

 

„Er scheint zu sich zu kommen, aber warum lächelt er?“, hörte ich jemand sagen.

Ich öffnete die Augen und Nick, Finley, Erin und Shane waren über mich gebeugt.

„War das Gatter wohl zu hoch für mich“, sagte ich und versuchte aufzustehen.

„Bleib liegen, du hast dich bestimmt irgendwo verletzt“, sagte Shane besorgt.

„Ja, verletzt in meiner Ehre, dass ich vom Pferd geflogen bin“, meinte ich und stand langsam auf.

„Dir tut nichts weh?“, fragte Shane.

„Doch schon, aber ich habe mir nichts gebrochen.“

„Bist du deswegen mit einem Lächeln zu dir gekommen?“

„Nein, das hat eine ganz anderen Grund, aber das erkläre ich dir ein andermal.“

Ich wandte mich zu Nick.

„Meine Träume, denke ich sie sind vorbei, ich habe meine Aufgabe erfüllt! Mein Versprechen habe ich gehalten und werde dafür fürstlich belohnt“, sagte ich zu ihm.

Nick sah mich fragend an und folgte mein Blick zu Shane. Ich glaube er verstand dann, was ich damit meinte. Brainstone kam von hinten und stupste mich mit seiner Nase an die Schulter. Ich drehte mich zu ihm

„Wollen wir weiter reiten?“, sagte ich zu ihm und kraulte ihn an seiner Stirn.

Die Vier gingen zu ihren Pferden zurück und stiegen ebenso wieder auf.

„Aber diesmal keine solche Kunststückchen mehr“, meinte Nick.

Ich bewegte mein Pferd neben Shane.

„Nein, das werde ich nicht mehr machen, denn der Kleine neben mir soll ja noch etwas von mir haben“, antwortete ich und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

 

* * *

 

Weihnachten stand vor der Tür, und ich erinnerte mich an die letzten vier Monate zurück. In der Sprachschule kam ich gut mit, besonders was das Lesen betraf. Abends saß ich oft mit Bob und Nick zusammen und gemeinsam lassen wir in den Büchern um neue Geheimnisse auf zudecken.

Shane und ich waren glücklich zusammen. Dank mir stieg sein Selbstbewusstsein. Er kannte sich jetzt schon besser mit den Pferden aus, wie manch anderer. Er hatte auch beschlossen zu studieren, wollte den Weg eines Tierarztes einschlagen.

Bei meinen Eltern war soweit alles geregelt, alle Möbel waren bereits hier her verfrachtet worden und ich wartete mit Freude auf sie, denn es sollte ein großes Weihnachtsfest auf dem Gut stattfinden, wo alle eingeladen waren.

Seit zwei Tagen bewohnte ich nun mein neues Zimmer auf dem Reiterhof. Ich konnte mir mit dem Geld das mir meine Eltern mir gaben, schön einrichten und Joyce war mir dabei auch eine sehr große Hilfe.

Nun stand ich am Fenster und wartete, dass meine Eltern endlich vorfuhren. Ich schaute auf die Zufahrt und wunderte mich, dass da ein Kleinbus einbog. Wir hatten doch geschlossen, warum kamen da andere Gäste.

Ich verließ mein Zimmer und lief hinunter, wo mir Mr. Evens über den Weg lief.

„Mr. Evens, kann es sein, dass wir Gäste bekommen, wir haben doch geschlossen?“, fragte ich.

„Junger Herr, davon weiß ich nichts, warum fragen sie?“

„Draußen kommt ein kleiner Bus die Auffahrt herauf“, antwortete ich.

Er zuckte mit einem komischen Lächeln und schüttelte dabei den Kopf. Ich ging nach draußen um, zu schauen wer da kam. Da es schon ein wenig dunkel war, konnte ich nicht genau erkenne wer drinnen saß.

Der Bus hielt an und die Tür öffnete sich.

„Aussteigen, wir sind da“, hörte ich von drinnen jemanden rufen.

Und dann… ich traute meinen Augen nicht, da stiegen nacheinander Meli, Lisa, Peter, Michaela, Thorsten und Bernd aus. Am Schluss folgten meine Eltern.

„Ich glaube ich werde wahnsinnig, das gibt es doch nicht“, rief ich und rannte auf die anderen zu.

Ein weiterer Wagen kam angefahren und es war Joyce. Nick und Finley waren bei ihr. Total aus dem Wind begrüßte ich erst mal meine Freunde aus Deutschland.

„Ich hätte mit allem gerechnet, aber nicht, das ihr mich besuchen kommt!“, sagte ich laut, und fiel auch meine Eltern in die Arme.

„Und nun, wo ist nun dein Angebeteter?“, wollte Meli wissen.

Ich brauchte nicht lange suchen, vom Lärm angelockt kann nun auch Shane.

„Da drüber kommt er“, meinte ich und drehte Meli so, dass sie genau in seine Richtung schaute.

„Wow, was für ein Schnuckel“, meinte sie.

„Seinetwegen, bist du mir also untreu geworden?“, fragte Peter gespielt schmollend.

„War doch klar“, meinte Thorsten, „ er hat keine roten Haare, wie du!“

Alle fingen wir an zu lachen.

 

* * *

 

Nach alter Tradition, feierten wir Weinachten erst am ersten Weihnachtsfeiertag, das war hier so üblich. Mum kam nicht dazu, also übernahmen meine Freunde und ich, das Schmücken des Weihnachtsbaumes.

„Irgendwie hast du dich verändert“, meinte Lisa zu mir, die gerade ein Kugel an den Baum hing.

„Wie verändert?“, fragte ich.

„Du siehst zum ersten Mal richtig glücklich aus.“

„Das bin ich auch.“

„Dass freut uns für dich, auch wenn wir ein bisschen traurig darüber sind, dass du nicht mehr nach Deutschland zurückkehrst.“

Augenblicklich wurde es still im Raum. Mein Blick sank zu Boden.

„Es war nicht leicht, diese Entscheidung zu treffen, aber ich denke, ich gehöre hierher. Gut, ich gebe alles auf, was mir mal wichtig war, aber euch nicht, ihr könnt mich jederzeit hier besuchen und ich denke, ich werde auch euch besuchen, soweit es mir möglich ist.“

Nacheinander nahm mich jeder in den Arm und drückte mich fest an sich. Mir kamen Tränen in die Augen, Peter hielt mir ein Tempo hin.

„Was ist denn hier für eine Stimmung?“, fragte meine Mum, die mit Dad vollgeladen mit Geschenken das Zimmer betrat.

„Ist alles in Ordnung“, meinte ich und putze mir die Nase.

Die Beiden stellten die Geschenke unter den Weihnachtsbaum.

„Schön ist er geworden“, sagte meine Mum und nahm mich in den Arm.

„Wann kommen die Anderen?“, fragte ich.

„Müssten eigentlich schon da sein“, antwortete Dad.

Und wie aufs Kommando kam der Rest der Truppe, ebenso mit Geschenken beladen. Ich lief schnell hoch in mein Zimmer und holte das Paket, das ich eigentlich nach Deutschland schicken wollte.

Wieder zurück stellte auch ich meine Geschenke unter den Weihnachtsbaum.

„So, sind nun alle da?“, fragte meine Mum.

„Es schien so zu sein, denn auch Shane war gekommen und sah mich freudestrahlend an.

Bob kam auf mich zu und überreichte mir eine kleine Kiste.

„Ich mache jetzt einfach mal den Anfang. Wie ich von Nick erfahren habe. gehört das wohl dir! Das ist Joyce und mein Geschenk für dich“, sagte er.

Vorsichtig wickelte ich das Geschenkpapier von der Kiste und öffnete sie. In Stroh eingebeten lag die kleine Steinfigur, die mir MacConroy in meinem Traum mir geschenkt hatte.

„Wow, die ist wirklich für mich?“, fragte ich.

„Ja, du sollst sie haben, da ist sie am richtigen Platz“, meinte Joyce.

Ich fiel den beiden um den Hals und bedankte mich. Nun kam auch Shane auf mich zu und überreichte mir sein Geschenk.

„Das ist ja wie Geburtstag, Ostern und Weihnachten zusammen“, meinte ich und öffnete sein Geschenk.

Zum Vorschein kam ein Silberring, in dem ich entziffern konnte >>Shane in Liebe<<. Auch ihm fiel ich um den Hals und gab ihm einen innigen Kuss.

„Könnt ihr nicht damit warten, bis ihr auf eurem Zimmer seid“, meinte Peter grinsend.

„Peter du wirst es nie lernen und ewig auf mich neidisch sein“, sagte ich, was bei ihm bewirkte, dass er dieses typische Schmollgesicht wieder machte.

Nun fing ein wildes Geschenke übergeben an. Jeder wurde reichlich bedacht. Später trat ich vor die Tür, es war eiskalt und es lag Schnee. Ich schaute zum Sternenhimmel hinauf und dachte kurz an MacConroy und Shane.

Mein Shane trat neben mich und nahm mich in den Arm. Gemeinsam sahen wir die vielen funkelnden Sterne.

„Über was denkst du nach?“ fragte Shane mich.

„Ich habe kurz an Shane und MacConroy gedacht. Sie sind ihren Weg gegangen und ich gehe meinen Weg jetzt auch!“.

 

* * Ende *

 

 

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