It’s raining – Teil 1

Tassilo

Gebannt standen sie alle um das Glas herum. Alle wollten in diesem denkwürdigen Augenblick dabei sein. Würde es so hell leuchten, dass es alle Schiffe würden sehen können? Der alte Melright nahm ein Streichholz und zündete den Docht an.

Langsam ergriff das Feuer den Docht und breitete sich auf dessen ganzer Fläche aus. Melright stülpte vorsichtig das große Glas über die Flamme und drehte die Sauerstoffzufuhr höher, was auch das Feuer größer anwachsen ließ. Die meisten, die neben ihm standen, mussten sich schützend die Hand vor Augen halten.

Melrights Blick jedoch galt nicht der Lampe, sondern der See. Er starrte hinaus auf das tosende Meer, dessen Brandung bis hoch an die Klippen peitschte. Der feine Nebel aus Wassertropfen hüllte beinah den gesamten Leuchtturm ein.

Seine Sorge, dass ein Schiff dieses Licht, trotz seiner Stärke, nicht würde sehen können, war groß. Melright setzte den Mechanismus in Gang und der Spiegel begann sich um das Licht zu drehen…

*-*-*

Ein paar Jahrzehnte später…

…ich stand einfach nur da. Der Regen fiel auf meine Haut, kleine Tropfen perlten über meine Wangen. In der Ferne sah ich nur noch einen winzigen Punkt, der bald aus meinem Sichtbereich verschwunden sein würde.

Aus und vorbei. Ich würde ihn nie wieder sehen. Mein Blick senkte sich, der Regen wurde stärker. Ich fröstelte, doch noch immer blieb ich stehen.

Meine erste Liebe war aus meinem Leben verschwunden.

*-*-*

Ich lag auf meinem Bett und starrte zum Fenster. Es regnete immer noch. Die Tropfen, die sich ihren Weg auf dem Glas nach unten bahnten, nahm ich dennoch gar nicht wahr.

„Tassilo, kommst du etwas essen?“, hörte ich meine Mum rufen.

„Nein danke, Mum. Ich hab keinen Hunger.“

Doch wenig später öffnete sich meine Zimmertür.

„Tassilo…, so kann es nicht weiter gehen. Seit Tagen isst du nicht mehr richtig, du wirst mir noch krank. Die ganze Zeit hängst du in deinem Zimmer herum, das kann doch nicht gut sein.“

„Ich hab einfach keinen Hunger Mum…“

Doch so leicht ließ sich meine Mutter diesmal nicht abwimmeln, denn sie kam ins Zimmer und setzte sich neben mich auf den Bettrand, um sanft über mein Haar zu streicheln.

„Tassilo…, ich kann mir vorstellen, dass dir das mit Billy…“

Ich wollte nichts von ihm hören und drehte mich fast genervt von ihr weg.

„Wie kannst du wissen, wie es in mir aussieht? Du weißt gar nichts über mich…“

„Du tust mir unrecht, Sohnemann. Meinst du, mir ging es anders, als uns dein Vater verlassen hat?“

Autsch! Da hatte ich wohl das dickste Fettnäpfchen getroffen, das weit und breit zu finden war. Mein Vater hatte damals nur schnell Zigaretten holen wollen… da war ich neun Jahre alt gewesen. Doch er war nie wieder zurück gekommen. Bis auf seine Klamotten war alles weg gewesen, das Bankkonto leer.

Wäre Opa damals nicht gewesen, hätten wir das Haus verkaufen und uns eine Mietwohnung suchen müssen. Später bekam Mum die Scheidungsunterlagen zugestellt und nun war mein Erzeuger mit einer anderen Misses verheiratet.

Die Unterhaltszahlungen für mich kamen unregelmäßig, aber sie kamen. Sonst verband uns nichts mehr mit ihm. Den Kontakt, den er wieder zu mir hatte knüpfen wollen, hatte ich abgelehnt. Ich wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben.

„Tut mir leid…“, sagte ich leise.

„Ist schon gut. Aber jetzt komm, ich habe extra Nudelsuppe für dich gemacht. Die isst du doch so gerne.“

Schließlich richtete ich mich auf und nickte.

„So gefällst du mir schon besser“

Noch einmal strich sie mir durchs Haar und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Danach verschwand sie genauso lautlos, wie sie auch gekommen war. Kurz fiel mein Blick auf das Bild, welches noch immer auf meinem Schreibtisch stand.

Ein sanftes Lächeln umspielte dabei meine Lippen… „suche dir einen Freund, liebe ihn, wie du mich geliebt hast und vor allem, weine mir nicht nach“… das waren seine letzten Worte gewesen, bevor sich die Tür geschlossen hatte und das Auto davon gefahren war.

Langsam trottete ich meiner Mutter hinterher und versank wieder in meinen Tagträumen.

*-*-*

„Tassilo, hast du Geschichte?“

Ich grinste Betty an.

„Ja, habe ich.“

„Du stellst blöde Fragen“, meinte Ella und schaute mich durchdringend an.

„Alles klar mit dir?“, fragte sie.

Ich nickte und versuchte etwas zu lächeln.

„Ich hab null Bock auf den Unterricht“, rief Jack, der gerade zu uns stieß.

„Du hast keinen Bock? Dann versuche es mal mit Tassilo, der ist wieder zu haben“, sagte Nick.

Alle schauten erst zu Nick und dann zu mir. Ich wusste nicht, was sie erwarteten, aber Nick war noch nie sehr feinfühlig gewesen.

„Nick…, so tief sinke nicht einmal ich!“, konterte ich.

Ella grinste mich an und ich atmete durch, als alle anfingen zu lachen.

„He, ihr wisst gar nicht, was ihr an mir habt“, verteidigte sich Jack.

„Doch! Dumme Witze, die keiner hören mag… Anmachen, die keinen interessieren und blöde Machosprüche“, nahm ihm Betty den Wind aus den Segeln, „aber wir ertragen dich, weil wir alle dich so sehr lieben.“

Jack wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als der Himmel erneut seine Schleusen öffnete. Während die anderen ihre Taschen schnappten und in die Schule rannten, lief ich gemächlich hinter den anderen her.

Es war mir egal, ob ich nass wurde. Dementsprechend sah ich dann auch aus, als ich das Klassenzimmer betrat. Ich spürte die Blicke, die auf mir klebten, aber ich gab keinen Kommentar von mir.

Erste Stunde… was hatten wir überhaupt? Mein Kopf war leer… meine Gedanken hingen woanders. Mein Blick war zum Fenster gewandert, beobachtete den sintflutartigen Regen draußen. Nur entfernt hörte ich leise, was um mich geschah.

Wie lange ich so verbracht hatte wusste ich nicht, erst als der Gong die erste Pause einläutete, wurde mir bewusst, dass ich eine komplette Stunde weggetreten gewesen war. Ich wollte nur noch möglichst schnell an die frische Luft.

Unbemerkt war mir Ella gefolgt.

„Was ist mit dir, Tassilo?“

Ich schaute auf und sah in Ellas Gesicht.

„Ach ich weiß auch nicht…“

„Er fehlt dir, oder?“

„Klar.“

„Und du willst nicht wirklich darüber reden?“

„Ella… was soll ich noch darüber reden… er ist weg!“

„Aber dir geht es nicht gut.“

Ich konnte nicht anders und musste kichern. Ella sah mich fragend an.

„Vergiss es Ella… gib mir bitte einfach Zeit und alles wird irgendwann wieder im grünen Bereich sein. Zudem, wenn wir hier noch länger stehen, sind wir durchnässt und kriegen Schnupfen, also lass uns wieder reingehen.“

„Lass es aber nicht zur Angewohnheit werden, dich so abzukapseln.“

Ich nickte ihr zu und spürte die Kälte, die durch meine feuchten Klamotten kroch.

*-*-*

„Schatz, wie war die Schule?“, hörte ich meine Mum rufen, als ich meine tropfende Jacke aufhängte.

Sie kam aus der Küche und sah mich an.

„Warum hast du nicht angerufen? Ich hätte dich doch abholen können.“

„Als ich die Schule verlassen hab, hat es noch nicht geregnet.“

„Ach Quatsch, es regnet seit Tagen ununterbrochen.“

„Ist doch egal, du musst eh zur Arbeit und hast wenig Zeit.“

„Die Zeit hätte ich mir genommen. Bring deine Sachen am besten gleich in den Keller runter und wirf sie in den Trockner. Dein Essen steht auf den Tisch… ich muss dann los.“

„Okay.“

Ich lief die Treppe hinunter und öffnete die Tür zum Heizungsraum. Eine mollige Wärme strömte mir entgegen.

„Bis heute Abend“, hörte ich Mum von oben rufen.

„Bye!“, rief ich zurück.

Eher schwerfällig schälte ich mich aus meiner Schuluniform. Nacheinander wanderten die nassen Sachen in den Trockner, bis ich völlig nackt war. Ich drehte am Zeitknopf und drückte die Starttaste. Mit einem satten Brummen begann der Trockner seine Tätigkeit.

Ich machte das Licht aus und verließ den Heizkeller wieder. Mit schnellen Schritten war ich wieder im Erdgeschoss, wo mich der Geruch des Essens in die Küche lockte.

Spaghetti mit Käsesoße. Mum kochte zurzeit nur Dinge, die ich gerne aß. Ab und zu hatte ich richtig ein schlechtes Gewissen, weil sich Mum so für mich ins Zeug legte. Sie verwöhnte mich von allen Seiten.

Erst als mir ein kalter Schauer über den Rücken fuhr, wurde mir bewusst, dass ich noch gar nichts anhatte. Und natürlich genau dann der schrille Ton unserer Türklingel. Mist!

„Moment, ich komme gleich.“

Ich rannte nackt wie ich war, die Treppe hinauf und blieb an der letzten Stufe hängen. Wie es nicht anders kommen konnte, knallte ich der vollen Länge nach hin.

„Scheiße“, jaulte ich auf und rappelte mich wieder auf.

Warum gerade jetzt?! Ich humpelte in mein Zimmer und zog mir die erstbesten Shorts über, die ich finden konnte. Mit dem Shirt in der Hand verließ ich das Zimmer wieder. Wenige Sekunden später stand ich dann endlich mit zumindest etwas mehr Kleidung als zuvor und völlig außer Atem unten an der Wohnungstür.

„Ein Einschreiben für Tassilo Melright“, sagte der Postbote, der mir nun gegenüber stand und mich verwirrt anschaute.

„Für mich?“, fragte ich mich mehr selbst als den Mann verwundert.

Tropfend hielt er mir so ein elektronisches Teil hin, wo ich meine Unterschrift einfügen sollte. Bei dem Regen draußen herum zu laufen, war auch nicht besonders toll, dachte ich mir und quittierte den Erhalt des Briefes, den er mir dann auch überreichte.

Ich sah noch immer verwundert auf den Umschlag und trat zurück ins Haus. Der Postbote indes war schon wieder verschwunden.

„Kanzlei Harrigton.“

Sofort lief ich in die Küche und griff nach Mum’s Brieföffner, mit dem ich vorsichtig an der obersten Kante entlang schnitt, griff in den Umschlag und zog ein einzelnes Blatt heraus. Langsam entfaltete ich es und sah ein förmliches Schreiben vor mir.

Obenauf mein Name mit meiner Adresse, dann die Anschrift dieser Kanzlei. Betreff: Erbschaft!

Erbschaft? Bitte? Von wem sollte ich denn etwas erben? Mum und ich hatten so gut wie keine Verwandtschaft. Nachdenklich setzte mich auf den Küchenstuhl und las den Text durch.

„Im Sterbefall Gilbert Melright bitten wir Sie zur Testamentseröffnung am 12.09. um 10:30 Uhr zu erscheinen. Falls Sie bis dato die Volljährigkeit noch nicht erreicht haben sollten, bitten wir Sie, Ihren Erziehungsberechtigten mitzubringen.“

Bla, bla, bla… einige nichtssagende Dinge noch. Aber wer war Gilbert Melright? Und was wollte er mir vererben? Ja, warum überhaupt mir? Ich kannte diesen Mann nicht, noch nicht einmal sein Name sagte mir etwas.

Sofort schnappte ich mir das Telefon und wählte Mum’s Nummer.

„Der gewünschte Gesprächspartner ist zurzeit nicht erreichbar.“

Mist. Ich drückte das Gespräch weg und starrte auf den Küchentisch. Wieso vererbte mir ein wildfremder Mann etwas und vor allem was? Nachdenklich saß ich am Tisch, bis mich der Türgong erneut aus meinen Gedanken riss.

Ich legte den Brief auf den Tisch und lief wieder zur Haustür. Schon an den Konturen konnte ich erkennen, dass es Betty war.

„Hi Tassilo und können wir los?“, fragte Ella im Hereingehen.

„Öhm was?“, fragte ich in Gedanken.

„Hallo Tassilo… Erde an Tassilo… wo bist du mit deinen Gedanken?“

Statt ihr zu antworten, lief ich in die Küche, holte den Brief und reichte ihn dann immer noch schweigend Ella. Sie las ihn aufmerksam durch und gab ihn mir zurück.

„Ja und?“

Ich schaute sie verwundert an.

„Ich…, ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich kenne den Mann nicht und was will mir der vererben.“

„Er hat euren Familiennamen.“

„Ich kenn ihn aber nicht.“

„Hast du deine Mutter schon gefragt?“

„Hab es eben versucht, ich erreich sie aber nicht.“

„Na, sie wird bestimmt zurück rufen, sobald sie kann. Ich würde sagen, du ziehst dich erst mal an und wir gehen dann wie besprochen mit den anderen Eis essen, oder willst du so gehen?“, fragte Ella neckisch und zeigte dabei auf meine Shorts.

„Wäre doch mal etwas anderes“, meinte ich und zog das wenige Stöffchen am Bein noch etwas höher.

„Warum bist du nur schwul…, du siehst sogar noch im Schlamperlook zum Anbeißen aus.“

„Man tut was man kann, man weiß ja nie wer kommt… vor der Tür steht.“

Hatte ich das gerade wirklich gesagt?

„Das ist der Tassilo, den ich kenne. Immer einen guten Spruch auf den Lippen.“

„Okay, warte einen Moment, ich zieh mich schnell um.“

„Nichts mit schminken?“

Grinsend hielt ich in meiner Bewegung inne.

„Habe ich das etwa nötig? Das ist alles geballte Natur an mir, entweder man erträgt es oder nicht!“

Ella fing laut an zu lachen und ich begab mich in mein Zimmer.

*-*-*

„Einen Schlemmerbecher bitte“, meinte ich.

Die Bedienung nickte und verließ unseren Tisch.

„Hat wer für die Geschichtsarbeit gebüffelt?“, fragte Jack.

Alle nickten.

„Warum fragst du?“, wollte Ella wissen.

„Ich kann mir die scheiß Daten nicht merken.“

„Was kannst du dir überhaupt merken? Wenn ich dich nicht angerufen hätte, würdest du immer noch zu Hause sitzen“, sagte Robert.

„Ich kann nichts dafür, dass ich so vergesslich bin.“

„So etwas kann man trainieren“, meinte ich und schaute auf meine Uhr.

„Du hast gut reden“, erwiderte Jack, „du bist ja eine wandelnde Datenbank.“

„Ich? Nein, ich lerne wie jeder andere auch.“

„He Leute, der eine kann es, der andere nicht“, meinte Betty, „deswegen ist hier keiner schlechter oder besser.“

„Habe ich auch nicht behauptet. Aber wenn Jack Hilfe braucht, dann soll er es sagen.“

In dem Moment kam die Bedienung erneut an den Tisch und überreichte jedem die Bestellung. Als jeder sein Eis vor sich hatte, verschwand sie wieder.

„Ich brauch Hilfe…“, meinte Jack leise, „ich kann mir nicht noch eine versiebte Arbeit leisten.“

„Das kriegen wir schon irgendwie geregelt“, meinte Ella und schob sich einen Löffel

Joghurteis in den Mund.

Warum Nick so grinste verstand ich nicht, aber ich gab Ella recht, irgendwie würden wir das gemeinsam auf die Reihe bekommen. Genau so, wie wir es schon so oft geschafft hatten.

Plötzlich klingelte mein Handy und auf dem Display erkannte ich, dass meine Mum der Anrufer war:

„Hi Mum, was steht an?“

„Du hast versucht mich zu erreichen… tut mir leid, ich war in einer Besprechung.“

„Ja, wollte ich. Jetzt bin ich mit Ella und den anderen Eisessen.“

„Bei dem Wetter?“

„Wir sitzen drinnen.“

„Und warum wolltest du mich anrufen?“

„Ich habe einen Brief bekommen von einer Kanzlei.“

„Kanzlei?“

Gebannt saßen die anderen um mich herum und lauschten meinen Worten.

„Ja, eine Kanzlei Harrigton. Ich soll mich dort wegen einer Erbschaft melden.“

„Erbschaft? Das wird ja immer toller.“

„Kennst du einen Gilbert Melright?“

„Ähm… das ist der Cousin deines Vaters. Sozusagen ein schwarzes Schaf der Familie.“

„Nicht das Einzige“, meinte ich sarkastisch.

„Da hast du allerdings Recht, aber ich denke, darüber sprechen wir heute Abend, oder?“

„Ja klar Mum, bis heut Abend.“

„Tschüss.“

„Tschüss!“

Ich drückte das Gespräch weg und schob das Handy wieder in die Innentasche meiner Jacke. Erst jetzt bemerkte ich, wie still es geworden war. Alle am Tisch starrten mich an, bis auf Ella. Sie grinste sich eins.

„Was denn?“, fragte ich und widmete mich wieder meinem Eisbecher.

„Du erbst?“, fragte  Jack.

„Ich weiß es nicht, ich habe nur einen Termin bekommen, an dem ich dort erscheinen soll.“

„Krass!“, kam es von Charlotte

„Und wann ist der Termin?“, fragte Jack.

„In gut einer Woche.“

*.*.*

„Mum ich zieh keine Krawatte an!“

„Wenn du meinst, ich dachte nur wir…“

„Wir gehen zu einer Testamentseröffnung und zu keinem Begräbnis, zudem muss ich das Ding schon laufend in der Schule tragen.“

„Okay, okay… kann ich so gehen?“

„Mum… ja, ist in Ordnung, aber so langsam müssen wir los.“

„Gut, ich bin fertig. Haben wir alles… Ausweise…“

„Mum, das fragst du jetzt zum zehnten Mal.“

„Tut mir leid Tassilo… irgendwie hab ich das Gefühl… etwas… ach, ich weiß auch nicht, ist so ein dummes Magengefühl.“

Ich legte meinen Arm um sie.

„Das Gefühl kenne ich nur zu gut…, Mum, wird schon werden. Vielleicht erben wir ja ein bisschen Geld, wer weiß.“

„Dein Wort in Gottes Gehörgang….“

*.*.*

Mum zupfte zum wiederholten Mal ihren Hosenanzug zu Recht, als wir die Kanzlei betraten. Der Raum war in dunkelrotem Samt eingebettet und schweres Mobiliar ließ ihn recht voll wirken.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte eine kleinere ältere Frau hinter einem vorgelagerten Schreibtisch.

„Ja, ich bin Tassilo Melright, ich soll hier heute erscheinen.“

„Ah, Mister Melright, man erwartet Sie bereits. Folgen Sie mir bitte.“

„Das ist meine Mutter… ich bin noch nicht volljährig…“

„Das geht schon in Ordnung, kommen Sie bitte.“

Wir folgten der Dame durch einen langen Korridor, an dessen Wänden überall Bilder vom Meer und von Stränden hingen. Die Rahmen schienen aber irgendwie nicht dazu zu passen. Viel zu dick waren sie und dieses Gold passte zwar zu dem roten Samt, aber nicht zu den Bildern, fand ich.

Die Misses öffnete eine große Tür am Ende des Flurs und ich sah einen großen Schreibtisch vor mir. Dort saß ein älterer Herr mit Nickelbrille, der nun aufschaute. Vor dem Schreibtisch standen drei Sessel und einer davon war bereits von jemandem besetzt. Dieser jemand drehte sich nun um und ich…

„Du…?“, fragte ich entsetzt.

„Tassilo ich…“

„Mum wusstest du, dass er auch da ist?“

„Ich… ich… nein… „

„Hallo Jessica.“

Entsetzt schaute ich meinen Vater an. Seit sieben Jahren hatte er es nicht mehr für nötig gehalten, sich zu melden. Und plötzlich stand er vor mir.

„Was willst du hier… ist dir dein Geld ausgegangen?“, hörte ich meine Mutter kalt fragen.

„Meine Herrschaften, würden Sie sich bitte setzen?“, fragte der Mann hinter dem Schreibtisch, der mittlerweile aufgestanden war.

Mir blieb nichts anderes übrig als mich zwischen meine Eltern zu setzen. Meinen Vater würdigte ich dabei mit keinem Blick.

„Ich nehme an, Sie sind Mrs. Melright und bei dem jungen Mann handelt es sich um Tassilo Melright“, begann der Mann, „mein Name ist Thomas Harrigton und bin offiziell dazu befugt, das Testament des Verstorbenen zu verlesen. Es wurden Richard Melright und Tassilo Melright aufgeführt.“

Still hörte ich aufmerksam zu, was dieser Mann zu sagen hatte.

„Die Formalitäten mit den Ausweisen können wir nach der Testamentsverlesung erledigen. Der Verstorbene hat keine weiteren Verwandten außer Ihnen angegeben. Für Sie Mister Melright habe ich einen Brief…“

Der Mann zog ein kleines Couvert aus einem Ordner und überreichte es meinem Vater. Erstaunt öffnete dieser den Brief und las ihn durch. Mit Freude konnte ich beobachten, wie meinem Vater langsam die Gesichtzüge zu entgleiten schienen.

„Der spinnt doch…“, kam ein Zwischenkommentar von ihm.

Verächtlich warf mein Vater das Papierstück auf den Schreibtisch.

„Dann habe ich hier ja nichts mehr verloren“, sagte er säuerlich zu Mister Harrigton und verließ ohne einen weiteren Ton das Zimmer.

Ich hörte ein Durchatmen von meiner Mutter, als die Tür heftig ins Schloss schlug.

„Damit wäre dieser Punkt geregelt“, meinte Harrigton ungerührt und nahm den Brief wieder an sich, um ihn wieder im Ordner verschwinden zu lassen.

„Dieser Abgang war besser als der letzte“, konnte ich mir nicht verkneifen.

Mum sah mich vorwurfsvoll an.

„Was denn?“, fragte ich unschuldig und schaute sie verwirrt an, doch sie ging nicht weiter darauf ein.

„Darf ich erfahren, was in dem Brief stand?“, fragte Mum.

„Mister Melright und ich sind lange befreundet gewesen. Er hatte die Befürchtung, ihr Exmann könnte Anspruch auf das Erbe erheben, das Ihrem Sohn zugedacht ist.“

Verwirrt schaute ich zu meiner Mutter und sie erwiderte den Blick.

„Was hat mein Sohn denn geerbt?“

„Haben Sie etwas Zeit mitgebracht?“

Unser Nicken wurde durch begleitet von einem lauten Donner.

„Das Wetter ist zwar etwas ungünstig“, sprach Harrigton weiter und schaute zum Fenster, „aber ich denke, es wird das Beste sein, wenn ich Ihnen einfach alles zeige.“

Alles? Oh man, machte der das spannend. Er erhob sich und bat uns zum Zimmer hinaus.

„Misses Machning, ich bin dann mit den Melrights eine Weile aus dem Haus. Wenn etwas sein sollte… ich bin über mein Handy zu erreichen. Den Rest der Termine verschieben Sie bitte“

*-*-*

Wir fuhren jetzt knapp schon eine Stunde. Soviel ich mitbekommen hatte, waren wir Richtung Küste unterwegs, aber durch den starken Regen war es fast unmöglich, etwas Genaueres zu beobachten.

Ein paar Dörfer später sah ich dann zwar zum ersten Mal ein Stück vom Meer, doch außer einer Suppe aus Nebel und etwas Wasser war auch hier nicht viel zu erkennen. Wieder durchfuhren wir ein kleineres Dorf.

„Im Herbst ist es hier besonders schön, wenn es nicht so regnet wie jetzt.“

Seit wir die Kanzlei verlassen hatten, wurde bisher nichts geredet. Deswegen fuhr ich etwas zusammen, als Mister Harrigton angefangen hatte zu sprechen. Die Frage, was ich geerbt haben sollte, arbeitete heftig in meinem Kopf. Das Wort ‚alles’ hatte er verwendet.

Hörte sich viel an. Nach dem Dorf steuerte Harrigton in eine kleine Seitenstraße, die weiter Richtung Küste lief.

„Jetzt sind wir gleich da.“

Erstaunt schaute ich zwischen den Vordersitzen durch, konnte aber außer einem kleinen Leuchtturm nichts weiter erkennen. Wenig später hielt Harrigton an.

„So, wir sind da.“

Er zog den Zündschlüssel ab, verließ das Auto, umrundete es und öffnete dabei einen großen Schirm, sowie Mums Autotür. Mum schaute kurz zu mir, zuckte mit den Schultern und folgte dann nach draußen.

Ich tat es ihr gleich und verließ den Wagen. Wo ist mein Schirmträger, dachte ich ärgerlich. Sofort trieb es mir den heftigen Wind ins Gesicht. Nun konnte ich auch die Brandung vom Meer her hören.

Harrigton und Mum waren zum Haus gelaufen, das sich neben dem Leuchtturm befand. Ich schlug die Wagentür zu und lief den beiden nach. Obwohl es nur ein paar Meter gewesen waren, kam ich total durchnässt und tropfend an der Eingangstür an und schlüpfte schnell hindurch.

Ich rieb mir über mein Gesicht und sah als erstes einen großen Raum vor mir.

„Darf ich abnehmen?“, fragte Harrigton höflich meine Mum.

„Danke gerne“, antwortete sie und ließ die nasse Jacke von den Armen gleiten.

Ich tat selbiges und hing meine tropfende Jacke neben die meiner Mum.

„Kommen Sie ruhig näher. Das Haus verfügt über mehrere Zimmer, Bäder Wohnräume und eine Küche“, sprach Harrigton, als wolle er uns das Haus verkaufen.

„Warum erzählen Sie das alles?“, fragte Mum.

„Dieses Haus samt Turm gehört Ihrem Sohn!“

Mit riesigen Telleraugen sah ich den Mann an. Was hatte er da gerade gesagt?

„Sie meinen…?“, begann Mum zu stottern.

„Ja, der alte Melright hat Ihrem Sohn dieses Anwesen vermacht. Bis zu seiner Volljährigkeit werden Sie natürlich als Vormund eingesetzt.“

„Aber… das kann mein Sohn… oder wir doch niemals annehmen…“

Immer noch sprachlos stand ich zwischen den beiden. Die Wassertropfen rannen mir immer noch übers Gesicht, doch das war mir egal. Ich sollte ein Haus mit Leuchtturm erben? Ich hatte diesen Mann doch überhaupt nicht gekannt!

„Gibt es einen bestimmten Grund, warum der Cousin meines… Exmannes dies meinem Sohn vererbt? Ich kann das immer noch nicht fassen. Und die Kosten, wie sollen wir das hier alles finanzieren?“

„Da brauchen Sie sich keine Gedanken machen. Auch dafür wurde gesorgt. Es wurde ein Fonds gegründet, der zum Einen das Anwesen finanziert, sowie auch anfallende Kosten einer Ausbildung des jungen Mannes.“

Mein Blick wanderte durch den Wohnraum. An einem Bild blieb er hängen.

„Mum…“

Zum ersten Mal nach dieser Nachricht schaute mich meine Mum an.

„Tassilo, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin genauso erstaunt wie du.“

„Mum…, siehst du das Bild da drüben?“

„Hä…? Was meinst du jetzt?“

„Schau das Bild an… das da drüben neben der Tür hängt…“

Meine Mum folgte meinem Fingerzeig und schaute Richtung Bild.

„Ist das nicht…?“, fragte sie.

„Ja, das ist es… wie kommt es hierher?“, unterbrach ich sie.

Während meine Mutter und ich verwirrt das Bild betrachteten, schaute Harrigton mindestens genauso verwirrt zwischen uns beiden hin und her.

„Wie kommt er zu deinem Bild?“, fragte mich meine Mum.

„Seinem Bild?“, wiederholte Harrigton die Frage.

„Dieses Bild“, fing Mum an und lief zu dem gerahmten Bild, „hat mein Sohn für einen Wettbewerb gemalt und den ersten Platz gewonnen.“

Gut konnte ich mich noch erinnern, wie lange ich an diesem Bild gesessen war. Meine künstlerische Ader war in der Schule bekannt und ich konnte für die Schule schon einige Preise einheimsen.

„Das war mir nicht bekannt, Misses Melright. Aber ich muss sagen, Ihr Sohn hat die Küste gut getroffen.“

„Und mein Sohn erbt dies alles hier wirklich?“, fragte Mum immer noch fassungslos.

„Er braucht nur noch seine Unterschrift unter die Papiere setzen… Sie als Vormund natürlich auch.“

Mum sah mich an und ich zuckte noch immer fassungslos mit der Schulter. Ich erbte einen Leuchtturm.

*-*-*

„Schatz, ich kann das immer noch nicht fassen. Du bist stolzer Besitzer eines Leuchtturmes.“

Ich saß neben Mum im Wagen und schaute auf die schwarze Box, die mir Harrigton nach der Unterschrift gegeben hatte. Dort lagen Briefe an mich drin. Mir war es ein Rätsel, wie ein Mann, den ich nicht kannte, mir hatte Briefe schreiben können.

„Tassilo, hörst du mir überhaupt zu?“

„Hm… was?“

„Wie sagt ihr jungen Leute immer… das ist… ähm… krass, oder?“

„Mum, bei dir hört sich das an, als wärst du eine verhinderte Vierzehnjährige.“

„Werd nicht frech!“

Ich musste kichern.

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Mum.

„Was meinst du?“

„Junior, du bist stolzer Hausbesitzer. Was hast du jetzt vor?“

„Mum…, für mich ist das… alles noch in weiter Ferne, wie soll ich wissen, was ich jetzt will. Ich muss das erst einmal verdauen. Nicht jeder erbt einfach so ein Haus samt Leuchtturm.“

„Krass.“

„Muuuuuuuuum!“

*-*-*

Der Wecker zeigte kurz nach zwölf an und eigentlich hätte ich schon längst schlafen müssen. Stattdessen lehnte ich mit dem Rücken an der Wand und saß im Schneidersitz auf meinem Bett. Auf meinen Beinen lag die schwarze Box.

Wie kam dieser Mann dazu, mir Briefe zu schreiben, wo er mich doch gar nicht kannte? Langsam öffnete ich den Deckel und es kamen mehrere Umschläge zum Vorschein. Vorsichtig nahm ich sie heraus, als wären sie eine Kostbarkeit und würden sich bei falscher Berührung sofort in Luft auflösen.

Einen Umschlag nach dem anderen sah ich an. Sie waren durchnummeriert. Also nahm ich den ersten und legte den Rest wieder in die Box zurück. Der Umschlag war nicht zugeklebt, so konnte ich ohne Weiteres den Brief herausnehmen.

Lieber Tassilo,

sicher wunderst du dich, warum ein alter Kauz wie ich dir Briefe schreibt und vor allem ein Haus mit Leuchtturm vererbt. Ich werde versuchen, dir das in meinen Briefen zu erklären. Ich hoffe, du konntest dich schon etwas umschauen und dass dir das Haus gefällt.

Und ja, das gehört nun alles dir. Du hast sicher sehr viele Fragen und ich hoffe, ich kann sie dir alle beantworten. Als erstes möchte ich dir etwas über mich erzählen.

Geheiratet habe ich nie, weil ich mich nie binden wollte. Mein Freiheitsdrang hätte keiner Ehe gut getan. Dieses Einsiedlerleben ist mir sehr gut bekommen und ich bereue es auch nicht.

Vielleicht dass ich nie Kinder hatte, aber auch das habe ich überlebt. Ich konnte mich ja an dir erfreuen. Trotz des Unfriedens in der Familie, hatte mich dein Vater immer stolz mit Bildern von dir versorgt, bis er euch verließ…ab da wurde es stiller um dich.

Als ich mitbekam, dass du an einem Malwettbewerb teilnimmst, hat mich das sehr gefreut, da du doch die Tradition der Familie weiterführst. Ich weiß, dein Vater hat dir und deiner Mutter nichts großartig über mich erzählt.

Über das schwarze Schaf der Familie redet man auch nicht. Auch bin ich nicht der Cousin deines Vaters, sondern …

„Tassilo?“

Oh die Stimme meiner Mutter.

…. auch bin  nicht der Cousin deines Vaters, sondern sein Bruder. Ja, ich bin dein Onkel!

Geschockt las ich die Zeilen noch einmal. Er war mein Onkel?? Mein Erzeuger hatte doch nur eine Schwester und seit die nach Bayern gezogen war, praktisch schon Ausland für mich, war der Kontakt abgebrochen.

Warum hat davon niemand etwas gewusst? Wieso war er das schwarze Schaf der Familie? Es klopfte an der Tür.

„Junger Mann, Licht aus, morgen ist wieder Schule.“

„Okay Mum“, rief ich zurück durch die verschlossene Tür.

Ob ich ihr das gleich erzählen sollte. Ich las die Zeilen mehrere Male, aber es änderte nichts daran. Er war mein Onkel gewesen. Aber warum war er das schwarze Schaf der Familie? Es half nichts, der Blick zur Uhr sagte mir, dass es höchste Zeit war, schlafen zu gehen.

*-*-*

„Morgen Tassilo!“

„Morgen Ella.“

„Na… und?“

„Was soll sein? Alles im grünen Bereich.“

„Das meine ich nicht.“

Verwirrt schaute ich sie an.

„Man Tassilo, lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen. Was war gestern bei der Kanzlei.“

„Mein Erzeuger war dort.“

„Dein Vater?“

„Ich bevorzuge Erzeuger, weil ein Vater ist er nicht für mich.

„Aha und was wollte der von dir?“

„Nichts, ist auch sehr schnell gegangen.“

„Warum dass denn?“

„Er hat nichts geerbt, darüber war er wohl sauer.“

„Und hast du was geerbt?“

„Nur ein Haus mit Leuchtturm, aber das hat er nicht mehr mitbekommen.“

„Was?“, schrie Ella fast und ich fuhr zusammen.

„Klar, er konnte das nicht mitbekommen, er war vorher gegangen“

„Was… hast du geerbt?“, wiederholte Ella ihre Frage

„Einen Leuchtturm…, hast du eigentlich Chemie gemacht, irgendwie bin ich da nicht durchgestiegen.“

„Tassilo Melright, willst du mich eigentlich verarschen?“, kam es jetzt so laut von Ella, dass alle im Umkreis von mindestens vier Metern sich nach uns umdrehten.

Ich konnte nicht anders und fing an zu kichern.

„Würde ich nie machen!“, versuchte ich mit ernster Mine zu sagen.

Sie stand fassungslos vor mir.

„Du… lügst mich nicht an?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Einen Leuchtturm?“

„Ja…“

„Wow… krass.“

„Jetzt fang du nicht auch noch an“, meinte ich leicht genervt, „meine Mum meinte gestern schon einen auf Teenie machen zu müssen.“

Ella kicherte.

„Willst du ihn sehen?“

„Was?“

„Den Leuchtturm…“

„Du hast ein Bild dabei?“

„Nein, aber wir könnten am Wochenende vielleicht zusammen hinfahren…“

„Mist…, am Samstag hat meine Oma Geburtstag, da bin ich das ganze Wochenende eingespannt.“

„He, es kommen noch mehr Wochenenden, okay?“

„Klar, die Einladung lass ich mir nicht entgehen.“

Der Gong schallte durch den Hof.

„Lass uns reingehen“, meinte Ella, „aber nachher musst du mir alles genau erzählen.

*-*-*

Ich wusste nicht, warum ich den Stapel Briefe mit in die Schule genommen hatte. Jetzt in der Freistunde kamen sie mir wieder in den Sinn. Nachdem ich ausführlich meinen Rucksack durchwühlt hatte, fand ich sie ganz unten.

Ich nahm den nächsten Umschlag und legte den Rest in den Rucksack zurück. Die Cafeteria war zu der Zeit recht leer, da die anderen Schüler ja im Unterricht saßen. Ich trank einen Schluck von meiner heißen Schokolade und widmete meine Aufmerksamkeit dem Brief.

Hallo Tassilo,

es ist an der Zeit, dir zu erzählen, warum ich von der Familie verstoßen wurde und mir mein Einsiedlerleben aussuchte. Ich war gerade achtzehn geworden, und war stolzer Besitzer eines Führerscheins.

Auf dem alljährlichen Feuerwehrfest im Ort war die ganze Familie vertreten. Jeder war irgendwie eingeteilt und half mit. Ich stand an der Zapfanlage und füllte ein Glas Bier nach dem anderen.

Es blieb natürlich nicht aus, dass ich ein paar Biere mittrank. Bis zum Ende meines Dienstes hatte ich soviel Bier getrunken, das ich fast nicht mehr gerade laufen konnte. Dies alleine missfiel schon einigen Familienmitgliedern.

Im meinem Leichtsinn setzte ich mich tatsächlich noch in meinen Wagen und fuhr nach Hause. Man fand mich am nächsten Morgen bewusstlos im Wrack meines Wagens an der Böschung.

Wie durch ein Wunder hatte ich fast keine Schramme abbekommen. Ganz im Gegenteil zu meinem Nebenmann. Ja, ich hatte jemanden mitgenommen… Ryan, meinen besten Freund. Habe Tränen in den Augen, jetzt wo ich dir das schreibe.

Ryan kannte ich schon seit dem Kindergarten und einer tauchte nie ohne den anderen auf. Und nun lag er tot neben mir. Ich hatte Scheiße gebaut und das Leben meines besten Freundes auf dem Gewissen.

Meine Eltern schickten mich weg zu entfernten Verwandten, bis Gras über die Sache gewachsen war. Ja so hieß es. Aber anscheinend kümmerte man sich darum, dass nie Gras wachsen würde.

So blieb ich bei den Verwandten, lernte dort einen Beruf und bezog bald darauf eine kleine eigene Bleibe. Es tat weh, dass mich zu Hause niemand mehr sehen wollte. Besonders mein Bruder…, dein Vater.

Er hasste mich für meine Tat, wollte nicht einmal ans Telefon, wenn ich ab und zu mal zu Hause anrief. So wurde ich tot geschwiegen, als wäre ich bei dem Autounfall selbst gestorben… meine Familie ignorierte mich.

So begann mein Einsiedlerleben. Ich suchte mir keine Freunde, bleib von großen Menschenansammlungen fern, verkroch mich vor der Welt. Durch einen Zufall erfuhr ich von einem alten Leuchtturm, der noch im Besitz der Familie war und so war klar, wohin ich mich zurück zog.

 

„Tassilo…, alles klar mit dir?“

Ich schaute auf und Ella stand vor mir.

„Ja klar, was soll denn mit mir sein?“, fragte ich verwundert.

„Hast du geweint?“

„Bitte…? Wie kommst du jetzt da drauf?“

„Du hast feuchte Augen…“

Ich griff in mein Gesicht und strich sanft unterhalb des Auges entlang. Ella hatte Recht, es war feucht.

„… habe ich nicht bemerkt.“

Ella zog den Stuhl vom Tisch weg und setzte sich neben mich.

„Wie kann man so etwas nicht merken?“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Ist irgendetwas passiert?“

„Nein… ich habe nur einen Brief meines verstorbenen Onkels gelesen.“

„Hingst du sehr an deinem Onkel?“

„Ich kannte ihn ja gar nicht.“

„Wie…, du kennst deinen Onkel nicht, das soll jetzt einer verstehen?“

„Ella, ich habe erst durch einen Brief erfahren, dass er mein Onkel war.“

„Es hat nie jemand gesagt, dass es ihn gibt?“

„Nein.“

„Krass. Und warum nicht?“

„Du bist gar nicht neugierig, oder?“

„Nein, du weißt doch. Frauen wollen nur über alles Bescheid wissen.“

„Wo sind hier Frauen?“

Diese Frage bekam ich mit einem spitzen Finger zwischen meinen Rippen beantwortet. Ein leichter Schrei entfuhr mir, was die Aufmerksamkeit der anderen in der Cafeteria befindlichen Schüler auf mich zog.

Ella rutschte etwas in ihren Stuhl und kicherte.

„Sehr lustig!“

Sie hob die Augenbrauen und grinste mich an. Der Gong beendete jedoch unser kleines Gespräch und so schnappten wir unsere Taschen, um auch die letzten Stunden Unterricht dieses Tages hinter uns zu bringen.

*-*-*

Mit den Hausaufgaben fertig, verbrachte ich den Rest des Mittags auf meinem Bett. Meine Decke war übersät mit Briefpapier und Umschlägen. Den Packen Briefe hatte ich durch, einige hatte ich sogar mehrfach gelesen.

Nun lag ich da und starrte gegen die Decke, versuchte das Gelesene zu verarbeiten. Es klopfte und Mum streckte ihren Kopf durch den Spalt der Tür.

„Hallo Tassilo, Lust auf einen Tee?“

„Hi Mum… ja wäre eine gute Idee.“

„Hast du die alle gelesen?“

Ich nickte und versuchte alles irgendwie zu einem Stapel zusammen zu raffen. Mit dem Berg an Briefen stand ich auf und legte ihn auf dem Schreibtisch ab.

„Und etwas Interessantes erfahren?“

„Außer dass dein Schwager von der Familie verstoßen wurde, dein Exmann ihn gehasst hat, steht schon einiges Interessantes drin.“

Meine Mutter atmete tief durch.

„Dein Vater hat mir vieles nicht erzählt…“, meinte sie leise und verließ das Zimmer wieder.

Wenige Augenblicke später saß ich bei ihr in der Küche und rührte in meinem Tee.

„Ich meine, es ist schon schlimm, wenn man jemand auf dem gewissen hat, aber ihn sein ganzes Leben dafür leiden lassen?“, sagte ich.

„So kannst du das jetzt nicht sagen, Tassilo. Schau, wenn jemand, jemanden umgebracht hat, bekommt er oft lebenslänglich, als Strafe und es fragte keiner die Angehörigen nach ihrer Meinung, was sie fühlen und so.“

„Das verstehe ich schon, aber mein Erzeuger war mit diesem Ryan nicht verwandt.“

„Sollen wir am Wochenende zum Leuchtturm raus fahren?“, fragte Mum.

„Hast du denn Zeit?“

„Ich nehme mir einfach die Zeit, wäre kein Problem.“

Ich lächelte sie an. Damit war die Unterhaltung zum Erliegen gekommen. Beide rührten wir Gedanken versunken in unseren Tassen und schwiegen uns an.

*-*-*

Die Nacht träumte ich wirres Zeug von Leuchttürmen und Unfällen mit Autos. Etwas gerädert stand ich auf und versuchte mich etwas ansehnlich zu machen.

„Tassilo, schwinge die Hufe, oder dein Bus fährt ohne dich.“

„Ja Mum.“

Müde zog ich mir meine Uniform über, krallte mir den Rücksack und lief wankend die Treppe hinunter.

„Wie siehst du denn aus?“

„Sorry, ich habe schlecht geschlafen.“

„Ist wohl noch untertrieben, du siehst aus, als hättest du überhaupt nicht geschlafen…“

„Lass gut sein, Mum. Können wir.“

„Bitte?“

„Oh entschuldige…, bin nicht ganz bei mir. Bin dann weg, bis heute Mittag.“

Ich stolperte die Treppe hinunter und schaffte es grad noch auf den Bus.

Wie ich den Tag hinter mich gebracht hatte, war mir schleierhaft. Ich war auf alle Fälle froh, als später die Wohnungstür wieder hinter mir ins Schloss fiel.

Wie ich in mein Bett gekommen war, wusste ich auch nicht mehr, jedenfalls wurde ich erst wieder wach, als meine Mum vor mir stand und sanft an meiner Schulter rüttelte.

„Tassilo, ist alles in Ordnung mit dir?“

„Ich weiß nicht, mir ist irgendwie schwindlig und übel.“

„Du brütest sicher etwas aus“, meinte sie uns fasste an meine Stirn, „und heiß bist du auch.“

Das fehlte mir gerade noch. Krank werden, jetzt vor den vielen Arbeiten in der Schule.

„Das kommt sicher, weil ich in meinen Klamotten eingeschlafen bin.“

„Quatsch, dein Kopf glüht, du hast Fieber.“

Ich verzog genervt mein Gesicht.

„Ich werde nachher Lewis anrufen, ob er noch vorbei kommen kann.“

Lewis, unser Hausarzt und langer Freund meiner Mutter.

„… und du bleibst erstmal liegen, na ja, erstmal ziehst du die Sachen aus.“

„Ja Mama.“

Sie verließ lächelnd mein Zimmer. Mühsam richtete ich mich auf und spürte sofort den Schwindel, der über mich kam. Notdürftig zog ich die Uniform vom Leib, schmiss sie über den kleinen Sessel.

Mein Blick fiel kurz auf das Bild von Billy. Das hätte ihm gefallen, mit mir in einem Leuchtturm zu wohnen. Ich ließ mich auf das Bett fallen und zog mir die Decke über. Billy. Ob er sich drüben in Amerika wohl schon eingelebt hatte?

Er war meine erste große Liebe gewesen, keiner konnte ihm das Wasser reichen und keiner… konnte ihn ersetzen. Zwei Jahre waren wir zusammen gewesen, zwei Jahre voll Liebe und Spaß. Und dann hatte sein Vater diesen Job in Amerika angenommen und Billy musste mit.

Ich hatte ihn frei gegeben, da ich keinen Sinn darin sah, die Beziehung auf diese Entfernung aufrecht zu halten. Verstanden hatte Billy das sicher nicht, er hatte es sich zumindest nicht anmerken lassen. Er hatte mir versprochen sich zu melden, doch bis jetzt kam keine Nachricht.

Er würde seine Gründe haben, vergessen hatte er mich sicherlich nicht, dafür verband uns viel zu viel.

„Tassilo…, Tassilo, wach auf. Lewis ist da, er möchte dich anschauen.“

Die Stimme meiner Mum. Ich spürte, wie sie mir etwas aus der Hand nahm und öffnete die Augen. Es war das Bild von Billy. Ich war wohl im Gedanken an ihn eingeschlafen.

„Alles klar?“, fragte sie.

Ich nickte.

„Wo ist denn unser Sorgenkind“, hörte ich die angenehme tiefe Stimme von Lewis.

„Ich bin kein Kind mehr“, meckerte ich gespielt kindisch.

„Nicht? Dann gibt es nach der Untersuchung auch keinen Lolly.“

Er lächelte mich breit an und setzte sich an mein Bett. So lang ich denken konnte, war Lewis mein Arzt gewesen und nachdem sich mein Erzeuger aus dem Staub gemacht hatte, war der Doc Mum ein guter Freund geworden.

Die beiden wären sicher zusammen gekommen, wäre da nicht ein klitze kleines Problemchen. Dies hieß Martha und war Lewis Frau. Eine Scheidung wäre natürlich eine Lösung gewesen, doch dies war eben nicht das Problem.

Seine Frau hatte diese seltene Muskel- und Gewebekrankheit und war an das Bett gefesselt. Lewis kümmerte sich aufopferungsvoll um sie. Natürlich spürte ich auch, dass zwischen Lewis und Mum etwas mehr war, als nur Freundschaft, aber genau dieser Punkt hinderte die beiden daran, sich näher zu kommen.

„Keinen Lolly…, dann kannst du wieder gehen…!“, sagte ich gespielt empört.

Diese Ränkespielchen waren Tagesordnung bei uns und wenn uns jemand nicht kannte, würde man mich maßregeln, wie respektlos ich mit einem Erwachsenen umgehen würde.

„So jetzt aber mal im Ernst, was ist los. Jessica hat mir erzählt, du hast Fieber und übel wäre dir auch.“

Ich nickte. Er hob seine Hand an meine Stirn, während Mum kurz das Zimmer verließ.

„Da werden wir wohl messen müssen.“

Er hatte wieder diesen fiesen Blick drauf, was heckte er wieder aus?

„Umdrehen und Hintern frei machen“, meinte er ernst.

„Du willst mir echt ein Thermometer da hinten reinjagen?“

„Tu nicht so, du bist anderes gewohnt…“, meinte er kichernd.

Normalerweise hätte ich bei diesem Witz auch gekichert, denn Lewis wusste über mich und Billy Bescheid, aber die bloße Erinnerung an Billy, ließ meine Stimmung noch mehr sinken.

„Entschuldige Tassilo…, das war gemein… und ich brauche nur dein Ohr zum Messen.“

Sichtlich betrübt schaute mich Lewis an.

„Schon gut, dauert sicher noch eine Weile, bis ich darüber weg bin.“

Lewis packte ein kleines Gerät aus, stülpte eine Plastikhaupe über ein Röhrchen und drückte mir dies sanft ins Ohr. Dann hörte ich es kurz knacken und wenig später war ich von dem Gerät wieder befreit.

„Du hast über 39°C Fieber. Schnupfen und Husten hast du keinen?“

Ich schüttelte leicht den Kopf.

„Aber übel und schwindelig ist dir?“

„Ja.“

„Ist außer der Abreise von Billy noch etwas vorgefallen?“

Mum hatte ihm anscheinend noch nichts erzählt.

„Begegnung der dritten Art und Herrscher über ein Anwesen.“

Lewis grinste wieder.

„Deinen Humor hast du auf alle Fälle nicht verloren, aber wärst du so lieb, dies einem alten Herren wie mir in verständlichen Worten zu erklären?“

Lewis packte seine Sachen weg und stellte die Tasche bei Seite, als Mum mit zwei Tassen Tee wieder ins Zimmer kam.

„Was hat der Junge?“, fragte sie besorgt.

„Eins nach dem anderen, erst mal will ich hören, was mir Tassilo zu erzählen hat.“

Mum reichte ihm die Tasse Tee, meine stellte sie auf mein Nachttischchen. Sie schob meine Uniform zur Seite und setzte sich auf den kleinen Sessel.

„Ich habe einen Brief von einer Kanzlei bekommen. Kanzlei Harrigton.“

„Fähiger Mann, sehr nett“, sagte Lewis, „aber was wollte er von dir?“

„Ich habe geerbt. Ein Bruder meines Erzeugers, den ich nicht kannte, hat mir etwas vermacht.“

„Etwas ist gut“, entfleuchte es Mum.

Aber mein Blick hinderte sie weiter zu erzählen.

„Ein Haus mit Leuchtturm.“

„Aha…“ kam es von Lewis, der zu Mum schaute, die wiederum nur nickte.

„Haus… Leuchtturm. Du nimmst mich jetzt nicht auf den Arm?“

„Nein Lewis, Tassilo sagt die Wahrheit, ich habe das Anwesen selbst gesehen.“

„Wow, Tassilo als Hausbesitzer.“

Ich musste grinsen.

„Und was meintest du mit Begegnung der dritten Art?“

Jetzt musste ich noch mehr grinsen, denn Mums verdatterter Blick war einfach zu köstlich.

„In der Kanzlei war auch mein Erzeuger zugegen.“

„Robert war da?“, fragte Lewis erstaunt und wieder nickte Mum.

„Und was wollte der da?“

„Geld, was sonst…“, kam es von Mum.

„Und hat er welches bekommen?“

„Keinen Cent“, verkündete ich grinsend.

*-*-*

Billy

Jetzt war ich schon zwei Wochen hier und nichts passierte. Dad ging seinem neuen Job nach und Mum war mit Einrichten des Hauses beschäftigt. Ich hasste dieses Haus jetzt schon, nicht mal Internet hatten wir hier.

Wie sollte ich Tassilo eine Nachricht senden? Mein Handy funktionierte hier nicht, anrufen wäre zu teuer, behauptete Mum und Internet ging nicht.

„Billy, hier steht noch ein Karton von dir“, rief Mum das Treppenhaus hinauf.

„Ich komme“, gab ich genervt zur Antwort.

Ich verließ mein Zimmer und rannte die Treppe hinunter.

„Geht es auch etwas leiser“, meinte Mum genervt.

Ich verdrehte die Augen und seufzte.

„Billy, ich weiß, es ist nicht leicht für dich, aber für mich auch nicht!“

Sie zeigte auf den Karton mit meinem Namen drauf, aber sagte kein weiteres Wort. So schnappte ich mir die Kiste und ging wieder nach oben. Mein Zimmer sah spärlich aus. Wir hatten nur persönliche Sachen mitgenommen, die Möbel waren in England geblieben.

Nun standen hier nur ein altes Bett, ein Schrank und ein Tisch. Ich stellte den Karton ab und ließ mich wieder auf mein Bett fallen. Es quietschte. Der Anblick draußen vorm Fenster war genauso trostlos wie mein Zimmer. Es regnete.

Noch vor ein paar Wochen war mein Leben ganz in Ordnung gewesen. In der Schule lief es, über meine Freunde konnte ich mich nicht beschweren und dann war da Tassilo. Der absolut süßeste Kerl, den ich je kennen gelernt hatte. Zwei Jahre waren wir zusammen gewesen.

Ich erinnerte mich noch genau an den Tag, als wir uns über den Weg gelaufen waren. Es war beim Sportfest an der Schule. Tassilo hatte die Schule gewechselt und war neu in unsere Klasse gekommen. Der Tag war eigentlich schon fast gelaufen, als der letzte Sprint anstand.

Ich war weit an der Spitze, bis ich am Rand der Laufbahn einen Typen wahrnahm, der mich sehr faszinierte. Da passierte es. Irgendwie war ich falsch aufgetreten, auf alle Fälle verlor ich mein Gleichgewicht und stolperte über meine eigenen Füße.

Der Schwung, den ich drauf hatte, verursachte ein regelrechtes Überschlagen meines Körpers und ich kam erst neben der Laufbahn zum liegen. Sofort umringten mich andere Schüler und lachten.

Ein Lehrer drängte sich durch die Menge um mich. Er fragte mich, ob alles in Ordnung sei, aber außer einer leichten Prellung des Ellenbogens war nur mein Ego heftigst angekratzt. Der Pulk um mich löste sich auf, nur dieser Junge stand noch da und sah etwas betreten drein.

Ich lief zu meinen Sachen, zog meinen Trainingsanzug drüber, verpackte den Rest und schulterte die Tasche. Erst einmal eine Dusche dachte ich. Mein Blick fiel zu dem Jungen, der da immer noch alleine stand.

Ich fasste mir ein Herz und lief zu ihm. Ein kleines Gespräch entwickelte sich und ich erfuhr, dass er Tassilo hieß. Ich verabschiedete mich und wollte nur noch unter die Dusche. Danach war Tassilo verschwunden.

Es dauerte dann auch einige Tage, bis ich Tassilo wieder sah. Es war auf dem Heimweg von der Schule gewesen. In seiner Schuluniform sah er richtig fesch aus und ich ertappte mich dabei, wie ich diesen Jungen regelrecht mit meinen Blicken auszog.

Ich wollte irgendwie in seiner Nähe sein, so beschloss ich, ihn einfach näher kennen zu lernen. Ab diesem Tag war selten ein Moment gewesen, an dem wir nicht zusammen abhingen und ein paar Wochen danach geschah das, was ich mir insgeheim die ganze Zeit gewünscht hatte.

Tassilo offenbarte sich mir und das Gespräch endete in einem langen zärtlichen Kuss. Somit waren wir fest zusammen.

„Billy, ich geh noch etwas einkaufen“, hörte ich Mum rufen, was mich aus meinen Gedanken riss.

„Okay Mum.“

Ich hörte die Tür ins Schloss fallen und war somit alleine. Seufzend richtete ich mich auf und starrte auf die Kiste. Was war denn da noch mal drinnen? Ratlos beugte mich nach vorne und zog den Karton zu mir.

Kurz aufgerissen, erinnerte ich mich. Gerahmte Bilder kamen zum Vorschein, die ich auch gerne wieder aufhängen wollte. Ich schaute mich im Zimmer um und beschloss mit meinen Eltern zu reden.

Hier musste sich einiges im Zimmer ändern. So nahm ich mir einen Block und Stift und begann aufzuschreiben, was meiner Meinung noch fehlte. Die blaue Farbe der Wände wollte ich so lassen.

Einen Stock tiefer unter der Treppe fand ich den Keller Eingang. Hier unten musste es doch irgendwo Hammer und Nägel geben. Ich wurde fündig. Der Vorbesitzer hatte auch eine kleine Werkstatt zurück gelassen, wobei das Werkzeug doch eher altertümlich aussah.

Ich fand einen Stiel und einen Metallkörper der annähernd an einen Hammer erinnerte. Ich steckte beides zusammen und fand, dass es ganz passabel aussah. Nach weiterer Suche fand ich auch noch ein paar Nägel.

Das sollte reichen. In einer anderen Ecke des Kellers standen auch noch Möbel, wobei mir eine alte Kommode und ein dazu passender Schreibtisch auffielen. Gut es war nicht gerade mein Geschmack, aber für den Anfang würde das schon reichen.

Aber wie bekam ich die Dinger unbeschadet nach oben? Ich dachte dabei eher an mich, als an die Möbel. Ich schaute mir alles noch genauer an und stellte enttäuscht fest, dass dies alles massives Holz war. Also nicht zerlegbar.

Ich legte den Selbstbauhammer auf die Seite, die Nägel dazu. Irgendwo musste doch Putzzeug sein, denn die Sachen waren recht eingestaubt und standen sicher schon lange hier unten. Ich lief also nach oben in die Küche und wurde natürlich fündig.

Mums Putzfimmel hätte jede Reinigungsfirma vor Neid erblassen lassen. Es blitze und glänzte vor Sauberkeit. Die Küche sah wie neu aus. So schnappte ich mir den Eimer vom Boden und stellte ihn in das schwere Keramikwaschbecken, das leicht als Babybecken durchgehen konnte.

Den Eimer frisch mit heißem Wasser befüllt, ein paar Spritzer von Mums Wundermittel dazu und mit einem Spüllappen bewaffnet, tigerte ich wieder in den Keller. Dort machte ich mich ans Werk.

Ich sah nicht auf meine Armbanduhr, aber irgendwann hörte ich ob die Haustür gehen.

„Billy, ich bin zurück und dein Vater ist auch da.“

„Okay, ich bin hier.“

„Billy?“, hörte ich plötzlich von der Kellertür, „was suchst du denn da unten?“

Dads Stimme.

„Och, ich habe hier ein paar Möbel gefunden, die in mein Zimmer passen würden.“

„Ich dachte, der Keller wäre leer, so war es auf alle Fälle ausgemacht“, erwiderte Dad und kam die Treppe herunter.

„Nein, definitiv steht hier noch einiges herum“, meinte ich.

„Hallo Billy“, begrüßte mich Dad und wollte mich umarmen.

Doch er hielt inne und zog etwas aus meinem Haar, was sich als Spinnennetz zu erkennen gab.

„Ich glaube, du bist reif für eine Dusche“, grinste mich Dad an und schaute sich im Keller um.

„Dad, was meinst du, kann ich die Kommode und den Schreibtisch haben?“

„Also wenn unser Vormieter die nicht mitgenommen hat, denke ich schon. Und wie willst du die in dein Zimmer bekommen?“

„Ich dachte eigentlich, mein so sehr starker Vater hilft mir, die hinauf zutragen.“

Dad schaute sich die Möbelstücke genauer an.

„Dürfte schwierig werden, aber nicht unmachbar. Aber jetzt komm erst einmal nach oben, ich habe da etwas für dich.“

Mein Interesse war geweckt und ich folgte ihm nach oben in die Küche. Doch bevor ich sie betreten konnte, wurde ich jäh von meiner Mum gestoppt.

„Halt, keinen Schritt weiter. Wie siehst du denn aus?“

Ich schaute an mir herunter und stellte fest, dass meine Säuberungsaktion mir den Hauptteil an Dreck verpasst hatte.

„Grace, sei nachsichtig mit ihm, er hat Möbel gefunden, die er gerne für sein Zimmer hätte und die gereinigt.“

„Möbel?“

„Ja, ich habe eine Kommode und einen Schreibtisch gefunden.“

„Hast du nicht gesagt, das Haus wird leer übergeben?“, fragte Mum Dad.

„Dachte ich eigentlich auch, aber der Keller schien nicht inbegriffen.“

„Eine weitere Überraschung in diesem Haus“, sprach Mum entnervt.

„Wo wir doch grad bei Überraschungen sind, Dad meinte, er habe mir etwas mitgebracht.“

„Oh das stimmt“, sagte Dad und stellte seinen Aktenkoffer auf den Tisch.

Wenige Sekunden später hielt ich zwei Umschläge in der Hand.

„Was ist das?“, fragte ich.

„Mach doch auf!“, antwortete Dad.

So riss ich den ersten Umschlag auf und ich fand eine Anmeldung an der hiesigen Highschool vor. Etwas enttäuscht sah ich zu Dad.

„Danke…, wann geht es los?“

„Ich glaube noch drei Wochen, also noch genug Zeit für dich, dich hier etwas einzugewöhnen.“

„Und was ist in dem anderen Umschlag“, fragte nun auch Mum neugierig.

Auch diesen riss ich auf und entnahm ein weiteres Formular. Es war eine Anmeldung für das Internet.

„Wow, Dad danke“, konnte ich nur sagen und fiel ihm um den Hals.

„Bitte, gern geschehen und wegen deinem Computer habe ich mich auch schon erkundigt. Es ist kein Problem diesen auf die 110 Volt umzustellen.“

Nun strahlte ich über beide Wangen.

„Also ich mach mich mal erst ans Essen, ihr habt doch Hunger oder?“

Diese Frage stellte Mum in den Raum.

„Ja klar doch, aber ich helfe vorher noch dem Jungen die Möbel hoch zutragen.“

„Zieh dir bitte etwas anderes an, Oliver, sonst siehst du so aus wie Billy.“

*-*-*

Tassilo

Lewis hatte mir zwei Tage Bettruhe verordnet. Er meinte, dass die Vorfälle der letzten Tage einfach zuviel für mich gewesen waren und mein Körper sich nun einfach an mir rächte. Das Fieber war zwar schon etwas zurückgegangen, doch ich musste trotzdem im Bett bleiben.

Anordnung von Mum, die ich auch zu befolgen hatte. Ich hörte die Hausglocke und wenig später sprach unten jemand im Flur. Das Gespräch wurde lauter und ich glaubte die Stimme meines Erzeugers zu hören.

„Nein du lässt ihn in Ruhe, er ist krank“, hörte ich Mum rufen.

„Quatsch, der simuliert doch nur.“

Das war eindeutig die Stimme meines Erzeugers und wenige Sekunden später wurde meine Zimmertür aufgerissen.

„Los aufstehen, anziehen! Du gehst mit zum Notar.“

„Robert, lass den Jungen in Ruhe.“

„Hallt die Klappe, Jessica.“

Ich versuchte, ruhig zu bleiben und richtete mich auf.

„Was willst du von mir?“, fragte ich.

Er wollte mich am Arm packen, aber ich wehrte ihn ab.

„Fass mich nicht an“, fauchte ich ihn an.

„Wie redest du mit deinem Vater?“

„Vater?“

Ich find schallend an zu lachen.

„Du bist schon lange nicht mehr mein Vater, schon vergessen du hast mich und Mum im Stich gelassen, hast uns sämtliches Geld genommen. Dich kann man höchstens noch als Erzeuger bezeichnen… mehr bist du nicht.“

In diesem Moment erhob er wütend die Hand…

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