Liebeskummer auf Italienisch

Liebeskummer auf Italienisch

© by peter

 

Es regnete. Still war es geworden, nach dem der Pfarrer seine Worte beendet hatte. Es waren viele Freunde von Mum gekommen, um ihr das letzte Geleit zu geben. Papa und ich standen schweigend da und starrten auf den Sarg, der langsam in das Grab hinab gelassen wurde.

Mir liefen die Tränen ungehindert die Wangen hinunter. Noch einmal kamen die Erinnerungen an die schönen Zeiten, bevor Mum die Diagnose Krebs bekam. Ich versuchte, mich auf die schönen Dinge zu konzentrieren, die ich mit Mum erlebt hatte.

Und doch – immer wieder kam das grausame Wort… VORBEI… es gab nichts mehr. Mum hatte den Kampf gegen den Krebs verloren. Wie sagt man so schön:> die Hoffnung stirbt zuletzt?<

Mum hatte bis am Schluss geglaubt, sie würde es schaffen, auch als die Ärzte sie bereits aufgegeben hatten. Ihr Körper war mit Metastasen durchzogen. Ich war so oft ich nur konnte, bei ihr im Krankenhaus.

Auch zuletzt, als sie auf ihren eigenen Wunsch nach Hause gebracht worden war, saß ich oft bei ihr im Wintergarten, wo sie die Frühlingssonne genoss, auch wenn sie kaum noch Kraft hatte, etwas zu sagen.

Stundenlang saß ich an ihrem Bett und las ihr vor, Liebesgeschichten oder Krimis. Auch noch dann, wenn sie vor Erschöpfung schon lange eingeschlafen war. Bis an jenem Mittag, an dem sie unwahrscheinliche Kraft entwickelte und mich am Arm zog.

Ich werde nie vergessen, wie sie, mit Tränen in den Augen, sich von mir verabschiedete. Ein letztes >ich liebe dich< von ihren Lippen kam und sich ihre Augen für immer schlossen. Papa stand die ganze Zeit hinter mir.

Ich spürte seine Hand auf meiner Schulter. Als Mum das letzte Mal ausatmete, verstärkte sich der Druck seiner Hand, um danach ganz zu weichen.

 

*-*-*

 

Der Wagen rollte aus und blieb vor dem Haus stehen. Papa drehte den Schlüssel um und der Motor verstummte.

 

„Wir sind da, Ragazzo!“, meinte er und öffnete seine Wagentür.

 

Ich folgte ihm und stieg aus. Nach dem Tod meiner Mum waren wir in das Heimatland meines Vaters gezogen. Er und Mum hatten schon lange geplant, nach Italien zu ziehen und hatten dort ein Haus gekauft.

Die ganze Familie meines Papas lebte hier und umso schwerer fiel es mir jetzt, dass Mum so weit weg von uns begraben lag. Wenn ich meine deutschen Großeltern in den Ferien besuchen würde, könnte ich ja das Grab besuchen, meinte Papa.

Wir hatten uns deswegen etwas in die Haare bekommen und in den letzten Stunden während der Fahrt hierher nichts gesprochen. So auch jetzt beim Aussteigen. Ich folgte ihm, sagte aber kein Wort.

Aus der offenen Tür kam eine Frau gelaufen.

 

„Marco… Sebastiano, endlich seid ihr da!“, hörte ich sie rufen.

 

Tante Maria, die Schwester von Papa. Sie schien das Bild einer typischen italienischen Mama zu erfüllen. Sie war klein und dick. Ohne Vorwarnung nahm sie mich in den Arm und drückte mich an sich.

Gut, dass ich etwas größer war als sie, sonst wäre ich wahrscheinlich bei ihrer Körperfülle in Atemnot gekommen. Sie ließ mich los und schaute mich an.

 

„Alles klar mit dir, mein Junge?“, fragte sie und wuschelte mir über den Kopf.

 

Ich nickte. Tante Maria wandte sich zu Papa.

 

„Hallo Bruder!“, meinte sie und drückte ihn ebenso.

 

„Hallo Maria“, kam es von Papa.

 

Verstohlen sah ich zu Papa und sah, wie Tränen über seine Wangen liefen. Papa war kein Mensch, der traurige Gefühle zeigte, dazu war sein sonniges Gemüt normalerweise nicht im Stande.

Doch der Tod von Mum hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. Er war für mich nicht nur Vater – Erziehungsberechtigter – Erzeuger, sondern auch mein Freund, denn ich konnte mit ihm über alles reden.

Bis auf eine kleine Winzigkeit, über die ich nicht mal mit Mum gesprochen hatte. Ich hatte gemerkt, dass Mum sicherlich etwas ahnen würde, aber sie hatte es nie ausgesprochen. Und nun würde es auch immer unausgesprochen bleiben.

Ich lief an die Rückseite des Wagens und öffnete die Heckklappe. Mir war nicht nach reden, ich wollte nicht nachdenken, so versuchte ich es mit Arbeit. Arbeit, die ich sonst scheute, aber getan werden musste.

So begann ich, die restlichen Habseligkeiten, die der Transporter nicht mitgenommen hatte, aus dem Kofferraum zu räumen. Neben mir tauchte eine Hand auf und ich drehte mich um.

 

„Hi“, hörte ich Nicola sagen.

 

Er gehörte zur Familie, die im Haus meiner Tante wohnte. Es wunderte mich, ihn hier anzutreffen, da wir ihn bei unseren Besuchen nur selten zu Gesicht bekamen. Früher haben wir oft zusammen gespielt, aber wenn man halt älter wird… andere Interessen.

 

„Hi“, antwortete ich und hob die nächste schwere Tasche heraus.

 

„Jetzt ist es also amtlich, ihr zieht hier her?“, fragte er.

 

„Ja“, antwortete ich knapp, immer noch keine Lust, mir ein Gespräch aufdrücken zu lassen.

 

„Es tut mir Leid wegen deiner Mutter. Mum meinte, sie wären gute Freundinnen gewesen. Sie war richtig traurig, als uns die Nachricht aus Deutschland erreichte.“

 

„Ich wusste nicht, dass unsere Mütter befreundet gewesen waren“, sagte ich, während ich tiefer in den Kofferraum des Wagens krabbelte.

 

„Sebastiano, lass doch, dass machen wir schon. Wenn du willst, zieh mit Nicola etwas um die Häuser.“

 

Das kam von Tante Maria, die mit Papa nun neben dem Wagen stand.

 

„Ich bringe nur mein Zeug auf mein Zimmer“, erwiderte ich, immer noch mit mir kämpfend, ob es gut wäre, jetzt mit Nicola durch die Gegend zu ziehen.

 

Mein Blick fiel auf seinen Motorroller, was mich zum nächsten Problem brachte. Ich hatte kein solches Gefährt. Aber als konnte Papa Gedanken lesen, zog er mich plötzlich am Arm.

 

„Sebastiano… ich habe da noch etwas für dich.“

 

Erstaunt schaute ich zu ihm. Er zeigte auf die Garage und ich folgte ihm. Nachdem er das Tor mechanisch geöffnet hatte, sah ich, was er meinte.

 

„Ich dachte, du könntest ihn gebrauchen. Er ist zwar nicht mehr ganz neu, aber trotzdem fahrtüchtig.“

 

Ich konnte es nicht glauben. Vor mir stand ein Motorroller.

 

„Der ist für mich?“, fragte ich verwirrt.

 

„Ja und voll getankt, du kannst gleich damit wegdüsen“, meinte Maria.

 

„Und geputzt ist es auch“, kam es von Nicola, der nun auch neben mir stand.

 

Ich ging zum Motorroller und fuhr langsam mit der Hand über den Sattel nach vorne zum Lenker. Ein eigener Roller… wow… ich war sprachlos. Ich drehte mich zu Papa um, der mich anlächelte.

Ich ging auf ihn zu und fiel ihm um den Hals.

 

„Danke, Papa!“, meinte ich und spürte, wie er mich kräftig an sich drückte, „und sorry, wenn ich dich vorhin angemotzt habe.“

 

„Schon vergessen! Dann mal viel Spass!“

 

„Erst meine Sachen, soviel Zeit muss sein.“

 

Ich ging also zurück zum Wagen und nahm meine zwei Taschen auf. Nicola, immer noch neben meinem Vater, zuckte mit den Schultern und setzte sich plötzlich in Bewegung. Er nahm mir eine Tasche ab und folgte mir ins Haus.

Frischer Geruch von Obst schlug mir entgegen. Ich blieb kurz stehen und schaute mich um. Mama war recht penibel gewesen, was die Einrichtung betraf. Alles hatte sie genau durchgeplant.

Und jetzt spürte ich sie hier in jedem Winkel der Wohnung, als ob sie real hier wäre.

 

„Ist was?“, fragte Nicola hinter mir.

 

Ich schüttelte den Kopf und steuerte auf die Treppe zu, die mich zu meinem Zimmer bringen sollte. Einige Stufen mehr und ein Stockwerk höher, war mein Reich. In meinem Zimmer angekommen, bemerkte ich sofort, dass bereits alles ausgepackt und eingeräumt war.

Bis auf den Karton auf dem >Privat< stand, war alles in den Regalen und dem Schrank eingeräumt worden.

 

„Ich hoffe, ich habe den PC richtig angeschlossen“, kam es von Nicola, der immer noch hinter mir stand und wartete, in mein Zimmer zu können.

 

„Wie kommt es eigentlich, dass du geholfen hast?“, fragte ich und stellte mein Tasche ab.

 

„Maria hat mich gefragt, wegen dem Computer, weil sie nichts damit anfangen konnte. Und da ich schon mal da war, hab ich ihr auch bei dem Rest geholfen. Die Kiste habe ich aber nicht angerührt!“

 

Er zeigte auf die eben erwähnte Kiste, auf die ich >Privat< geschrieben hatte. Sie war noch original verklebt, wie ich sie in Deutschland in den Transporter gestellt hatte. Da waren Dinge drin, die wirklich niemand etwas angingen.

Nicola stellte die Tasche ebenfalls ab.

 

„Hast du immer noch Lust, mit mir eine Runde zu drehen, oder willst du erst noch den Rest auspacken?“, holte mich Nicola aus dem Gedanken.

 

Ich hatte ein paar Stunden Autofahrt hinter mir, frische Luft würde mir gut tun. Und allmählich fand ich Nicola interessant. Nicht nur, dass er verdammt gut aussah, bisher war ich nämlich immer der Meinung, er wäre der absolute Machotyp und das war nicht gerade mein Ding. Zudem war er eh ein Weiberheld.

So gab er sich wenigstens. Ein typischer italienischer Teenager eben. Aber seit ich hier angekommen war, konnte ich überhaupt nichts von dem sehen, wie er sich sonst benahm.

 

„Nein, fahren wir eine Runde, muss sich ja auszahlen, dass ich einen Führerschein habe.“

 

So folgte ich ihm wieder nach unten.

 

„Ich bin dann mit Nicola unterwegs“, rief ich und war draußen.

 

Langsam ging ich zu meinem Roller. Meinen ersten Eigenen. Auf der Sitzbank lag ein neuer Helm, genauso blau wie die Vespa. Ich nahm ihn herunter und setzte mich auf den Roller. Es war ein erhebendes Gefühl.

Mum hätte sicher ihre helle Freude daran gehabt und hätte ein paar Runden mit mir gedreht. Sie war aber auch jetzt bei mir und nur das zählte. Ich zog den Helm über den Kopf und drehte am Schlüssel.

Mit ein wenig Geratter sprang die Vespa an. Ich gab etwas Gas und sie hoppelte mir davon und erstarb wieder. Nicola lachte und zog sich ebenso seinen Helm auf. Ich wiederholte die Prozedur und diesmal konnte ich ohne Probleme langsam aus der Garage rollen.

 

„Wo willst du überhaupt hin?“, fragte ich Nicola.

 

Der bemerkte zwar dass ich etwas gesagt hatte, aber verstanden hatte er es nicht. So rollte er dicht neben mich und schob das Visier nach oben.

 

„Was hast du gesagt?“

 

„Ich habe gefragt, wo du hinwillst?“

 

„Ach so. Nur etwas herumkurven… vielleicht noch ein Eis essen.“

 

„Gute Idee! Dann mal los.“

 

Gemeinsam ratterten wir die Einfahrt hinunter, direkt auf die Straße. Schnell hatte ich mich an das Teil unter meinem Hintern gewöhnt. Ich spürte den leichten Fahrtwind auf meinen nackten Armen.

Es war herrlich. Nicola raste voraus, ohne sich einmal umzugucken. Ich dagegen folgte ihm gemächlich und genoss die Fahrt. Nach einer Weile wurde es mir dann doch zu blöd. Ich drehte kräftig den Gasgriff durch und meine Vespa tuckerte los.

Sie war zwar etwas laut, aber sie zog fröhlich davon. Der Abstand zu Nicola verringerte sich und durch das Geräusch meines Motors, drehte er sich sogar diesmal um.

 

„Und? Gefällt’s?“, rief er mir zu.

 

Ich nickte. Etwas vor uns konnte ich das Schild „Mare“ lesen, dem Nicola folgte. Das Meer. Mit Mum war ich viel am Meer, sie ist oft und viel mit mir dort spazieren gegangen. Weiterhin stumm folgte ich Nicola.

Plötzlich wurde er langsamer, bremste ab. Ich tat es ihm gleich. Vor uns tauchte ein Parkplatz auf, wo ich einige Roller entdecken konnte. Genau dorthin lenkte Nicola seinen Roller.

Er hielt an und stieg ab. Ich rollte direkt neben ihn und drehte den Schlüssel um. Mein Motor erstarb. Ich zog meinen Helm ab.

 

„Warst du schon mal hier?“, fragte Nicola.

 

„Es kommt mir bekannt vor…, ich weiß es nicht.“

 

„Komm schließ ab, da drüben ist die Eisbude“, meinte Nicola und lief los.

 

Hier begann schon der Sand. Nicola hatte seine Strandlatschen an, während ich immer noch meine Turnschuhe anhatte. Schnell merkte ich, dass es sich darin sehr unbequem laufen ließ. Ich stoppte und zog kurzerhand meine Schuhe und Socken aus.

Ich spürte das erste mal wieder den Sand unter meinen Füssen, wie sich Sandkörner den Weg durch meine Zehen bahnten. Und da waren sie wieder, die Erinnerungen. Ich seufzte. Einfach alles erinnerte mich an Mum, ich konnte nicht mal etwas dagegen tun.

 

„Sebastiano“, hörte ich Nicola rufen und schaute auf.

 

„Alles klar?“, fragte er und kam die wenigen Schritte zurück zu mir.

 

„Geht schon!“

 

Er legte seinen Arm um mich.

 

„He Kleiner, das wird schon wieder“, meinte er und zog mich Richtung Eisbude.

 

Dort angekommen, wurde mir schnell klar, warum Nicola hier her wollte. Ich war eine ganze Meute von Jugendlichen versammelt. Und alle schienen Nicola gut zu kennen. Sie begrüßten ihn herzlichen und drückten ihn ordentlich.

Anscheinend war ich vergessen, denn Nicola machte keine Anstalten, mich vorzustellen. Abseits, neben der Meute, ging ich zur Eisbude und schaute auf die Werbetafel. Der Mann hinter der Theke fragte mich, was ich wollte.

Manchmal ist es auch gut, zweisprachig aufzuwachsen. Im fast perfekten Italienisch bestellte ich mein Eis. Nicola war nun völlig umlagert. Ich hörte ihn etwas erzählen und die ganze Gruppe lachte. Das war nun der Nicola, den ich eigentlich kannte.

Der reine Macho. Ich bezahlte und schnappte mir meine Schuhe. Nach einem kurzen Blick zu der Meute beschloss ich, etwas spazieren zu gehen. Ich lief an ihnen vorbei, keiner nahm Notiz von mir. Den Strand hinunter, bis ich ans Wasser ankam.

Leichte Wellen umspülten meine Füße. Noch recht kalt, bemerkte ich. Ich schaute nach beiden Seiten und konnte mich nicht recht entscheiden, in welche der Richtungen ich laufen sollte. Mein Eis schmeckte super und mein Blick wanderte aufs Meer hinaus, wo ich einige Schiffe entdecken konnte.

Lautes Gelächter hinter mir ließ mich aus meinem Tagtraum aufwachen und ich drehte meinen Kopf. Noch immer war Nicola umlagert, warf mit flotten Sprüchen um sich. Seine Bewegungen, die Art wie er sich nun gab, war ganz anders, als vorhin.

Ich lief einfach los, ohne darauf zu achten, welche Richtung ich nun nahm. Unter der Woche war hier am Strand eh nicht viel los. Die meisten arbeiteten und kamen nur am Wochenende hier raus.

Vereinzelt stand ein Schirm am Strand, ein paar Leute verteilt, aber sonst war nichts los. Einzige Lärmquelle war die Gruppe hinter mir. Ich schaute auf den Boden, sah das Wasser meine Füße umspülen.

Komischerweise dachte ich nicht an Mum, sondern Nicola ging mir nicht aus dem Kopf. Er war so eigentlich gar nicht mein Typ und doch, plötzlich, erwischte ich mich dabei, wie ich über sein Aussehen nachdachte.

Er war etwas kleiner als ich, hatte die typischen dunklen Haare, wie sie viele Italiener hatten. Dass er aktiv Fußball spielte, sah man ihm an. Noch ein Punkt, mit dem ich nichts anfangen konnte.

Ich hielt mich lieber an das Schwimmen. Zu Hause war ich im Schwimmverein… zu Hause… na ja… jetzt war hier mein zu Hause. Ab heute lebte ich mit Papa hier in Italien.

 

*-*-*

 

Ich ließ den Roller langsam die Auffahrt hoch rollen, bis ich in der Garage zum Stehen kam. Papa hatte den Wagen bereits geräumt, auch er stand schon in der Garage. Ich legte den Helm auf die Sitzbank und lief durch die kleine Tür am Ende der Garage in den Garten.

Auch hier war bereits alles angelegt. Am Ende des Grundstücks wuchsen ein paar Pinien, die im Sommer sicherlich schönen Schatten spendeten. In der Mitte des Gartens beherrschte der Pool das Bild.

Umsäumt von Blumenbeeten lag das Wasser ruhig da. Die Spätsonne schimmerte auf der Oberfläche.

 

„Schon zurück?“, hörte ich die Stimme Papas hinter mir.

 

Er saß auf der Terrasse mit einem Kaffeepott in der Hand.

 

„Ja…, ich wollte noch etwas in meinem Zimmer einräumen.“

 

„Wo ist Nicola?“

 

Ich lief die wenigen Stufen zur Terrasse hinauf und ließ mich auf einen Stuhl neben Papa fallen.

 

„Noch am Strand… da waren ein paar Freunde von ihm.“

 

Papa schaute mich durchdringend an.

 

„Sebastiano… ich weiß es ist schwer für dich, aber du wirst hier auch Freunde finden.“

 

Was hieß hier auch…? In Deutschland hatte ich auch keine Freunde. Gut, ich kannte eine Menge Leute durch den Schwimmverein, auch von der Schule. Aber so richtig Freunde… nein, das hatte ich nicht.

 

„Null Problemo, Papa“, erwiderte ich und stand wieder auf.

 

Ich betrat das Has und zum ersten Mal sah ich das Wohnzimmer, mit den Möbeln aus Deutschland. Als hätte Mama genau gewusst, was hier reinpasst, war die Raumaufteilung super.

Ich durchquerte das Wohnzimmer, kam in den Flur. Ich zog meine Schuhe aus und stellte sie neben die von Papa. In Socken lief ich die Treppe hoch und schloss hinter mir meine Zimmertür.

Die Läden waren fast geschlossen, trotzdem spürte ich die Wärme, die von draußen herein drang. Ich beschloss, mich zu duschen. Die lange Autofahrt und der Spaziergang am Strand hatten ihre Spuren hinterlassen.

Ich zog meine Shorts und das Shirt aus und lief ins Bad. Auch hier stand eine Kiste, die noch nicht ausgepackt war. So entschloss ich mich, diese noch auszuräumen. Die Unterwäsche verräumte ich in die kleinen Schränkchen.

Man mag mich für tuckig halten, wenn man den Inhalt meiner Kosmetika sehen würde, aber das war mir egal. Ich stellte also die Tübchen und Fläschchen ins Regal, verräumte die Cremes in den Schrank.

Ich grinste dabei, denn ich musste an Mum denken, wie sie oft bei mir im Bad stand und Sachen von mir ausprobierte, wir über Wirkungen und Nutzen der Sachen diskutierten. Als der Karton leer war, faltete ich ihn zusammen und stellte ihn raus in den Gang.

Ich hörte unten eine Klingel, aber ich wollte jetzt unter die Dusche. Ich drehte das Wasser auf und schloss hinter mir die Duschkabine. Genießend schloss ich die Augen und ließ das warme Wasser über meinen Körper rieseln.

Ich weiß nicht, wie lange ich unter der Dusche gestanden hatte, aber plötzlich hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich fuhr herum und sah verschwommen durch das geschliffene Glas der Duschkabine jemand an der Tür stehen.

Vorsichtig öffnete ich die Tür einen Spalt, um zu sehen, wer dort stand. Dort angelehnt, am Türrahmen, mit einem breiten Grinsten stand Nicola. Was sollte das jetzt? Er drehte sich um und verschwand.

Ich drehte das Wasser ab und verließ die Dusche. Nass wie ich war, schnappte ich mir ein Handtuch, band es um und verließ das Bad. Nicola hatte es sich auf meinem Bett bequem gemacht.

 

„Warum bist du so schnell abgehauen?“, fragte Nicola und musterte mich.

 

„Ähm… ich hatte das Gefühl… ach ist ja auch egal…“

 

Nicola schaute mich fragend an.

 

„He, es sind deine Freunde“, meinte ich, langsam eine Pfütze bildend.

 

Nicola stand auf.

 

„Sorry, das war mir gar nicht so bewusst. Ich hab nur plötzlich gemerkt, dass du wegwarst.“

 

Aha, man bemerkte dass ich weg war.

 

„He, ich bin erst seit ein paar Stunden hier, wir haben noch oft genug Zeit, an den Strand zu fahren.“

 

Nicola stand nun direkt vor mir und hatte so ein blödes Grinsen drauf. Ich tropfte immer noch und so langsam fühlte ich mich nicht wohl in meiner Haut. Er tippte mit seinem Finger auf meine nackte Brust.

 

„Richtig!“, war alles was er von sich gab.

 

Er stand einfach nur da und grinste mich an. Was sollte der Quatsch jetzt?

 

„Ich zieh mir etwas an“, meinte ich und wollte zurück ins Bad.

 

„Ist dir kalt?“

 

„Nein, aber ich lauf hier aus!“, antwortete ich.

 

Sein Blick fiel zu Boden, wo sich schon eine kleine Wasserlache gebildet hatte. Erst jetzt sah ich, dass sich unter dem Handtuch eine Beule abbildete, was mir sagte, mein Teil stand auf Halbmast.

War ich jetzt total bescheuert? Was war an dieser Szene gerade anregend. Mein Blick wanderte wieder nach oben, wo mich ein immer noch grinsendes Gesicht von Nicola erwartete.

Ohne ein Wort zu sagen, lief ich wieder ins Bad. Ich schmiss dass Handtuch über das Waschbecken und öffnete einen der Schränke.

 

„Hast du Lust, heute Abend wegzugehen?“

 

Erschrocken fuhr ich auf. Ich hatte nicht bemerkt, dass mir Nicola gefolgt war. Sein Blick wanderte nun auf meine Nacktheit und ließ die Augen groß werden. Wenn ich eins über meinen Körper wusste, war es, dass ich gut bestückt war.

Ich zog mir schnell eine Boxer über, als wäre nichts.

 

„Ich weiß es noch nicht, muss Papa fragen.“

 

Die Starre seines Blickes löste sich und zum ersten Mal bemerkte ich bei Nicola eine Verlegenheit, die ich noch nicht kannte.

 

„Ich bin dann mal unten und warte auf dich.“

 

Und weg war er. Ich grinste vor mich hin und lief in mein Zimmer zurück. Ich schaute auf die Taschen mit meinen Klamotten. Richtig Lust, sie einzuräumen hatte ich jetzt nicht mehr. Ich schnappte mir die Große und zog den Reisverschluss auf.

Nacheinander zog ich mehrere Sachen auf einmal heraus, bis ich etwas Passendes für mich gefunden hatte. Frisch eingekleidet fühlte ich mich wesentlich wohler. Ich schlüpfte in meine Turnschuhe und lief wieder hinunter.

Nicola saß auf der Terrasse bei Dad. Sie unterhielten sich über irgendwelche Arbeiten am Haus von Tante Maria. Als ich die Terrasse betrat, drehten sich beide Köpfe zu mir.

 

„Ich habe deinen Dad schon gefragt, ihm macht es nichts aus, wenn du heute Abend weggehst“, meinte Nicola.

 

Ich schaute zu Papa.

 

„He Junior, kannst wirklich weg. Ich habe noch genug zu tun mit dem Auspacken – ich habe Beschäftigung. Vielleicht geh ich auch noch nachher rüber zu Maria.“

 

„Danke“, meinte ich.

 

„Keine Ursache“, lächelte mich Papa an.

 

Nicolas Blick wanderte von mir zu Papa und wieder zurück.

 

„Und was steht jetzt an?“, fragte ich.

 

„Ähm eigentlich noch nichts…, wir treffen uns mit den Anderen gegen acht im Gino“, erklärte Nicola.

 

Die Anderen… seine Freunde. Was soll’s. Nur zu hause herumsitzen war auch keine Lösung.

 

„Hunger?“, fragte ich.

 

Ein einstimmiges Ja war von den beiden Herren zu hören.

 

„Ich denke mal, Tante Maria hat auch unseren Kühlschrank gefüllt“, sagte ich und betrat wieder das Haus.

 

Zum ersten Mal sah ich nun auch die Küche. Die hier war nagelneu, denn die alte aus Deutschland war nicht mehr zu gebrauchen. Auch hier, wie im Rest der Wohnung, hatte Papa nicht an Technik gespart.

Ich zog den großen Kühlschrank auf und mein Blick wanderte über lauter leckere Sachen. Tantchen wusste, was Männer gerne essen wollen, bemerkte ich grinsend. Mittlerweile waren mir Papa und Nicola gefolgt.

 

*-*-*

 

Anders als am Mittag, wurde ich heute Abend der Menge vorgestellt. Einige Gesichter kannte ich sogar noch von früher. Das „Gino“ war eigentlich „nur“ eine Kneipe. Aber aus ihrer Sicht etwas Besonderes.

Da sich hier die ganze Stadt traf und jung und alt nicht unbedingt beieinander sitzen wollten, war sie zweigeteilt. Unten war für die Alten, das obere Stockwerk wurde den Jungen überlassen.

Bei der Wärme aber saßen wir eh draußen bei den Rollern. Ich hatte eine Cola in der Hand, nippte daran und verfolgte die Gespräche der Anderen. Es ging um ein Fest, das anscheinend am Ende der Ferien stattfinden sollte.

 

„Wenn die meinen, ich tanz mir wieder einen ab wie letztes Jahr, haben sie sich geschnitten“, sagte das Mädchen neben Nicola.

 

„Du bist eben dafür geschaffen, Schatz!“, sagte Nicola und nahm sie in den Arm.

 

Etwas neidisch betrachtete ich die beiden.

 

„Kannst du nicht mal mit dem ollen Vorstand reden, dass sie ein anderes Programm planen? Wenn ich wenigstens etwas Modernes vortanzen könnte, oder mit jemandem zusammen.“

 

Mit großen Rehaugen sah sie Nicola an.

 

„Mal sehen, aber ich kann nichts versprechen!“

 

„Und mit wem willst du zusammen tanzen, Angela? Und was?“, fragte ein anderes Mädchen.

 

Diese Angela lehnte sich immer noch an Nicola und schien dies auch beizubehalten. Innerlich seufzte ich… ich wusste ja, dass Nicola auf Mädchen stand und so war es auch klar… dass er sicherlich eine Freundin hatte.

 

„Mich würde ja sowas Lateinamerikanisches reizen“, antwortete Angela und ließ ihren Blick durch die Gruppe wandern, „aber bei unseren Kerlen kannst du das vergessen!“

 

Die Mädchen kicherten und die Jungs zogen Gesichter.

 

„Was für ein Fest ist das?“, fragte ich in die Stille.

 

„Das Marienfest. Feiern wir jedes Jahr am Ende unserer Ferien“, erklärte der Typ neben mir dessen Namen ich auch nicht wusste.

 

„Tino“, meinte er und hob die Hand, als hätte er meine Gedanken gelesen.

 

„Sebastiano…“, erwiderte ich und schüttelte seine Hand.

 

„Und was musst du da tanzen?“, fragte ich nun Angela direkt.

 

„Och… irgendeinen so blöden Volkstanz.“

 

„Alleine?“

 

„Ja, aber dazu habe ich keinen Bock mehr.“

 

In der Gruppe war es still. Eigentlich merkwürdig für ungefähr zehn Leute, aber alle lauschten dem, was ich sagte.

 

„Und was meintest du mit… den Kerlen kannst du es vergessen?“

 

„Dass keiner unserer Prachtexemplare hier tanzen kann.“

 

Wieder grinsten die Mädchen, der Rest schaute genervt.

 

„Für was muss ich tanzen können“, meckerte Nicola und fuchtelte mit seiner Hand.

 

„Weil ich vielleicht gerne mit dir tanzen will?“

 

Das war keine Frage, sondern eher eine Feststellung. Auf den Gesichtern der Jungs konnte ich schon sehen, dass Tanzen nicht gerade ganz oben auf ihrer Beliebtheitsscala lag.

 

„Es ist auch nicht schwer“, rutschte mir raus.

 

Erstaunt wanderten alle Blicke wieder zu mir.

 

„Du kannst tanzen?“, fragte Angela erstaunt.

 

„Öhm… ich hatte Tanzunterricht… Tanzschule in Deutschland.“

 

„Standard oder Latein?“

 

Oje, jetzt hatte ich mir etwas eingebrockt. Hier schien wirklich niemand eine Ahnung von dem zu haben, worüber Angela und ich sprachen… na ja, höchstens die Mädchen vielleicht.

 

„… beides…“

 

„Cool. Anfängerkurs?“

 

„Nein… habe einige Kurse belegt.“

 

Ich fühlte mich plötzlich unwohl in meiner Haut. Die Jungs starrten mich komisch an. Bis auf Nicola, der grinste weiter vor sich hin.

 

„Fabio, schmeiß mal die Musikbox an“, rief plötzlich Angela.

 

Einer der Jungs stand auf und lief zur Musikbox, die außen neben dem Eingang stand.

 

„Und suche was Flottes raus!“

 

Irgendwie wurde mir gerade klar, dass Angela und Nicola hier wohl die Bosse der Gruppe waren.

 

„Was hast du vor?“, fragte Nicola.

 

„Deinen Kumpel ausprobieren“, kam prompt von Angela.

 

Scheiße. Doch nicht hier vor all den anderen. Musik spielte auf. Etwas älter schon, aber recht flott, genauso wie Angela wünschte. Sie wand sich aus Nicolas Umklammerung und baute sich vor mir auf.

 

„So, nun zeig mal, was du drauf hast!“

 

Etwas verlegen stand ich auf. Alle Blicke waren auf mich gerichtet. Ich reichte dem grinsenden Tino neben mir meine Colaflasche.

 

„Fox?“, fragte ich.

 

Sie nickte. Als ich meine Hand um ihre Hüften legte, begannen die anderen zu Kichern und Pfeifen. Bloß keine Panik, einfach das Tanzen, was ich gelernt hatte. Ich war erstaunt, denn Angela ließ sich gut führen.

Sie tanzte alle Schritte mit, die mir einfielen. Mittlerweile hörte ich nur noch die Musik. Ich ließ die Klänge und den Takt auf mich wirken und wirbelte mit Angela herum. Viel zu schnell nach meinem Geschmack endete das Lied.

Nach einem Bruchteil der Sekunde des Schweigens fing ein lautes Gejohle und Klatschen der Anderen an.

 

„Hut ab, Sebastiano. Du kannst sehr gut tanzen!“, hörte ich Angela sagen.

 

Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht wanderte.

 

„Danke… du aber auch.“

 

Die Anderen lachten.

 

„Hört auf zu lachen. Von Sebastiano hier könnt ihr noch etwas lernen. Dumm auf der Wiese herum rennen und Ball spielen kann jeder!“

 

Oha. Das Lachen verstummte. Jedenfalls das der Jungs. Die Mädchen grinsten sich eins. Nicola grinste nun auch nicht mehr. Seinen Blick konnte ich aber nicht richtig deuten. War er jetzt sauer auf mich… oder auf seine Holde?

 

„Sebastiano, du musst das unseren Jungs beibringen“, rief eines der Mädchen und plötzlich war Entsetzen auf den Gesichtern der Jungs.

 

„Coole Idee“, meinte ein anderes Mädchen.

 

„Ähm… so gut bin ich auch wieder nicht“, stotterte ich.

 

„Jetzt untertreib nicht“, kam es von Angela, die sich wieder an Nicola gekuschelt hat.

 

„Hast du etwas Größeres vor?“, meldete sich Nicola zu Wort.

 

„Du kennst mich doch, Hase“, säuselte Angela und drückte ihm einen Kuss auf den Mund.

 

Ich atmete tief durch und setzte mich wieder neben Tino, der mir wieder meine Cola reichte. Mann, wo war ich hier hingeraten? Plötzlich stand ich im Mittelpunkt. Alle schwiegen und warteten auf eine Erklärung von Angela.

Doch die widmete sich gerade innig Nicolas Lippen, was mich wieder zur Feststellung brachte, Nicola war tabu… na ja und auch unerreichbar.

 

„Du heckst irgendetwas aus. Deine Bitte… ich soll doch mal mit dem Vorstand reden, war doch geplant“, hörte ich Nicola sagen.

Angela lächelte breit.

 

„Und was für Gedanken treiben sich in dem kleinen Köpfchen“, Nicola küsste Angelas Stirn, „herum?“

 

Angela wandte sich zu den Anderen.

 

„Habt ihr im Fernseher nicht auch mal diese Formationstänze gesehen, ich finde die geil!“

 

Ein allgemeines Kopfschütteln ging durch die Runde. Nur wenige nickten.

 

„Du willst was?“, fragte Nicola entsetzt.

 

„Formationstanz machen“, antwortete Angela.

 

Schweigen. Die Mädchen sahen sich untereinander an und nickten sich zu.

 

„Wir wären dabei“, sagte darauf eine.

 

Angelas Kopf drehte sich zu Nicola. In seiner Haut mochte ich nun nicht stecken.

 

„Was?“, fragte Nicola genervt.

 

„Was du davon hältst?“

 

„Schwachsinn. Ich hüpfe doch nicht wie ein Blöder durch die Geg… autsch.“

 

Au, das hatte wehgetan. Angela hatte ihm mit dem Ellenbogen in die Seite geknufft und das sehr ordentlich.

 

„Jetzt stell dich doch nicht so an!“, fauchte Angela.

 

Nicola verstummte. Auch die anderen schwiegen, nur die Mädchen grinsten. Keiner der Jungs wagte etwas zu sagen und plötzlich spürte ich den Blick von Angela.

 

„Sebastiano, was hältst du von der Idee. Würdest du mit machen?“

 

Oh Shit… ich hatte es geahnt. Entweder wurde ich gleich von mehreren männlichen Augen gekillt, oder ich wurde von den weiblichen Gegenstücken himmelhoch jauchzend gefeiert.

 

„Ähm… ich weiß nicht… Ich kann nur für mich reden… ich tanze gerne.“

 

Der vorwurfsvolle Blick Nicolas traf mich. Aber was sollte ich tun? Angela dagegen freute sich.

 

„Ist das schwierig zu lernen?“, fragte Tino neben mir.

 

„Tino!“, kam es vorwurfsvoll aus Nicolas Mund.

 

„Man wird ja mal fragen dürfen…“, sagte Tino leise.

 

Ich ignorierte nun Nicola und wandte mich Tino zu.

 

„Wenn du mal die Grundschritte beherrscht, geht der Rest leicht. Zudem ist Formationstanz einstudiert. Jeder Schritt ist vorgegeben, also erlernbar.“

 

„Aha, da spricht die Erfahrung“, hörte ich Angela sagen, „also seid ihr nun dabei?“

 

Ich verstand diese Frage auch eher als einen Befehl. Jeder sollte mitmachen, es blieb den Jungs gar nichts anderes übrig, als mitzumachen. Mit Angela wollte ich mich auch nicht unbedingt anlegen. So dachte auch sicher jeder hier.

 

„Bleibt uns wohl nichts anderes übrig“, meckerte Nicola, was ihm einen weiteren Knuffer einbrachte.

 

*-*-*

 

Ich brauchte etwas, bis mir klar war, wo ich gerade aufwachte. In meinem neuen Zimmer. Es war spät geworden, denn Angela hatte uns noch mit ihren Ideen überschüttet, wo ich im Stillen dachte, was will sie denn noch alles machen?

Nicola hatte an diesem Abend kein Wort mit mir geredet. Doch unsere Blicke trafen sich recht häufig, bei den Ausführungen Angelas. Mein Sympathiegefühl steigerte sich noch für ihn, doch er blieb für mich unerreichbar.

Die anderen waren recht nett. Ich streckte mich und gähnte herzhaft. Mir gefiel die Idee von Angela, die sie aufgegriffen hatte. Formationstanz. Mum tanzte gerne…, sie hat oft mit mir getanzt, als ich klein war.

Sie schleppte mich in den Tanzunterricht, ließ kein Fest aus, auf dem ich hatte tanzen können. Ich drehte meinen Kopf zur Seite, wo ein kleines Bild von ihr stand. Sie mit mir am Strand, mich im Arm, beim Sonnenuntergang.

 

„Du fehlst mir schrecklich…“

 

Mit Tränen in den Augen setzte ich mich auf und nahm das Bild.

 

„Ich weiß nicht, was ich machen soll… sonst konnte ich immer zu dir. Du wusstest immer eine Antwort…“

 

Eine Träne tropfte auf das Bild und lief langsam über das Glas hinunter.

 

„… auch wenn sie nur dazu da war… mich zu trösten.“

 

Ich wischte mir die Tränen aus den Augen.

 

„Ich liebe dich, Mum“, meinte ich und stellte das Bild zurück.

 

Ich stand auf und ging zur Balkontür. Die Sonne stand schon hoch und es war immer noch ruhig im Haus. Ich öffnete die Tür und trat ins Freie. Mum hatte sich immer so gewünscht hier zu leben.

Und nun genoss ich die Aussicht alleine. Mich fröstelte ein wenig, obwohl die Sonne schon kräftig schien. Der Wind blies durch mein Haar und streifte meine Haut. Es fühlte sich an, als würde mich jemand streicheln.

Ich weiß nicht warum, aber ich schaute nach oben… in den Himmel. Strahlend blau überzog er das ganze Blickfeld. Bis zum Horizont erstreckte sich das Blau, wo es an den Bergkämmen endete.

Mein Blick senkte sich, wanderte in den Garten. Ich sollte mich anziehen und schauen, was Papa tat. Ich betrat wieder mein Zimmer, ließ die Balkontür aber offen. Vor dem Haus hörte ich ein Rollergeräusch.

Ich lief an die Vorderseite des Hauses und schaute hinunter. Da bockte gerade Nicola seinen Roller auf. Was will denn der schon hier? Mein Blick streifte kurz den Radiowecker. 10:41. Na ja, früh war es nicht mehr.

Gähnend lief ich die Treppe hinunter. Ich öffnete gerade die Haustür, als Nicola klingeln wollte.

 

„Nanu… hast mich kommen gesehen?“, empfing mich ein erstaunter Nicola.

 

„Ja… guten Morgen“, sagte ich und lief Richtung Küche.

 

Nicola betrat das Haus und schloss hinter sich die Tür. Papa schien nicht da zu sein, was mir ein Zettel auf dem Tresen bestätigte.

 

Bin bei Maria. Solltest du Hunger haben, komm einfach nach, wir essen dort. Papa

 

Ich schaltete die Kaffeemaschine ein.

 

„Auch einen Kaffee?“, fragte ich Nicola, der nun auch in die Küche kam und mich anstarrte.

 

„Was?“, fragte ich.

 

„Ich überlege gerade, wann ich dich zum letzten Mal so gesehen habe.“

 

„Wie… so?“, fragte ich und schaute an mir herunter.

 

Peinlich gerührt stellte ich fest, dass ich nur meine Schlafshorts anhatte, was nicht gerade sehr vorteilhaft aussah.

 

„Hast du Sport getrieben? Ich kann mich nicht erinnern, dass du so gut gebaut warst.“

 

Mit stieg das Blut in den Kopf. Nicola machte ein Kompliment über mein Aussehen. Ich drehte mich zum Schrank.

 

„War im Schwimmverein… das Tanzen… willst du nun einen Kaffee?“, versuchte ich die Sache als bedeutungslos herunter zu spielen.

 

„Ja… Sieht gut aus, steht dir.“

 

Shit, er ließ nicht locker.

 

„Man tut was man kann… danke“, erwiderte ich, „Milch und Zucker?“

 

Ich zog zwei Tassen aus dem Schrank.

 

„Schwarz!“

 

Schwarz wie sein Haar, das sich lockig über seinen Kopf verteilte. Eigentlich sollte man meinen, wenn man den Helm abzog, dass jede Frisur irgendwie plattgedrückt herunterhing. Nicht so bei Nicola.

Seine Locken fielen locker leicht am Kopf herunter und schwangen bei jeder Bewegung von Nicola mit.

 

„Dir gefällt Angelas Idee also?“, fragte er plötzlich.

 

Ich drehte mich wieder um und sah ihn an. Auf seinen Lippen befand sich kein Lächeln, aber er wirkte dennoch nicht ernst.

 

„Ja, klar! Ich tanze für mein Leben gern.“

 

Nicola schaute kurz zu Boden und ließ seinen Blick dann durch die Küche wandern. Hinter mir setzte sich der Kaffeeautomat in Gang und mahlte die Kaffeebohnen.

 

„Ist etwas?“, fragte ich.

 

Er schaute mich immer noch nicht an, sein Blick ging Richtung Fenster.

 

„Ich wollte dich fragen…ob du… ach vergiss es“, stammelte er.

 

„Was? Sag schon!“

 

Er schaute nun wieder zu mir. Seine Wangen färbten sich leicht rot.

 

„Kannst du mir das Tanzen beibringen?“

 

Ich brauchte eine Sekunde, um die Frage zu verarbeiten, die ich gerade gehört hatte. Und dann fing ich unkontrolliert an zu lachen. Nicola verzog das Gesicht.

 

„Sorry… gestern warst du von der Idee nicht gerade begeistert und heute soll ich es dir beibringen?!“

 

Er zuckte kurz mit der Schulter. Mein Gott, sah der Typ süß aus, wenn er ratlos war.

 

„Das war Angelas Idee.“

 

„Und ich soll dir wirklich das Tanzen beibringen?“

 

„Ja… du kannst das so … gut!“

 

„Na ja, ich kann eben das, was ich in den Tanzkursen gelernt habe.“

 

„Nein, man merkt, dass du das Tanzen liebst. Du steckst da viel mehr rein. Ich habe das gesehen, als du mit Angela getanzt hast.“

 

„Und wie stellst du dir das vor?“

 

„Ihr sagtet etwas von den Grundschritten…“

 

Ich atmete aus.

 

„Das ist viel…“

 

„Ich kann mir gut Dinge merken…“

 

„Man muss Taktgefühl haben…“

 

„Machst du es, oder nicht?“

 

„Ich zieh mir etwas an“, meinte ich.

 

„Warum?“

 

„Weil ich hier nicht über den Teppich in Schlafshorts tanzen will.“

 

„Warum nicht, wäre sicherlich lustig“, grinste Nicola.

 

„Zudem habe ich nicht vor, heute Abend mit Gehhilfen zu laufen, nachdem du mir mit deinen Schuhen meine Zehen zertrampelt hast.“

 

Für eine Sekunde hörte man uns beide nicht einmal atmen, dann fing Nicola an, schallend laut zu lachen. Mein Gott… diese Grübchen beim Lachen, der Typ war himmlisch. Doch bevor ich irgendwelche Gefühlsregungen meinerseits verriet, lief ich nach oben, um mich anzuziehen.

Ich stand vor meinem Schrank und zog gerade die Shorts herunter, als hinter mir ein Pfiff die Stille durchschnitt. Nicola stand im Türrahmen und beäugte mich, während ich nackt, wie Gott mich schuf, etwas verklemmt vor dem Schrank stand.

Ich griff schnell nach einer Boxer und wie sollte es anders sein, ich flog beim Anziehen fast auf die Fresse. Wieder durchrang ein lautes Lachen das Haus.

 

„So geschickt du beim Tanzen bist, so ungeschickt bist du wohl bei alltäglichen Dingen“, grinste Nicola.

 

Nur wenn so ein göttlicher Typ in meiner Nähe war. Schnell hatte ich die restlichen Sachen aus dem Schrank gezogen und übergestülpt. Ein kurzer Blick zu Nicola zeigte mir, dass er sich seiner Schuhe entledigt hatte und nun in Socken vor mir stand.

Oh, es schien gewirkt zu haben und der Herr dachte an mein Wohlbefinden… also ich meine, er dachte an meine armen Füße.

 

„Mit was fangen wir an?“, fragte Nicola.

 

„Ich weiß nicht, auf was hättest du denn Lust?“

 

Für einen kurzen Augenblick funkelten seine Augen teuflisch und ich wusste nicht, wie ich das zu deuten hatte.

 

„Egal, ich kenn mich nicht aus…“

 

„Lateinamerikanisch… Mmmh, dann fangen wir doch mit dem Cha-Cha-Cha an.“

 

„Du bist der Tanzlehrer…“

 

*-*-*

 

Schon über zwei Stunden probierte ich nun schon die Grundschritte. Nicola hatte sie auch drauf, aber irgendwie fehlte die Harmonie in seinen Bewegungen. Das tausendenste Mal an diesem Morgen, atmete ich tief und genervt durch.

Meine Füße taten auch schon weh, denn der Unterricht ging nicht ohne ein paar Kollisionen ab. Natürlich verwechselte Nicola einige Male rechts und links und trat mit voller Wucht auf meine Füße.

 

„Wir probieren das jetzt mal anders“, meinte ich und wiederholte das Lied auf dem CD-Player.

 

Ich stellte mich gegenüber von Nicola und nahm die Rolle der Frau ein.

 

„So, du legst deine rechte Hand jetzt um meine Hüfte und mit der anderen nimmst du meine Hand.“

 

Nicola kicherte und zog mich an sich heran. Zum ersten Mal trennten unsere Gesichter nur noch wenige Zentimeter. Ich zog seinen Geruch in mich ein, was schon alleine für weiche Knie sorgte.

Eine Hand an der Seite, meine Hand in seiner warmen, weichen Hand tat das Übrige.

 

„Ist irgendwas?“, fragte Nicola ernst, als ich ihn ein paar Millisekunden zu lange angeschaut hatte.

 

„Öhm… nicht so dicht, sonst siehst du deine Füße nicht…“

 

Sofort drückte mich Nicola ein kleines Stückchen weg und ich konnte wieder richtig atmen.

 

„So besser?“, fragte mein gelehriger Schüler.

 

Ich nickte. Ich griff zur Seite und startete die Musik. Gleich beim ersten Takt stand Nicola auf meinem Fuß und ich jaulte auf. Er konnte sich das Lachen nicht ernsthaft verbeißen. Ich stoppte die Musik… zurück an den Anfang.

 

„Vor… rück… Cha-Cha-Cha… mit dem rechten Fuß beginnen!“

 

Nicola nickte grinsend. Ich startete erneut die Musik und ging in meine Ausgangsposition zurück. Dieses Mal klappte es besser, jedenfalls wurden meine Füße verschont. Ich bemerkte, wie verbissen Nicola sich konzentrierte und die Schritte zählte.

Er schaute auch immer wieder zu Boden.

 

„Schau mich an!“, herrschte ich ihn an, was mir den Erfolg brachte, dass er mich wirklich anschaute.

 

„Du bist der Mann, du führst. Wenn du mit Angela tanzt dann… Autsch…“

 

Ich humpelte zum Sessel und ließ mich fallen.

 

„Sorry Sebastiano… ich komme immer wieder durcheinander.“

 

„Das habe ich gemerkt“, erwiderte ich vorwurfsvoll und rieb meine Zehen.

 

„Tut mir leid, das war keine Absicht. Können wir es noch einmal probieren?“, fragte Nicola.

 

Entnervt stand ich auf und drückte die Musik auf Play. Gerade, als ich wieder meine Tanzhaltung eingenommen hatte und lostanzen wollte, unterbrach uns ein Gelächter.

 

„Hübsches Paar!“, hörte ich und Nicola und ich fuhren auseinander.

 

„Oh hi… Papa, ich habe dich gar nicht gehört…“, stammelte ich.

 

Ich hatte ihn wirklich nicht gehört.

 

„Hallo Nicola… kein Wunder bei der lauten Musik.“

 

„Hallo Marco“, sagte ein verschüchterter Nicola neben mir.

 

„Ich … ich bring Nicola das Tanzen bei…“

 

„Interessant… ich hörte schon von eurem Vorhaben“, begann mein Vater, „zudem seit ihr Gesprächsthema Nummer Eins im Ort.“

 

„Nicola und ich?“, fragte ich entsetzt.

 

Nicola sah mich verwirrt an.

 

„Nein! Euer Vorhaben, als Gruppe einen Tanz einzustudieren.“

 

„Und wie kommt die Idee an?“, fragte nun Nicola.

 

„Der größte Teil äußert sich positiv über euer Vorhaben, wobei doch recht viele daran zweifeln, dass ihr das auch wirklich macht.“

 

Positiv, so… so. Und ob wir das schaffen werden!

 

„Natürlich schaffen wir das“, sagte Nicola, was ich dachte. Papa hatte wohl gerade seinen Ehrgeiz geweckt.

 

„Wenn es euch nicht ausmacht, hätte ich da jemanden, der euch helfen könnte“, kam es dann überraschend von meinem Papa.

 

„Was meinst du?“, fragte ich.

 

„Du bringst vielleicht Nicola das Tanzen bei, aber was ist mit den restlichen Jungs, willst du jedem Unterricht geben?“

 

Daran hatte ich wirklich noch nicht gedacht.

 

„Loretta… ich weiß nicht, ob du dich an sie erinnern kannst, was früher zu unserer Zeit die Tanzlehrerin hier. Sie würde euch helfen.“

 

„Loretta? Wow, das wusste ich ja gar nicht“, kam es von Nicola.

 

„Wenn du schon jemand für uns besorgt hast, wüsstest du auch einen geeigneten Raum für uns?“, fragte ich.

 

„Auch dieses Problem haben wir in den Griff bekommen“, sprach mein Vater.

 

„Wir?“

 

„Ja, meine Schwester, Nicolas Mama und ich.“

 

Wieder sah mich Nicola verwirrt an.

 

„Jetzt guckt nicht so. Wir finden die Idee von euch super und dachten uns, wir unterstützen euch, wo es nur geht. Übrigens Nicola, deine Mutter sagte sogar etwas von Trikots, die sie für euch hätte.“

 

Wow, das war jetzt echt der Hammer.

 

„Wissen das die anderen schon?“, fragte Nicola.

 

„Die, die wir erreicht haben, ja, den Rest könnt ihr erledigen. Um zwei sollt ihr bei der alten Lagerhalle sein“, erklärte Papa.

 

Jetzt war ich wirklich sprachlos. Aber ebenso Nicola. Er zuckte nur ein paar Mal mit den Schultern, brachte aber kein Wort heraus.

 

„So, ich verschwinde dann mal wieder, habe noch einiges zu tun“, verabschiedete sich Papa und weg war er.

 

Mein Kopf glühte vor Aufregung. Nicola lächelte mich an.

 

*-*-*

 

Es hatte funktioniert, es waren alle gekommen. Alle standen mehr oder weniger bei ihren Rollern und sagten keinen Ton. Irgendwie schauten alle erwartungsvoll auf mich. Das verstand ich jetzt nicht.

Ich schaute mich um, aber es war noch nichts von Angela zu sehen. Ein weiterer Roller kam die Straße herunter und ich erkannte Nicola. Doch er war alleine, von Angela fehlte jede Spur.

 

„Hallo Leute, ich habe den Schlüssel“, rief Nicola, als er den Helm abzog.

 

„Wo ist Angela?“, fragte ich.

 

„Bin ich ihr Kindermädchen?“, kam es von Nicola zurück.

 

Ups, ein Fettnäpfchen. Da war der Herr wohl nicht gut drauf zu sprechen. Nina trat zu Nicola.

 

„Du, wenn ich richtig rechne, fehlt uns aber noch ein Kerl“, meinte sie.

 

Nicola sah sich die Truppe an. Ich zählte schnell nach und wenn Angela noch kommen würde, wären wir neun Leute. Außer Nicola, Tino und meine Wenigkeit war da nur noch Christo, glaub ich hieß er.

 

„Wie wäre es mit Fabrizio?“, fragte Nicola.

 

Ein allgemeines Gemurmel setzte ein. Ich verstand nichts, was hier geäußert wurde und fragte nach.

 

„Wer ist Fabrizio?“

 

„Fabrizio ist der Zwillingsbruder von Angela…“, antwortete Nina.

 

„Ja und?“

 

„Na ja…, er ist etwas komisch…“, beantwortete Nicola meine Frage.

 

„Was meinst du mit komisch?“

 

„Ruf Angela an, sie soll Fabrizio mitbringen“, rief Nina, als Nicola antworten wollte.

 

Nicola verzog das Gesicht und holte sein Handy hervor. Es dauerte etwas.

 

„Hallo Angela, hier Nicola. Könntest du Fabrizio mitbringen?“

 

Ich bemerkte eine Anspannung bei Nicola, auch wenn er diese Frage jetzt so normal wie möglich gestellt hatte.

 

„Nein ich habe es nicht vergessen, aber wir sind hier nur Neun mit dir, uns fehlt ein Typ… der Vorschlag kam von Nina… nein, sicherlich nicht… frage ihn bitte, ob er kommt.“

 

Nicolas Tonfall war etwas eisiger geworden. Was auch immer passiert war, es trug nicht dazu bei, hier gute Laune zu verbreiten. Nicola beendete das Gespräch und ließ das Handy wieder in die seitliche Tasche seiner Hose gleiten.

 

„Er kommt mit…“, kam es gedrückt von Nicola.

 

„Alles klar?“, fragte ich leise.

 

Nicola hob den Kopf und schaute mich mit traurigen Augen an. Er nickte, sagte aber kein Wort. Eine ältere Frau näherte sich uns, deren Gesicht mir bekannt vorkam.

 

„Hallo Loretta!“, rief  Tino.

 

„Hallo Kinder“, kam es von der Frau zurück.

 

Das war also Loretta, von der uns mein Papa erzählt hatte. Nicola ging die Stufen zur Eingangstür hinauf. Er steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte den Schlüssel. Mit einem Knacken sprang die Tür auf.

Tino half Loretta die Stufen hinauf, obwohl sie mir nicht den Eindruck machte, gebrechlich zu sein. Wir alle folgten ihnen in die Halle. Nicola konnte ich nirgends ausmachen, bis plötzlich das Deckenlicht aufflammte.

Er trat aus einem Raum heraus, in dem er anscheinend die Lichtschalter gefunden hatte.

 

„Und wer hat die Musik dabei?“, fragte Christo.

 

Nicola haute sich mit der flachen Hand an die Stirn.

 

„Moment, habe ich vergessen“, rief er und schon war er verschwunden.

 

„Ihr wollt also einen Tanz aufführen?“, fragte plötzlich Loretta und ließ ihren Blick durch die Gruppe wandern.

 

Ein allgemeines Nicken war zu sehen. Lorettas Blick blieb an mir haften.

 

„Du bist Marcos Sohn, nicht?“

 

Ich nickte.

 

„Du siehst deiner Mutter sehr ähnlich.“

 

„Sie kannten meine Mutter?“, fragte ich erstaunt.

 

„Das sie kannst du weglassen, ich bin hier für alle einfach nur Loretta. Ja, ich kannte deine Mutter sehr gut, da ihre Mutter und ich sehr gute Freundinnen sind.“

 

„Großmutter Fine?“, fragte ich noch erstaunter.

 

Die Frau nickte. Draußen war ein Motorroller zu hören und wenig später betrat Nicola mit Angela und einem Jungen das Lager. Nicola hatte einen großen Ghettoblaster in der Hand.

 

„So, hier ist die Musik“, rief er und stellte das Gerät auf den Boden.

 

Dass Angela und der dieser Junge – Fabrizio – Zwillinge waren, sah man auf den ersten Blick. Gleiche Haarfarbe, auch die Gesichtkonturen ähnelten sich sehr. Mein Blick blieb auf seinen Augen haften, die auch mich gerade taxierten.

 

„Fabrizio, das ist Sebastiano, von dem ich dir erzählt habe“, meinte Angela.

 

Er nickte mir kurz zu.

 

„So Leute, dann lasst uns mal anfangen“, ergriff Loretta das Wort, „also den Formationstanz als solches schlagt euch mal gleich aus dem Kopf.“

 

„Aber…“, warf Nicola ein.

 

„Die Zeit ist zu kurz, um euch so etwas beizubringen“, unterbrach Loretta Nicola, „ich würde euch vorschlagen, wir studieren einen Tanz ein, nach moderner Musik, wo man Tanzschritte einbauen kann.“

 

Keiner sagte einen Ton.

 

„Zu welcher Musik?“, fragte nun ich.

 

„Wenn ihr nichts dagegen habt, habe ich hier ein paar Stücke mitgebracht“, antwortete Loretta, was bei einigen wohl nicht gerade auf Zustimmung traf.

 

„Ganz ruhig, hört es euch erst einmal an“, meinte Loretta und gab Nicola einen Stapel CD’s.

 

„Ihr braucht nicht zu meinen, nur weil ich alt bin, dass mein Geschmack auch alt ist“, setzte sie noch einen drauf, während Nicola die erste CD einlegte.

 

Gespannt warteten wir darauf, was nun für eine Musik kam. Nicola drehte die Lautstärke höher und trat dann etwas zurück. Plötzlich klangen harte Bässe durch die Halle, bevor die Musik begann. Wow, für so aktuell hätte ich Lorettas Musik jetzt wirklich nicht gehalten.

Ein zufriedenes Grinsen ging durch die Menge und jetzt schon konnte fast niemand mehr still stehen und wippte zur Musik mit. Das Lied endete und wieder war Stille im Lager.

 

„Loretta, wie kommst du an so eine Musik?“, fragte nun Nina schließlich und ich hatte das Gefühl, jeder wollte das wissen.

 

„Ihr jungen Leute denkt wohl, ich höre nur Arien und sowas. Falsch gedacht. Diese Musik gibt es nirgends zu kaufen, die hat mir mein Enkel am Pc zusammengestellt, extra für euch!“

 

Erstaunt schauten wir uns an.

 

„Und wie soll das jetzt von statten gehen?“, fragte Nicola.

 

„Wer von euch kann alles tanzen… hatte vielleicht schon Tanzunterricht?“, fragte Loretta.

 

Außer meinem und Angelas Finger gingen nur einige Hände zaghaft nach oben.

 

„Das ist schon mal gut. Ihr, die ihr etwas tanzen könnt, stellt euch mal hier auf.“

 

Loretta bückte sich und malte einige Kreise auf den Boden. Angela sah mich an und ich zuckte mit der Schulter. Wir befolgten Lorettas Wunsch und stellten uns auf die Kreise. Auch die, die sich vorher nicht gemeldet hatten.

 

„Nein nicht so, ihr müsst schon etwas für das Gesamtbild tun“, sprach Loretta weiter und zog Tino von seinem Kreis und tauschte ihn mit Nina aus.

 

Nach ein paar weiteren Wechseln befand Loretta das Gesamtbild für gut. Ich fühlte mich beobachtet und drehte meinen Kopf. Schräg hinter mir stand Angelas Bruder Fabrizio. Er lächelte mich schüchtern an und schaute wieder zu Loretta.

 

„Stehen wir nicht etwas dicht beieinander?“, fragte Christo.

 

„Nein! Später auf der Bühne im Gemeindezentrum habt ihr auch nicht mehr Platz.“

 

Plötzlich wurde mir bewusst, dass wir ja etwas aufführen wollten vor Leuten… jede Menge Leuten. Ein Schauer lief mir den Rücken herunter und meine Haare auf den Armen stellten sich.

 

„Ist dir kalt?“, flüsterte Fabrizio hinter mir.

 

Ich drehte meinen Kopf und flüsterte ein Nein zurück. Fabrizio sah mich fragend an.

 

„So, ich zeige euch jetzt ein paar leichte Tanzschritte, mit denen wir beginnen können“, kam es von Loretta.

 

Sie drehte uns den Rücken zu und begann wirklich, ein paar Schritte vorzumachen. Trotz ihres Alters war die Frau recht beweglich und ich begann, die Schritte nachzumachen. Wie mir, unterliefen auch den Anderen laufend Fehler.

Aber Loretta schien Geduld zu haben und zeigte sie uns immer wieder. Langsam aber sicher bekam ich die Schrittfolge hin und traute mich sogar, den Anderen zuzusehen. Es sah jetzt schon toll aus, dass wir fast gemeinsam die gleichen Schritte machten.

 

„So und jetzt das Ganze mit Musik!“

 

*-*-*

 

Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett fallen. Meine Füße fühlten sich an wie schwere Steine. Ganze drei Stunden hatte Loretta mit uns geübt. Morgen wollte sie uns Schritte zeigen, die wir dann paarweise tanzten.

Mein Blick fiel aufs Fenster, wo direkt die Sonne herein schien. Sie stand schon tief. Unten hörte ich die Haustür.

 

„Sebastiano? Ich bin zu Hause.“

 

„Bin hier oben“, antwortete ich.

 

Ich hörte schnelle Schritte die Treppe herauf kommen und wenig später tauchte mein Vater an meiner offenen Zimmertür auf. Er rümpfte die Nase.

 

„Junge, Junge… hier riecht es ganz schön übel!“, sagte er.

 

Erst jetzt war mir bewusst geworden, dass ich einfach die Schuhe ausgekickt hatte und mit miefenden Socken da lag.

 

„Sorry, wir haben drei Stunden getanzt“, meinte ich und stand auf.

 

Jedenfalls versuchte ich es. Meine Beine waren lahm, meine Füße wie Blei. Mein Vater lief an mir vorbei und öffnete die Balkontür.

 

„Danke“, sagte ich.

 

„Und, wie ist der Unterricht bei Loretta?“, meinte Papa grinsend und ließ sich auf einen Stuhl nieder.

 

„Ich bin ehrlich… es war gut, aber tierisch anstrengend.“

 

„Was anderes hätte mich auch gewundert. Deine Mutter… und ich hatten bei ihr Tanzkurs.“

 

„Mama hat bei ihr Tanzen gelernt?“

 

„Ja.“

 

„Stimmt… ist wirklich kein Wunder. Ich bin völlig alle, alles tut mir weh.“

 

„Ich würde dir vorschlagen, lass dir Wasser in die Wanne und leg dich hinein.“

 

„Gute Idee.“

 

„Bring aber vorher deine Schuhe noch auf den Balkon und die Socken…“

 

„Ja… tu ich sofort“, erwiderte ich, als mir ein Schwall von Sockenduft in die Nase stieg.

 

Wie ein alter Mann erhob ich mich von meinem Bett. Mein Vater ging wieder nach unten und ich folgte seinem Tipp mit der Badewanne.

 

*-*-*

 

Die Sonne stand schon dicht am Horizont, als ich am Strand ankam. Ich hatte einfach Lust, den Sonnenuntergang anzuschauen. Ich schloss meinen Roller ab, zog meine Schuhe und Socken aus und legte sie neben den Roller.

Langsam wanderte ich Richtung Wasser. Das heiße Bad hatte wirklich Wunder gewirkt. Morgen kam sicherlich die Ernüchterung… Muskelkater. So lief ich weiter zum Wasser hinunter und suchte mir einen Platz zum Sitzen.

Langsam ließ ich mich auf den Sand gleiten, ohne die Sonne aus dem Blickfeld zu verlieren. Es sah herrlich aus. Der Himmel hatte eine rote Farbe angenommen und die untergehende Sonne spiegelte sich auf den Wellen.

Ich weiß nicht, wie lange ich da gesessen war. Ich spürte nur plötzlich, wie es nass auf meinem Arm wurde. Tränen tropften auf ihn herunter. Meine Gedanken waren wieder bei meiner Mutter.

Sie fehlte mir so schrecklich. Alles, was ich jetzt erlebte, konnte ich nicht mehr mit ihr teilen. Gut, ich war sicher, irgendwo da oben war sie… hatte ein wachsames Auge auf mich geworfen. Sie war bei mir.

Aber eben nur in Gedanken. Mir fehlten ihre Umarmungen, das Wuscheln meiner Haare. Ihre Kitzelattacken oder einfach nur das Beieinander sitzen und schweigen. Die Sonne verschwamm vor meinen Augen.

 

„… du fehlst mir so…“

 

„Sebastiano?“

 

Erschrocken fuhr ich zusammen und drehte meinen Kopf in die Richtung, aus der mein Name gerufen wurde. Da stand Fabrizio. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen.

 

„Ja?“, antwortete ich.

 

„Stör ich?“, fragte er, was ich mit einem Kopfschütteln verneinte.

 

Ich sah wieder hinaus aufs Meer. Fabrizio setzte sich neben mich.

 

„Ich wollte eigentlich noch meine abendliche Runde drehen, da habe ich dich entdeckt“, sprach Fabrizio weiter.

 

Ich sah ihn kurz an und drehte den Kopf wieder Richtung Wasser.

 

„Wollte nur den Sonnenuntergang anschauen…“

 

„Hast du geweint?“

 

Ich strich mir noch einmal über die Augen.

 

„Meine Schwester hat mir erzählt, was passiert ist… tut mir leid…“

 

„Schon gut…“

 

„Ich kann dir irgendwie nachfühlen… wie das ist.“

 

„Ja?“, fragte ich im leicht sarkastischen Ton.

 

Vielleicht zu sarkastisch, denn Fabrizio verzog das Gesicht und schaute zu Boden.

 

„Vor vier Jahren ist mein Vater abgehauen…“, begann er leise zu sprechen, „… er fehlt mir wahnsinnig.“

 

„Das ist zwar nicht das Gleiche… na ja, weg ist weg“, meinte ich.

 

Wieder drehte ich meinen Kopf zu Fabrizio und sah ihn an. Erst jetzt fiel mir seine kleine Stupsnase auf, über die eine Träne floss.

 

„Tut mir leid, Fabrizio“, meinte ich und legte meinen Arm um ihn.

 

Fabrizio lehnte sich, als wäre es selbstverständlich, an mich.

 

„Hast ja Recht, es ist nicht das Gleiche… du wirst deine Mutter nie wieder sehen.“

 

„Ja“, meinte ich, „doch irgendwie ist sie immer bei mir.

 

Ich lächelte, weil mir Bilder im Kopf erschienen, gemeinsam mit meiner Mum. Ich spürte Fabrizios Wärme an meiner Seite und irgendwie beruhigte ich mich, ein schönes Gefühl machte sich in mir breit.

 

„Du musst denken, ich bin eine Heulsuse“, hörte ich Fabrizio kleinlaut sagen.

 

„Wieso, ich habe doch eben auch noch geheult.“

 

„Stimmt auch wieder“, erwiderte er, „… es tut gut.“

 

„Was meinst du?“

 

„Das ich in deinem Arm liegen darf.“

 

„He, ist doch nichts Besonderes.“

 

„Für mich schon…, oder hat dir noch niemand etwas von mir erzählt…?“

 

„Ich weiß jetzt nicht, was du meinst“, sagte ich und sah ihn fragend an.

 

„Hat man dich vor mir nicht gewarnt?“

 

„Ähm… man hat gesagt, du wärst komisch… aber ich bilde mir mein Urteil lieber selber!“

 

Noch immer lehnte Fabrizio an mir, ohne sich zu regen.

 

„Ich weiß nicht, ob du immer noch so denkst, wenn ich dir jetzt etwas erzähle.“

 

„Wieso… hast du Leichen im Keller… gehörst zur Mafia?“

 

Nun begann Fabrizio zu lachen. Es war ein schönes Lachen, ein ansteckendes Lachen. Er löste sich aus meiner Umarmung.

 

„Warst du schon einmal verliebt?“, fragte er plötzlich.

 

Eine Frage, die ich mir noch nicht gestellt hatte. Aber nun, wo sie im Raum stand, wurde mir klar, dass ich wirklich verliebt war… in Nicola. Aber der war Tabu für mich und hatte sicherlich auch keinerlei Interesse an mir.

 

„Sorry, ich wollte dir nicht zu nahe treten…“, hörte ich Fabrizio neben mir sagen.

 

Jetzt erst merkte ich, dass ich in meine Gedanken versunken war und wohl etwas zu lange auf die Antwort hatte warten lassen.

 

„Nein, hast du nicht… mir ist nur gerade klar geworden, dass ich wirklich in jemand verliebt bin.“

 

„In Deutschland?“

 

„Äh… nein hier.“

 

„So schnell?“

 

Ich schaute wieder zur Sonne hinaus, die nun schon etwas im Wasser versunken war.

 

„Na ja… sowas kann passieren… warum fragst du überhaupt?“

 

Fabrizio atmete tief neben mir durch und schaute ebenfalls hinaus.

 

„Ich habe mich auch in jemand verliebt… es ist heraus gekommen und alle haben es mitgekriegt.“

 

„Da ist doch nichts dabei… die üblichen dummen Sprüche, da stehst du doch sicher drüber, oder?“, fragte ich.

 

Ich merkte, dass Fabrizio mit sich kämpfte.

 

„Dumme Sprüche… ja… aber anders.“

 

„Versteh ich jetzt nicht.“

 

Fabrizio schaute mir direkt in die Augen. Sie leuchtenden blau in der untergehenden Sonne.

 

„Ich habe mich deswegen gewundert… dass du mich in den Arm genommen hast… weil ich … ich schwul bin, ich hatte mich in einen Jungen verliebt…“

 

Ich schaute weiterhin in Fabrizios Augen, sagte aber nichts. Ich musste das eben gehörte erst einmal verdauen.

 

„Du hast das wirklich nicht gewusst… sorry… tut mir leid“, sagte er und machte Anstalten aufzustehen.

 

„Warte!“, meinte ich und hielt ihm am Arm fest.

 

Er schaute mich kurz an und ließ sich zurückfallen. Nun war ich es, der nicht recht wusste, was er sagen sollte.

 

„Stört es dich nicht? Die anderen in Angelas Gruppe wissen es zwar alle und Angela beteuert immer, es hätte niemand was dagegen, aber richtig dazu gehören tu ich nicht.“

 

„Nein, es stört mich nicht…“, sagte ich leise.

 

„Wirklich? Meinst du das jetzt ernst?“

 

„Würde es dich stören, wenn ich es wäre?“, fragte ich.

 

Er schaute mich an.

 

„Nein, ich glaube nicht… ich weiß ja wie das ist, wenn jeder einen komisch anschaut… mir ist das relativ egal, wer mit wem… wer wen liebt…“

 

„Gute Einstellung!“

 

„Die nur wenige haben…“

 

„Ich habe sie auch.“

 

„Da bist du aber eine Ausnahme bei den Heten.“

 

„Ich habe nicht gesagt…, dass ich Hetero bin.“

 

Fabrizio schaute mich mit großen Augen an. Er schien das eben gehörte nicht richtig zu verstehen.

 

„Ich bin auch schwul…“

 

„Wirklich?“, war das einzige, was Fabrizio herausbrachte.

 

„Kennst du auch noch eine andere Frage, als „wirklich“?“

 

Noch immer starrte mich Fabrizio an.

 

„Weißt du jetzt, warum es mir nichts ausmacht, dich in den Arm zu nehmen… ich fand das auch schön.“

 

Er saß immer noch fassungslos neben mir.

 

„Du nimmst mich auf den Arm… oder?“

 

„Wieso denn… was für einen Grund habe ich denn?“

 

„Ich glaube das jetzt … irgendwie nicht!“

 

Ich seufzte. Ich hob meine Hand, legte sie um Fabrizios Nacken und zog ihn zu mir. Ohne Gegenwehr ließ er es geschehen, bis sich unsere Lippen trafen. Ich wusste nicht, was mich geritten hatte, Fabrizio zu küssen, aber ich fand das plötzlich schön.

Mein erster Kuss mit einem Jungen. Langsam setzte ich ab, entfernte mich im Zeitlupentempo von Fabrizios Gesicht, der immer noch seine Augen geschlossen hatte.

 

„Wow“, hörte ich ihn sagen, als er die Augen öffnete.

 

Ich wurde rot. Mir wurde plötzlich bewusst, was ich da gerade getan hatte und Fabrizio fing zu grinsen an.

 

„Darf ich fragen… in wen du dich verliebt hast?“, kam es unerwartet von Fabrizio.

 

Ich schämte mich plötzlich und mein Blick sank zu Boden. Er war ehrlich zu mir gewesen, also sollte ich das auch sein.

 

„In… Nicola…“sagte ich fast flüsternd, kaum hörbar.

 

„Was?“, fragte Fabrizio und fing schallend laut an zu lachen.

 

„Was lachts denn da zu gib… äh…“, man war ich jetzt von der Rolle, „was gibt es denn da zu lachen?“

 

Fabrizio kugelte sich neben mir vor Lachen. Langsam wurde ich ärgerlich. Ich vertraute ihm etwas an und er lachte. Langsam bekam sich Fabrizio wieder ein und richtete sich auf.

 

„Sorry… ich wollte dich nicht auslachen… aber scheinbar… haben wir denselben Geschmack“, erklärte Fabrizio und lachte weiter.

 

„Du warst auch…?“

 

Fabrizio nickte. Nun musste ich auch grinsen. Mittlerweile war die Sonne fast verschwunden, nur ein kleiner Rand schaute noch heraus.

 

„Und was wird nun… ich meine, weiß das jemand von dir?“, fragte Fabrizio.

 

Ich schüttelte den Kopf.

 

„Ich bin der erste, dem du das erzählst? Wirklich?“

 

„Ja… wirklich“, meinte ich etwas genervt.

 

„Also… ich sage niemandem etwas…“

 

„Danke…!“

 

„Willst du es jemanden erzählen?“

 

„Ich wollte…“, fiel mir plötzlich schuldbewusst ein.

 

„Und warum hast du nicht?“

 

„Meine Mutter erkrankte an Krebs… ich wollte sie nicht belasten…“

 

„Oh…!“

 

„Ja OH!“

 

„Sorry… Denkst du wirklich, es hätte sie belastet?“

 

„Ich weiß nicht… ich werde es nie erfahren.“

 

Und plötzlich war sie wieder da, die Traurigkeit. Nun war es Fabrizio, der mich in den Arm nahm.

 

*-*-*

 

Ich weiß nicht, wie lange wir noch da gesessen hatten. Wir sprachen nichts, saßen einfach nur da. Bis plötzlich Fabrizio meinte, er müsse heim. So liefen wir zu unseren Rollern und nach einer kurzen Umarmung trennten sich unsere Wege.

Nun saß ich auf der Terrasse, hatte eine Sprudelflasche in der Hand und starrte in den Sternenhimmel.

 

„Alles klar?“, hörte ich die Stimme meines Vaters.

 

„Ja, Papa“, log ich.

 

Er setzte sich neben mich.

 

„Junger Mann, ich kenne dich viel zu lange, als das stimmen würde.“

 

Verlegen lächelte ich ihn an. Wieder schaute ich in den Himmel.

 

„Mir ist heut Abend etwas eingefallen… na ja eingefallen. Ich habe bemerkt, dass ich etwas hätte tun sollen und jetzt ist es zu spät dazu.“

 

„Was meinst du?“

 

„Ich wollte Mama etwas erzählen… habe es aber dann doch gelassen… weil sie ja krank war.“

 

„War es denn so wichtig?“

 

„Es ist wichtig.“

 

„Willst du es mir sagen?“

 

„Ich weiß nicht… ich habe Angst… weil ich nicht weiß, wie du reagierst…“

 

„Hat es vielleicht damit zu tun…, dass du außer beim Tanzen dich nie großartig bei Mädchen aufgehalten hast?“

 

Mit weit aufgerissenen Augen schaute ich Papa an.

 

„Du weißt…?“

 

„Na ja… ich würde es Ahnung nennen. Drauf gebracht hat mich deine Mutter… sie meinte, du wirst sicherlich irgendwann von selbst kommen und es uns erzählen.“

 

Das schlechte Gewissen meldete sich bei mir.

 

„Jetzt ist es zu spät…“, stammelte ich und sah zu Boden.

 

Ich spürte Papas Hand an meinem Kinn, das er nach oben zog. Er hatte glasige Augen, eine Träne lief ihm herunter.

 

„Mama war immer stolz auf dich und sie hat zu mir gesagt, würdest du jemals zu uns kommen, und uns erzählen… du würdest einen Jungen lieben, würde sie dich genauso lieben. Und für mich gilt das Gleiche!“

 

Ich konnte nicht anders und fiel Papa um den Hals.

 

*-*-*

 

Als ich am nächsten Morgen erwachte, brannten meine Augen etwas. Trotz des tollen Gesprächs mit meinen Vater, hatte ich mich in den Schlaf geweint. Frischer Kaffeeduft lag in der Luft.

Wie auf Kommando ging die Tür auf und mein Papa kam mit zwei Tassen Kaffee herein. Er schien auch noch nicht lange wach zu sein, denn er lief noch in seinen Schlafshorts herum. Für sein Alter sah er nicht mal so übel aus.

Recht muskulös, Top in Form… und er war behaart… etwas, was mir auch gefiel. Oh Mann, jetzt fand ich meinen Vater schon geil… ob das die Hormone waren?

 

„Na, endlich aufgewacht?“

 

„Was heißt hier endlich… guten Morgen.“

 

„Morgen Sohnemann“, erwiderte er und setzte sich auf die Bettkante.

 

Ich richtete mich auf und er reichte mir den Kaffee.

 

„Hast du schlafen können?“, fragte er.

 

Ich nickte und nippte an der Tasse.

 

„Ich hab die ganze Nacht wach gelegen… ich hab dran gedacht, ob es wirklich gut war, hier herunter zu ziehen… ich meine – für dich.“

 

„Papa, es ist gut so, wie es ist. Wer weiß, ob ich in Deutschland besser drauf wäre. Und jetzt habe ich ja Beschäftigung.“

 

„Deswegen habe ich dich auch wecken wollen, hast du heute Morgen nicht einen Termin?“

 

„Scheiße… wie spät haben wir es denn?“

 

„Zügle deine Ausdrucksweise und keine Sorge, du hast noch eine Stunde Zeit.“

 

Ich atmete durch und schaute auf meinen Wecker, was ich bisher versäumt hatte.

 

„Darf ich dich was fragen?“, kam es von Papa.

 

„Ähm… ja… klar!“

 

„Hast… oder hattest du schon einen Freund?“

 

„Nein und nein.“

 

„Jemand in Aussicht?“

 

„Ähm… jein…“

 

Papa schaute mich fragend an.

 

„Ich habe mich in einen verliebt, aber der ist unerreichbar.“

 

„Nicola?“

 

Mit großen Augen sah ich meinen Dad an.

 

„Junge, ich müsste sehr blind sein, wenn ich nicht gesehen hätte, wie du Nicola angeschaut hast…, aber wieso meinst du unerreichbar?“

 

„Nicola hat eine Freundin und sicherlich keinerlei Interesse, mit mir etwas anzufangen.“

 

„Wenn du meinst…“, kam es von Papa, der sich wieder erhob.

 

Was sollte das jetzt heißen?

 

„Ich geh mich anziehen“, meinte er und verschwand.

 

Mühsam krabbelte ich aus dem Bett und spürte als erstes meine Beine. Wie befürchtet, war der Muskelkater eingetreten. Ob es bei den anderen auch so war? Na ja, die spielten Fußball, waren wahrscheinlich hartes Training gewohnt.

Ich lief ins Bad und setzte mich auf die Toilette. Die Tür ging auf und mein Dad kam herein.

 

„Sorry…, ich muss noch schnell duschen, bin spät dran“, meinte er.

 

Er zog seine Shorts aus und verschwand in der Dusche. Ich schluckte hart. Klar hatte ich meinen Dad schon öfter nackt gesehen, aber mit anderen Augen eben. Zumal ich ihn noch nie mit halb steifem Schwanz gesehen hatte.

Der war locker doppelt so groß wie meiner. Ich drückte die Spülung und ging ans Waschbecken.

 

„Willst du auch noch duschen?“, rief Dad.

 

„Nein, ich habe gestern Abend“, antwortete ich und zog meine Zahnbürste aus dem Becher.

 

Während ich dran war, meine Zähne zu schrubben, stellte Dad die Dusche ab und öffnete die Tür.

 

„Kannst du mir mal das Handtuch rüberreichen?“

 

Mit der Zahnbürste im Mund griff ich nach links, drehte mich und reichte ihm das Handtuch.

 

„Danke“, meinte er und trat vor die Dusche.

 

Ich konnte nicht anders und schaute meinen Dad fasziniert an. Irgendwann wurden meine Blicke registriert und ein breites Lächeln zeichnete sich im Gesicht meines Dads ab.

 

„Noch nie einen nackten Mann gesehen?“

 

Ich verschluckte mich fast am Zahncremeschaum und schnappte mir den Becher und spülte aus.

 

„Doch, schon…“

 

„Aber?“

 

„Ähm… du siehst verdammt gut aus…“

 

„Danke, Sohnemann“, meinte er und gab mir einen Kuss auf die Nasenspitze, „hab dich lieb, mein Großer.“

 

Und schon war er aus dem Bad verschwunden und meine Shorts beulte. Mit rotem Kopf lief ich in mein Zimmer und schnappte mir meine Sachen. Hatte ich grad mit meinem Dad geflirtet? Oh Mann, was machen die Hormone mit mir?

Trotz meiner Erregung entschloss ich mich fertig zu machen. Frisch gestriegelt betrat ich wenig später die Küche, in der Dad, fein gekleidet im edlen Zwirn, leicht nach vorne gebeugt, an seinem Kaffee schlürfte.

 

„Ich muss heute kurz ins Geschäft, die wollen mich wohl besser kennen lernen…“

 

Ich nickte nur verwundert.

 

„Sehn wir uns heute Abend, oder hast du schon was vor?“

 

„Nein… ähm nichts geplant.“

 

„Gut. Falls du Hunger verspürst, fahr zu Tante Maria, sie kocht immer genug und freut sich, wenn du dich blicken lässt.“

 

Wieder nickte ich stumm. Er stellte seine Tasse ins Waschbecken und schnappte seinen Aktenkoffer.

 

„Ich bin dann weg, wir sehen uns!“

 

„Tschüss“, meinte ich und schaute ihm hinterher.

 

*-*-*

 

Eigentlich dachte ich, ich käme zu spät an die Halle, sah aber, dass die anderen auch gerade erst angekommen waren. Fabrizio stieg wie ich ebenfalls von seinem Roller. Schon wollte ich auf ihn zugehen und ihn freudig begrüßen, als er mir fast unsichtbar ein Zeichen gab, zu stoppen.

Was war denn nun los?

 

„Hi zusammen“, rief Nicola, der gerade seinen Helm abgezogen hatte.

 

Mit einem kurzen Nicken grüßte ich zurück. Nicola schaute mich kurz an, senkte den Kopf nach rechts und grinste mich wieder mit diesem bitte-schmelz-mich-nicht-Blick an. Ein kurzer Blick zu Fabrizio und ich bemerkte, dass er diesen Blick ebenso registriert hatte.

Er zuckte fast unmerklich mit den Schultern und schloss darauf seinen Roller ab. Nicola schloss die Halle auf und alle traten ein. Ich machte langsamer, um kurz mit Fabrizio sprechen zu können.

Kurz bevor ich die Halle betrat, war er in gleicher Höhe wie ich.

 

„He… hallo, was ist denn los?“

 

„Hi Sebastiano. Sorry… ich weiß nicht, was die anderen denken, wenn ich dich hier plötzlich umarme…“

 

Deswegen also!

 

„He, das würde mir nichts ausmachen“, lächelte ich ihn an.

 

Fabrizio schaute sich nach allen Richtungen um, bevor mir einen kleinen Kuss auf die Wange gab.

 

„Hallo“, sagte er leise mit einem Lächeln, bevor er ebenso wie die Anderen die Halle betrat.

 

Ich folgte ihm.

 

„Wir sollen uns alle etwas warm machen, Loretta kommt etwas später“, rief Nicola.

 

Angela kicherte kurz und sah zu ihrem Bruder, der ihr die Zunge rausstreckte. Ich konnte nicht anders und musste ebenso grinsen.

 

„Wenn ihr nichts dagegen habt, mach ich etwas Aufwärmtraining mit euch“, sprach Nicola weiter und lief zu seinem CD Player.

 

„Wir sind nicht beim Fußball. Und außerdem tut mir alles weh“, jammerte Nina.

 

Gut, ich war also nicht alleine mit meinen Schmerzen.

 

„Jetzt jammert nicht rum und macht mit!“, kam es von Nicola.

 

Er zog sein Shirt aus und stellte die Musik an. Ein kurzer verlegener Blick zu Fabrizio… er war genauso von Nicolas muskulöser Oberkörper angetan wie ich. Die nächste Viertelstunde hüpften, streckten und dehnten wir uns.

Die Tür ging auf und Loretta kam herein. Nicola stellte die Musik ab.

 

„Ah, ihr habt euch wirklich aufgewärmt, das ist gut. Guten Morgen zusammen!“

 

Wie in einer Schulklasse sagten wir schön im Chor >Guten Morgen< zurück. Mittlerweile hatten Tino und Christo ihre Shirts ausgezogen. Alle wie Nicola braungebrannt und muskelbepackt.

Ich wusste nicht, war mir jetzt heiß von den Übungen oder von diesem Anblick. Als nun auch noch Fabrizio sein Shirt auf die Bank warf, wurde mir unwohl. Ich stand den Muskeln eigentlich in nichts nach… doch so ein Weißkäse aus dem Norden, das wollte ich denen und auch mir nicht antun.

Zudem starrte ich gespannt auf Fabrizios behaarte Brust. Alle anderen waren glatt wie Babypopos.

 

„So, nachdem wir gestern die Schrittfolge geübt haben und sie auch gleich weiter üben werden, wollte ich euch zeigen, wie ich mir dass Schlussbild vorstelle“, begann Loretta.

 

Sie schob uns auf die Plätze, bis wir recht dicht aneinander standen. Dann lief sie etwas von uns weg.

 

„Mit einer Hebefigur in der Mitte…, könnte gehen…, aber die Zusammenstellung gefällt mir nicht.“

 

Loretta führte wohl Gespräche mit sich selbst und wir warteten brav ab, was sie vorhatte.

 

„Sebastiano, meinst du, du könntest jemand in die Luft stemmen?“

 

Etwas erschrocken, dass sie gerade mich ansprach, zuckte ich verwundert mit den Schultern.

 

„Warum er?“, meinte Angela.

 

„Er ist der Größte von euch und somit steht er in der Mitte.“

 

„Und welches von uns Mädels hebt er hoch?“

 

„Keins von euch!“, antwortete Loretta, was ein großes Erstaunen auslöste.

 

„Jetzt lasst es mich euch mal langsam erklären.“

 

Sie kam zu uns.

 

„Wenn wir das hier auf der Bühne machen, dann auch richtig. Es muss ein Bild geben. Ihr müsst euch vorstellen, das hier ist wie ein Spiegel. Sebastiano in der Mitte und ihr auf beiden Seiten daneben. Wenn er nun ein Mädchen von euch hochhält, wird das Bild ungleich.“

 

„Ich soll einen Jungen hochheben… also…so stark…“, protestierte ich.

 

„Pscht! Jetzt warte doch erst einmal ab.

 

Sie schob mich in die Mitte.

 

„Nicola und Christo auf die Seite“, sagte Loretta.

 

Die beiden stellten sich neben mich.

 

„Angela neben Nicola und Nina – du zu Christo. Fabrizio, du stellst dich vor Sebastiano. Shari und Marcella kniet euch vor Fabrizio. Tino legt sich auf den Bauch und Sandra setzt sich auf ihn.

 

Alle nahmen kichernd ihre Plätze ein.

 

„So! Genau! Das gefällt mir schon viel besser. Nicola, du und Christo hebt Fabrizio so hoch ihr könnt und Sebastiano taucht unter Fabrizio und schultert ihn.“

 

Etwas verlegen sah ich zu Nicola und Christo, die kräftig am Grinsen waren. Nicola griff nach Fabrizios Arm.

 

„Aua… nicht so fest.“

 

„Nun zick nicht rum!“, meinte Nicola, was bei den Anderen ein Lachen produzierte.

 

„Aber, aber, Kinder. Jetzt versucht es einfach einmal.“

 

Wieder packte Nicola Fabrizio am Arm, diesmal ohne dessen Murren. Christo tat dasselbe.

 

„Ich zähle einfach bis drei, dann stemmen wir ihn hoch“, kam es von Nicola.

 

Als er zu zählen begann, ging ich leicht in die Knie und schon sauste Fabrizio vor mir hoch. Ich tauchte unter ihn und mein Kopf rutschte zwischen seine Schenkel. Etwas beschwerlich drückte ich mich hoch, stand aber mit Fabrizio auf den Schultern da.

 

„Gut, so ist es richtig“, begann Loretta wieder, „Fabrizio du streckst deine Arme auf die Seite aus, ungefähr so.“

 

Sie machte ihm das vor.

 

„Nicola und du Christo, stellt euch seitlich versetzt zu Sebastiano.“

 

Als die beiden nicht gleich verstanden, was sie meinte, wurde sie im wahrsten Sinne des Wortes handgreiflich. Sie rückte die Beiden regelrecht auf ihre Position. Ohne weiter zu sprechen, schob sie nun auch Angela und Nina zu uns.

 

„Und ihr beide geht vor denen in die Hocke“, meinte Loretta zu Marcella und Shari. Dann legte sie noch Tino vor das Gruppenbild und setzte Sandra im Grätschsitz auf ihn. Dann lief sie wieder ein Stück von uns weg und betrachtete uns erneut von vorne.

 

„Genau so hatte ich mir das vorgestellt.“

 

Ich spürte Fabrizios warme Schenkel an meinen Wangen, zog den Duft von ihm in mich auf.

 

„So und nun helft Fabrizio da oben runter!“, rief Loretta.

 

Ich beugte mich etwas vor und Nicola half Fabrizio von mir herunter.

 

„Und wie sollen wir das anstellen, so in die Figur zu kommen?“, fragte Sandra.

 

„Das zeige ich euch dann. Ich konnte mir nur noch nicht richtig die Schlussfigur vorstellen. So, nun stellt ihr euch so wie gestern in eure alten Positionen zurück.“

 

„Sag mal, ist dir nicht auch warm?“, fragte Nicola und zupfte an meinem Shirt.

 

„Doch schon…“, antwortete ich.

 

„Dann zieh es aus, du brauchst dich nicht verstecken“, meinte er und ging auf seine gestrige Stelle zurück.

 

Ich atmete tief durch und zog ebenfalls mein Shirt aus. Angela pfiff anerkennend, was mir wieder rote Farbe ins Gesicht trieb.

 

„Jedenfalls weiß ich schon, was wir heute Mittag machen. Wir gehen an den Strand, Sebastiano braucht Farbe!“, rief Nicola und alle lachten.

 

„So jetzt aufpassen, das LACHEN einstellen, ich starte die Musik.“

 

„vier – drei – zwei – eins und los!“

 

Die Musik donnerte durch die Halle und wir tanzten unsere gelernten Schritte.

 

„Fabrizio, halte den Kopf höher und Nina, wir sind hier nicht bei den Störchen“, rief Loretta dazwischen.

 

Ungefähr zwei Stunden später lagen wir alle schwer atmend auf dem Boden. Loretta hatte uns ganz schön getriezt. Aber dafür beherrschten wir die Schritte fast alle.

 

„Morgen früh habe ich einen Termin beim Arzt, ich kann also erst am Nachmittag“, meinte Loretta, „wir sehen uns dann! Ciao.“

 

Und schon war sie verschwunden.

 

„Ich hab nicht gedacht, dass es so anstrengend wird“, japste Tino.

 

„Aber es klappt schon gut!“, kam es von Angela, „genau so hab ich mir das fürs Fest vorgestellt.

 

„Mist… ich habe immer noch nicht mit meinem Onkel geredet“, sagte Nicola plötzlich.

 

„Du hast was?“, fragte Angela laut.

 

„Ich werde nach dem Essen gleich zu ihm fahren und mit ihm reden.“

 

„Das will ich dir auch geraten haben“, meinte Angela sauer.

 

Fabrizio grinste mich an, nachdem ich mich aufgerichtet hatte.

 

„Ist das abgemacht, dass wir uns heute Nachmittag am Strand treffen?“, fragte Christo.

 

Keiner schüttelte den Kopf.

 

„Um wie viel Uhr?“, fragte Marcella.

 

„Um zwei beim Kiosk?“, fragte Angela.

 

„Ich werde mich bemühen, pünktlich zu sein“, kam es von Nicola.

 

Nun standen alle auf. Die Jungs schnappten ihr Shirt, während die Mädels schon nach draußen gingen.

 

„Nicola, ich esse heute bei Maria zu Mittag, kann ich mit dir fahren?“

 

„Klar, Angela und Fabrizio haben dieselbe Richtung, die wohnen fast neben uns.“

 

Ich folgte ihm nach draußen, wo die anderen bereits auf ihren Rollern saßen. Wie er schloss ich meinen Roller auf, zog den Helm auf und stieg auf. Und schon ging es los. Fabrizios Roller war hellblau, was mir eigentlich jetzt erst auffiel.

Es fehlten irgendwie nur noch die Blümchen drauf. Unweigerlich musste ich grinsen. Nicola raste mal wieder voraus, während ich mit Fabrizio hinter Angela hertuckerte.

 

*-*-*

 

Bevor ich an den Strand konnte, schaute ich zu Hause noch einmal vorbei und suchte meine Badesachen zusammen. Da ich in all den Kisten im Keller keine Strandmatte gefunden hatte, nahm ich einfach ein weiteres Badetuch mit.

Mittlerweile war es richtig schwül geworden. Die Sonne brannte weiterhin unerträglich und ich hatte mich im Vorfeld schon mehrere Mal eingecremt. Maria hatte beim Mittagessen gesagt, dass es ein Gewitter geben würde.

Ein Blick zum wolkenlosen Himmel sagte mir aber gegenteiliges. Nur noch wenige Meter und ich ließ meinen Roller ausrollen. Fabrizios blauer Roller stand schon da. Ich stellte meinen daneben und schnappte meine Sachen.

Diesmal hatte ich keine Turnschuhe, sondern Badelatschen. Am Strand angekommen, ließ ich meinen Blick über den Sand schweifen. Es waren nur wenige Leute am Strand und so entdeckte ich Fabrizio sofort.

Als er mich sah, winkte er mir zu. Angela und Nicola fehlten noch, waren anscheinend doch gemeinsam zu Nicolas Onkel gefahren. Wie eine kleine Insel stach das bunte Handtuchmeer hervor.

 

„Hallo zusammen“, rief ich.

 

Ich wurde zurück gegrüßt. Ein wenig neidisch auf Nicola war ich schon, denn er wurde immer mit Umarmung und Küsschen begrüßt. Nicht, dass ich dies nötig hätte, gefallen würde mir das auch.

Hier draußen am Strand war es doch erträglicher. Wenigstens hier ging etwas Wind. Doch nicht so wie sonst. Als mein Blick ins Landesinnere schweifte, türmten sich da große Wolken auf.

Aber die waren ja noch fern. Ich breitete mein Handtuch aus und warf meine Tasche drauf.

 

„Hast du Lust, ein Stück zu laufen?“, fragte Fabrizio.

 

Ich nickte. Er zog seine Sonnenbrille aus der Tasche und griff nach seinem Tshirt. Ich hatte alles noch an und so folgte ich ihm ans Wasser. Die anderen unterhielten sich über das Tanzen, so nahmen sie nicht mal richtig wahr, dass wir wegliefen.

Nach einer Weile des Schweigens und zig Metern von der Gruppe weg, starrte Fabrizio immer noch vor sich hin auf das Wasser.

 

„Was ist los?“, fragte ich.

 

„Nichts…“

 

„Ach komm, irgendetwas ist doch mit dir.“

 

„Es ist wegen dir…“

 

„Wie, wegen mir?“

 

„Ich kann dich nicht so begrüßen, wie ich möchte, nicht bei dir sein, wie ich es möchte…, das macht mich traurig.“

 

„Du willst, dass ich mich oute?“, fragte ich entsetzt.

 

„Nein, bloss nicht… ich finde es nur schade… dass du nicht so in der Clique aufgenommen bist, wie die Anderen. Versteh mich bitte nicht falsch. Aber wenn ich dich doch als einziger so begrüßen würde, würde doch gleich getuschelt.“

 

Da hatte er recht.

 

„Sei bitte nicht böse… und denke auf keinen Fall, ich will, dass du dich outest“, setzte Fabrizio nach.

 

Ich seufzte. Eigentlich stände nichts dagegen, wenn ich mich outen würde… wäre ja nur die Clique. Da wüsste ich wenigstens, woran ich wäre, ob man mich wirklich mochte, oder ich nur wegen meiner Tanzerei dabei war.

Und was würde Nicola sagen?

 

„Sorry… ich wollte dich nicht ärgern“, riss mich Fabrizio aus dem Gedanken.

 

Ein Blick nach hinten zeigte mir, dass wir schon sehr weit gelaufen waren. Unsere Gruppe konnte ich nicht mehr erkennen.

 

„Ich bin dir nicht böse, du hast mich nur zum Denken angeregt“, erklärte ich und zog ihn zu mir.

 

Unsere Lippen trafen sich und ein wahrer Gefühlsregen überkam mich. Ich hörte es sogar donnern. Donnern? Ich setzte ab und schaute nach oben. Schwarze Wolken zogen über uns hinweg hinaus aufs offene Meer.

 

„Die habe ich gar nicht bemerkt“, meinte Fabrizio.

 

„Da kommt bestimmt gleich etwas herunter“, sagte ich besorgt und schaute zurück, woher wir gekommen waren.

 

„Da drüben, bei den Pinien steht eine kleine Hütte“, kam es von Fabrizio und er zeigte in die Richtung.

 

Als wir sie fast erreicht hatten, blitze es kurz, der Donner kam unmittelbar dahinter und schon schüttete es los. Fabrizio zog mich durch den offenen Eingang. Es schien eine Art Stall zu sein.

In einer Ecke war sogar Stroh aufgeschichtet.

 

„Ob hier die Pferde für die Strandreiter untergestellt werden?“, fragte Fabrizio.

 

„Das darfst du mich nicht fragen, ich kenn mich hier überhaupt nicht aus.“

 

Fabrizio schob die Tür etwas zu und ging zum Fenster. Na ja, es war kein Fenster drin, ein viereckiges Loch in der Wand.

 

„Jetzt können wir nur warten, bis es wieder aufhört“, meinte er und schaute weiter hinaus.

 

„Mist, unsere Sachen“, fiel mir ein.

 

„Die werden die anderen schon mit eingepackt haben“, erwiderte Fabrizio.

 

Ich stand nun ganz dich hinter ihm schaute mit ihm nach draußen. Meine Brust berührte seinen Rücken. Fabrizio hob seinen Arm und griff zu mir nach hinten. Seine Hand wanderte zu meinem Nacken und er drehte dich langsam um.

Ich schloss die Augen und unsere Lippen trafen sich. Seine Zunge wollte Einlass und ich gewährte ihn. Seine Hände wanderten über meinen Rücken und ich spürte, wie meine Beine zu zittern begannen.

Fabrizio presste seinen Körper dicht an meinen und deutlich spürte ich seine Erregung in seiner Shorts. Dass mich dies nicht kalt gelassen hatte, bemerkte er sicherlich auch. Fabrizio setzte keuchend ab und sah mich fordernd an.

 

„Sorry… es ist mich einfach so überkommen…“, sagte er leise.

 

„Wenn es mir nicht gefallen würde, hätte ich schon was gesagt.“

 

Sein Kopf sank zu Boden.

 

„Ich weiß nicht… ich glaub… ich verliebe mich gerade in dich …“, hörte ich leise seine Stimme.

 

Hatte ich das gerade richtig verstanden?

 

„In mich… wieso… aber warum…?“

 

Er hob wieder seinen Kopf an und lächelte.

 

„Du stellst blöde Fragen. Du bist so lieb, siehst so süß aus…“

 

Ich glaubte, ich hörte Englein singen. Das Blut, das sich bisher in die untere Region meines Körpers verzogen hatte, wanderte nun in mein Gesicht.

 

„Aber… ich habe ja keine Chancen…“, sprach Fabrizio weiter.

 

„Hä? Wieso das denn?“

 

„Du bist in Nicola verliebt, das merke ich schon, wie du ihn anstarrst und gegen Nicola komme ich nicht an.“

 

„Jetzt rede nicht so einen Quatsch… ich verliebt in Nicola. Bestimmt nicht!“

 

„Bist du dir da sicher?“

 

Ich war etwas verwirrt über diese Frage. Ich verliebt in Nicola… nein, bin ich nicht… oder doch?

 

„Deswegen habe ich keine Chance bei dir.“

 

Ich gab keine Antwort auf seine Feststellung, sondern zog ihn an mich und begann, ihn zu küssen. Ich war auch mutiger geworden und meine Küsse wanderten Richtung Hals und Schulter.

Fabrizio stöhnte leise, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand.

 

„Hör lieber auf… Sebastiano bitte… sonst kann ich für nichts mehr garantieren“, kam es von Fabrizio, der anschließend scharf Luft holte.

 

So… vielleicht wollte ich ja mehr. Total von meiner Geilheit überwältig, griff meine Hand nach unten, wanderte durch den Bund in das Innere der Shorts. Fabrizio zuckte zusammen. Er seinerseits griff nach meiner Hand und schüttelte den Kopf.

 

„Sorry, Sebastiano. Das geht mir zu schnell! Bitte sei mir nicht böse.“

 

Irgendwie schämte ich mich jetzt und schaute zu Boden.

 

„Tut mir Leid… es ist einfach…“

 

„Stimmt, es ist „geil“, aber wir kennen uns noch zu wenig, als dass ich…“

 

„Kommt nicht mehr vor“, seufzte ich.

 

„So war das nicht gemeint…, nur nicht jetzt“, meinte er und küsste mich auf die Nase.

 

Verlegen traute ich mich nicht, in seine Augen zu schauen. Draußen hatte es längst aufgehört zu regnen. Das Gewitter war weiter gezogen. So schnell hier ein Gewitter kommt, so schnell verschwindet es auch wieder.

Fabrizio hob mein Kinn an.

 

„Lass uns zurück laufen…, okay?“

 

Ich nickte. Er nahm meine Hand und zog mich raus ins Freie. Die Luft war frisch und klar. Beide atmeten wir kräftig durch, während sich noch mal unsere Blicke trafen. Langsam liefen wir wieder ans Wasser hinunter.

Diesmal sprachen wir beide nicht, sondern lauschten dem Geräusch der Wellen, die unsere Füße umspülten. Die Sonne war wieder da und der Sand trocknete recht schnell. Als wir an unserem Ausgangspunkt angekommen waren, kamen gerade die anderen vom Kiosk zurück, bei dem sie sich anscheinend untergestellt hatten.

Ohne Fabrizio etwas zu sagen, oder ihn zu fragen, ob es ihm recht wäre, nahm ich seine Hand. Er schaute mich verwundert an. Ich lächelte und nickte. Fabrizio erwiderte mein Lächeln und sein Gesicht strahlte.

 

„Da seid ihr ja wieder“, rief uns Tino entgegen.

 

„Da guck dir die beiden an, wir machen uns Sorgen und die laufen Händchen haltend durch die Gegend“, kam es von Nina.

 

Alle Köpfe flogen herum und schauten auf unsere Hände. Mir war nicht aufgefallen, dass nun auch Nicola und Angela dabei waren.

 

„Fabrizio… Sebastiano?“, fragte Angela verwundert und schaute Nicola an.

 

„Ich habe es dir gleich gesagt, du wolltest es mir ja nicht glauben“, gab der von sich.

 

Mittlerweile waren wir bei der Truppe angelangt und Christo drückte uns unsere Sachen in die Hand.

 

„Stimmt das?“, fragte Angela.

 

Ich nickte.

 

„Du bist schwul?“, fragte Tino, dessen Tonart ich aber nicht interpretieren konnte.

 

„Ja!“, sagte ich laut und deutlich, dass es jeder in der Gruppe hören konnte.

 

Eine kurze Pause trat ein, es war so still, dass man nur noch die Brandung hörte.

 

„Herzlichen Glückwunsch, Bruderherz“, sagte plötzlich Angela und warf sich ihm an den Hals.

 

„Wünsch ich dir auch“, kam es von Nicola und knuffte mich in die Seite.

 

„Danke… Du wusstest das?“

 

„Ja…, ich habe deinen Vater erzählen hören, als er mit deiner Tante redete. Sie hat ihn gefragt, ob du wirklich lieber mit Jungs zusammen bist.“

 

„Warum hast du mir das nicht gesagt?“

 

„Ich wollte… tut mir leid…ich dachte, das wäre dein Ding und dass du mir das schon von dir aus erzählen solltest.“

 

„Danke“, meinte ich und umarmte ihn.

 

„He, das ist meiner!“, kam es von Angela.

 

„Ich weiß!“, sagte ich und alle lachten.

 

*-*-*

 

„So, ich brauche von jedem die Größe, also die eurer Tshirts“, sagte Loretta.

 

„Für was?“, fragte Angela.

 

„Wir wollen doch ein Bild haben, dann sollte auch die Kleidung stimmen.“

 

„Du, was ist mit den Hosen?“

 

„Eine Jeans werdet ihr ja wohl haben, oder?“

 

Allgemeines Nicken ging durch die Runde. Ich hatte mich hingesetzt und an die Wand gelehnt. Fabrizio setzte sich vor mich und lehnte sich dabei an mich.

 

„An der Hebefigur müssen wir unbedingt noch üben“, meinte er zu mir.

 

„Wo… im Bett?“, kicherte ich.

 

Fabrizio ließ seine Augen rollen und streichelte über meinen Arm.

 

„Im Ernst, Sebastiano. Ich bleibe immer an deinem Kopf hängen.“

 

„Ich habe dir schon gesagt, wenn ich tiefer runter gehe, dann komme ich nicht mehr richtig hoch.“

 

„He, ihr Turteltäubchen… eure Tshirtgröße“, rief Loretta.

 

„XL“, rief Fabrizio.

 

„XL“, antwortete ich.

 

„Gut dann habe ich alles. So, jetzt tanzen wir die Nummer noch einmal durch, dann ist Schluss für heute“, sagte Loretta und legte ihre Sachen auf die Kiste.

 

„Loretta, ich habe immer noch Schwierigkeiten, über Sebastianos Kopf zu kommen“, rief Fabrizio.

 

Loretta schien zu überlegen, während wir auf unsere Ausgangspositionen gingen.

 

„Und wenn Sebastiano noch tiefer runter geht“, fragte Loretta.

 

„Dann bekommt er mich nicht hoch!“, antwortete mein Schatz.

 

„Hmmm, Sebastiano… du beugst dich immer nach vorne…?“

 

„Ja!“

 

Sie kam zu uns und stellte mich vor sich.

 

„Und wenn du auf ein Knie gehst?“

 

Ich schaute sie fragend an. Sie drückte mich an der Schulter herunter.

 

„Mit dem Knie auf dem Boden und den Fuß stehen lassen.“

 

Ich folgte ihrer Anweisung.

 

„Fabrizio stell dich mal hinter ihn.“

 

Er setzte sich in Bewegung.

 

„Du steigst von hinten auf seine Schultern“, sprach sie weiter.

 

„So ist Fabrizio auch zu schwer“, beanstandete ich.

 

„Nicht, wenn dir Christo und Nicola beim Aufstehen helfen“, entgegnete Loretta.

 

Wir machten es so, wie sie es gesagt hatte und es stimmte wirklich, so ging es viel leichter. Nur wussten wir nicht, wie wir in diese Ausgangspositionen tanzen sollten. Aber auch hier wusste Loretta eine Lösung.

Nach ein paar Schrittübungen hatten wir das drin.

 

„So und nun einmal noch ganz durch!“

 

Wir stöhnten, während Loretta die Musik startete.

 

*-*-*

 

„Wir sehen uns morgen Abend im Festsaal, Generalprobe auf der Bühne!“, meinte Loretta und suchte ihre Sachen zusammen.

 

Wir hatten nur ein paar kleine Patzer gemacht, sonst lief der Tanz recht gut. Jetzt spürte ich aber auch wieder meine Knochen und war froh, dass wir fertig waren.

 

„Schaut da schon jemand zu?“, fragte Nina.

 

„Nur die, die den Saal herrichten, sonst niemand“, antwortete Loretta.

 

„Nur?“, kam es von Tino, “das sind schon genug!“

 

„Tino, am Sonntag wird der Saal brechend voll sein. Es hat sich herum gesprochen, dass wir etwas aufführen und jeder will es sehn“, meinte Nicola.

 

Nicht nur Tino, sondern auch mir war irgendwie unwohl bei der Sache. Bis jetzt übten wir nur für uns, das machte auch Spass. Aber jetzt bekamen wir Zuschauer. Tino war etwas blass um die Nase.

 

„Jetzt stellt euch nicht so an! Ihr macht dass wirklich gut! Also, bis morgen!“

 

Und weg war Loretta.

 

„Ich bin aufgeregt… wenn ich die Schritte vergesse?“, kam es von Sandra.

 

„Das wirst du nicht!“, beruhigte sie Angela, oder versuchte es zumindest.

 

Anscheinend wurde jetzt jedem so richtig bewusst, was da auf uns zukam.

 

„Also Leute, ich fahre heim und hau mich in die Falle. Ich will morgen fit sein!“, sagte Christo und schnappte seine Tasche.

 

„He, ich dachte, wir gehen noch etwas trinken heut Abend“, meinte Tino.

 

„Nicht mit mir. Ich bin total alle“, sprach Christo.

 

„Ich schließ mich Christo an, ich brauch mein Bett“, kam es von Marcella.

 

Bis auf Tino waren wohl alle sehr müde und so beschlossen wir alle, nach Hause zu fahren. Fast alle saßen bereits auf ihren Rollern, während Fabrizio noch einmal zu mir kam.

 

„Ich habe da etwas für dich…“.

 

„Für mich?“, fragte ich erstaunt.

 

Er nickte und reichte mir ein kleines Päckchen.

 

„Aber erst zu Hause aufmachen“, sagte er, drückte mir einen Kuss auf die Wange und lief zu seinem Roller zurück.

 

Ich steckte das Päckchen in die Tasche und bestieg ebenfalls meinen Roller. Nach der üblichen Verabschiedungsprozedur fuhr jeder in seine Richtung. Ich hatte Mühe, meine Augen offen zu halten.

Mit etwas Glück erreichte ich unsere Garagenauffahrt. Dads Wagen stand bereits drin. Vorsichtig bugsierte ich meinen Roller neben den Wagen und stellte den Roller ab. Ich drückte auf den Knopf neben dem Tor und verließ die Garage.

Langsam schloss sich die Garage und ich lief zur Haustür. Ich wollte gerade meinen Schlüssel ins Schloss stecken, als von drinnen die Tür aufgezogen wurde.

 

„Abend – und seid ihr für heute fertig?“, begrüßte mich Papa.

 

„Ja… und ich will nur noch ins Bett.“

 

„Gib mir deine Tasche, ich versorge deine Sachen schon.“

 

„Danke!“

 

„Willst du noch etwas essen?“

 

Ich schüttelte den Kopf.

 

„Nur kurz unter die Dusche und dann schnell ins Bett.“

 

„Okay.“

 

Ich quälte mich die Treppe hinauf und steuerte direkt auf mein Zimmer zu. Schon auf der Treppe hatte ich begonnen, mir das Shirt über den Kopf zu ziehen. Im Zimmer angekommen, sah ich das rot gelbe Shirt hängen, das uns Loretta für den Auftritt geschenkt hatte.

Ich kickte die Turnschuhe in die Ecke und warf meine Klamotten auf den Stuhl. Mühsam schleppte ich mich ins Bad. Auf der Toilette fielen mir fast die Augen zu. Wir hatten doch nicht mehr geübt als sonst und doch war ich total fertig.

Ich drehte das Wasser auf und spürte den herrlich prasselnden Regen auf meiner Haut. Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich gegen die Duschwand. Oh, tat das gut. Ich seifte mich kurz ein und spülte wenig später alles wieder ab.

Während ich aus der Dusche stieg, gähnte ich herzhaft. Nur halbherzig trocknete ich mich ab und band mir das Handtuch um. Als ich wieder ins Zimmer kam, war der Rollo unten, meine Nachtischlampe an und ein Glas Milch stand auf dem Nachtisch.

Von Paps war nirgendwo etwas zu sehen. Auf dem Kopfkissen lag das kleine Päckchen, das ich von Fabrizio bekommen hatte. Dies hatte ich ja ganz vergessen. Ich ließ mich aufs Bett fallen und schnappte es mir.

Schnell war es ausgepackt und eine kleine Dose kam zum Vorschein. Ich öffnete den Deckel und ein Zettel kam mir entgegen geflogen.

 

Lieber Schatz,

das ist die Göttin Hathor, im alten Ägypten war sie die Göttin des Tanzes. Der Anhänger

soll  dir Glück bringen!

Dein Fabrizio

 

Aus der Dose zog ich ein Lederband, an dem ein kleines Medaillon hing. Darauf war eine Frau abgebildet. Auf dem Kopf trug sie eine Krone aus Hörnern, zwischen denen eine Sonne abgebildet war.

Wo hatte er das nur her. Ich war gerührt und legte mich vollends aufs Bett. Ich hob das Lederband hoch und betrachtete es.

 

*-*-*

 

Ich musste so, wie ich war, eingeschlafen sein. Das Handtuch lag unter mir, aber ich war zugedeckt. Immer noch hatte ich das Band in der Hand. Ich hielt es hoch und betrachte es in den Sonnenstrahlen, die das Rollo hindurch ließ.

Es glitzerte. Ich seufzte und war glücklich. Die ganze Zeit während des Probens hatte ich zwar an Mama gedacht, war aber nicht mehr so traurig, wie am Anfang. Ich fand es nur schade, dass sie nicht da sein konnte.

Aber tief in meinem Herzen war ich sicher, dass sie alles sehen würde. Da war aber noch jemand in meinem Herzen, der mir sehr wichtig geworden war. Fabrizio. Und nun hielt ich sein Geschenk in Händen.

Ich wollte den Tag langsam angehen und nicht viel machen. So verlief der Tag auch recht ruhig und ich lag mehr im Bett, als irgendetwas zu unternehmen. Gegen Abend packte ich meine Tasche und verließ mein Zimmer.

 

„Oh, du lebst noch und ich dachte schon, ich bekomme dich heute gar nicht mehr zu Gesicht“, kam es mir entgegen, als ich die Küche betrat.

 

„So ein Gammeltag kam mir heute gerade Recht“, entgegnete ich.

 

„Darfst du auch. Isst du noch was, oder musst du gleich los?“

 

„Ich hab keine Hunger, aber vielleicht ess ich nachher noch was, wenn wir mit der Probe fertig sind.“

 

„Eure Generalprobe?“

 

„Ja.“

 

„Aufgeregt?“

 

„Schon“, gab ich zu.

 

„Was trägst du da am Hals, das kenne ich ja noch gar nicht.“

 

„Kannst du auch noch nicht kennen. Habe ich von Fabrizio bekommen.“

 

„Und was ist das?“, fragte Papa, als er sich das Medaillon betrachte.

 

„Die Göttin Hathor, die Göttin des Tanzes.“

 

„Nett!“

 

„Find ich auch, aber jetzt muss ich los. Loretta mag es nicht, wenn man unpünktlich kommt.“

 

„Das weiß ich nur zu gut, Sohnemann. Also viel Spass und falls wir uns nicht mehr zu Gesicht bekommen, noch einen schönen Abend.“

 

„Danke Papa.“

 

*-*-*

 

Wir hatten uns bereits etwas warm gemacht, als Loretta die Bühne betrat. Wir fühlten uns alle etwas unwohl, nach dem wir kritisch von den Leuten im Saal beäugt wurden.

 

„Bevor wir den ganzen Tanz durchgehen, möchte ich noch mal die Hebefigur vom Schluss sehen“, meinte Loretta.

 

Wir stöhnten und gingen widerwillig in Position. Loretta gab Kommando und wir begannen unsere Schrittfolge. Als Fabrizio gerade sein rechtes Bein auf meine Schulter legen wollte, rief ich „Halt!“

Fabrizio hielt inne.

 

„Tut mir leid, aber ich habe ein Lederband an, dass ich gerne ausziehen möchte“, rief ich.

 

Es sollte ja nicht gleich kaputt gehen. Ich zog es rasch aus und steckte es in meine Hosentasche.

 

„Okay, dann noch mal von vorne“, rief Loretta.

 

Also begannen wir wieder unsere Schrittfolge. Ich machte meine Drehung und ging aufs Knie. Fabrizio bestieg meine Schultern und ich wurde von Christo und Nicola hochgezogen. Doch irgendwie stand ich komisch und Fabrizios Gewicht zog mich nach vorne.

Die Jungs konnten mich nicht recht halten und so kippte ich nach vorne. Mit einem Schrei fiel Fabrizio kopfüber auf die Bühne.

 

„Scheiße, sagte ich und rieb mir mein Handgelenk.

 

„Hat sich jemand weh getan?“, rief Loretta und stürmte auf die Bühne.

 

Fabrizio rieb sich den Kopf, schüttelte ihn dann aber.

 

„Mein Handgelenk“, jammerte ich und hielt dieses.

 

Es tat schrecklich weh.

 

„Kannst du es bewegen?“, fragte Loretta, die sie zu mir herunter bückte.

 

Unter Schmerzen bog ich das Handgelenk langsam nach unten und dann wieder nach oben.

 

„Gott sei Dank, es ist nicht gebrochen… wir machen kurz Pause!“, meinte Loretta und Nicola half mir auf.

 

„Wir gehen lieber kurz rüber zu Doktore Pellisari, der soll sich das ansehen.“

 

„Scheiße… dann können wir den Auftritt vergessen morgen!“, kam es von Angela.

 

„Jetzt wartet doch erst einmal ab… es ist doch nicht gebrochen“, erwiderte ich.

 

„Ihr macht Pause und ich geh mit ihm zum Doktore. Wir sind gleich wieder da“, sagte Loretta und zog mich am Arm nach draußen.

 

Ich folgte ihr über den Platz in ein großes Haus. Gemeinsam betraten wir das Portal und fanden uns in einer Arztpraxis wider.

 

„Hallo Loretta, was kann ich für dich tun?“, fragte eine Dame hinter der Theke.

 

„Paulo muss sich den Jungen ansehen, er ist beim Tanzen gestürzt und auf sein Handgelenk gefallen.“

 

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, stand die Dame auf und umrundete die Theke. Sie gab uns einen Wink, ihr zu folgen. Sie öffnete eine Tür und nacheinander betraten wir das dahinter liegende Zimmer.

 

„Paulo, der Junge hat sich beim Tanzen verletzt, kannst du dir sein Handgelenk anschauen?“, fragte die Frau.

 

Hinter einem dicken Schreibtisch saß ein ebenso dicker, älterer Mann. Er hob sein Gesicht hinter der Zeitung hervor und schaute uns an.

 

„Du musst Sebastiano sein, der Sohn von Marco und Andrea.“

 

Ich nickte und wunderte mich doch, wie bekannt meine Mutter hier war.

 

„Dann komm mal her und zeige mir deine Hand.“

 

Ich setzte mich auf einen Stuhl und er trat an mich heran. Vorsichtig tastete er mein Handgelenk ab und ich konnte mir gerade noch einen Schrei verbeißen.

 

„Gebrochen scheint nichts zu sein, aber stark verstaucht.“

 

„Doktore… ich muss morgen Tanzen…“, meinte ich verzweifelt.

 

„Junge, du musst es schonen.“

 

„Können sie nicht irgendetwas tun…, der Tanz ist so wichtig…“

 

Der Doktore schaute auf und ließ seinen Blick von der Frau zu Loretta wandern.

 

„Ich kann es fest bandagieren und dir ein Schmerzmittel geben. Ihr probt doch jetzt… oder?“

 

„Ja.“

 

„Gut. Alles, was mit der Hand zu tun hat, solltest du jetzt vorsichtig angehen. Morgen vor eurem Auftritt kommst du noch einmal vorbei, da bekommst du von mir noch einmal einen neuen Verband. Heute Abend machst du ihn weg und wenn möglich kühle dein Handgelenk.“

 

Ich nickte. Auf keinen Fall wollte ich ihm jetzt widersprechen. Hauptsache, wir konnten auftreten.

 

*-*-*

 

Natürlich lief die Generalprobe hundsmiserabel und im Zuschauerraum konnte man sich das Lachen nicht mehr verbeißen. Total deprimiert war ich gestern ins Bett gegangen und konnte die halbe Nacht nicht schlafen.

Ich musste mir dann noch eine Predigt von den anderen anhören, als sie mitbekamen, was ich da ausgezogen hatte. Hathor, die Göttin des Tanzes. Anscheinend war man hier recht abergläubisch. Die Tür ging auf und Papa kam herein.

 

„Wie geht es dir.“

 

„Benommen… ich hab fast nicht geschlafen.“

 

„Dann bleib liegen. Hier sind neue Kühlakkus“, sagte er und reichte sie mir

 

Vorsichtig legte ich sie um das Handgelenk. Das Schmerzmittel hatte in der Nacht seine Wirkung verloren und es tat noch genauso weh, wie am Vorabend.

 

„Geht es?“

 

Hilflos sah ich ihn an.

 

„Glaubst du, du schaffst euren Auftritt heute Abend?“

 

„Zähne zusammenbeißen und durch… hat Mum immer gesagt…“

 

Die Augen meines Vaters wurden glasig.

 

„Sie wäre stolz auf dich…“

 

„Sie ist stolz auf mich… sie ist immer bei mir!“

 

Papa nahm mich in den Arm und ich weiß nicht, wie lange wir da so gegessen hatten.

 

*-*-*

 

Doc Pellisari hatte mir einen straffen hautfarbenen Verband verpasst. Das Schmerzmittel wirkte und ich stand aufgeregt neben der Bühne. Alle waren wir aufgeregt, keiner von uns sprach ein Wort.

Jeder versuchte mit seine Unruhe alleine fertig zu werden. Loretta kam zu uns und gab uns Zeichen, dass wir gleich dran kamen. Angela kam zu mir und fasste an den Kragen meines Shirts.

Sie zog den Lederband mit der Göttin hervor.

 

„Und diesmal lässt du es an!“, meinte sie und lächelte.

 

Dann hörten wir auf der Bühne, dass wir angesagt wurden. Da unsere Gruppe ja keinen Namen hatte, zählte er unsere kompletten Namen auf. Und dann war es soweit, wir wurden auf die Bühne gebeten.

Mit tosendem Beifall betraten wir einer nach dem Anderen die Bühne und nahmen unsere Positionen ein. Das Licht in Saal wurde gedämpft und es kehrte Ruhe ein. Loretta gab uns noch einmal Zeichen und zeigte mit dem Daumen nach oben.

Wenige Sekunden später begann die Musik zu spielen und ich konzentrierte mich einfach auf die Musik. Jeder Schritt saß, jede Bewegung passte. Das Publikum klatschte mit, es war wie eine Art Taktgeber.

Und wie es so ist, war das Lied viel zu schnell zu Ende. Die Schlussakkorde dröhnten aus den Boxen und ich drehte mich in die Ausgangstellung der Hebefigur. Ich spürte das Gewicht von Fabrizio, der auf mich stieg und mit voller Wucht zogen mich Christo und Nicola nach oben.

Der Rest der Truppe tanzte an uns heran, bis wir die Schlussstellung erreicht hatten.

Die Musik verstummte und im Saal war es totenstill. Nur das Keuchen von uns war zu hören. Innerhalb von Sekunden brauste ein Applaus auf, der sich gewaschen hatte. Die Leute sprangen von ihren Stühlen auf pfiffen und grölten.

Mein Blick wandte sich zu den Anderen, die mir lächelnd zunickten. Der Mann, der uns angesagt hatte, kam wieder auf die Bühne. Immer noch schnappten wir nach Luft, der Schweiß ran mir von der Stirn.

Noch einmal nannte er unseren aller Namen und bedankte sich bei uns, auch bei Loretta, die einen großen Blumenstrauß überreicht bekam, was noch mal für einen großen Beifall sorgte. Dann liefen wir alle von der Bühne.

Unten angekommen fielen wir uns in die Arme. Als letztes bekam ich Fabrizio zu greifen. Unsere Umarmung fiel deutlich herzlicher aus und endete in einem kleinen Kuss. Jemand hüstelte hinter uns und wir fuhren auseinander.

Da stand Papa lächelnd mit einem Ehepaar.

 

„Papa… Mama…“, sagte Fabrizio und fiel der Frau um den Hals.

 

„Ihr wart klasse!“, sagte Papa und wuschelte mir über den Kopf.

 

„Da kann ich Marco nur beipflichten“, sagte der Mann, der wohl Fabrizios Papa zu sein schien.

 

Du bist also jener welcher, der unserem Sohn, den Kopf so verdreht hat… willkommen in der Familie!“, kam es dann von Fabrizios Mutter.

 

Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, als sie mich plötzlich packte und an sich zog.

 

„Mama, erdrück ihn nicht, den brauche ich noch!“, hörte ich Fabrizio hinter mir sagen.

 

Sie lockerte ihren Griff.

 

„Ihr wart echt toll, hätte nicht gedacht, dass ihr das so gut hinbekommt.“

 

„Danke“ sagte ich und Fabrizio nahm mich in den Arm.

 

„Was macht dein Handgelenk?“, fragte Papa.

 

„Das habe ich total vergessen“, meinte ich und hob den Arm.

 

Alle lachten. Doc Pellisari hatte ganze Arbeit geleistet. Die Leute waren so begeistert, dass wir am Abend den Tanz noch einmal aufführen mussten. Auch dieses Mal ohne irgendeinen Patzer.

Noch nach Luft schnappend zog mich Fabrizio ins Freie.

 

„Da hat uns dein Anhänger ja wirklich Glück gebracht“, meine Fabrizio und nahm mich in den Arm.

 

„Du hattest eben eine gute Idee! Danke noch mal!“, meinte ich und zog ihn an mich.

 

Unsere Lippen trafen sich zu einem Kuss.

 

„Ich liebe dich, mein tanzender Engel“, hauchte ich.

 

„Ich liebe dich auch.“

 

„He, da sind sie!“, hörte ich es rufen.

 

Alle standen sie da und grinsten. Nicola, Angela, Tino, Nina, Marcella, Christo, Sandra und Shari. Wir lösten uns voneinander und gingen in ein Gruppenknuddeln über. Ich schaute kurz in den Himmel hinauf.

Tausende Sterne waren zu sehen und ich konnte kurz eine Sternschnuppe entdecken. >Danke Mama<, dachte ich, bevor ich mich wieder den anderen zuwendete.

 

** Ende **

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