09. Türchen – Samtpfote und Engelshaar

„Wieso?“, fragte ich verwirrt.

„Ich kann nicht mehr, aber so eine Himbeercreme würde ich auch noch essen. Einen Monat dein Essen und du kannst mich durchs Internat rollen.“

Alle fingen laut an zu lachen, während Nadine schmollte.

„So, du hast gekocht und wir räumen auf“, meinte Fine.

Das war cool, dass hatte noch niemand für mich gemacht. Aber wie es so war, still sitzen konnte ich auch nicht und so half ich natürlich mit. Keine halbe Stunde später, war die Küche wieder sauber.

„Und was steht jetzt an?“, fragte Tilly.

„Was kommt im Fernsehen?“, fragte Nadine.

„Nichts gescheites, wie immer!“, antwortete Tilly.

„Zu wem gehen wir?“, fragte nun Fine.

Ich wollte schon etwas sagen, als Nadine sich zu Wort meldete.

„Ich war noch nicht bei Jens im Zimmer.“

„Ich schon“, grinste Tilly.

„Öhm…, wenn ihr wollte, können wir auch zu mir gehen“, sagte ich.

„Einverstanden“, meinte Fine, ohne auf die Antwort der anderen zu warten.

Ich musste einfach grinsen, denn irgendwie war hier alles so leicht plötzlich, aufgenommen in einen Kreis, die sich schon länger kannten. Wir verließen die Kantine und auf dem Flur kam ein Pulk anderer Schüler entgegen.

Umringt von anderen war da Kai. Als er uns sah, gab er eine Bemerkung von sich und das Gerede der anderen verstummte. Es war etwas sonderbar für mich, war ich doch jetzt anderes gewohnt.

„Ah die Dreckschwuchtel“, hörte ich plötzlich Kai sagen.

Auf einmal bereute ich es sofort, dass ich auf die Homepage geschrieben hatte… schwul na und. Und bevor ich irgendwie mich dazu äußern konnte oder reagieren, hatte Fine schon das Wort ergriffen.

„Kai, halt einfach dein Maul, du hast hier nichts zu melden.“

„Das hast gerade du zusagen“, knurrte Kai zurück.

Ich spürte Tillys Hand auf meinem Rücken, der mich einfach weiter schob. Es war zwar fein von Fine, dass sie sich jetzt für mich einsetzte, aber wegen mir einen Streit vom Zaun brechen, dass wollte ich nicht.

„Ja! Habe ich!“, meinte Fine, weiterhin im ruhigen Ton, „ihr habt mich zur Schülersprecherin gewählt und wenn dir dass nicht passt… tja, dann hast du Pech gehabt.“

„Kommt, lasst uns weiter gehen, was brauchen wir die hier…“, sagte Kai säuerlich und die Trupp setzte sich wieder in Bewegung.

*-*-*

Still saßen nun alle in meinem Zimmer. Ich wusste nicht so recht, was ich nun sagen sollte. Jemanden anzuschauen traute mich auch nicht. So sah ich auf meine Hände, die sich vor Nervosität ineinander verknoteten.

„Jens, dass darfst du dir nicht zu Herzen nehmen“, sagte Fine in die Stille.

„Kai ist und bleibt eben ein Arschloch!“, kam es von Tilly.

„War vielleicht ein Fehler das… so öffentlich einsehbar auf zu schreiben“, meinte ich leise.

„Quatsch, ich finde das gut“, meinte Nadine, „und ich werde Montag gleich einen Artikel über Untoleranz schreiben…“

Fine sah Nadine scharf an.

„… ja klar, keine Namen!“

„Und das soll etwas bringen?“, fragte ich.

Ich kämpfte mit den Tränen. Mir war so schlecht und am liebsten hätte ich meinen Krempel gepackt und wäre heim.

„Doch. Nadines Artikel werden aufmerksam gelesen“, meldete sich Gerrit zu Wort, der die ganze Zeit geschwiegen hatte.

„Sie hat so eine feine unbeschreibliche Art zu Schreiben, dass einen der Text gefangen nimmt, selbst wenn sie nur beschreiben würde, wie man einen Knopf annäht.“

„Danke Gerrit, ich wusste gar nicht dass du meine Artikel so magst“, sprach Nadine.

„Wahrheiten darf man sagen“, erwiderte Gerrit, „und wenn damit Kai einen Dämpfer bekommt, ist der Gerechtigkeit genüge getan.“

„Hugg… Herr van der Bilt hat gesprochen“, meinte Tilly scherzhaft und fing sich einen Boxhieb von Gerrit ein.

„Aua… man, warum boxt du mich?“

„Weil du es verdient hast“, meinte Gerrit und glühte ihn an.

„Ich steh nicht auf Schläge…“

„…ja du Softi, wissen wir doch.“

Nadine und Fine begannen zu kichern. Ich schaute die vier an, die vergnügt um mich herum saßen.  Ich wusste nicht ob ich mitkichern sollte, mir war nicht danach. Es klopfte und ich schaute verwundert die anderen an.

„Wer kann das sein?“, fragte Fine.

„Wenn einer nachschaut, wissen wir es“, kam es von Tilly und alle kicherten wieder.

Ich stand auf und öffnete die Tür und fand dort Jonas.

„Hallo ihr alle, ihr werdet doch ohne Getränke eure Party feiern wollen?“ sagte Jonas und trat mit einem Tablett ein.

„Par…ty?“, fragte ich.

„Du bist ein Engel, Jonas, dich schickt der Himmel“, sagte Nadine.

„Genau im richtigen Augenblick“, äußerte sich Gerrit.

Ich lief zurück zum Bett und ließ mich neben Tilly und Mika nieder.

Ich glaube ich suche das Weite, hier wird es ja immer voller. Nachher setzt sich noch jemand auf mich drauf.

„So nun gehe ich wieder, hier im Zimmer ist es eh schon so voll und passt auf Mika auf, der schaut schon so verschreckt“, meinte Jonas und machte ansatzweise den Diener.

Danke Jonas. Oh, er lächelt mich an.

Jonas wandte sich an mich.

„Es wir nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird, Jens. Glaube mir bitte. Es wird alles gut!“

Ich weiß nicht, normalerweise beruhigten solche Sätze einen überhaupt nicht, aber kaum waren Jonas Worte verklungen, fühlte ich mich schon viel besser. Er nickte mir noch einmal zu und verließ mein Zimmer wieder.

Mika hüpfte auf meinen Schoss und machte es sich bequem. Ich begann ihn zu streicheln, während ich von Jonas Getränk nippte. Das schmeckte gut.

„Irgendwann muss Jonas mit das Rezept dieses himmlischen Cocktail verraten“, meinte Tilly neben mir.

„Da muss ich dir Recht geben, es schmeckt super“, erwiderte ich.

„Ja, Jonas hat einiges auf dem Kasten. Das Internat kann froh sein, ihn zu haben“, sagte Fine.

Dann waren alle wieder ruhig und nippten an ihrem Glas, während Mika auf meinem Schoss schnurrte.

„Du Jens, Jonas hat Recht, auch wenn dass sich irgendwie nach Null acht fünfzehn Sprüchen anhört, aber du solltest dir wegen Kai nicht soviel Gedanken machen. Kai hat viele Probleme mit sich selber und überspielt das“, erklärte Fine.

Ich wusste nicht warum mich der Satz jetzt nicht so berührte und innerlich still blieb.

„Du musst ihn jetzt nicht auch noch in Schutz nehmen“, sprach Nadine.

„Will ich auch nicht“, meinte Fine, „auch wenn es sich so anhört.“

„Danke Fine, es geht auch wieder. Ich bin nur diese Offenheit hier nicht so gewohnt, kenne das nicht“, sagte ich.

„Nur mit Offenheit und Toleranz läuft dieser Laden. Wenn jeder sein eigenes Süppchen kochen würde, wäre dieses Internat kalt und ungemütlich. So wie es jetzt läuft, ist es besser.“

*-*-*

Das Klingeln des Weckers erschien mir zu laut, sicher wurden auch alle Nachbarzimmer davon geweckt. Jedenfalls stand Mika senkrecht auf meinem Bauch, machte einen Katzenbuckel und seine Haare standen ab.

„Entschuldige Mika, morgen ist der Wecker etwas leiser“, versuchte ich ihn zu beruhigen und streichelte ihn über sein Köpfchen.

Schweren Herzens verließ ich mein warmes Bett und ging ins Bad. Eine viertel Stunde später verließ ich es frisch gestylt und bereit den neuen Tag zu begehen. Doch plötzlich stutze ich. Mika saß auf dem Schreibtisch.

Neben ihn fein säuberlich sortiert, alles was ich für den Tag im Unterricht brauchte. Hatte ich gestern Abend noch etwas hingerichtet? Mir war das total entfallen, konnte mich einfach nicht erinnern.

So schob ich ein Bündel nach dem Anderen in meinen Rucksack. Noch im Gedanken, ob mich wieder jemand zum Frühstück abholen würde, klopfte es auch schon an der Tür.

„Ja?“, rief ich.

Der Türgriff wurde mehrfach hinunter gedrückt.

„Jens? Bist du schon auf? Die Tür ist noch verschlossen“, hörte ich Tilly rufen.

Oh man, stimmt hatte ich total vergessen, das ich die Tür abschloss. Vergesslichkeit war mir peinlich und im Augenblick schien das überhand zu nehmen. Ich ging zur Tür, schloss auf und öffnete sie.

„Morgen Tilly…, sorry hatte vergessen die Tür aufzuschließen.“

„Kein Problem, dachte du bist noch im Bett vielleicht. Aber erst einmal guten Morgen… hast du gut geschlafen?“

„Ja… öhm kann ich dir eigentlich nicht sagen, habe davon nichts mitgekriegt.“

„Immer zum Scherzen aufgelegt, was?“, meinte Tilly.

„Frühstück?“

„Ja Frühstück, komm die anderen warten sicher schon.“

So verließen wir mein Zimmer und ich schloss hinter mir ab.

„Und? Hast du dir schon überlegt, was du in den Leerstunden belegen willst?“

„Etwas, also ich würde gerne Italienisch belegen und es gibt Volleyball habe ich gesehen und bei Multimedia… dass wird wohl irgendetwas mit Computer werden, weil ich mich da einfach noch zu wenig auskenne.“

„Cool, bei Volleyball hast du Gerrit zur Seite, der spielt das für sein Leben gerne.“

„Aha.“

„Italienisch ist selten belegt, aber sicher auch eine schöne Sprache. Was deine Computerkenntnisse betrifft, keiner Sorge. Hier gibt es genug Schüler, die dir da auch weiterhelfen können.“

„Gut zu wissen“, erwiderte ich, als wir die Kantine betraten.

*-*-*

Herrchen hat gar nicht mitbekommen, das Jonas hier war und etwas auf seinem Tisch gemacht hat. Und jetzt ist er schon wieder und macht das Bett. Mir hat er sogar etwas zum Essen mitgebracht.

„Klar, du hast doch Hunger, oder?“, fragte Jonas.

Ich habe immer Hunger!

„Wie alle Katzen hier“, kam es von Jonas, „so ich bin fertig lass es dir schmecken, ich habe noch so einiges zu tun. Also bis später und verrate mich nicht.“

Wie soll ich dich denn verraten, Herrchen versteht mich eh nicht.

„Dein Herrchen versteht dich besser als du denkst!“

Und schon war Jonas wieder verschwunden. Konnte Herrchen auch durch Wände gehen?

*-*-*

Noch schnell meinen Rucksack holen und dann in die erste Stunde. Ich war gespannt, wie die Lehrer hier waren. Auf der alten Schule gaben sie sich immer recht gelangweilt, hoffend, dass die Stunde bald vorüber war.

Ich schloss die Tür auf und blieb wie angewurzelt stehen.

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