06. Türchen – Samtpfote und Engelshaar

„Du musst dich nicht sofort entscheiden, denn es müssten auch noch einige grundlegende Dinge geregelt werden. Wir können uns nächsten Freitag hier wieder treffen.“

„Danke. Reizen würde mich das schon.“

„Das ist ja schon mal ein Anfang. So hier habe ich deine Unterrichtsstunden, habe mir erlaubt dir dazu zuschreiben, bei welchem Lehrer und in welchem Zimmer du Unterricht hast. Deine Bücher bekommst du bei Jonas, ebenso alles was du an Schreibmaterial und sonst so brauchst.“

„Kann ich das heute schon holen, oder soll ich bis morgen warten?“

„Jonas müsste jetzt auf seinem Zimmer sein, einfach klopfen. So… war noch etwas… nein ich denke, das war es fürs Erste. Dann wünsche ich dir noch einen schönen Sonntag.“

„Danke… ebenso.“

Ich hatte Sönkers Zimmer wieder verlassen und schaute auf den Stundenplan. Hier war wirklich vieles anders, als ich es bisher gewohnt war. Schon der Stundenplan war anders gestaltet, als ich es kannte.

Am Morgen hatten wir vier volle Stunden mit jeweils zehn Minuten Pause dazwischen und nach dem Mittagessen noch einmal drei. Wenn ich da Hausaufgaben oder noch lernen sollte, war das gleich von Anfang an volles Programm.

Auch wusste ich nicht, wie weit die hier mit dem Lehrstoff waren, da würde einiges noch sicher auf mich zukommen. Ich erschrak ein wenig, dass ich schon vor meiner Tür stand. Wie schnell sich doch ein Weg einprägen konnte.

Mein Blick wanderte nach rechts, wo sich Jonas Zimmer befand. Sollte ich wirklich heute die Bücher holen? Wenn ich aber morgen etwas brauchte… Ich war unentschlossen. Das Frühstück war um sieben festgelegt und um acht ging die erste Stunde los.

Da war echt nicht viel Zeit um, noch die Bücher zu besorgen. So beschloss ich, bei Jonas anzuklopfen. Es dauerte auch nicht lange und Jonas öffnete sie.

„Hallo Jens… und gut geschlafen?“

„Halle… ja danke.“

„Was kann ich für dich tun?“

„Herr Sönker meinte, ich könnte wegen der Schulbücher zu dir kommen.“

„Klar, Moment, ich muss nur noch die Schlüssel holen.“

Ich nickte, während er mich an der Tür stehen ließ, um seine Schlüssel zu holen. Jonas war vom Alter her schlecht einzuschätzen. Schaute man ihm ins Gesicht, würde ich ihn so wie ich bei siebzehn einschätzen.

Da ich aber wusste, dass er eine Ausbildung hatte und die sicher länger ging, müsste er schon mindestens zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig sein. Ich seufzte. Schon wieder machte ich mir Gedanken über andere Kerle, wollte ich doch mit dem Thema abschließen.

„So da bin wieder und schon kann es los gehen… man folge mir unauffällig.“

Das tat ich, ohne ein Wort zu sagen, folgte ich Jonas durchs Haus, bis wir im Keller waren.

„Du entschuldige Jens, ich habe bei dir keinen Computer gesehen. Noch nicht ausgepackt, oder hast du keinen?“

„Ähm… wir haben zu Hause einen Familiencomputer, den ich mitbenutzen durfte… einen eigenen besitze ich nicht.“

„Gut, dann bekommst du einen vom Haus, du musst mir nur noch sagen, wo du ihn hingestellt haben möchtest.“

„Ähm… wow, den kriege ich einfach so?“

„Jeder hier soll die gleichen Chancen haben Jens. Wundere dich nicht, das Haus ist sehr gut ausgerüstet. Wenn es dich nicht stört, komme ich heute Mittag vorbei und schließe ihn dir an.“

Ich grinste etwas.

„Ich habe noch nichts vor heute Mittag, außer vielleicht meinen Stundenplan zu studieren und zu schauen, wo ich morgen überall hin muss.“

„Du kannst einen Hausplan von mir bekommen, wo alle Zimmer liegen.“

„Das wäre nett und sicher hilfreich.“

Jonas blieb stehen und zog einen großen Schlüsselbund hervor. Er schloss die schwere Holztür auf und ermöglichte mir somit Einblick in den Raum dahinter.

„Hast du irgendwelche Sonderfächer?“

„Was für Sonderfächer?“

„Sonderfächer… Es gibt den festen Unterricht und es gibt Sonderfächer, die du wählen kannst. Hast du das nicht im Stundenplan stehen?“

„Ich habe noch keine Sonderfächer ausgewählt… ich weiß nicht mal, welche es gibt.“

„Kann ich deinen Stundenplan mal sehen bitte?“

Ich reichte Jonas das Blatt. Jonas lass vertieft auf dem Blatt und ging dann zu den verschiedenen Regalen und zog Bücher oder Hefte heraus. In der Beleuchtung des Raumes, hatte er irgendwie so etwas Engelhaftes an sich, als würde sein Körper strahlen.

Jonas schaute auf und lächelte mich kurz an, bevor er weitere Sachen hervorzog. Letztendlich stand ein riesen Stapel vor mir. Dazu kamen dann noch Collegehefte und Stifte verschiedenster Art.

Alles zusammen packte er in einen Karton.

„Ah, sehe schon, du hast drei Leerfelder, also machen wir das später.“

„Ach so und ich dachte, das wären Freistunden.“

„Nein, der Unterricht besteht aus sieben Stunden am Tag und das von Montag bis Freitag. Samstag ist für die Clubs reserviert und Sonntag ist frei. Hausaufgaben gibt es keine, nur die Lernzeit für die Prüfungen.“

„Schreiben wir keine Arbeiten?“

„Eure Lehrer bewerten eure Arbeiten während eurer Stunden, es wird sehr viel Wert auf Mitarbeit und Teamwork gelegt, aber das wirst du selber sehen.“

„Und was für Sonderfächer gibt es?“

„Eins sollte eine weitere Fremdsprache sein, das Zweite etwas Sportliches, das Dritte sollte sich mit Multimedia beschäftigen.“

„Uffz, da kommt ja einiges auf mich zu. Muss ich mich sofort entscheiden?“

„Ich denke, du hast wie die anderen die ganze Woche Zeit, um dir die Fächer heraus zusuchen, die dir am meisten liegen. Dann können wir immer noch das geeignete Lehrmaterial für dich heraussuchen.

„Danke!“

„Nichts zu danken, dafür bin ich da.“

*-*-*

Dieses Lächeln und der Blick gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Aber Jonas war mindestens fast zehn Jahre älter als ich und ob er überhaupt schwul war.

Egal, ich wollte weiter warten, bis Mr. Right vor mir stand und diese berühmten Flugzeuge im Bauch zu spüren waren. Eben war das höchstens eine einzelne Ameise. Jonas wollte in einer halben Stunde noch vorbeikommen, um den Computer aufzustellen.

Also musste ich mich beeilen, um noch etwas mein Zimmer aufzuräumen. Überhaupt sollte ich mir angewöhnen, mein Zimmer weitgehend sauber zuhalten, da immer wieder jemand kam, der das Zimmer sehen konnte.

Polternd ließ ich den Karton auf meinen Schreibtisch ab. Mika schaute neugierig, aber erhob sich nicht.

„Na, kein Sparziergang heute?“, fragte ich Mika und kraulte ihn zwischen den Ohren.

Ich räumte meine Klamotten zusammen, die sich mittlerweile im ganzen Zimmer verteilt hatten, halt ich korrigiere mich, die ich im Zimmer verteilt hatte. Fein säuberlich legte ich sie über die Stuhllehne.

Wenn Jonas sich hier drauf setzten wollte, störte der Haufen nur, also entschloss ich mich, sie gleich zu verräumen. Als ich gerade damit fertig war, klopfte es an der Tür. Erwartungsgemäß sollte Jonas vor der Tür stehen.

Aber es war Tilly, mit noch jemandem im Schlepptau, den ich noch nicht kannte.

„Hallo Jens, Gerrit und ich wollen eine Runde spazieren gehen, hast du Lust mitzukommen?“, fragte Tilly.

„Gerne, aber Jonas kommt gleich und stellt mit den Computer auf.“

„Ach so, dann ein andermal, bye!“

„Tschüß“, meinte ich und schloss die Tür wieder.

Kaum den Türgriff losgelassen, klopfte es erneut und dieses Mal war es Jonas. Lächelnd wie immer stand er mit einem Wagen voll Elektronik auf dem Flur.

„He, du hättest ruhig mitgehen können, ich bin hier schnell fertig“, meinte Jonas.

„Soll ich dir nicht helfen?“

„Nein, das geht schon… beeile dich, sonst erwischt du die beiden nicht mehr.“

„Echt? Danke… und ich soll wirklich nicht bleiben.“

„Nun hau schon ab“, meinte Jonas und lächelte.

„Okay“, sagte ich und schnappte mir meine Jacke.

Ich verließ mein Zimmer, rannte den Flur entlang und wollte die Treppe nehmen. Da stieß ich hart mit jemand zusammen.

„Scheiße, verdammt was soll das?“

Das war Kai, der vor mir auf dem Boden lag.

„Tut mir Leid, ich habe dich nicht gesehen“, sprach ich.

„Vielleicht würdest du erst einmal deinen Grips einschalten, bevor du in Aktion trittst!“, erwiderte Kai sauer.

„Das kann…“

„Ach halt das Maul“, meinte er unwirsch und stand wieder auf.

„Wie kann man nur so sauf doof sein“, hängte er noch an und verschwand fluchend.

Ich spürte eine Hand an meiner Schulter. Da stand Gerrit hinter mir.

„Eh… hallo, ihr seid noch nicht weg?“, fragte ich und stand ebenfalls wieder hoch.

„Tilly musste noch mal auf die Toilette. Hast du dir weh getan?“

„Nein, geht schon…“, antwortete ich und zupfte meine Klamotten zu Recht.

„Er wird immer schlimmer“, flüsterte Gerrit.

„Bitte?“

„He, du kommst doch mit?“, kam es von Tilly, der aus Richtung seines Zimmers kam.

„Ja, Jonas baut den Computer alleine auf.“

Tilly schaute mich und Gerrit an.

„Ist etwas passiert?“

„Kai ist passiert“, meinte Gerrit leise.

„Kommt, last uns erst einmal nach draußen gehen“, meinte Tilly und zog mich die Treppe hinunter.

Ich folgte den beiden nach draußen.

„Boah ist das kalt, wenn es so weiter geht, bekommen wir bald Schnee hier“, sagte Tilly und zog den Reisverschluss seiner Jacke zu.

Ich folgte seinem Beispiel und ärgerte mich keinen Schal mitgenommen zu haben. Tilly steuerte die Auffahrt der Schule hinunter, Gerrit und ich taten es ihm gleich.

„Warst du schon mal am See?“, fragte Gerrit.

„Ich bin erst angekommen, ich kenne mich hier absolut nicht aus. Einen See? Den habe ich nicht einmal gesehen. Das Internat scheint hier so ziemlich das einzige zu sein, was hier steht, oder?“

„Nein“, kam es von Tilly, „hier gibt es sogar ein kleineres Dorf in der Gegend, mit kleinem Kaufladen, einer Kneipe und einer Tankstelle.“

„Hört sich winzig an“, erwiderte ich.

„He, alles was wir brauchen, bekommen wir hier. Aber so ein kleiner Ausflug ins Dorf macht auch Spaß.

„Was war mit Kai?“, fragte Tilly plötzlich.

„Ach, ich habe ihn nicht gesehen und umgerannt“, antwortete ich.

Tilly kicherte, hörte aber unter Gerrits strengem Blick sofort wieder auf.

„Das war nicht lustig…, er war nur beleidigend… total mies.“

„Das ist Kai! Ein arrogantes oberflächliches Arschloch.“

Gerrit verzog nach Tillys Worten und vergrub sein Gesicht weiter in seinen Kragen der Jacke.

„Dann sollte ich ihm wirklich aus dem Weg gehen…“

„Das habe ich dir ja schon gesagt, meide ihn, er bringt nichts Gutes, er hat schon zuviel Schaden hier in der Schule angerichtet…“, sagte Tilly.

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