12. Türchen – No one else II

„Davide…“

„Davide… wach auf!“

„Hm?“

„Komm Davide, du bist eingeschlafen, willst du nicht lieber ins Bett kommen?“

Ich öffnete die Augen und sah in Placidos strahlendes Gesicht.

„Wo ist Mama`?“

„Deine Mutter? Warum fragst du, die ist nicht hier?“

Ich setzte mich auf und musste feststellen, dass ich im Wohnzimmer auf der Couch lag.

„Sorry, muss geträumt haben…“

„Scheint ein sehr realistischer Traum gewesen zu sein.“

„Ja, so ziemlich… Mama kam mit einem Telegramm, darin stand, das Bianchi Senior kommen würde und mit ihr reden wollte. Wir sind dann alle gemeinsam ins St. Regis gefahren um ihn dort aufzusuchen…, und dann noch wegen deiner Tante, dass sie endlich operiert wird und du sie zu uns in Haus holen wolltest.“

„Dich nimmt das ganze anscheinend mehr mit, als dir klar ist, Davide“, meinte Placido und setzte sich neben mich.

„Ach, ich weiß auch nicht.“

„Dir wird das alles zu viel.“

„Das will ich nicht mal sagen, aber ich sehne mich nach den ruhigen Tagen mit dir zurück.“

„Sollen wir einen kleinen Urlaub machen?“

„Nein“, meinte ich und schüttelte den Kopf, „so viel arbeite ich jetzt nicht, dass ich Urlaubsreif wäre.“

„Aber dein Pensum am Tag ist schon heftig.“

„Das kommt dir nur so vor, wenn du in deinem Atelier bist, dann bekommst du vieles nicht mit.“

„Und warum kommst du dann nicht zu mir?“

„Weil ich dich in deiner Kreativität nicht stören möchte.“

„Aber du störst mich doch nicht.“

Darauf sagte ich nichts, sondern lächelte ich in an.

„Aber das mit Tante Valerie ist eigentlich eine gute Idee. Sie wäre dann nicht mehr so alleine. Das Haus ist groß genug um dort noch eine Wohnung für sie unterzubringen.“

„Da spricht mal wieder dein großes Herz!“, sagte ich und ließ mich in seine Arme sinken.

„Und das mit der Operation bekommen wir schon irgendwie hin, sie muss nur wollen! Aber lass uns das Morgen weiter bereden, jetzt ist es Zeit fürs Bett!“

Ich nickte und ließ mich hoch ziehen.

*-*-*

„Du bist früh auf“, meinte ich, als ich die Küche betrat und Placido Kaffee trinkend vorfand.

„Ja, ich konnte nicht mehr schlafen… guten Morgen!“

Ich bekam einen Kuss.

„Guten Morgen!“

Ich ließ mir auch einen Kaffee heraus und setzte mich zu ihm, während Placido in der Zeitung weiterlass.

„Und was gibt es Neues in Florenz und in der Welt?“

„Nichts Besonderes, das Haushaltsloch wird immer größer, ein paar neue Ausstellungen…“

„Sollte mal mit Letizia reden, dass sie mehr interessanter Berichte bringen.“

Placido lächelte. Klar waren damit meine Berichte gemeint.

„Oh…“, kam es von Placido.

„Was?“

Placido schob die Zeitung zu mir und sein Zeigefinger war auf einen Artikel gerichtet.

„Amerikanische Zeitung versucht in Florenz Fuß zu fassen…, na und? Wir sind das Tagesblatt von Florenz, dass werden die uns wohl nicht streitig machen. Das belebt das Geschäft.“

Placido schaute mich durchdringend an.

„Was?“

Er seufzte.

„Ist dir schon mal in den Gedanken gekommen, dass dieser Bianchi sich hier breit machen möchte? Ist schließlich seine Geburtsstadt.“

Leicht zweifelnd schob ich die Zeitung zurück.

„Glaubst du wirklich?“

„Ob er nur wegen seinem Sohn über den Teich kommt, oder eher um die Chancen hier für eine neue Zeitung auszuloten, wer weiß das schon.“

„Aber warum hat sein Sohn so komisch im Hotel reagiert?“

„Alles Fragen, die ich dir nicht beantworten kann.“

Ich griff nach einem Apfel und biss hinein.

„Kein Frühstück?“

„Vielleicht später“, antwortete ich lächelnd.

Ich stand auf, gab ihm einen Kuss, schnappte mir meinen Kaffee und wanderte in mein Büro. Dort ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen und starrte auf meinen schwarzen Monitor. Ich griff nach meinem Telefon und wählte Letizias Nummer.

„Guten Morgen der Herr, auch schon wach?“, war ihre Begrüßung.

„Auch guten Morgen, Letizia, ich steh immer so früh auf.“

Ich musste lächeln.

„Der Herr wünscht?“

„Der Herr wollte nur mal mit seiner besten Freundin reden.“

Sie lachte.

„Schon gut Davide, ich bin es nur nicht gewohnt, dass du mich so früh anrufst. Wie weit ist dein Artikel?“

„Hast du spätestens gegen eins auf deinem Tisch!“

„Gut, ich schickte ihr den Artikel per Mail, aber irgendwie war der Spruch auf-deinem-Tisch so verinnerlicht, dass ich es so benutzte und nicht auf die Mail hinwies.

„Was von unserem mysteriösen Reporter gehört?“

„Nein keine besonderen Vorkommnisse…, ach was mir einfällt, Placido und ich haben in den News gelesen, dass hier ein amerikanischer Verleger mit seiner Zeitung Fuß fassen möchte.“

„Ja, habe da am Rande etwas mitbekommen, wie du ja weißt, ist das nicht meine Abteilung.“

„Könnte das Bianchi sein?“

„Emiliano Bianchi Senior? Nicht dass ich wüsste. Zudem ist er Chefredakteur und kein Verleger!“

„Hast du schon mal nachgeschaut, wem die Zeitung gehört, für die, die Bianchis arbeiten.“

„Nein, bisher war das nicht so wichtig, für mich jedenfalls, aber wenn du kurz wartest, kann ich nachschauen.“

„Hast du nicht zu viel zu tun?“

„Nein, heute Morgen ist es eher ruhig…, also da steht, die Zeitung gehört einer Holding Gruppe und der Vorsitz hat… eine Sophie Edwards…“

„Moment, mein Laptop ist gerade hochgefahren, ich schau nach wer das ist?“

Ich gab den Namen ein und fand erst nichts. Da spezifizierte ich die Eingabe und siehe da, das Word Wide Web spukte Informationen aus.

„Ah…“

„Was?“, wollte Letizia wissen.

„Sophia Edwards, Tochter und Erbe des verstorbenen Großindustriellen Patrick Edwards, verheiratet mit dem Italoamerikaner Emiliano Bianchi…“

„Shit…, er arbeitet für seine Frau?“

„Du weißt doch wie das so ist, mit den Steuern zahlen und so, nach öffentlichem Recht als Angestellter der Zeitung, braucht Bianchi nicht viel Steuern zu zahlen, als Besitzer wesentlich mehr, aber das ist nicht der springende Punkt! Er hängt bei der Zeitung mit drin, soviel ist sicher.“

„Ich glaube, ich sollte doch gleich mal ein kurzes Gespräch mit Fabrizio Gallo führen.“

„Der von den News?“

„Ja, er hat ein Wörtchen mit zureden, was alles bei uns veröffentlicht wird und ich denke, der weiß wie immer mehr.“

„Dann tu das!“

„Gut, ich melde mich dann später wieder bei dir, wenn ich mehr weiß.“

„Okay, bye!“

„Bye Davide!“

Das Gespräch war beendet und ich schaute wieder auf den Bericht über Sophie Edwards. Ich klickte auf Galerie und wenig später ging ein Bild auf. Eine blondierte Dame um die fünfzig oder eher sechzig, als Mutter von Emiliano Junior eher älter, durchschnittliches Aussehen und stark geschminkt, jedenfalls auf allen Bildern, die folgten.

Mein erster Eindruck war, mit der wollte ich mich nicht anlegen. Ich schloss die Internetseite und öffnete meinen Artikel über die Frage, wie viele Galerien Florenz noch brauchte. Schließlich gab es weit mehr als siebzig davon in Florenz und sämtliche Genre waren abgedeckt.

Die Museen waren früher in privater Hand und wurden erst spät verstaatlicht. Die Frage war, wie viel Geld die Kunst wirklich wert war. Der Wert war schlecht zu schätzen.  Bei einem Zeitungsverlag wie unserer war der Preis schon eher festzulegen.

Mein Gedanke stoppte in diesem Augenblick, um für einen neuen Gedanken Platz zu machen. Die Edwards war eine reiche Frau. Was wenn die Frau sich hier in Italien breit machen wollte um sich ein Standbein in Europa zu sichern?

Und wie wäre das besser zu verstecken, in dem man etwas im Ausland kauft? Meine Vermutung ging in die Richtung, dass sie nicht ihre Zeitung hier etablieren wollte, sondern eher unsere Stadtzeitung aufkaufen wollte.

Mein Artikel wurde zur Nebensache und ich beschloss ihn so wie er war zu Letizia zu schicken. Also speicherte ich ihn ab und versandt ihn wenig später per Mail. Danach schloss ich alle Programme und widmete mich wieder dem Internet.

Als Angestellter unserer Stadtzeitung hatte ich natürlich zugriff, zu diversen Datenbanken, auf die Otto Normalverbrauchen keinen Zugriff hatte, wo ich mir gerade Mittels meines Passwortes den Zugriff verschaffte.

Wieder gab ich den Namen Emilianos Mutter ein und siehe da, sofort öffnete sich eine Seite mit ihrem Werdegang. Das Profil war einfach zu lesen, denn sie war von Anfang an von Beruf Tochter.

Eliteschulen und Universitätsbesuche. Das geschätzte Vermögen ließ mich einen Pfiff ausstoßen. Interessanter war da noch, wo diese Mrs. Edwards überall involviert war. Sie war in verschiedenen Vorständen tätig und natürlich in zahlreichen Wohltätigkeitsprojekten, auch internationen.

Die Summe der genannten Projekte und Firmen, deckten ein breites Gebiet der Informationen ab, welches man gezielt eingesetzt, eine gute Basis für diverse Geschäfte schaffen konnte. Warum nicht auch der Kauf einer ausländischen Zeitung?

Ich stand auf und verließ mein Büro. Da Placido nicht mehr in der Küche war, suchte ich ihn in seinem Büro auf. Leise klopfte ich und schob die Tür auf. Aber auch hier war er nicht. So probierte ich es in seinem Atelier und wurde prompt fündig.

„Hallo Schatz, schon so Sehnsucht nach mir?“, fragte er lächelnd.

Er saß vor einer Staffelei mit Farbpallette und Pinsel in den Händen.

„Wenn ich jetzt nein sage, bist du dann eingeschnappt?“, fragte ich grinsend und nahm ihn kurz von hinten in den Arm.

„Sicher!“

Ich ließ ihn wieder los.

„Ich hatte gerade ein Gespräch mit Letizia, wegen meines Artikels und da kamen wir natürlich auch auf Bianchi zu sprechen.“

„Und was sagt sie?“

„Dass Bianchi sicher nicht hier ist, wegen einer neuen Zeitung, denn er ist nur Chefredakteur, nicht Besitzer der Zeitung.“

„Und wem gehört die Zeitung?“

„Einer Holdinggruppe!“

„Da ist es schwierig Besitzverhältnisse zu bestimmen.“

„Bianchis Frau hat den Vorsitz…!“

„Oh, das ändert die Sache. Dann könnte Bianchi doch etwas damit zu tun haben.“

„Ich habe mir Informationen über die Edwards angeschaut.“

„Edwards?“

„Sophie Edwards, Tochter und Erbin des verstorbenen Großindustriellen Patrick Edwards und Frau des Italoitalieners Emiliano Bianchi“, wiederholte ich das vorhin im Internet gelesene.

„Sophie Edwards…“, grübelte Placido und legte seine Farbpallette ab, „der Name sagt mir etwas…, Moment.“

Er wühlte in dem Haufen Tücher herum, die neben ihm auf einem Tisch lagen.

„Ah, da…“, meinte er und fischte sein Handy aus der Haufen.

Er tippte irgendetwas ein.

„Da ist es…, ich habe ein Kaufangebot für eine Statue von einer Sophie Edwards. Hat mir Emma vor zwei Tagen geschickt.“

Ich kratzte mich am Hinterkopf. Ob das jetzt Zufall war?

„Was geht in deinem kleinen Köpfchen vor?“, wollte Placido wissen und begann seinen Pinsel zu reinigen.

„Ich weiß nicht recht…, zu viele Puzzleteile und zu wenig Informationen, aber ich denke, es gehört irgendwie alles zusammen.“

Den sauberen Pinsel steckte er zu den anderen und widmete sich nun vollends mir.

„Davide, du sprichst in Rätseln!“

Mein Blick hing auf der angefangenen Landschaft, an der Placido derzeit malte.

„Ich weiß nicht wo ich anfangen soll…!“

„Wie wäre es von vorne?“

„Da gibt es keinen Anfang.“

„Komm lass uns rüber gehen, hier ist nicht der richtige Raum zum Reden.“

„Jetzt habe ich dich doch gestört.“

„Nein, hast du nicht, ich konnte mich eh nicht recht konzentrieren“, meinte er und gab mir einen Kuss.

*-*-*

„Da wäre einmal Emiliano Junior, der hier auftaucht, um ein Interview mit dir… uns zu führen, aber nur Interesse an deinem Vermögen, deiner und meiner Familie hat…“, begann ich Placido aufzuzählen, während wir beide wieder in der Küche an der Theke saßen.

„Und dann in Panik verfällt, weil sein Vater anreist, was auch wieder wunderlich ist. Seine Frau, die in Italien Fuß fassen möchte und eine Skulptur von dir kaufen will. Was ist, wenn sie nicht eine neue Zeitung gründen möchte sondern die hiesige Stadtzeitung kaufen will, Mittel und Verbindungen hätte sie genug!“

„Gehen da nicht die Pferde mit dir durch, Schatz? Warum sollte sie hier die Zeitung kaufen?“

„Weiß nicht, aber es wäre ein Standbein in Italien, mit dem man viel anfangen kann, in Hinsicht auf Europa gesehen.“

„Wow, wow, wow Schatz du denkst in Dimensionen, wo ich dir nur schwer folgen kann!“

Ich wollte gerade etwas darauf sagen, als sich unsere Türglocke bemerkbar machte. Placido schaute mich fragend an, aber ich zuckte mit den Schultern.

So lief ich in den Flur und schaute mittels Monitor, wer unten vor der Tür stand. Letizia? Wie war denn die so schnell hier her gekommen? Ich drückte den Öffner und öffnete die Wohnungstür.

„Das ist echt der Hammer!“, hörte ich die ärgerliche Stimme Letizias und wie sie die Treppe herauf rannte.

„Letizia, wie kommst du so schnell hier her?“, fragte ich nur und sah den Wirbelwind auf mich zu rennen.

„Ich habe gerade erfahren, dass unserer Zeitung ein Kaufangbot vorliegt!“

„Komm rein!“, meinte ich nur und führte sie in die Küche.

„Hallo Letizia!“, begrüßte sie Placido, stand auf, nahm sie kurz in den Arm.

„So und nun wiederhole, was du eben im Flur gesagt hast!“

„Das jemand unsere Stadtzeitung aufkaufen möchte?“

„Ja!“, meinte ich und spürte Placidos verwunderten Blick auf mir.

„…Kaffee?“, fragte Placido.

„Ja, danke“, sagte Letizia und warf ihren Mantel über die Rückenlehne der Couch.

„Und wer will die Zeitung kaufen?“, fragte ich neugierig.

„Damit wollte Fabrizio nicht rausrücken, noch zu unklar wäre die ganze Sache!“

„Nicht vielleicht eine gewisse Holding Gruppe aus New York?“

Letizia machte große Augen und bewegte sich erst wieder, als Placido ihren Kaffe vor ihr abstellte.

„Du meinst…“, begann sie.

„Sophie Edwards, ist wie vorhin gelesen, die Vorsitzende der Holdinggruppe und wahrscheinlich auch Inhaberin. Sie ist steinreich, in vielen Vorständen anderer Firmen tätig und hat einige Ämter bei wichtigem internationalem Wohltätigkeitsprojekte inne. Genug um Informationen in aller Welt zu sammeln.“

„Aber warum gerade hier in Florenz?“

„Nenn es Zufall, oder vielleicht auch, weil es die Geburtsstadt ihres Mannes ist?“

„Und wie passt da Emiliano Bianchi Junior ins Bild?“, wollte Placido wissen.

„Kann ich dir nicht sagen, aber vielleicht haben sie Angst, dass der Junior sich verplappern könnte und der Vater will schlimmstes verhindern.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen“, meinte Letizia und trank einen Schluck, „nach dem, wie er sich gestern Abend benommen hatte.“

Wieder ertönte der Türgong.

„Sag mal, was ist denn heute Morgen nur los“, meinte ich leicht angepisst und lief erneut zur Wohnungstür.

Ein Knopfdruck und der kleine Monitor an der Sprechanlage nahm seinen Dienst auf.

„Mama?“, fragte ich erstaunt.

 

 

This Post Has Been Viewed 450 Times

Rating: 4.50/5. From 2 votes.
Please wait...

2 Kommentare

    • Gerd auf 12. Dezember 2017 bei 10:33
    • Antworten

    War das nun ein Traum mit dejavu oder eine Vorahnung?

    Klasse Spannungsbogen

    No votes yet.
    Please wait...
    • Andi auf 12. Dezember 2017 bei 13:03
    • Antworten

    Echt klasse, eine Vorahnung geträumt. Bin echt gespannt, wie das weitergeht.

    No votes yet.
    Please wait...

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.