11. Türchen – No one else II

Also doch, da hatte Placido ohne Wissens Recht gehabt. Der Alte kam tatsächlich über den Teich. Wir drei sahen uns an. Der Kellner kam zurück und servierte uns das Bestellte.

„Sonst noch einen Wunsch, Seniore Romano?“, fragte er.

„Danke nein“, lächelte er den Kellner an.

„Mist…“, kam es leise von Letizia, als der Kellner uns verlassen hatte.

„Was?“, wollte ich wissen.

„Unser junger Freund, hat mitbekommen, dass wir hier sind!“

Automatisch drehte sich mein Kopf wieder zur Rezeption, wo ich nur noch den Rücken von Emiliano zu sehen bekam. Er lief bereits zum Aufzug.

„Soll er doch“, meinte Placido und nippte von seinem Kaffee.

„Und was machen wir jetzt?“, fragte ich und machte mich über meinen Kuchen her.

„Sollen wir nicht Dana und Emilio verständigen?“, wollte Letizia, sichtlich nervös, wissen.

„Warum denn? Wir genießen jetzt unseren Kaffee mit Kuchen, dann werden wir weitersehen“, meinte Placido.

Er war total gelassen und entspannt, oder er konnte gut schauspielern.

„Die können wir auch noch später informieren. Wichtig wäre jetzt, mehr über deren Vorhaben heraus zu bekommen.“

„Und wie stellst du dir das vor?“, fragte ich.

„Das weiß ich auch nicht!“, antwortete Placido und nahm ein Stück von seinem Kuchen.

*-*-*

Als wir den Innenhof befuhren, sahen wir einen Lieferwagen, auf dem irgendetwas mit Internet stand. Gerade als wir ausstiegen, verließ dieser dann den Hof.

„Nanu, was wollte der denn hier?“, fragte Placido.

„Ich weiß es nicht.“

Gemeinsam betraten wir das Haus und liefen direkt hoch in die Wohnung. Oben angekommen, lief uns Jakob über den Weg.

„Jakob, weißt du, was diese Internetfirma hier wollte?“, fragte ich.

„Die haben die Anschlüsse im Café fertig gestellt und ich habe gefragt, ob sie sich in der Wohnung noch einmal die Anlage anschauen, weil dort öfter Störungen auftreten.“

Das war mir bei meiner Arbeit am Laptop auch schon aufgefallen.

„Und, das Problem gefunden?“

„Ja, war irgendetwas falsch angeschlossen, jetzt sollte es einwandfrei laufen.“

Ich nickte und Jakob verschwand in seinem Zimmer.

„Was machst du jetzt?“, wollte Placido wissen.

„Erst mal etwas Bequemeres anziehen, dann sehen wir weiter.“

„Gute Idee, den ganzen Tag im Anzug herum laufen ist auch nicht angenehm.“

„Du hättest etwas anderes anziehen können… zum Beispiel du hast den gleichen Pullover.“

Ich lächelte ihn an.

„Im Partnerlook? Interessant, vielleicht beim nächsten Mal!“

Beide betraten wir das Schlafzimmer. Ich stoppte abrupt, irgendetwas war anders.

„Wo ist dein Bild?“, fragte Placido hinter mir

„Hm?“

„Dein Bild ist weg!“, sagte Placido nun etwas lauter und zeigte auf das Kopfende unseres Betts.

Tatsächlich, da wo ich vorher in lasziver Stellung gehangen hatte, war jetzt eine weiße Fläche.

„Jakob!“, rief ich laut.

Wenige Sekunden später öffnete sich Tür zu Jakobs Zimmer.

„Ja?“, rief er durch den Flur.

„Wer war in unserem Schlafzimmer?“

„Ähm… nur ich, warum?“

„Das Bild über dem Bett ist weg!“

„Oh, dass hatte ich ganz vergessen…“

„Was?“, fragte Placido leicht angesäuert.

„…ähm… ich habe das Bild abgehängt, weil hier so viele fremden Leute in der Wohnung waren. Ihr habt gesagt, wie viel es wert ist und da ich nicht alle Handwerker im Auge behalten konnte, habe ich es schnell abgehängt und im Schrank versteckt?“

„Im Schrank?“, fragte ich ungläubig.

„Ja…, sorry“, meinte Jakob und drückte sich in geduckter Stellung an mir vorbei.

Er lief zu meinem Schrank, öffnete ihn und hinter meinen Klamotten kam das Bild zum Vorschein.

„Was sollten die Handwerker in unserem Schlafzimmer wollen, wir haben hier nicht mal Internetanschluss“, sagte Placido verärgert.

„Die haben gefragt, ob sie in jedem Raum die Stärke des Signals messen können, da kam mir der Gedanke, es abzuhängen.“

Er zog es vorsichtig heraus, lief zum Bett und hängte es wieder vorsichtig auf. Dann ging er ans Bettende und schaute, ob es gerade hing. Grinsend drehte er sich wieder zu uns.

„So erledigt. Du siehst wirklich gut aus“, meinte er, „wenn ich das beurteilen kann.“

Er ließ uns wieder alleine.

„Ich sollte vielleicht mit dem Elektriker reden, ob es möglich wäre, dass Bild an die Alarmanlage unten an zu hängen“, meinte Placido und zog seinen Blazer aus.

„Du hast recht, nicht jeder hat so ein sündhaft teures Bild im Schlafzimmer hängen!“

*-*-*

Placido war in seinem Büro verschwunden, während ich mir gegen alle Angewohnheiten, einen Tee machte, weil mir etwas kühl war. Mit dampfender Tasse, ging ich in mein Büro und fuhr den Laptop hoch.

Ich wollte mich gerade in den Bericht vom Frühjahrskonzert einlesen, als der Türgong sich bemerkbar machte. Erwarten taten wir niemand. Da ich wusste, dass Placido, wenn einmal im Büro auf nichts reagierte, machte ich mich zur Eingangstür.

Auf dem kleinen Bildschirm der Sprechanlage konnte ich Mutter erkennen. Was wollte sie um diese Zeit hier? Ich drückte den Öffner, lief hinaus zur Treppe und ging ihr entgegen. Ich hörte, wie die schwere Holztür aufgeschoben wurde und als ich um die Rundung der Treppe herum war, kam meine Mutter in Sicht.

„Mama, was tust du hier?“

„Hallo mein Sohn, freust du dich nicht, mich zu sehen?“

„Natürlich Mama, aber du hättest auch anrufen können, ich wäre gerne zu dir gekommen.“

„… und deinem schlecht gelaunten Vater in die Arme zu laufen? Nein! Und außerdem musste ich mal raus, mir fällt die Decke zu Hause auf den Kopf.“

Mittlerweile bei ihr angekommen, umarmte ich sie. Sie lächelte, nach dem sie mich näher angeschaut hatte. Gut so lief ich sonst nicht herum. Dicke Wollsocken, meine Jogginghose und ein viel zu großes langarmiges Shirt.

Ich harkte mich bei ihr unter und gemeinsam liefen wir die Treppe hinauf.

„Wie bist du her gekommen? Hat dich Emilio oder Dana hergebracht?“

„Hast du schon einmal was von einem Taxi gehört?“

Ich grinste sie an und wir betraten die Wohnung.

„Zudem möchte ich die beiden nicht laufend stören, wenn ich etwas vorhabe, auch sie haben ihr eigenes Leben.“

Ich half ihr, aus ihrem dicken Mantel und sie zog den Schal aus. Die Tür zu Pablos Büro ging auf.

„Davide…?“, rief er und hielt inne, als er uns sah, „Maria, das ist aber eine Überraschung… hallo.“

Ich musste grinsen, weil Placidos Aufzug ähnlich meinem war und er sich so nie jemand anderem zeigen würde.

„Hallo Placido!“, meinte Mama und umarmte ihn herzig.

„Sonst noch jemand mitgekommen?“, fragte Placido verwundert.

„Nein, Mama hat ein Taxi genommen…“

Ich führte meine Mutter ins Wohnzimmer, wo nur der Schein des Feuers im Kamin das Zimmer erhellte.

„Ihr habt es wirklich schön hier! Muss euch ein Kompliment machen, die Aufteilung ist richtig gelungen.“

„Danke Mama. Möchtest du vielleicht etwas trinken?“

„Nein danke.“

Placido schaute mich kurz an und setzte sich dann in seinen Sessel, während ich mich neben Mutter auf dem Sofa niederließ.

„Ich habe natürlich einen Grund, warum ich zu euch komme, genau genommen sogar zwei.“

Sie schaute zu Placido.

„Ich habe deine Tante besucht und sie sieht wirklich schlecht aus. Sie hat hier niemand und Noah ist in den Staaten, da dachte ich, ich kümmere mich ein wenig um sie.“

„Und warum kommst du dann zu uns?“, wollte ich wissen.

„Es geht um die Operation, zum einen denkt sie, sie müsse hier alles selbst zahlen, weil sie solange in den Staaten gelebt hat, zum anderen hat sie Angst vor der Operation.“

„Wer hätte das nicht“, meinte Placido.

„Ich wollte euch fragen, ob ihr euch informieren könntet, wie das ist, ob sie etwas zahlen muss, oder nicht.“

„Wenn sie ihren italienischen Pass noch hat, müsste das eigentlich kein Problem sein, denn das Grundprinzip unseres Gesundheitssystems ist, dass die Gesundheit als Grundrecht des Einzelnen gilt. Jeder ist mit der gleichen Würde zu behandeln, unabhängig von seiner sozialen Stellung. Jeder, der in Not ist, soll medizinische Versorgung erhalten“, erklärte ich Mama.

„Aber wir kümmern uns darum gerne“, fügte Placido noch hinzu.

„Ich finde es nicht gut, wenn sie alleine in diesem Dorf lebt, irgendwie sollte sie in unsere Nähe ziehen können.“

„Darüber habe ich mir schon Gedanken gemacht, Maria“, sagte Placido,“ im Südflügel des Hauses gäbe es eine Möglichkeit, noch eine Wohnung zu schaffen, selbst Platz für Noah wäre ausreichend.“

Mama lächelte Placido an.

„Ich habe, wie du weißt, nicht viel Familie und ich dachte, dass ich Tante Valerie und Noah, wenn er hier in Italien ist, in meiner Nähe weiß.“

Placido hatte mir bisher von diesen Plänen nichts gesagt, aber es machte mir nichts aus, denn es war ja schließlich seine Familie.

„Das freut mich, aber der zweite Grund meines Kommens und warum ich das nicht zu Hause erledigen wollte, ist der hier!“, sagte Mama, nahm ihre Tasche und zog einen Umschlag heraus.

„Dieses Telegramm kam heute“, meinte sie und gab es mir.

Ich griff nach dem Umschlag und zog das Telegramm heraus. Meine Augen wurden groß und mein Blick wanderte dann zu Placido. Ich erhob mich und reichte ihm das Telegramm. Auch sein Erstaunen war groß.

„Ich weiß nicht ob es Zufall ist, das jetzt, wo die Vergangenheit ans Tageslicht kam, er sich bei mir meldet“, sagte Mama leise.

Das Telegramm war von Emiliano Bianchi Senior. Er käme nach Florenz und müsste dringend mit ihr reden, denn es ginge um ihren Sohn Davide und dessen Lebensgefährte.

„Ich weiß nicht, um was es geht, aber es scheint wirklich wichtig zu sein, wenn er von Amerika extra hier herkommt.“

Wieder schaute ich fragend zu Placido und er nickte, weil er wusste, was ich wollte.

„Sollen wir die anderen anrufen?“, fragte er.

„Das betrifft doch nur euch?“, meinte Mama.

„Ruf du an und ich erkläre es Mama“, meinte ich.

Placido erhob sich nickend und verschwand in sein Büro.

„Mama, wir wissen, dass dieser Bianchi nach Florenz kommt.“

„Aber wieso…?“

„Du erinnerst dich vielleicht, bei unserem letzten Essen bei dir, erzählte Letizia dass jemand aus Amerika ein Interview wollte, nachdem er meinen Beitrag über Placido gelesen hatte?“

„Ja.“

„Dieser jemand ist hier und wir hatten auch schon dieses Interview.“

„Und was hat das mit der Ankunft von Emiliano zu tun?“

„Der junge Mann, der Reporter…, sein Name ist Emiliano Bianchi Junior!“

*-*-*

„Danke, dass ihr so schnell kommen konntet“, meinte Placido und ließ meine Geschwister und Letizia herein.

Ich hatte in der Zwischenzeit Mama alles erzählt, was wir bisher wussten. Sie hatte alles stumm ertragen und auch jetzt sagte sie kein Wort.

„Hallo Mama“, kam es von Dana und gab ihr einen Kuss auf die Wange, Emilio tat es ihr gleich.

Dann suchte sich jeder einen Platz. Sonst fiel kein Wort im Raum, bis Placido sicher wieder auf seinem Sessel niederließ.

„Ihr hättet mir das ruhig sagen können, ihr müsstet wissen, dass ich hart im nehmen bin, schon alleine eures Vater wegen.“

„Steht aber immer noch die Frage im Raum, was wir weiter tun werden?“, kam es von Emilio.

Ich setzte mich auf.

„Wie heißt es so schön, Angriff ist die beste Art der Verteidigung“, sagte ich in die Runde.

„Was meinst du?“, wollte Placido wissen.

„Mama hat eine Verabredung und wir begleiten sie.“

„Aber wir können doch nicht…“

„Doch können wir“, unterbrach ich Placido, „Bianchi will mit Mama reden, wegen uns beide. Und es geht um deine und meine Familie, also sind alle involviert.“

Darauf wusste wohl Placido nichts zu sagen.

„Mittlerweile glaube ich, so wie der Junior vorhin im St. Regis sich benommen hat, dass sein Vater weder wusste, dass er sich in Europa aufhält, noch den Grund dieser Reise. Aber es scheint, dass er dennoch etwas mitbekommen hat, sonst wäre er nicht auf dem Weg hier her.“

„Dieser Bianchi kommt hier her?“, fragte Dana entsetzt.

„Nicht hier her, nach Florenz, deine Mutter sprechen“, erklärte ich, „Placido und ich ziehen uns an und wir fahren dann gemeinsam zum St. Regis uns anhören, was Bianchi zu erzählen hat!“

Sprachlos schauten mich die anderen an.

„Ich…, ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist“, unterbrach Mama die Stille.

Ich nahm ihre Hände in die Hand.

„Mama, ich werde dich auf keinen Fall, alleine zu diesem Mann lassen, bis wir nicht die volle Wahrheit kennen und wissen, was der Junior vorhat.“

Etwas hilflos schaute Mama zu den anderen.

„Davide hat Recht, Mama“, meinte Dana, „es betrifft uns alle!“

Placido stand auf.

„Dann geh ich mich schon einmal umziehen.“

Und schon war er Richtung Schlafzimmer verschwunden.

„Ihr wartet bitte kurz“, meinte ich und folgte Placido.

*-*-*

Mama war bei uns mitgefahren. Dieses Mal fuhren wir nicht vor, sondern parkten die Wagen in der Nähe. Danach machten wir uns auf den Weg zum Hotel.

„Ob er uns einfach so empfängt?“, fragte Dana.

„Kann ich dir nicht sagen, Schwesterherz.“

„Nicht, dass sie uns gleich wieder vor die Tür setzten“, kam es von Emilio.

„Sicher nicht!“, sagte ich, „Placido ist Stammgast, da werden sie sich das sicherlich nicht trauen.“

Mama lief zwischen Placido und mir.

„Es wird das Beste sein, das ich mit deiner Mutter an die Rezeption gehe und sie fragen kann, ob Mr. Bianchi uns empfängt!“

„Kein Problem, wir warten am Eingang“, meinte ich, auch wenn ich jetzt gerne dabei gewesen wäre, aber Placido war dort besser bekannt.

So betraten wir alle das Haus, blieben aber zu viert an der Eingangstür stehen, während Placido mit Mama an die Rezeption ging. Ich konnte nicht verstehen, was Mama zu dem Portier sagte, ich bekam nur mit, wie der Portier nach dem Telefon griff. Placido schaute in meine Richtung und hob seinen Daumen.

 

 

 

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2 Kommentare

    • Claus auf 11. Dezember 2017 bei 17:17
    • Antworten

    Hallo Pit,

    das wird echt immer spannender…

    Lass mich überraschen, wie das endet.

    LG Claus
    wünsch dir viele gute Tage!

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    • Andi auf 11. Dezember 2017 bei 19:49
    • Antworten

    Hey Pit,

    echt spannend, bin gespannt, was da kommt. Wünsche dir weiterhin alles Gute und eine schöne Adventszeit.

    VlG Andi

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