01. Türchen – Samtpfote und Engelshaar

Vorsichtig lief ich auf der Mauer zum Haus. Das Vögelchen, das gerade auf dem Rasen spielte, war allerliebst. Ein Sprung…, na ja… es flog weg. Ich sollte an meiner Technik noch etwas feilen.

Mein Herrchen müsste  gleich nach Hause kommen und den wollte ich begrüßen. Also sprang ich auf das Fenstersims und drückte mich durch die etwas geöffnete Scheibe. Herrchen war noch nicht da.

So schlingerte ich mich durch Herrchens Pflanzenensemble, bis ich am Bett angekommen war. Mit einem gekonnten Sprung landete ich auf der Decke, wo ich beschloss mich erst einmal breit zu machen. 

Meine Augen hielt ich halb geöffnet und döste vor mich hin. Ein Geräusch. Meine Ohren spitzen sich. Herrchen war nach Hause gekommen. Aber kein *ich bin wieder da* drang durchs Haus, wie es sonst kam.

Auch sprang er nicht die Treppe hinauf, wie sonst. Irgendetwas stimmte nicht. Die Tür ging auf und Herrchen kam herein. Aber ohne mir auch die geringste Aufmerksamkeit zu schenken, flog sein Rucksack auf den Boden und schmiss sich neben mich aufs Bett.

Ziemlich erschrocken machte ich einen Satz vom Bett. Was sollte das? Wie konnte er mich übersehen? Nanu, was war das denn? Herrchen gab komische Töne von sich. Ich sprang wieder zurück auf das Bett, wo Herrchen ruhte.

Er lag auf dem Bauch, hatte sein Gesicht in den Armen versteckt. Vorsichtig näherte ich mich. Noch immer drangen die seltsamen Töne an meine gespitzten Ohren. Was hatte Jens denn? Vorsichtig tippte ich ihn mit meiner Pfote an, aber er reagierte nicht.

 

*-*-*

Ich spürte wie mich Mika vorsichtig mit der Nase stupste. Hatte ihn total vergessen, in meiner Wut. Lange atmete ich durch und wischte mir die Tränen ab.

„Hallo Kleiner, sorry… tut mir Leid“, meinte ich und zog ihn zu mir.

Vergeben und vergessen. Jens hatte feuchte Augen, was war nur mit ihm los?

 

Das können sie doch nicht einfach tun. Ohne mich zu fragen. Ich hörte unten die Tür.

„Jens“, hörte ich meine Mutter rufen.

Ich beugte mich rüber und schloss meine Tür ab, um mich danach wieder auf mein Bett zu legen. Es klopfte an der Tür und die Türklinke wurde hinunter gedrückt.

„Jens, so mach doch auf und lass uns reden.“

„Das hättet ihr wohl früher machen sollen, bevor ihr hinter meinem Rücken Entschlüsse trefft, die mich betreffen“, maulte ich.

„Jens, mach sofort die Tür auf!“

Die Stimme meines Stiefvaters. Ich gab keine Antwort und kauerte mich mit Mika in die Ecke meines Bettes. Die spinnen wirklich, mich einfach auf ein Internat anzumelden, ohne mich zu fragen.

Es blieb nun ruhig an meiner Tür. Ich atmete durch. Was sollte ich auf einem Internat? Nur weil ich hier mit meinen Noten so abgesackt bin, muss ich doch nicht gleich die Schule wechseln.

Vollendete Tatsachen! Kein Zurück! Sie hatten mich einfach von der Schule abgemeldet. Nach den Ferien sollte ich dort antanzen… alles andere zurücklassen. Ich schaute Mika an und die Tränen fingen an zu laufen.

*-*-*

Zwei Wochen später…

Langsam hatte ich mich dem Gedanken abgefunden. Die Herbstferien waren vorbei und heute war der große Tag, wie meine Eltern ihn nannten. Zwei Wochen hatte ich jetzt fast kein Wort mit ihnen geredet. Nur das Nötigste.

Einziger Lichtblick, in diesem ehrenwerten Internat, man durfte Haustiere mitnehmen und so stand auch schon Mika’s Transportbox in meinem Zimmer bereit. Ob der Kleine ahnte, was ihm bevorstand.

Eigentlich war ich ja nicht besser als meine Eltern, ihn einfach seiner gewohnten Umgebung zu entreißen. Aber wenigstens ihn wollte ich bei mir haben. So legte ich die letzten Sachen in meinen Koffer und schaute mich noch einmal um.

Mein Zimmer wirkte kalt ohne alle meine Sachen. Ein Koffer und vier Kisten, inklusive der Katzenbox. Es klopfte.

„Ja?“

Die Tür öffnete sich und mein Stiefvater trat herein.

„Fertig?“

Ich nickte.

„Okay, dann helfe ich dir runter tragen.“

Wieder nickte ich und sagte kein Wort. Er nahm den Koffer und verließ wieder mein Zimmer. Ich schnappte mir zwei Kartons und lief ihm hinter her.

Komisch. Warum trug Jens alles weg. Mein Spielzeug, meine Kuscheldecke, wie konnte er nur. Und wo trug er das alles hin. Ich lauf einfach mal hinterher, vielleicht bekommt Jens ja ein neues Zimmer.

Unten angekommen schaute meine Mutter aus der Küche. Ich schaute ihr kurz in die Augen, senkte meinen Blick aber gleich wieder. Ich spürte sie wollte etwas sagen, aber ich ließ sie einfach stehen. Nur ein tiefes Durchatmen war zu hören.

Der Kofferraum des Kombis war geöffnet, aber ich stellte die zwei Kisten einfach daneben. Dann begab ich mich wieder ins Zimmer um den Rest zu holen. Auf der Treppe saß Mika und starrte mich an. Ich kraulte ihn zwischen den Ohren und lief weiter nach oben.

Eine Stunde später saßen wir im Wagen und Reiner zog mit dem Kombi auf die Autobahn. Zu meiner Überraschung hatten meine Eltern noch eine Kiste voll Katzenfutter und andere Leckereien springen lassen, obwohl im Prospekt genau stand, dass man dort im Internat alles bekam.

Mein Blick wanderte zum Gitter der Katzenbox, hinter dem Mika kauerte. Sein Blick schien mir ängstlich. War er doch nur in der Box, wenn wir zum Arzt mussten. Nun lag er in der Ecke der Box, zitterte leicht, gab aber keinen Laut von sich.

„Du Jens, wir hätten da noch etwas für dich. Reiner hat für dich ein neues Handy mit Vertrag besorgt. Die Rechnung deiner Telefonkosten übernehmen wir, aber bitte übertreibe es nicht.“

Sie reichte mir eine Box nach hinten.

„Danke“, sagte ich leise und betrachte das Handy auf dem Cover.

Für Überraschungen waren sie schon immer gut gewesen, auch wenn die in letzter Zeit eher negativ ausgefallen waren. Diese gefiel mir. Wobei mir gleichzeitig der Gedanke kam, mit wem sollte ich groß telefonieren. Freunde hatte ich so gut wie keine.

Meine bisherigen Klassenkameraden konnte ich nicht als Freunde bezeichnen, sie waren halt vorhanden, täglich in der Schule und ich versuchte mit ihnen auszukommen. Privat war ich eben eher der Einzelgänger.

„Machen wir eine Rast, ich müsste auf die Toilette“, kam es von Reiner und zeigte mit der Hand auf ein heran nahendes Hinweißschild.

„Ja, vielleicht ein Kaffeetrinken. Was meinst du Jens?“, antwortete Mum und drehte ihren Kopf zu mir.

Ich zuckte mit den Schultern

„Ach Jens…“, begann sie, doch wurde sie von Reiner unterbrochen.

„Lass den Jungen, Silke… okay?“

„Okay?“, meinte sie und atmete wieder tief durch.

Reiner setzte den Blinker und fuhr die Ausfahrt heraus. Es war Mittagessenszeit und der Parkplatz recht voll. Überall liefen Leute herum, sogar ein paar Reisebusse standen am vor der Raststätte.

„Kommst du mit?“, fragte Mum mich.

Ich schüttelte den Kopf.

„Ich bleib bei Mika…“

„Ich lass dir den Schlüssel da, falls du dir die Beine etwas vertreten möchtest und das Auto abschließen willst“, meinte Reiner und reichte mir seinen Schlüsselbund.

„Danke…“, gab ich von mir und ließ die beiden ziehen.

Als sie aus meinem Blickfeld verschwunden waren, stieg ich aus und zog meine Kippen heraus. Im Internat war Rauchverbot, da musste ich mir auch etwas überlegen, wenn ich mal eine rauchen wollte.

Gerade als ich sie angezündet hatte, fing Mika an zu maunzen.

„Gleich Mika, ich rauche noch schnell aus, dann hole ich dich aus der Box, okay?“

Ja, ja und dann kommt dieser Mann im weißen Kittel und piekt mir in den Hintern. Obwohl ich sagen muss, heute fahren wir ganz schön lange zum Arzt und warum Reiner und Silke mitkommen, ist schon komisch.

Ich zog noch mal kräftig an der Kippe und warf sie dann in den Rinnstein. Ich kletterte wieder auf die Rückbank des Kombis und öffnete das Gitter der Box.

„Komm Mika, ein bisschen frische Luft schnappen.“

Wie erwartet wehrte sich Mika etwas, aber letztendlich war ich halt doch der Stärkere. Ich nahm ihn auf den Arm und verließ den Wagen wieder. Auf einem großen Stein nähe des Wagens ließ ich mich nieder und streichelte Mika beruhigend.

Sein Kopf wanderte hin und her, die Ohren gespitzt. Das hier kannte er natürlich nicht und es war auch etwas laut, mit den vielen Fahrzeugen auf der Autobahn, die geräuschvoll am Rastplatz vorbeizogen.

Wo bin ich denn hier hingeraten und was wollen diesen viele Leute, boah ist das laut, kann man das nicht leiser machen.

Kraulend brachte ich ihn wieder zum Wagen zurück, setzte ihn sanft in seine Box zurück.

„Ich glaube hier bist du besser aufgehoben, Mika, hier ist es nicht so laut.“

Ich verschloss die Box wieder und verließ den Kombi. Bis die Alten wieder zurück waren, dauerte es sicher noch eine Weile, so setzte ich mich wieder auf den Stein zurück. Aufmerksam beobachtete ich, was auf dem Parkplatz so abging.

Gegenüber war ein Bus angekommen, aus dem eine Klasse in meinem Alter ausstieg. Einer nach dem Anderen verließ den Bus und es bildeten sich kleine Gruppen. Am Schluss stiegen wohl die zwei Lehrer aus, zu meiner Überraschung recht jung.

Der Mann schien etwas zu sagen, jedenfalls hatte er die komplette Aufmerksamkeit der Klasse, keiner sprach ein Wort. In meiner alten Klasse wäre das nie möglich gewesen. Es dauerte immer eine Weile bis auch der Letzte ruhig war.

Aber das war jetzt Geschichte. Ich atmete tief durch und seufzte. Ein Internat speziell für mich ausgesucht um meine Talente und Wünsche zu fördern hatten sie gesagt. Ich wusste ja nicht mal selbst was meine Talente waren.

Und Wünsche… ich stieß Luft durch die Zähne, dass es einen zischenden Laut gab. Meine Wünsche waren unerreichbar. Mich so zu geben wie ich wirklich war, konnte ich nicht und so wie ich mich nach außen hin gab… so mochte ich mich nicht.

„Jens, können wir weiter fahren?“, riss mich meine Mutter aus den Gedanken.

Ich sah auf und nickte ihr zu. So sprang ich vom Stein und lief zum Wagen zurück.

„Ich hab dir einen Cappuccino mitgebracht, den du so gerne magst“, meinte Rainer und gab mir einen Becher.

„Danke“, meinte ich und wollte mich in den Wagen setzten.

„Jens, hör mal zu, deiner Mutter ist die Entscheidung nicht leicht gefallen“, sprach Rainer weiter.

Ich hielt in meiner Bewegung inne und schaute zu Rainer.

„Aber wir denken, es ist gut für dich, glaube es mir bitte.“

Wie zuvor blieb ich bei meiner Einstellung, weiterhin nicht großartig irgendwelche Kommentare von mir zugeben und stieg ein. Ich wollte es den beiden so schwer wie möglich machen.

Mein Blick fiel auf Mika, der ängstlich in seiner Box vor sich hinkauerte. Was tun sie uns nur an? Ich schloss kurz die Augen und atmete durch. Der Wagen sprang an und wir fuhren weiter.

Vorbei an dem Bus, wo noch immer die Schüler standen. Mein Blick fiel auf einen Jungen, der in Mitte einer Gruppe stand und etwas erzählte. Aber da unser Auto weiter rollte verlor ich schnell den Blickwinkel.

Wenig später wieder auf der Autobahn, begann ich zu gähnen. Die Nacht war kurz gewesen, ich hatte nicht fast nicht geschlafen und jetzt rächte es sich. Mir fielen die Augen zu und ich schlief ein.

*-*-*

„Jens wach auf, wir sind gleich da“, weckte mich meine Mutter.

Ich war auf der Rückbank zusammengesackt und lag recht unbequem da. Zuerst versuchte ich wieder meine Knochen zu sortieren. Alles schmerzte, als ich versuchte mich wieder normal hin zusetzen.

Erst jetzt nahm ich etwas von der Umgebung war, die wir durchfuhren. Hier war es bergig und ich sah viel Wald, ein großer Unterschied, wenn man wie ich bisher in einer Großstadt gelebt hat.

„Wir haben noch eine Stunde Zeit, bis wir beim Rektor sein müssen“, begann meine Mutter“, wollen wir noch eine Kleinigkeit essen gehen vorher?“

„Habe keine Hunger…“, meinte ich leise.

Die beiden schauten sich kurz an. Reiner steuerte den Wagen die Bergstrasse hinauf, der laut aufbrauste, als er einen Gang runter schaltete. Der Wald wurde lichter und eine große Ebene tat sich vor uns auf.

In mitten dieser Ebene konnte ich eine kleine Anzahl größerer Gebäude ausmachen. Darum schienen Sportplätze und auch ein See zu sein.

Wann komm ich hier endlich raus und dieses ewige Gewackel. Merkt denn das keiner, dass ich Angst habe und was macht Herrchen, er starrt zum Fenster raus, schaut mich nicht mal an.

Also dies sollte für die nächsten Monate meine neue Schule werden. Sicher interessant. Aber was würde auf mich zu kommen? Wieder ohne Freunde, wieder ein Versteckspiel…?

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