Chris und Liam

Chris
Caren hatte gut reden. Bring die Unterlagen ins Archiv hatte sie gesagt. Dass diese ein Gewicht von hundert Elefanten hatten, wurde nicht beachtet. Es kam mir jedenfalls so vor, dass sie soviel wogen.

„Gehst du mit mir danach noch einen Kaffee trinken?“, fragte ich Caren.
„Nein Chris, es kommt jemand Neues und den möchte ich noch den Betrieb zeigen.“
„Jemand Neues? Noch jemand für deine Sklavenarbeiten?“
„Chris!“, meinte sie und knuffte mir in die Seite, was natürlich zur Folge hatte, dass ich den Stapel Unterlagen fallen ließ.
„Chris Habert, was bist du für ein Tollpatsch!“
„Na hör mal, du hast mich doch…“
„Keine Widerrede! Und nun schau, dass du die Unterlagen wegbringst.“
Sagte doch, dass das hier eine Sklaventreiberei ist. Caren hatte das Glück einen reichen Vater zu besitzen, der sie in allem unterstütze. Auch die verrückte Idee einen Verlag zu gründen, für den kleinen Mann sozusagen.
Dazu noch ein kleines Cafe. Die Idee war an sich gut, doch für einen Aushilfsjob um das Studium zu finanzieren, reine Schufterei. Ich brachte also wie gewünscht, die Unterlagen ins Archiv.
In Inverness schien das gut anzukommen, auf alle Fälle lief der Laden. Man sollte nicht glauben, wie viele private Leute einen Verlag in Anspruch nahmen. Carens Idee hatte eine Lücke gefüllt.
Im Archiv endlich fertig, ging ich wie geplant ins Cafe um mich einem Cappuccino zu laben. Mein Platz war gut, ich konnte die Straße einsehen. Mir machte es Spaß, Leute zu beobachten.
Die Tür ging auf und ein Typ in meinem Alter kam herein, also zweiundzwanzig. Etwas größer als ich, um die 1,80 und die Kopfbedeckung etwas dunkler als meine mittelblonden Haare. Dann noch diese Augen. Für einige Sekunden verblieb sein Blick auf mir haften, bevor er an die Theke trat.
Danach verschwand er in den hinteren Räumen. Ob das der Neue war, von dem mir Caren erzählte. Ich schaute auf die Uhr und bemerkte die fortgeschrittene Zeit. Mum wartete auf mich, ich sollte ihr irgendetwas helfen.
*-*-*
„Melissa, ich habe nichts dagegen, dass mein Enkel schwul ist, ich muss mich erst daran gewöhnen.“
„Dann zieh ihn bitte nicht immer so auf, du verletzt ihn damit, Elsa!“
Oh, war da wieder Kriegstimmung. Ich stand auf der Veranda und war noch nicht bemerkt. Mum und Großmutter hatten sich wohl wieder in der Wolle wegen mir.
„Ich ihn verletzen? Du unterschätzt den Jungen.“
„Der Junge ist zweiundzwanzig Jahre alt.“
„Ja und? Cliff mein Sohn ist über vierzig und wird auch immer mein Junge sein.“
„Dann sollte mein Mann sich auch so benehmen…“
Großmutter seufzte. Zeit für mich aufzutreten, bevor dieser Streit noch eskalierte.
„Hallo Leute, ich bin wieder zu Hause“, rief ich und zog die Haustür auf.
„Hallo Junge“, begrüßte mich Großmutter und das obligatorische Küsschen folgte auch noch.
„Hallo Christian, wie war die Uni?“
„Eine langweilige Vorlesung und anschließend Sklavenarbeit“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
Mum lächelte und spülte weiter ihr Geschirr ab, während Großmutter sich wieder in ihre Räume verzog. Ich hörte Mum hinter mir seufzen, so schnappte ich mir ein Handtuch und trocknete ab.
„Danke junger Mann und wie war dein Vormittag wirklich?“
Ich lächelte.
„Die Vorlesung war wirklich langweilig, nur trockene Theorie, nicht ein Bild an die Wand geworfen. Der alte Hamilton sollte seinen Job an den Nagel hängen, wenn er mit den modernen Medien nicht umgehen kann.“
„Vielleicht braucht er das Geld.“
„Mum, welcher Uniprofessor knabbert am Hungertuch, der hat doch seine Schäfchen sicher schon im Trockenen.“
„Nicht jeder Hochschuldozent verdient soviel, wie dein Onkel…“
Wir schauten uns an und fingen an zu kichern.
„Nicht jeder Dozent lehrt auch das Fach Medien und nicht jeder hält sich für den schönsten Professor von Amerika, Mum.“
Wir kicherten weiter.
„Wo ist Dad?“
„Der…“
Das Lächeln war verschwunden. Sie wusste es nicht und hatte wohl keine Antwort parat. Seit dem großen Streit zwischen den beiden, hatte sich Dad sehr rar gemacht. Er schlief öfter mal im Büro.
Ich gab ihr einen kleinen Kuss auf die Wange und sie lächelte kurz.
„Und was hat es mit der Sklavenarbeit auf sich? Hat dich Caren mal wieder angetrieben?“
„Caren… fehlt nur noch die Peitsche, ständig lässt sie mich nur Botengänge machen, hauptsächlich schleppen.“
„Du bekommst Geld dafür.“
„Hungerlohn!“
„Übertreibe nicht.“
„Das ist noch untertrieben, bei der Schufterei.“
„He, schau dich an. Du hast zugelegt, bist viel muskulöser als du dort angefangen hast. Du hast mehr Farbe bekommen und mit deinen mittelblonden Lockenkopf sieht das richtig gut aus.“
Ich wurde rot. Welche Mutter machte ihrem Sohn solche Komplimente?
„Da werden sich sicher ein paar Jungs mehr nach dir umdrehen.“
„Mum.“
Jetzt hatte sie es geschafft, mit vollem Anlauf in die Tomatenkiste.
„Aussehen ist doch nicht das Wichtigste!“
„Merk ich mir Sohnemann, wenn wir das nächste Mal shoppen gehen und du wieder jedem Hintern hinter herschaust.“
Ich streckte ihr die Zunge raus.
„Junger Mann, du bist mir für eine Ohrfeige noch nicht zu alt!“
Und einen Augenblick später hatte ich den Spüllappen im Gesicht.
„Och Mum… was soll das?“
„Ist deine Schminke ruiniert?“, fragte sie und brach in Gelächter aus.
„Das ist der Dank, wenn man niedere Hausarbeit verrichtet.“
„Christian!“
Und schon wieder schwebte der Spüllappen verdächtig nahe vor meinem Gesicht. Doch bevor ich erneut mit dem feuchten Nass in Berührung kam, nahm ich Reißaus.
„Musst du schon los, oder kannst du mir noch etwas helfen?“
„Deshalb bin ich ja nach Hause gekommen und opfere meine Mittagspause für dich.“
„Welch edle Gesinnung von dir, aber was steckt wirklich dahinter?“
„Gar nichts, wie kannst du nur vermuten, ich habe etwas Anderes im Sinn, als dir zu helfen“, spielte ich mich empört auf.
„Komm Christian, in der Vergangenheit hast du das schon öfter gemacht.“
Ich zog die Unterlippe hervor und schmollte. Anscheinend so überzeugend, dass Mum wieder einlenkte. Sie nahm mich in den Arm und drückte mich kurz fest an sich.
„Ich wollte dich nur kurz bitten, die Pflanzenkübel aus der Garage auf die Treppe vor der Veranda zu tragen.“
„Kein Problem“, meinte ich.
Mir war klar, dass so etwas sonst immer Dad machte, aber da dieser fast nie zu Hause war, blieb es an mir hängen.
Nach einer halben Stunde und vielen Sonderwünschen meiner Mum stand die Blumenpracht wieder an ihrem angestammten Platz.
„So ich muss dann los Mum, sonst kommt Caren wo möglich noch auf die Idee, mich das Archiv aufräumen zu lassen.
*-*-*
Zurück im Verlag hatte sich seit meinem Verlassen nichts verändert. Nur dass meine Ablage an meinem Schreibtisch sich wieder gefüllt hatte. So setze ich mich seufzend hin und begann die Ablage abzuarbeiten.
„Das ist klasse, also sehen wir uns dann morgen wieder“, hörte ich Caren sagen.
Ich schaute auf und sah sie mit dem Typen, der mir heute Morgen eine Sekunde seiner Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Caren schüttelte ihm gerade die Hand.
„Ich werde dann direkt nach der Vorlesung hier erscheinen.“
„Das geht in Ordnung, Liam.“
Liam hieß er also. Ich ertappte mich dabei, wie ich mit der Arbeit inne gehalten hatte und mein Blick auf Liam fiel. Aber wie viel Chancen bestanden, dass dieser Typ so schwul war wie ich. Sicher eins zu einer Million.
So versuchte ich mich wieder auf meinen Bildschirm zu konzentrieren und den Text nach Fehlern abzusuchen. Doch wie sollte es nicht anders sein, es funktionierte nicht, denn meine Augen wanderte immer wieder auf diesen athletischen Körper von Liam.
Die beiden schüttelten sich die Hände und danach war Liam gegangen, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Wie auch, gut versteckt hinter meinem Monitor.
„Na, schon weiter gekommen?“, riss mich Caren aus den Gedanken.
„Äh, ja klar.“
„Gut, ich brauche den Text heute noch…, schaffst du das?“
„Kein Problem.“
So ließ sie mich wieder alleine und verschwand in ihrem Büro. Mein Blick wanderte durch den Raum, aber niemand schien Notiz von uns beiden genommen zu haben und somit auch nicht von Schwärmereien.
*-*-*
„Guten Abend, Christian. Hunger?“
Es überraschte mich Dad an der Küchentheke stehen zu sehen.
„Hallo… ja klar!“
„Wie war dein Tag.“
„Wie immer, sehr lang.“
Dad zog zwei weitere Scheiben Sandwichs aus der Tüte und begann sie zu belegen.
„Majo?“
Ich nickte.
„Hör mal Dad…“
„Ja?“
„Bleibt das nun Dauerzustand bei euch beiden… Mum und dir?“
Er hielt plötzlich inne.
„Das musst du deine Mum fragen.“
„Wieso Mum…, hat sie dich hinaus geworfen oder was?“
„Nein.“
„Vielleicht bist du der Meinung es geht mich ja nichts an, aber die Familie leidet darunter. Klar kann man sich mal streiten, aber irgendwann muss doch auch mal gut sein.“
„Mein Sohn so erwachsen…“, bekam ich als Erwiderung und Dad lächelte etwas.
„Ich meine das ernst!“, unterstrich ich meine Aussage.
„Chris, so einfach ist das nicht… manche Dinge regeln sich eben nicht von alleine.“
„Dann musst du etwas dafür tun…“
Er belegte ein weiteres Sandwich, legte es auf einen Teller, den er zu mir schob. Ein kurzer Blick zu mir, dann wandte er sich dem Kühlschrank zu.
„Wie läuft dein Studium…?“
„Klasse“, meinte ich ärgerlich.
Ich überließ ihm die Entscheidung, wie mein Klasse verstehen zu war. Erbost schnappte ich meinen Teller und lief hoch in mein Zimmer.
*-*-*
Es klopfte an meine Tür. Zwei Stunden war ich über meinen Unterlagen gesessen und es kam mir vor, als hätte ich nicht ein Wort davon in meinen Kopf bekommen.
„Ja?“
Die Tür öffnete sich einen Spalt und das müde Gesicht von Mum erschien.
„Wollte dir noch gute Nacht sagen, ich geh gleich zu Bett.“
„Dad war da…“
„Ich weiß…“
„Und?“
„Was und?“
„Habt ihr miteinander geredet?“
„Wenn du den Austausch einzelner Worte reden nennst… ja.“
Ich atmete tief durch, strich mit der Hand durch mein Gesicht.
„Was hat er gemacht, Mum?“
„Nichts…, er ist einfach gegangen.“
„Mum! Du weißt schon was ich meine.“
„Es gibt Dinge Junge, über die spricht man nicht so gerne.“
„Nenn mich nicht immer Junge, ich bin über zwanzig Jahre alt und es gibt DINGE, die, die ganze Familie betreffen.“
Mum seufzte.
„Heute nicht mehr Christian, ich bin müde und muss morgen wieder früh raus. Gute Nacht… schlaf gut!“
„Gute Nacht“, sagte ich leise und Mum verschwand wieder.
Ich hörte noch Geräusche im Bad und dann war es wieder still im Haus. So konnte das nicht weiter gehen. Es war zum verrückt werden.
*-*-*
Als ich am nächsten Morgen in die Küche kam, war bereits alles ausgeflogen. Nicht mal Großmutter saß an ihrem Platz und lass Zeitung. Mum war sicher schon im Hotel und Dad hatte sicher wieder auswärts geschlafen.
Ich goss mir einen Orangensaft ein und trank ihn halb abwesend auf einen Zug hinunter. Danach stellte ich das Glas ins Waschbecken, schnappte meinen Rucksack und verließ ebenso das Haus.
Gerade noch rechtzeitig, denn fast wäre mir der Bus vor der Nase weggefahren. Eine halbe Stunde später war ich an der Uni. Noch immer in den Gedanken versunken betrat ich das Gebäude.
Doch anstatt, wie gewohnt in die freie Halle zu laufen, prallte ich auf ein Hindernis. Ich kippte vorn über und knallte auf den Boden.
„Entschuldige…, dass tut mir Leid, hast du dir weh getan?“
Die Stimme kam mir bekannt vor. Schwerfällig richtete ich mich auf und richtete meine Klamotten wieder hin. Als ich aufschaute, blickte ich in dieselben Augen, wie ich sie schon tags zuvor bewundert hatte. Vor mir stand Liam.
„Ist dir wirklich nichts passiert?“, fragte Liam besorgt, legte seine Hand auf meine Schulter.
Spätestens jetzt war ich völlig weggetreten und hing an diesen schönen Augen und diesem sinnlichen Mund. Die Berührung seiner Hand durchfuhr mich wie Tausend Stromschläge.
„Hast du die Sprache verloren?“, fragte Liam und legte den Kopf schief.
„Äh… nein und nein mir fehlt nichts, vielleicht an leicht angekratztes Ego. Liam… richtig?“
Mein Gegenüber schaute mich mit großen Augen an.
„Woher… weißt du?“
„Caren… ich arbeite auch für sie… habe dich dort gesehen.“
„Jetzt weiß ich, warum du mir so bekannt vor kamst.“
Oh, man erinnert sich an mich. Hilfe… gleich fang ich an zu schmelzen.
„Kann ich das mit einem Kaffee wieder gut machen?“
Ich nickte schon fast zu heftig, ohne aufzuhören, in diesen Augen zu versinken.
„Gut, ich bin eh nachher bei Caren, da können wir sicher ein paar Minuten ins Cafe sitzen.“
„Okay“, brachte ich nur hervor.
„Dann sieht man sich später.“
Dieses Mal nickte ich nur. Er schüttelte mir die Hand und lief davon. Ich stand nur da und schaute ihm nach, auch als er schon verschwunden war. Wow! Was für ein Mann.
Während der ganzen Vorlesung hingen meine Gedanken bei Liam. Nicht ein Wort hatte ich mitgeschrieben, geschweige denn verstanden. Dass ich unverletzt bei Caren ankam, schien ein Wunder, denn ich wusste danach nicht, wie ich hingekommen war.
„Hallo… was ist den mit dir los? Einen Geist gesehen?“
Caren stand vor mir.
„Äh nein…“
„Welcher süße Junge hat dir so den Kopf verdreht, hm?“
Ich musste grinsen. Caren kannte mich einfach schon zu gut.
*-*-*
„Und, noch viel zu tun?“
Ich schaute vom Monitor auf und Liam stand vor mir.
„Bist du… schon lange da? Habe dich gar nicht kommen sehen.“
„Du warst so beschäftigt, da wollte ich nicht stören.“
„Du störst nicht!“
Könnte mal jemand mir mein blödes Mundwerk zuhalten.
„Hast du Zeit für einen Kaffee?“
„Klar“, meinte ich und stand auf.
„Gut, dann lass uns runter gehen.“
Wie es der Zufall so will, kam Caren aus ihrem Büro.
„Ah Chris, das trifft sich gut. Das ist Liam unser Neuzugang.“
„Wir haben uns schon kennen gelernt, etwas heftig, aber ich lebe noch.“
Caren schaute mich verwundert an und Liam wurde rot.
„Was ist denn passiert?“
„Ich… habe ihn über den Haufen gerannt.“
Caren fing laut an zu kichern.
„Und hast ihm dabei sämtliche Hormone durcheinander geschüttelt“, meinte sie und kicherte weiter.
Rollenwechsel! Diesmal schaute Liam verwundert und ich wurde rot. Konnte sie nicht einmal ihr vorlautes Mundwerk halten. Gut hier wusste eigentlich jeder, dass ich schwul war und keiner hatte Probleme damit.
Aber Liam… Ich wollte ihm das schon irgendwie selber sagen.
„Äh, wir sind kurz im Cafe“, meinte ich um das Thema zu wechseln.
„Okay“, meinte Caren und zog ab.
Ohne ein weiteres Wort zu reden liefen Liam und ich hinunter. Wenig später saßen wir an einem der Bistrotischen.
„Du bist nicht von hier, oder?“, versuchte ich eine Unterhaltung zu beginnen.
„Nein…, bin erst vor kurzen hier her gezogen.“
„Und was hast du vorher gemacht?“
Die Bedienung kam und brachte den Kaffee. Am Gesicht von Liam merkte ich, dass die Frage nicht auf Begeisterung stieß. Die Bedienung war wieder weg und jeder rührte in seinem Kaffee.
„Ich war eine Zeitlang auf einer anderen Hochschule…“
„Und, nicht gefallen?“
„Das hatte nichts mit nicht gefallen zu tun, ich wollte einfach den Ort wechseln, weg von dort.“
Ich traute mich nicht weiter zufragen, warum er dort wegwollte.
„Meine Mum hat konkrete Vorstellungen, was ich einmal beruflich machen soll“, redete er plötzlich von sich aus weiter.
„Da habe ich Glück, meine Mum redet mir da nicht rein, wobei sie mir auch sonst nicht viel sagt.“
Ich seufzte leicht, nach dieser Aussage.
„Auch nicht gut…“, sagte Liam und nahm einen Schluck.
„Und dein Vater, sagt der nichts dazu?“
„Mein Vater…, nein der sagt da nichts zu, oder hat nichts zu sagen…“
„Oh, entschuldige…“
„Kannst du ja nicht wissen.“
Beide starrten wir in unsere Tassen und sagten kein Wort. Das kurze Gespräch hatte schnell ein Ende gefunden. Ich schaute hoch und blickte direkt in seine Augen. Er wich diesem Blick nicht aus.
Meine Hormone erwachten aus ihrem Schlaf und dachten wohl meinen Körper wie wild durchströmen zu müssen. Die roten Blutkörperchen unter meiner Wangenhaut versammelten und drängten sich dich aneinander.
Etwas verschämt schaute ich schnell wieder auf meinen Kaffee, der nun zum, ich weiß nicht wie oft, seine Bahnen im Kreis drehte.
„Ist irgendwas?“, fragte Liam.
Sollte ich gleich mit der Tür ins Haus fallen und sagen…, ach bevor ich es vergesse ich bin schwul und du gefällst mir. Das war nicht ich, nicht mein Stil.
„Nein… nichts.“
„Aha…“
Ich schaute auf meine Uhr, besser gesagt, auf die Stelle, wo sich normalerweise meine Uhr befand. Die hatte ich vorhin ausgezogen und lag noch auf meinem Schreibtisch.
Eine etwas unbehagliche Situation, in der ich mich jetzt befand.
„Du…, du…“, begann ich zu stammeln.
„Ja?“
„Du hast… dich sicher gewundert, was Caren…“
„Wollt ihr die ganze Zeit sitzen?“, unterbrach mit Caren, „oben wartet eine Menge Arbeit.“
„Wir kommen schon“, seufzte ich und brachte meine Tasse zurück.
Caren war so schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht war.
„Du wolltest etwas sagen?“
„Nicht… so wichtig“, antworte ich und lief die Treppe rauf.
Ich spürte Liams Blick in meinem Nacken, doch drehte ich mich nicht herum.
*-*-*
… drei Wochen später…
„War eine gute Idee, wirklich“, rief Liam.
„Hier bin ich im Sommer immer und wenn es so heiß ist wie heute, ist so ein Bad sehr erfrischend.“
„Aber dass hier fast keine Leute sind.“
„Der See war lange in Privatbesitz. Viele wissen noch nicht, dass er frei gegeben wurde.“
„Dann hoffen wir mal, dass das noch lange so bleibt.“
Ich musste grinsen. Liam und ich hatten uns richtig gut angefreundet, ganz zum Verdruss von Caren. Die Kleine hatte sich in Liam recht heftig verknallt und war leicht verstimmt, dass er soviel Zeit mit mir verbrachte.
Klar, ich war auch in ihn verknallt, aber ich hatte es nicht mal fertig gebracht ihm zu sagen, dass ich schwul war. Wobei, bei den vielen Anspielungen von Caren, würde es mich nicht wundern, wenn er es nicht schon längst geschnallt hätte, oder es von jemand anderem gehört hatte.
Darauf angesprochen hat er mich aber nie. Ich genoss es sehr mit ihm soviel Zeit zu verbringen. Zu Hause wurde natürlich auch bemerkt, dass meine ständigen missmutigen Launen sich stark gebessert hatten.
Meine Augen hafteten auf Liam. Er stieg vor mir aus dem Wasser. Er war… ich konnte fast keine Worte finden, ein Traum für mich. Jeder schnappte sein Handtuch und wir liefen durch den kleinen Wald zum Haus zurück. Dort angekommen, spürte ich plötzlich einen kleinen heftigen Schmerz an meinem Hintern.
„Da konnte ich jetzt nicht wiederstehen“, lachte Liam mich an.
Natürlich konnte ich das nicht auf mir sitzen lassen und wollte mich revanchieren, aber Liam war schon auf die Veranda gerannt. In unserer Küche hatte ich ihn eingeholt und holte zum Schlag aus.
Aber Liam schnappte geschickt, nach meinem Handtuch und hielt es fest. Mit einem kräftigen Ruck wollte ich mein Kampftuch zurück erhaschen, was aber zur Folg hatte, das Liam auf mich prallte.
Unsere Gesichter waren sich ganz nah und beide hielten wir inne. Ich versank in diesen Augen, die mich jeden Tag so faszinierten. Ich weiß nicht, was mich geritten hatte, plötzlich waren meine Lippen auf seinem Mund.
„Christian, bist du zu Hause“, hörte ich meine Mutter auf Veranda rufen.
Liam und ich fuhren auseinander. Er schaute mich verwirrt und ängstlich an.
„Ja, wir sind hier in der Küche.“
„Wir?“, hörte ich ihre Stimme und sie trat in die Küche, „oh, hallo Liam, freut mich dich zu sehen.
„Hallo… Melissa, ich wollte gerade gehen…“, meinte Liam und schaute mich komisch an.
Ich verstand seine plötzliche Reaktion nicht. Eben noch im siebten Himmel und jetzt Rückzug von allen Fronten. Er schnappte sich seine Sachen, zog sein Shirt über und packte den Rest in seine Tasche.
Und schon war er verschwunden.
„Der hat es aber eilig…“, meinte Mum.
Ich zuckte mit der Schulter.
„War irgendetwas?“
„Ähm…“, meine Wangen färbten sich wieder mal rot.
Mum stellte ihre Einkaufstüte ab und schaute mich durchdringend an.
„Was hast du angestellt?“
„Nichts… wir haben uns bloß…“
„Was?“
„Ich habe ihn geküsst.“
„Er ist auch schwul?“, fragte Mum verwundert.
„Das weiß ich nicht.“
„Dann kannst du ihn doch nicht einfach küssen!“
Betroffen schaute ich zu Boden.
„Weiß er, dass du auf Jungs stehst.“
„Nein, bisher ergab es sich noch nicht, ihm das zu sagen…“
„… und dich in ihn verknallt hast.“
„… ähm…“
„Chris, ein Blinder sieht, wie du Liam anhimmelst.“
Ich schaute sie erschrocken an.
„Wirklich?“
„Ja… mach etwas daraus. Ich mag Liam, er würde sicher ein toller Schwiegersohn abgeben.“
Mum schaffte es immer in kürzester Zeit, den tiefsten Rotton meines Gesicht hervor zulocken. Sie lächelte mich an und begann die gekauften Lebensmittel zu verräumen.
Ich nahm mein Handtuch, das ich fallen gelassen hatte und ging ohne ein weiteres Wort auf mein Zimmer. Ich ließ mich auf mein Bett fallen und seufzte laut. Da hatte ich wohl den süßesten Mann kennen gelernt, mich in ihn verliebt, aber über ihn wissen tat ich eigentlich nichts.
Und dann diese Reaktion auf den Kuss. Er küsste mich, nicht ich ihn, also warum ist er so übereilt weggerannt.
*-*-*
Ich war froh das Wochenende war. Keine Vorlesungen und vor allem keine Arbeit im Verlag. Nach ausführlichen strecken meiner Glieder, richtete ich mich langsam auf. Mein Rücken schmerzte etwas, doch ich wusste nicht einmal warum.
Beim Schwimmen gestern hatte ich mich nicht sehr verausgabt, eher das Gegenteil. Liam hatte sich nicht mehr gemeldet und irgendwie traute ich mich nicht ihn anzurufen.
Es klopfte. Ich zog die Decke über meinen Schoss, weil ich wie immer nackt geschlafen hatte.
„Ja?“
Die Tür ging auf und Dad schob sein Kopf heraus.
„Guten Morgen…, schon etwas vor heute Morgen?“
„Eigentlich schon, ich habe noch etwas für das Studium zu tun, was ich am Montag abgeben müsste. Warum fragst du?“
„Och nur so…“
Ohne Grund fragte mein Dad nie etwas.
„Daaad…“
„Ich wollte eigentlich nur fragen, ob du Lust hättest einen kleinen Segeltörn zu machen, aber dein Studium geht vor!“
„Dann mache ich es eben später, das ist kein Problem. Ich zieh mich schnell an, dann können wir los.“
„Okay, ich warte unten auf dich.“
„Gut bis gleich.“
Dad verschwand wieder und ich stand auf um mich anzuziehen. Ich lief zuerst ans Fenster und öffnete es ganz. Warme Luft drang herein. Also konnte ich mich beruhigt leicht anziehen.
Ich zog die extrem kurze Jeans an, die fast genau unterhalb meines Hinter aufhörte, schlüpfte in die Halbschuhe und warf ein dunkelblaues Tshirt über. Ein kurzer Blick in den Spiegel sagte mir, dass es in Ordnung war.
Noch schnell die Silberkette, das Lederarmband und schon war ich fertig. Ich riss die Tür auf und wäre fast mit Mum zusammen gestoßen, wenn sie mir nicht geschickt ausgewichen wäre.
„Wo willst du denn hin?“
„Mit Dad segeln.“
„Dann wünsche ich dir viel Spaß. Kann sein, dass ich nachher nicht da bin, wenn du kommst. Essen ist genug im Kühlschrank.“
„Danke Mum“, sagte ich und gab ihr einen kleinen Kuss auf die Wange.
Unten vor dem Haus wartete Dad bereits am Wagen.
„Kann es losgehen?“, fragte er und ich nickte.
Wir stiegen in seinen Wagen und fuhren los. Während der Fahrt war Schweigen angesagt. Dad schaute auf den dichten Verkehr, während ich zum Fenster hinaus schaute.
Am Hafen angekommen liefen wir beide hinunter zur Anlegestelle.
„Packst du das Segel aus?“, fragte Dad.
„Klar, kein Problem.“
Ich öffnete eine Schnalle nach der anderen bis das Segel komplett frei lag.
„Chris, kennt du den jungen Mann dort am Steg, der ständig zu uns herüber starrt?“, fragte Dad plötzlich.
Ich drehte mich um und schaute in die genannte Richtung.
„Ähm, das ist Liam.“
„Und wer ist Liam?“
Da Dad selten zu Hause war, hatte er natürlich nichts mitbekommen, was bei mir so am laufen war.
„Ein… Freund…, er arbeitet auch bei Caren. Ich gehe mal schnell zu ihm hin.“
„Mach aber nicht so lange, der Wind ist gerade so günstig.“
„Okay“, meinte ich und sprang mit einem Satz vom Boot auf den Steg.
Fast ein Fehler. Ich hatte soviel Schwung drauf, dass ich fast auf der anderen Seite ins Wasser gefallen wäre. Diese Szene blieb natürlich nicht unbeobachtet. Liam, zu dem ich nun lief, grinste.
„Hallo“, sagte ich.
„Hallo“, gab er zurück und das Lächeln verschwand wieder.
„Was ist dein Begehr, edler Herr?“, fragte ich um die Stimmung anzuheben, die vielleicht in den Keller zu sinken drohte.
„Eine Entschuldigung…“
„Für was?“
Er schaute mich verlegen an.
„Wenn du die Sache mit dem Kuss meinst, die ist unentschuldbar.“
Anscheinend hatte ich mich falsch ausgedrückt, denn Liams Gesicht wurde traurig.
„Halt“, meinte ich und Liam zuckte förmlich zusammen.
„Ich meine damit, dass du einfach abgehauen bist, denn ich müsste mich bei dir entschuldigen, schließlich habe ich dich geküsst, was ich sehr schön fand!“
Das traurige Gesicht wandelte sich in eine fassungslose Mine. Ich atmete tief durch und setzte nun alles auf eine Karte.
„Falls du es noch immer nicht gemerkt haben solltest, oder Carens laufende Bemerkungen nicht verstanden hast…, ich bin schwul und habe ich mich in dich etwas… ähm… verliebt.“
Die Fassungslosigkeit wich und änderte sich in ein smartes Lächeln. Ein Lächeln zum Schmelzen. Da Liam immer noch keine Worte fand, redete ich einfach weiter.
„Gegen Stummheit habe ich ein sehr gutes Mittel parat. Was hältst du von einem Segeltörn?“
„Ich weiß nicht…“, waren Liams erste Worte.
„Dann hast du auch Gelegenheit, endlich mal meinen Vater kennen zulernen.“
„Du verlangst jetzt aber nicht, dass ich bei ihm um deine Hand anhalte?“
Uh…, kam da der schwarze Humor von Liam zum Vorschein. Die Situation schien gerettet, auch wenn ich nicht wusste, was auf mich zu kam. Ich hob die Augenbrauen und nickte.
„Ja… ich verlange nicht, dass du um meine Hand anhältst… zumindest jetzt noch nicht!“
Nun grinsten wir beide.
„Chris… kommst du?“, hörte ich Dad rufen.
Ich drehte meinen Kopf.
„Ja Dad ich bin gleich bei dir.“
Dann wandte ich mich wieder zu Liam.
„Und?“, fragte ich und hob meine Hand entgegen.
Liam schaute auf meine Hand und griff zaghaft zu. Ich zog ihn zum Boot.
„Dad hast du etwas dagegen, wenn Liam mitfährt?“, rief ich.
„Nein, wieso so sollte ich.“
Ich sprang an Bord und half Liam mit zu folgen.
„Cliff“, stellte sich mein Vater vor und reichte Liam die Hand.
„Liam…“, meinte dieser und schüttelte sie.
„Chris, machst du die Leinen los?“, fragte Dad und begab sich wieder nach hinten.
Erneut sprang ich vom Schiff und löste die drei Taue, mit denen das Segelschiff am Steg gehalten wurde.
*-*-*
„Und ich soll dich wirklich nicht nach Hause fahren?“, fragte Dad erneut.
„Nein Dad, ich gehe mit Liam.“
„Dann wünsche ich euch noch einen schönen Tag.“
„Danke Mr. Habert“, meinte Liam.
„Cliff! Schon vergessen?’“
Liam schüttelte den Kopf und lächelte verlegen. Dad setzte sich in seinen Wagen und brauste los. Ich wandte mich zu Liam.
„Woher wusstest du eigentlich wo ich bin?“
„Ich habe deine Mutter im Hotel getroffen, sie erzählte es mir.“
„Was machst du im Hotel?“
„Ähm… meine… Mutter ist zu Besuch.“
Jetzt verstand ich irgendwie gar nichts mehr.
„Solltest du dann nicht bei deiner Mutter sein?“
„Wieso? Willst du mich los werden?“
Das klang jetzt etwas überzogen. Ich griff nach ihm und zog ihn zu mir.
„Ganz im Gegenteil…“, meinte ich und wollte ihm einen Kuss geben.
Liam zuckte zurück.
„Nicht doch…, wenn das einer sieht!“
„Dann sieht er zwei verliebte Jungs, die sich küssen.“
„Tut mir Leid Chris…, soweit bin ich nicht. Ich bin mal grad einig mit mir und meinen Gefühlen…“
Jetzt war ich aber schon etwas enttäuscht, wollte dies aber nicht zeigen.
„He, ist doch nicht schlimm…, wir haben alle Zeit der Welt.“
Er schaute sich unsicher um und beugte sich leicht vor. Dann bekam ich einen kleinen Kuss auf die Wange. Noch einmal sah er sich verschüchtert um, als wollte er überprüfen, dass es niemand gesehen hatte.
„Was ist los?“
„Ich weiß es nicht… um ehrlich zu sein, ich weiß nicht mal genau, warum ich hier her gekommen bin.“
„Du wolltest dich entschuldigen.“
„Ja, aber das meinte ich nicht.“
„Was dann?“
Liam lehnte sich nach hinten gegen einen Baumstamm.
„Ich kann es nicht richtig erklären.“
„Versuch es.“
„… ich bin hier her gekommen, weil ich mein Leben in den Griff bekommen wollte. Weg von der Hochschule, weg von meiner herrschsüchtigen Mutter.“
Aha, deshalb war er nicht im Hotel, sondern hier. Er verstand sich nicht mit seinem Alten.
„Dann habe ich dich kennen gelernt und auf einmal stand mein Weltbild noch mehr auf dem Kopf, als es vorher tat. Dann ist da noch Caren.“
Er wandte seinen Kopf von mir weg und sah auf den See hinaus.
„Ich weiß nicht mehr, was die richtigen Gefühle sind. Es macht Spaß mit dir zusammen zu sein, aber ich weiß nicht, ob das ich bin.“
Sein Blick wanderte wieder zu mir.
„Sei mir bitte nicht böse…“
Ich schüttelte den Kopf.
„Bin ich nicht und ich bin von deiner Ehrlichkeit angetan. Also wenn ich das richtig deute, weißt du nicht, wie du zu Caren oder mir stehst.“
Er nickte.
„Da kann ich dir aber nicht dabei helfen, Liam. Dass musst du selbst heraus finden.“
„Das habe ich befürchtet.“
„Halt, lass mich ausreden. Ich kann dir nicht bei dieser Entscheidung helfen, aber ich bin für dich da, wenn du mich brauchst. Das hat jetzt nichts mit Eigennutz zu tun, weil ich mich in dich verliebt habe.“
Sein Gesicht wurde wieder rot, aber er lächelte dabei.
*-*-*
„Chris, was tust du denn hier?“, fragte Mum verwundert.
Sie stand hinter der Theke der Rezeption.
„Ich habe Liam begleitet, seine Mutter Mrs. Evans wohnt bei euch.“
„Mrs. Evans ist deine Mutter?“
Liam nickte.
„Ich…, ich werde dann mal nach oben gehen“, meinte er leise.
„Sehen wir uns heute Abend?“, fragte ich.
„Ich weiß es noch nicht…“
„Okay…“, meinte ich etwas traurig, „du hast ja meine Nummer.“
Wieder nickte Liam und drehte sich Richtung Aufzug. Ich sah ihm hinterher, bis sich die Tür des Aufzuges schlossen.
„Der Junge tut mir Leid“, meinte Mum und beschäftigte sich mit irgendwelchen Papieren vor ihr.
„Wieso?“
„Ein Musterbeispiel von Frau!“
Oh, da war jemand total unten durch bei Mum, wenn sie so anfing.
„Sie ist Managerin…, ein hohes Tier und hat Manieren wie ein…“
Sie unterbrach mitten im Satz, weil Gäste kamen. Sie schob mich in den Hinterraum und schloss die Tür hinter uns.
„Was läuft zwischen dir und Liam?“, fragte sie mich direkt.
Ich sah sie lange an und zuckte dann mit der Schulter.
„Was heißt das?“
„Ich weiß es nicht. Ich kann dir nicht sagen, ob etwas läuft oder nicht. Wir haben uns geküsst, dass ist alles.“
„Ist es wegen Caren?“
Ich schaute sie fragend an.
„Chris, ich bin nicht blind, ich sehe wie Caren deinen Liam umgarnt.“
„Er ist nicht mein Liam…“, sagte ich leicht trotzig.
„Aber du liebst ihn.“
Klar liebte ich ihn. Seine Art, sein Handeln, alles an ihm, wie er sich gab. Mum hatte Recht, ich liebte ihn. Ich nickte.
„Man muss auch um eine Liebe kämpfen können, Chris. Und wenn es aussichtslos erscheint, dann musst du eine Entscheidung treffen, ob du weiter leiden willst, oder deinen Weg alleine weiter gehst.“
Ich wusste nicht ob ich weinen sollte, oder lächeln. Meine Augen waren schon feucht. Mum hob die Arme und umarmte mich. Ratlosigkeit machte sich in mir breit.
„Du darfst dich nicht vergessen, schon gar nicht verlieren, Chris. Das muss dir immer wichtig sein. Du zählst auch!“
„Aber er wäre… richtig…“
„Wenn du meinst er wäre richtig, dann kämpfe um ihn.“
Das hörte sich alles so einfach an.
„Und wenn er sich für Caren entscheidet? Dann stehst du alleine da und siehst die beiden jeden Tag. Jeden Tag von neuem wird dein Herz dann durchbohrt, willst du das wirklich? Hast du dazu Kraft?“
„Ich weiß es nicht.“
Sie atmete tief durch und zupfte ihr Kostüm zu Recht.
„Ich muss mich wieder um die Gäste kümmern. Denk darüber nach, was ich eben gesagt habe.“
Ich nickte.
„Ich weiß nicht, wie spät es heute Abend wird, wir haben noch eine Gesellschaft.“
„Ich bin zu Hause.“
„Dann bis später“, meinte sie, gab mir einen Kuss auf die Wange und streichelte sie sanft.
Dann öffnete sie die Tür wieder und verschwand nach draußen. Ich folgte ihr und machte mich auf den Weg nach Hause.
*-*-*
Ich hatte mich am Küchentisch breit gemacht und lass den Text im Buch zum dritten Mal. Mein Hirn war einfach nicht aufnahmefähig. Ständig dachte ich an Liam. Ich schlug das Buch zu und legte es auf meine Notizen.
Hoffnungslos…, das hatte Mum gemeint, dann muss ich mich entscheiden. Schnell hatte ich den Gedanken verdrängt. Diese Wunder der Chemie in meinem Körper wollte ich nicht missen.
Doch dann fiel mir wieder Caren ein. Ich ließ das Buch zu klappen und stand auf. Caren. Sie hatte doch sicher gemerkt, dass ich auf Liam stand. Oder machte Liebe wirklich blind.
Ich rannte nach oben und stand vor meinem Kleiderschrank. Schnell waren die passenden Klamotten gefunden und übergezogen. Wenige Minuten später befand ich mich auf den Weg ins Hotel.
*-*-*
„Nanu, schon wieder hier und so fein gemacht?“, fragte meine Mutter, als sie mich erblickte.
„Weißt du… ähm, ob Liam da ist.“
„Ja…, weiß ich.“
„Ja… und?“
„Er sitzt mit seiner Mutter… und Caren im Restaurant beim Essen.“
Sie sah mich lange an. Ich lief an ihr vorbei und schaute durch die Glastür ins Restaurant. Die drei waren schnell entdeckt und ich konnte sehen, wie ausgelassen sie sich unterhielten.
Mir fiel auch auf, dass Caren ihre Hand auf Liams Hand gelegt hatte. Der Stich ins Herz, von meiner Mutter angedeutet kam plötzlich und heftig.
„Ich hatte es dir gesagt“, hörte ich Mum hinter mir leise sagen.
„Wäre auch zu schön gewesen“, meinte ich nur und versuchte meine Fassung zu waren.
Ich beschloss zu gehen, diese Szenerie nicht weiter beizuwohnen.
„Christian…“, hörte ich Mum.
Ich drehte mich um und schüttelte den Kopf. Kurz darauf verließ ich das Hotel wieder.
*-*-*
Ich wusste weder wo, noch wie lange ich herum gelaufen war, denn ich stand plötzlich wieder vor dem Hotel. Die Tür schob sich auf und von drinnen war Gelächter zu hören.
Die Büsche waren ein guter Sichtschutz und so konnte man mich nicht sehen. Als erstes erkannte ich Caren, dicht gefolgt von Liam und seiner Mutter.
„Es war reizend sie kennen zu lernen Caren“, hörte ich Liams Mutter sagen.
„Ganz meinerseits“, erwiderte Caren und schüttelte ihre die Hand.
Caren lief zum Parkplatz, bestieg ihren Sportwagen und brauste davon.
„Junge ich muss ehrlich zugeben, dass du die Uni gewechselt hast, ohne mich zu fragen, das habe ich dir krumm genommen. Aber diese Entwicklungen hier stimmen mich milde.“
Liam nickte nur und gemeinsam betraten sie das Hotel wieder. Somit war dieses Thema auch für mich abgehackt. Ein kurzer Traum, der mir zeigte, wie schön Liebe sein kann, aber auch, wie sehr es schmerzen konnte.
Ich weiß nicht wie lange ich dort gestanden hatte, als mich plötzlich etwas am Ärmel zupfte. Ich drehte meinen Kopf und schaute in die Augen meiner Mutter.
„Komm, ich bring dich nach Hause.“
Ich nickte und folgte ihr zum Wagen. Während der Fahrt sagten wir beide nichts. Ich schaute hinaus und nahm doch nicht war, was um uns sich abspielte.
„He, wir sind zu Hause… aussteigen.“
Ich sah Mum an. Sie wollte etwas noch hinzufügen, aber ich schüttelte nur den Kopf. Schnell war der Gurt gelöst und ich war ausgestiegen.
„Christian…“, rief Mum, doch ich winkte ab.
Ich wollte einfach nur alleine sein.
*-*-*
Die Uni war aus und ich war froh darüber. Die Nacht schlecht geschlafen, konnte ich den Vorlesungen nur widerwillig folgen. Der Weg zum Verlag verlief mechanisch. Was sollte ich tun, wenn mir jetzt Liam gegenüber trat?
So tun, als wäre nichts geschehen? Die Entscheidung wurde mir abgenommen, gerade, als ich die Tür zum Cafe aufzog.
„He Christian, heute so zeitig?“, hörte ich Caren mir entgegen rufen.
Ich zog den Gurt meiner Tasche über den Kopf und setzte mich zu ihr.
„Ja, die letzte Vorlesung ist ausgefallen.“
„Auch einen Cappuccino?“
„Klar gerne.“
Die Bedienung hinter der Theke hatte wohl zugehört, denn die junge Dame stellte bereits eine große Tasse und den Ausguss des Automaten.
„Du, ich habe gestern die Mutter von Liam kennen gelernt, eine sehr intelligente Frau.“
„Ach ja?“
Ich hoffte, dass ich nicht all zu sehr negativ klang.
„Ja, sie ist Managerin bei einer großen Bank…, du die schwimmen im Geld.“
„Trifft sich doch gut…, dann ist ja Liam eine gute Partie für dich!“
Sie schaute mich an. Da hatte ich mich wohl doch im Ton vergriffen.
„Stimmt irgendetwas nicht?“, fragte sie.
„Nein geht schon. Habe schlecht geschlafen und die Vorlesungen waren anstrengend. Ich geh am Besten gleich nach oben und beginne mit der Arbeit, bevor ich noch die Lust verliere.“
Sie schaute mich an, als würde sie mir das nicht abkaufen, was ich gerade von mir gelassen hatte. Etwas Besseres war mir aber auf die Schnelle nicht eingefallen.
„Und was ist mit deinem Capuccino?“
„Den nehme ich mit hoch…“, sagte ich, griff nach der Tasse und lief Richtung Treppe.
Ich hatte Glück und sie folgte mir nicht. Warum sollte sie auch? Wenig später saß ich an meinem Arbeitsplatz und durchforstete wieder ein weiteres Papierstück nach Fehlern.
„Hi Christian“, hörte ich eine Stimme.
Ich schaute nach oben und Liam stand vor mir.
„Hi Liam…“, meinte ich und vertiefte mich wieder in das Stück Papier.
„Hättest du Lust heute Abend etwas Trinken zu gehen?“
Wieder hob ich meinen Kopf und schaute ihn an.
„Ähm… du…, tut mir Leid, ich muss nachher noch etwas zu Hause für die Uni machen… dass kann länger gehen.“
Wieder eine Lüge. Das sollte nicht zur Gewohnheit werden.
„Okay… kann man nichts machen…, dann viel Spaß noch“, meinte er und zog ab.
Ich schaute ihm noch nach, bis her hinter dem nächsten Regal verschwand. Mein Kopf sank in den Nacken, ich schloss die Augen und atmete tief durch. Tja Christian Habert, da musst du jetzt durch!
*-*-*
Mit freudigen Blicken stellte ich fest, dass meine Ablage leer war. Ich fuhr den Computer herunter, trug die abgearbeiteten Manuskripte an den Nachbartisch und zog gerade meine Jacke an, als Caren auftauchte.
„Schon alles durch?“, fragte sie verwundert.
„Ja, wobei ich mir bei dieser Mordgeschichte nicht so sicher bin, vielleicht solltest du da noch selbst einen Blick darauf werfen.“
„Kann ich machen, aber heute Abend nicht mehr. Hast du noch etwas vor…, ich will mit Liam noch etwas trinken gehen.“
Also hatte Liam schon jemand gefunden, mit dem er weggehen konnte.
„Du, ich muss noch etwas für die Uni machen, vielleicht ein andermal.“
Sie schaute mich durchdringend an.
„Okay, ich bin dann weg, bis morgen“, meinte ich und krallte mir meine Tasche.
„Bis morgen“, meinte sie.
Die Tasche geschultert, verließ ich das Haus um unmittelbar direkt davor in Liams Arme zu laufen.
„Christian…, stimmt irgendetwas nicht.“
„Nein…, warum…, was soll nicht stimmen?“
„Du bist heute so komisch?“
„Vielleicht liegt es daran, dass ich schlecht geschlafen habe… tut mir Leid…, wenn ich daneben bin.“
„Christian, das habe ich nicht gemeint.“
Er lief einen Schritt auf mich zu und hob seine Hand. Ich wich etwas zurück. Fragend schaute er mich an. Auf diesen Blödsinn hatte ich nun wirklich keine Lust.
„Ich muss dann heim“, meinte ich und schob mich an ihm vorbei.
„Christian…, warum weichst du mir aus?“
Ich beantwortete ihm die Frage nicht und drehte mich nicht mal um.
„Ich dachte du wärst mein Freund!“
Nun hielt ich doch inne. Freund. Was war ein Freund? Solange kannten wir uns nicht, dass ich ihn meinen Freund nennen konnte. Langsam drehte ich mich um.
„Was hat das jetzt damit zu tun?“, fragte ich, „ich will nur nach Hause.“
Mein Ton war leicht trotzig. Liam verringerte die Distanz zwischen uns. Er schaute sich um und dann sah er mich wieder an.
„Was ist los Christian, du bist so völlig anders… so abweisend.“
„Jeder kann mal einen schlechten Tag haben…, oder ist das nicht erlaubt?“
„Das glaube ich dir nicht. Was ist los mit dir?“, fragte er und hob abermals die Hand um mich näher an sich heran zu ziehen.
„Es wäre besser Liam…“, begann ich, brach aber mitten im Satz ab.
„Einen schönen Abend noch“, meinte ich dann, wandte mich ab und lief los.
Er rief wieder meinen Namen, aber dieses Mal reagierte ich nicht.
*-*-*
Ich saß mit Mum am Küchentisch.
„Du hast wirklich keinen Hunger?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Es tut mir Leid Christian.“
„Muss es nicht. Wie heißt es so schon…, lieber ein Ende mit einem Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.“
„Ich würde dir so gerne helfen…“
„Mum, lass gut sein, dass wird schon wieder.“
Sie strich mir übers Haar und stand auf.
„Warte, ich helfe dir beim Abräumen“, meinte ich.
„Das geht schon, ist nicht viel!“
Ich nickte, stand aber trotzdem auf. Draußen war es noch warm, so zog ich es vor, mir noch etwas auf der Veranda die Zeit zu vertreiben. Langsam ließ ich mich auf die Bank nieder und lauschte den abendlichen Geräuschen.
Die Tür zur Küche ging auf und Mum schaute heraus.
„Wenn etwas ist, ich bin in meinem Zimmer“, meinte sie.
„Danke!“, sagte ich mit einem Lächeln.
Schon war sie wieder verschwunden. Der Himmel war klar und nur von weitem konnte man einige Automotoren hören. Sonst war es still. Ein zerbrochener Ast ließ mich aufhorchen und plötzlich trat Liam ins Licht der Veranda.
„Ähm… hallo“, sagte er.
Was sollte das jetzt? Warum war er hier?’
„Hallo“, meinte ich, griff nach dem Kissen, zog es vor mich und verschränkte die Arme vor mir.
„Darf ich dich etwas fragen?“
„Ja…“
Er trat neben mich und setzte sich zu mir auf die Bank.
„War das ernst gemeint?“
„Was?“, fragte ich, weil ich nun nicht wusste, was er meinte.
Er spielte mit dem Reisverschluss seiner Jacke.
„Dass du dich in mich verliebt hast?“
Ich schaute ihn entgeistert an. Warum wollte er das jetzt wissen? Ich war zu keiner Antwort fähig. Er senkte seinen Kopf.
„Entschuldigung…, das hätte ich nicht fragen sollen.“
Ich atmete tief durch und zog die Beine an.
„Warum willst du das wissen?“
Er hob seinen Kopf. Seine Augen funkelten im Schein der kleinen Lampe an der Decke.
„Weil…, weil ich wissen wollte…, ob ich bei dir eine… Chance habe.“
„Eine Chance?… für was?“
„Ich…, oh man ist das schwer…“
Er senkte den Kopf.
„Christian… ich merke, dass ich mehr für dich fühle. Genau genommen, ich habe mich in dich verliebt und… will ohne dich nicht mehr sein.“
„Und was ist mit Caren?“
Sein Kopf fuhr hoch.
„Was soll mit Caren sein?“
„Also gestern hat es nicht so ausgesehen, als würde dir Caren nichts bedeuten?“
„Gestern?“
„Gestern im Restaurant, mit deiner Mutter…“
„Spionierst du mir nach?“
Ich fing an zu lachen.
„Nein Liam, ich spioniere dir nicht nach. Ich wollte gestern zu dir und habe dich mit deiner Mutter und Caren im Restaurant gesehen und dass schien mir sehr vertraut zwischen euch, was ich da zu sehen bekam.“
„Du liebst mich… wirklich, oder?“
„Gott verdammt ja, oder warum meinst du, dass mir das Ganze so nahe geht?“, fuhr ich ihn an und warf das Kissen quer durch die Veranda.
Sein Blick wurde trauriger.
„Aber du hast mir ja gezeigt, dass ich nur zweite Wahl bin, dass du Caren bevorzugst.“
„Stimmt nicht“, kam es fast im Flüsterton.
Er hielt meinem Blick stand, er wich nicht aus. Sollte er wirklich…
„Chris… ich bin… nicht… wie du. Ich kann das nicht so zeigen…“
Ich schloss kurz die Augen und atmete tief durch.
„Das mit Caren…, das war nur wegen meiner Mutter. Scheiße, wenn sie wüsste, dass ich schwul bin…, sie würde mich umbringen.“
„Na komm, übertreib mal nicht…, sie wird dir vielleicht das Erbe streichen…“
„Du kennst sie nicht…, sie ist für so vieles verantwortlich…, auch für Tode…“
Entsetzt schaute ich ihn an.
„Hast du deswegen die Uni gewechselt…?“
Er nickte.
„Sie kann dir ein guter Freund sein…, aber als Feind hast du verloren…, sie macht dir das Leben zur Hölle.“
Ich legte meinen Arm um ihn und zog ihn an mich. Seinen Kopf auf meiner Schulter begann er leise zu weinen. Ich suchte nach tröstenden Worten, aber mir fiel nichts ein. So hob ich mit meiner Hand sein Kinn an und küsste ihn sanft auf den Mund.
Der Kuss wurde erwidert und schon bald merkte ich wie seine beiden Hände Halt auf meinem Rücken suchten.
„Scheiße, was ist denn das?“
Beide fuhren wir erschreckt auseinander und blickten Caren an, die unbemerkt gekommen war.
„Da komme ich her, weil ich mir Sorgen um dich mache und du spannst mir den Freund aus!“, fuhr sie mich an.
„Caren…“, begann Liam.
„Ach halt doch einfach dein Maul. Du bist nicht anders als die anderen Männer!“, keifte sie Liam an, der in sich zusammenfiel.
„Es REICHT, Caren!“
Entsetzt wich sie zurück, denn ich war aufgesprungen.
„Klar tut mir es Leid, wegen dir. Aber keiner von uns kann etwas für seine Gefühle und am wenigsten Liam.“
Ich hörte Liam leise hinter mir wimmern. Die Tür zur Veranda wurde aufgestoßen.
„Was ist denn hier los?“
Mum. Sie war zum unpassenden Augenblick gekommen.
„Ach…fick dich!“, rief Caren und rannte weg.
Mum schaute mich fassungslos an, während ich zu Liam ging und ihn wieder in den Arm nahm. Ich schaute zu Mum und konnte nicht anders als lächeln, obwohl es nicht zu der Situation passte.
Sie lächelte ebenfalls und betrat wieder das Haus. Liam und ich waren wieder alleine.
„Wenn…, wenn sie jetzt meine Mutter anruft?“
„Schhhhh…, dass wird sie nicht tun, Liam. Morgen sieht alles wieder anders aus, sie wird sich wieder beruhigen.“
Er schaute auf. Tränen liefen ungehindert über seine Wangen.
„Glaubst du… wirklich?“
Ich nickte, lächelte ihn an und strich die Tränen weg.
„Ich habe dich lieb“, hauchte ich sanft.
„Ich dich… auch.“
*-*-*
Mein Wecker dröhnte unaufhörlich los und ich richtete mich etwas zu schnell auf. Folge davon, ich landete neben dem Bett. Ein grinsendes Gesicht sah mich an und plötzlich kam meine Erinnerung wieder zurück.
„Ich glaube“, stöhnte ich, „ich muss mir ein größeres Bett anschaffen.“
Liam kicherte. Ich stand auf, rieb mir den Hintern und drückte den Wecker aus. Es klopfte an der Tür.
„Schatz, ist dir etwas passiert?“, hörte ich Mum rufen.
„Nein Mum, ich bin nur aus dem Bett gefallen.“
Es war schon wunderlich, dass sie nicht herein kam wie sonst.
„Dann ist ja gut.“
„Warum kommst du nicht herein?“, fragte ich frech grinsend.
Liam und ich hatten beide Shorts und Shirts an, also konnte keine peinliche Situation geschehen. Zaghaft öffnete sich die Tür und der Kopf meiner Mutter erschien.
„Ich wollte nicht stören…“
Mittlerweile saß ich wieder auf meinem Bett, während Liam noch im hinteren Teil des Bettes halb eingekuschelt lag. Der richtete sich nun auch auf und hatte eine gewisse Röte im Gesicht.
„Du störst doch nicht.“
Sie grinste verlegen.
„Geht es euch beiden gut?“
Ich schaute zu Liam, der etwas lächelte.
„Ja!“
„Gut! Dann geh ich runter und mach schon mal das Frühstück.“
„Danke…“, meinte ich und Mum verschwand wieder.
Währenddessen drehte ich mich und wandte mich wieder Liam zu.
„Deiner Mutter scheint es wirklich nichts aus zu machen, dass ich bei dir im Bett liege.“
„Das habe ich dir aber schon gestern gesagt. Sie weiß seit sechs Jahren, dass ich schwul bin, dann sollte sie sich an so einen Anblick gewöhnt haben.“
„Aha. Da scheinen ja schon viele in deinem Bett gelegen zu sein.“
Ich konnte nicht einschätzen, ob er das nun negativ meinte, oder es im Spaß sagte.
„Genau zwei, falls du es genau wissen willst.“
„Du warst mit zwei Kerlen im Bett?“, sagte er entsetzt.
Seine Mundwinkel zuckten leicht nach oben, was mir zeigte, dass er gerade dabei war mich auf den Arm zu nehmen. Ich beugte mich nach vor und gab ihm einen langen Kuss.
Wenig später kamen wir in die Küche, wo Großmutter bereits mit ihrer Zeitung saß.
„Grandma, darf ich dir Liam vorstellen. Liam dass ist meine Großmutter.“
Sie schaute von ihrer Zeitung auf.
„Hallo Mrs. …“, begann Liam und streckte seine Hand aus.
„Nenn mich Grandma, wie es allen tun… hallo Liam.“
Sie legte die Zeitung aus der Hand und schüttelte ihm die Hand.
„Setzt euch“, meinte Mum und schenkte bereits Kaffee ein.
*-*-*
„Und du meinst Caren wird sich wirklich wieder beruhigen?“
„Sicher, mach dir da keine Sorgen. Die Kleine wird schon ihren Mr. Right finden.“
Er zögerte.
„Komm lass uns hineingehen, du wirst es selber sehen!“
Wir standen schon eine Weile vor dem Cafe. Liam atmete tief durch.
„Okay…“
Ich zog die Tür auf. Hier war sie schon mal nicht. Ich musste Liam richtig schieben, denn er war anscheinend immer noch nicht ganz überzeugt, dass Caren es nicht so schlimm nahm wie er es vermutete.
Wenig später betraten wir die Räume des Verlages. Caren saß in ihrem Büro und war über irgendwelchen Papieren. Sie schaute kurz auf und senkte den Kopf wieder. Nun war ich auch nicht mehr so sicher.
Trotzdem lief ich zu ihrem Büro und klopfte nicht mal an.
„Morgen…“, sagte ich und wartete auf eine Reaktion.
Sie sah nicht mal auf, geschweige denn sagte sie etwas. Ich wollte mich gerade umdrehen, als ich hinter mir ein zaghaftes Husten hörte.
„Du hättest es mir wenigstens sagen können…“
Ich drehte mich zu ihr, legte meinen Dackelblick auf und legte grinsend den Kopf schief.
„Schau mich nicht so an…, das ist absolut fies von dir!“
„Caren, es tut mir wirklich Leid…, ich wollte dich nicht verletzten und der große schon gar nicht.“
Ein kleines Lächeln zierte ihre Lippen.
„Warum kann ich dir nie lange böse sein…, kannst du mir das mal verraten?“
Sie stand auf und fiel um meinen Hals.
„Du Schuft du…“
„Weil du mich über alles liebst?“
„Einbildung ist auch eine Bildung“, meinte sie und ließ mich wieder los.
Ich drehte meinen Kopf und schaute zu Liam, der immer noch unsicher vor dem Büro stand.
„Ich hätte es eigentlich wissen müssen. Solche perfekten Männer sind entweder vergeben oder schwul.“
Ich grinste.
„Stimmt. Liam ist perfekt und vergeben… Liam… komm“, rief ich und hob die Hand.
Langsam und zaghaft kam er herein. Er griff nach meiner Hand und ließ sich herziehen.
Caren baute sich vor ihm auf.
„Ich sage nur eins Liam, tust du meinem Kleinen hier weh, dann wirst du mich erst richtig kennen lernen!“
Liam sah sie mit großen Augen an und brachte keinen Ton heraus. Bis Caren laut zu lachen anfing.
„Entschuldigt mein Ausraster gestern…, war wohl zu sehr mit träumen beschäftigt.“
„Du… du bist mir nicht böse.“
„Ach was… Ich freu mich für Chris, dass er endlich jemand gefunden hat. Ich werde schon noch irgendwann einen abbekommen.“
Liam schaute mich fassungslos an.
„Ich hab dir doch gesagt, sie reist dir schon nicht den Kopf ab. Dafür kenne ich Caren schon zu gut und lange.“
Liam nickte.
„Ihr gebt wirklich eins süßes Pärchen ab und wann sollen die Hochzeitsglocken läuten.“
„Langsam Caren, ist noch bisschen früh oder?“, grinste ich.
„Also meinen Segen habt ihr auf alle Fälle. Aber was wird deine Mutter dazu sagen?“
Sofort machte Liam wieder ein trauriges Gesicht.
„Oh, da schein ich wohl in ein Fettnäpfchen getreten zu sein.
„Mit vollem Anlauf!“, sagte ich.
*-*-*
„Mum ich bin wieder zu Hause?“
„Alleine?“, hörte ich sie aus der Küche.
„Ja.“
Ich fand sie an der Küchentheke gelehnt einen Kaffee trinken.
„Wo ist Liam?“
„Zu Hause…, du vergisst wohl, dass er genauso studiert wie ich und noch etwas tun muss.“
Sie lächelte.
„Und… glücklich?“
„Ja“, bestätigte ich mit einem Nicken und fiel ihr um den Hals.
„Dann drück ich euch mal ganz toll die Daumen, dass alles glatt geht.“
„Wird schon!“
„… Chris… Liams Mutter hat sich wieder für das Wochenende angemeldet.“
Ich schaute sie an.
„Ich werde schön brav sein und nichts verraten.“
„Christian, dass ist kein Spaß. Ich meine dies Ernst. Du hast selbst gesehen, wie viel Angst Liam vor seiner Mutter hat.“
„Dann gehen wir einfach weg am Wochenende und sie werden nicht aufeinander treffen!“
„Das ist keine Lösung, Chris, er kann sich nicht ewig verstecken.“
Ich wusste das Mum Recht hatte, aber ich wollte einfach nicht daran denken, jetzt wo ich einmal richtig glücklich war.
„Aber man muss es ihr auch nicht gleich auf die Nase binden.“
„Wenn sie es nicht schon längst weiß.“
„Wie soll sie das denn wissen? Liam und ich sind ja gerade mal einen Tag jetzt zusammen.“
„Ich habe da so meine Zweifel. Alles was ich bisher über diese Frau mitbekommen habe, lässt mich erschaudern. Denkst du nicht, dass sie Liam nicht überwachen lässt und ihn hier einfach so studieren lässt?“
Ich zuckte mit den Schultern, weil ich es einfach nicht glauben wollte.
„Ich muss zurück ins Hotel. Sehen wir uns später?“
„Sicher.“
Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange.
„Pass auf dich auf Junge.“
*-*-*
Gedanken verloren betrat ich die Räume des Verlages. Liam war nirgends zu sehen, also anscheinend noch nicht da. Caren selbst saß ihrem Glaskasten und arbeitete an etwas.
Als ich an meinen Tisch kam, schaute sie kurz auf und winkte mir zu. Ich stellte meine Tasche ab und schaute auf die Ablage. Randvoll! Schweren Herzens machte ich mich an die Arbeit.
„Chris, kann ich dich etwas fragen?“
Ich hatte nicht bemerkt, das Caren ihr Büro verlassen hatte und nun hinter mir stand. Natürlich fuhr ich zusammen und drehte mich zu ihr um. Sie grinste.
„… und was willst du mich fragen?
„Wie das mit Liams Mutter wird?“
„Jetzt fängst du auch noch an.“
„Wieso auch?“
„Meine Mutter hat heute Mittag auch davon angefangen, weil sich Liams Mutter am Wochenende wieder angemeldet hat.“
„Scheiße!“
„Caren, solch ein Wort aus deinem Mund bin ich nicht gewohnt.“
„Ich habe gestern Abend noch mit meinem Vater telefoniert und ihm unter anderem nach Liams Mutter gefragt.“
„Ja und?“
„Liams Mutter ist eine rücksichtslose, kaltschnäuzige Geschäftsfrau. Wer sich ihr in den Weg stellt, hat schon verloren. Er war froh, als er hörte, dass ich nicht mit Liam zusammen wäre.“
„So etwas Ähnliches hat Liam über seine Mutter auch schon geäußert.“
„Hast du denn keine Angst?“
„Sollte ich?“
Caren lehnte sich an meinen Schreibtisch.
„Chris, mit dieser Frau ist nicht zu spaßen!“
„Und was soll ich jetzt nach deiner Meinung tun? Liam den Laufpass geben?“
„Das habe ich nicht gesagt…, ihr müsst vorsichtig sein, solange ihr nicht wisst, wie sie auf Liams Schwulsein reagiert.“
Besorgt sah sie mich an, aber lächelte.
„Wir werden das Kind schon irgendwie schaukeln.“
Immer noch hafteten ihre Blicke auf mir.
„Was?“
„Deine Augen strahlen… du bist glücklich.“
„Ja!“
„Dann versuch dieses Glück festzuhalten!“
*-*-*
In meinem Magen machte sich ein flaues Gefühl breit. Was würde die Frau anstellen, wenn sie dass über ihren Sohn und mich heraus findet? Oder hatte sie es schon heraus gefunden? Irgendwie fühlte ich mich beobachtet und drehte meinen Kopf.
Aber im Cafe saßen auch nur die Leute, die dort auch sonst waren, ich konnte kein neues Gesicht ausmachen. Sogar der Mann im dunklen Anzug war schon öfter hier gewesen. Etwas berührte meine Schulter und ich fuhr zusammen.
„He, was ist los?“, hörte ich Liams Stimme neben mir.
Ich schaute in sein lächelndes Gesicht.
„Ich war im Gedanken…, entschuldige, ich hatte dich nicht bemerkt.“
Mit funkelnden Augen setzte er sich neben mich.
„Na? Wie war dein Morgen?“
„Informativ.“
„In welche Richtung?“
„Deiner Mutter…“
„Oh…“
„Ja… oh! Hör mal Liam…“
„… du willst Schluss machen…!“
Ich zog meine Augenbraun hoch.
„Wie kommst du jetzt da drauf?“
Er zuckte mit den Schultern. Seine Augen waren traurig. Es war mir egal, ob uns jemand im Cafe zusah, ich griff einfach nach seiner Hand. Auch ihm schien es keine Angst zu machen, denn er zog sie nicht zurück.
„Liam, schon als ich dich das erste Mal sah…, das Cafe betratst, fielst du mir auf. Später als du aus Carens Büro kamst, hat es mich schon erwischt.“
„Schon da? Aber wie konntest du wissen, dass ich schwul bin?“
Er sagte das mit einer Lautstärke, dass ich derjenige war, der seine Blicke durch das Cafe wandern ließ. Keiner hatte aufgeschaut. Sein Daumen strich mir über die Fingerrücken.
„Gar nicht…“, antwortete ich leise.
„Du siehst einen Kerl und verliebst dich in ihn?“
„Nein, Liam. So ist es jetzt auch nicht, aber man wird doch noch träumen dürfen. Schau mal in den Spiegel, falls dir noch nicht aufgefallen ist, du siehst verdammt gut aus.“
Zwei Reihen weißer Zähne kam zum Vorschein und Liam lächelte mich an. Er wurde auch nicht rot, sondern genoss mein Kompliment.
„Das hat mir noch niemand gesagt“, flüsterte er leise.
„Liam, ich möchte nur nicht, dass was hier beginnt, durch irgendwen zerstört wird.“
Sein Lächeln verschwand.
„Ich sage es am Wochenende meiner Mutter.“
Verwirrt sah ich ihn an.
„Bist du sicher…, du hast doch gesagt sie bringt…“
„Chris…“, beschwichtigte er mich, „ich möchte endlich mein Leben leben, dass ist mir in den letzten Tagen bewusst geworden. Sie hat die Fäden schon viel zu lange in der Hand.“
Mein Blick wanderte nur kurz zur Bar und da sah ich, wie der Anzugsmensch uns ansah, aufstand und schnell das Cafe verließ.
„Ist etwas… habe ich etwas Falsches gesagt?“, riss mich Liam aus dem Gedanken.
„Nein Liam…, egal was du tust, ich steh voll hinter dir.“
*-*-*
„Muss du gleich nach Hause, oder hast du noch etwas Zeit“, fragte mich Liam, als wir das Cafe verließen.
„Ich mach heute nichts mehr, mein Pensum an Papierarbeit ist erreicht. Für die Uni muss ich auch nichts mehr machen. Warum fragst du?“
„Ich dachte…, es ist warm, wir könnten beide eine Abkühlung brauchen…“
„Der See…?“
Liam nickte.
„Holen wir deine Badesachen.“
*-*-*
Liam
„Wie lange geht das schon mit euch beiden…, wie lange meinst du, wäre das vor mir verborgen geblieben.“
Entsetzt sah ich sie an. Sie hatte wirklich einen Privatdetektiv auf mich angesetzt.
„Ich… ich wollte es dir sagen?“
„Das ist krank!“, fuhr sie mich weiter an.
„Ich… kann nichts für meine Gefühle…“
„Dieses Mädchen… Caren, das ist doch so ein liebes Mädchen und hat reiche Eltern…“
„… kommt es dir nur darauf an?“
„Was? Geld? Klar, Geld ist wichtig…, wer Geld hat Macht.“
Das war hart zu hören und tat weh, irgendetwas zerbrach in mir.
„Also bin ich auch nur eine Art Ware für dich…“
Darauf erwiderte sie nicht.
„Meine Entscheidung… steht fest. Ich werde hier bleiben und weiter studieren und versuch erst gar nicht den Geldhahn zuzudrehen. Papas Anwälte haben dir schon mehrere Male klar gemacht, dass das Geld von Großvater unantastbar ist!“
„Das ist also der Dank für alles, was ich für dich…“
„… hör auf Mutter“, unterbrach ich sie, „was hast du für mich getan…Geld investiert, wie in eine Immobilie. Tut mir Leid, dass ich nicht so ausfalle, wie du es willst.“
Sie schaute mich angewidert an.
„Dann haben wir uns wohl nichts mehr zu sagen“, meinte ich und verließ ihr Zimmer.
*-*-*
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte mich Chris Mutter, die ich zufällig in der Lobby des Hotels traf.
„Ja, danke Melissa, mir wurde gerade bewusst, was für eine Frau dort oben wohnt und sich meine Mutter nennt.“
Sie legte ihre Hand auf meinen Arm.
„Das tut mir Leid Liam, wenn ich dir irgendwie helfen kann, sag mir bitte Bescheid.“
„Danke Melissa, ich werde jetzt erst mal eine Runde laufen gehen.“
Das Telefon an der Rezeption klingelte.
„Einen Moment“, meinte Melissa.
Sie lief zur Theke und nahm ab.
„Rezeption, Melissa Habert, was kann ich für sie tun? … Ja… wie sie wünschen…, ich schicke gleich jemanden für die Koffer… ja… auf wiederhörn.“
Sie schaute mich an.
„Was ist?“
„Deine Mutter reist ab…“
„Besser so.“
„Willst du dich nicht etwas zu mir setzten, du bist ganz Bleich im Gesicht?“
Ich merkte selbst, dass etwas nicht stimmte, wusste aber warum es so war. Das erste Mal in meinem Leben, habe ich mich gegen meine Mutter gestellt, oder bessergesagt Erzeugerin, weil eine Mutter nicht so handelt.
Melissa streckte mir ihre Hand entgegen und zog mich in den Raum hinter die Theke.
„Setz dich hier hin, wenigstens bis deine Mutter abgereist ist.“
Ich nickte und lies mich auf den Stuhl nieder. Melissa verließ den Raum und ich konnte hören, wie sie mit Chris telefonierte. Sie erzählte ihm in kurzen Worten, was vorgefallen war.
„Bitte sei vorsichtig, Christian. Ich möchte nicht, dass du mit dieser Frau zusammentriffst. Liam ist bei mir gut aufgehoben… okay, bis gleich.“
Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und versuchte nicht loszuheulen. Ein Monat und alles hatte sich geändert. Aber ich musste ehrlich sein, war es denn vorher besser?
„Guten Abend, Mrs. Evans, es tut mir Leid, dass sie schon abreisen müssen.“
„Ein paar unvorhersehbare Geschäfte. Schicken sie bitte die Rechnung an die bekannte Adresse, wie das letzte Mal.“
„Kein Problem, wenn sie hier bitte noch unterschreiben.“
Ein paar Sekunden herrschte Stille, bis ich die Stimme meiner Mutter wieder hörte.
„Eine Frage noch, ich lese auf ihrem Namenschild Habert, kennen sie zufällig einen jungen Mann namens Christian Habert?“
Ich musste mich beherrschen nicht sarkastisch los zulachen, warum fragte sie, sie wusste doch genau, wen sie vor sich stehen hatte.
„Das ist mein Sohn…“
„Oh…, dann sind sie eine sehr bemitleidenswerte Mutter…, einen schönen Abend noch.“
Dann verstummte das Gespräch.
*-*-*
Chris war mittlerweile eingetroffen und hatte mich im Arm. Durch einen Zufall war auch Caren anwesend und so saßen wir im Ausbereich des Restaurants. Es war nicht mehr so viel los und so gesellte sich Chris Mutter zu uns.
„Melissa, es tut mir Leid, wegen meiner Mutter.“
„Ach Liam, du kannst nichts für deine Mutter, du bist nicht schuld, mich würde nur interessieren, woher sie über Christian Bescheid wusste.“
„Sie hat einen Privatdetektiv auf mich angesetzt…“
„Sie hat was?“, fragte Caren entsetzt.
„Und der hat ihr alles Brühwarm erzählt und womöglich noch Bilder gemacht…“, kam es von Chris.
Er schaute mich an und wurde leicht rot. Mir kam der letzte Abend am See in den Sinn, wo wir mehr als Zungenakrobatik betrieben hatten. Zwangsläufig musste ich grinsen. Caren schaute zwischen uns hin und her.
„Ich will gar nicht fragen“, begann sie lachend, „aber wie geht es jetzt weiter?“
„Normal“, sagte ich.
„Normal?“, fragte Melissa.
„Ja, ich werde weiter hier studieren und sie haben einen Hotelgast weniger, vermute ich, denn meine Mutter wird hier nicht mehr aufkreuzen.“
„Bist du sicher?“, wollte Caren wissen.
„Bei meiner Mutter war und bin ich mir bei gar nichts sicher, aber ich habe ihr gesagt, dass ich hier bleiben werde und mich für Chris entschieden habe.“
Chris strahlte über das ganze Gesicht und drückte mir einen Kuss auf die Wange.
„Hört auf, ich werde neidisch“, sagte Caren und Mum legte ihr Hand auf ihre Schulter.
„Hast du keine Angst, dass sie dir den Geldhahn zudreht?“, fragte Melissa.
„Nein, denn es ist nicht ihr Geld, dass mein Studium finanziert, das brachte mich auch auf den Gedanken, die Uni zu wechseln und nicht dorthin zugehen, was sie bestimmt hatte. Das Geld kommt aus einer Stiftung, die meiner Großvater angelegt hatte.“
„Und da hat sie keinen Zugriff? War ihr Vater so misstrauisch?“, fragte Caren.
„Es ist der Vater meines Vaters und nicht mal er hat Zugriff, ein Vorstand bestimmt, wer davon Geld bekommt und wer nicht, dass ist im Testament meines Großvaters genau festgelegt.“
„Dann bist du da wenigstens unabhängig“, meinte Melissa.
„Was ist mit deinem Vater?“, fragte nun Caren.
„Ich glaube der weilt in Europa…, oder Asien, ich weiß nicht genau wo er ist.“
„Hast du keinen Kontakt mit ihm?“, mischte sich nun Chris in die Unterhaltung ein und setzte sich auf den Stuhl neben mich.
„Nein, nicht sonderlich, weil er ja dann zwangsläufig auch Kontakt zu meiner Mutter haben müsste…“
„Warum haben die dann überhaupt geheiratet…“, wollte Caren wissen.
„Meine Mutter war anscheinend nicht immer so…“
Die Tür von Restaurant sprang auf und Chris Vater trat heraus.
„Ach hier seid ihr…Chris geht es dir gut?“
„Hallo Cliff…, was treibt dich hier her?“, fragte Melissa.
„Ein Fremder hat mich angerufen und mir eine wilde Story über Ermittlungen erzählt und dass ich mich um meinen Sohn kümmern sollte.“
Alle schauten wir uns verwundert an.
„Also mir geht es gut, sogar sehr gut“, sagte Chris und griff nach meiner Hand.
Plötzlich hörten wir vor dem Hotel einen großen Lärm, Scheiben gingen zu Bruch. Wir sprangen auf und liefen zur Vorderseite des Hauses. Dort hing ein Wagen halb in der Lobby.
„Melissa ruf die Polizei und einen Krankenwagen“, rief Cliff.
Der Wagen hatte leicht Feuer gefangen und man sah, dass der Fahrer sich im Innern noch bewegte.
„Kinder bleibt zurück“, rief Cliff und stieg vorsichtig zur Fahrertür, da jede Menge Trümmerteile des Eingangsbereichs um den Wagen herumlagen.
„Ich krieg die Tür nicht auf…“, schrie Cliff und Chris eilte ihm zur Hilfe.
Auch ich wollte mich nützlich machen und folgte ihm.
„… hören sie zu! Ich… bin Privatdetektiv“, hörte ich den Mann am Steuer röcheln, aus dessen Wunde am Kopf Blut rann, „meine Mandantin, will… ihren Sohn… aus dem Weg räumen…“
Jetzt erst sah ich eine hässliche Schusswunde an dessen Schulter, knapp über den Herzen.
„Was… wer?“, rief Cliff und zog an der Tür.
„… bringen …sie ihren Sohn…in Sicherheit…“
Sein Kopf sackte zusammen. Das Feuer am Motor, war mittlerweile so stark geworden, das wir zurücktraten. Irgendwo her konnte man Sirenen hören.
„Wisst ihr war er meint?“, fragte Cliff entsetzt.
„Meine Mutter…“
Weiter kam ich nicht mit meiner Erklärung. Hinter uns bremste ein Wagen scharf. Die Tür sprang auf und meine Mutter trat heraus. Entsetzt nahm ich war, dass sie eine Waffe in der Hand trug, die nun nach oben schnellte und sich auf Chris richtete.
„Du bekommst meinen Sohn nicht!“, schrie sie hysterisch.
Dann folgte ein Schuss. Entsetzt schrien Caren und Melissa auf, die gerade wieder zurück gekommen war. Chris neben mir zuckte und sackte zusammen.
Chris!“, schrie ich und versuchte ihn aufzufangen.
Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, wie sich Cliff auf meine Mutter stürzte, aber ich konnte noch einen Schuss hören. Die Sirenen waren jetzt sehr nah, aber irgendwie drang das jetzt nicht mehr zu mir durch, ich sah nur noch Chris.
Ich hatte Chris im Arm, drückte meine Hand auf die Wunde die am Bauch blutete.
„Chris bitte…, bleib bei mir… verlass mich nicht…“, heulte ich, spürte Carens Hand auf meiner Schulter.
*-*-*
„Sind sie Mr. Und Mrs. Habert?“
„Ja“, hörte ich Cliff sagen, schaute aber nicht auf.
Mein Blick fiel immer noch auf meine blutigen Hände.
„Special Agent Forseith, wie geht es ihrem Sohn?“
„Sie operieren noch.“
Wieder Cliff. Caren saß neben mir auch sie zitterte wie ich.
„Ich weiß, der Moment ist unpassend, aber können sie mir sagen, wie diese Frau mit ihnen in Verbindung steht?“
Nun schaute ich doch auf.
„Es ist meine Mutter!“, sagte ich leise.
Er drehte sich zu mir.
„Sie sind Mrs. Evans Sohn?“
Ich nickte und er trat zu mir.
„Sie sind voller Blut…, sind sie auch verletzt?“
Ich schüttelte den Kopf und fing wieder an zu weinen. Der Special Agent sah mich verwundert an.
„Mr. Evans und mein Sohn sind ein Paar… und seine Mutter war wohl dagegen“, kam es nüchtern von Cliff.
„Könnten wir später vielleicht eine Aussage machen?“, fragte Cliff und der Mann nickte, „ich werde später jemanden vorbei schicken…“
Cliff und Melissa nickten.
„Was passiert jetzt mit seiner Mutter?“, wollte Melissa wissen.
„Sie wurde erst mal in die psychiatrische gebracht, weil sie nicht mehr als zurechnungsfähig gilt, mehrere Beamten waren notwendig um sie still zu stellen. Aber sie wird sicherlich wegen versuchten Doppelmords angeklagt.
„Doppelmord?“, warf Cliff ein.
„Ja der Fahrer des Wagens wurde mit dem gleichen Kaliber wie ihr Sohn erschossen, es würde mich sehr wundern, wenn es nicht die gleiche Waffe ist.“
Entsetzt sah ich den Mann an, was war nur aus meiner Mutter geworden.
*-*-*
Cliff hatte mich und Caren zu meiner Studentenbude gefahren. Mittlerweile frisch geduscht und mit neuen Klamotten saß ich auf meinem Bett.
„Ich versteh es nicht…“, hauchte ich leise.
Caren setzte sich neben mich und nahm mich in den Arm.
„Das wird wohl niemand verstehen, Liam… es tut mir so furchtbar leid.“
Ich nickte leicht.
„Sollen wir wieder ins Krankenhaus fahren?“
„Hat sich Chris Vater noch nicht gemeldet?“
Caren schüttelte den Kopf und ich stand auf.
„Mein Gott Caren, was wenn ich Chris verliere…,dann bin ich schuld…, dann ist er wegen mir gestorben…“
Mein Stand wurde unsicher und ich brach wieder in Tränen aus.
„Liam… Liam, so darfst du nicht denken! Du kannst nichts für deine Mutter… und so nützt du Chris überhaupt nicht…, er wird dich sicher brauchen, also versuch bitte dich zusammenzureißen.“
Ich nickte und wischte mir die Tränen ab.
„Danke Caren!“
„Für was?“
„Dass du für mich da bist!“
„Nicht dafür! …komm lass uns fahren.“
*-*-*
„… ihr Sohn hat sehr viel Blut verloren, aber wir konnten ihn stabilisieren. Die Kugel allerdings hat das Rückgrat getroffen…“
„Das heißt?“, fragte Cliff.
Wir waren gerade eingetroffen, als der Arzt zu Chris Eltern kam.
„Wir wissen nicht, ob er seine Beine noch einmal verwenden kann.“
„Gelähmt? Oh Gott, der arme Junge“, kam es von Melissa und begann zu weinen.
Auch ich war den Tränen nahe und spürte, wie sich der Druck an meiner Hand verstärkte, wo ich Carens Hand hielt.
„Bisher sind die Test negativ verlaufen, Mr. und Mrs. Habert, aber wir können erst Genaueres sagen, wenn ihr Sohn wieder erwacht ist.“
„Können wir zu ihm?“
„Ja… bitte folgen sie mir.“
Er konnte nie wieder laufen…
*-*-*
Eine Woche saß ich nun jeden Tag an seinem Bett und hielt seine Hand. Bisher war noch keine Veränderung aufgetreten. Die Tür ging auf und Melissa kam herein.
„Hallo Liam.“
„Hallo Melissa!“
„Wie lange sitzt du hier schon?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete ich wahrheitsgemäß und fuhr mir durchs Gesicht.
„Hier, ein Kaffee.“
„Danke Melissa.“
Sie blieb neben mir stehen.
„Warum wacht er nicht auf…, die Ärzte meinten doch, er sei über dem Berg…“, sagte ich leise und umklammerte meinen Becher Kaffee, als wäre es das letzte was ich zu trinken bekommen würde.
„Ich weiß es nicht, Liam. Der menschliche Körper ist ein Unikum…“
Es klopfte an der Tür und wurde sachte aufgeschoben.
„Vater?“, sagte ich verwundert, als ich begriff wer da stand.
Melissa schaute mich verwundert.
„Liam…, meint Gott…, entschuldige, ich erfuhr erst gestern Abend was vorgefallen ist und habe gleich eine Maschine hierher genommen.“
Ich stand auf.
„Das ist dein Vater?“, fragte Melissa.
Ich nickte und lief auf ihn zu und er nahm mich zu meiner Überraschung in den Arm.
„Es… es tu mir so leid… wäre ich doch nur hier gewesen.“
„Das hätte auch nichts geändert“, meinte ich monoton und ließ von ihm ab, „darf ich dir Mrs. Habert vorstellen, die Mutter von Chris meinem Freund, den Mutter angeschossen hat.“
Leicht irritiert schaute er mich an, das war wohl etwas viel Information auf einmal.
Verwirrt reichte er Melissa die Hand.
„Sie müssen entschuldigen, die Nachricht war nur kurz, dass meine Frau jemanden niedergeschossen hat und mein Sohn darin irgendwie verwickelt war.“
Melissa nickte, sagte aber nichts.
„Können wir uns kurz draußen unterhalten?“, fragte ich.
Melissa lächelte mich aufmunternd und wissen an.
„Wird schon“, meinte sie knapp, bevor ich meinem Vater nach draußen folgte.
*-*-*
„Was hat sie?“, fuhr mich mein Vater regelrecht an.
„…entschuldige, das muss ich jetzt erst irgendwie verdauen…“
Meinte er jetzt, was seine Frau angerichtet hatte, oder mein Schwul sein?
„Du… du liebst ihn?“
Ich nickte und er griff nach meiner Hand.
„Ich habe wohl zu viele Fehler gemacht in der Vergangenheit und dich stark vernachlässigt…, es tut mir sehr leid.“
„Wieso? Daran bist du doch nicht schuld.“
„Und wie geht es jetzt weiter?“
„Ich weiß es nicht. Chris liegt immer noch im Koma und reagiert nicht.“
„Und deine Mutter?“
„Will ich nie wieder sehen…“
Mein Vater rieb sich erschöpft über seine Gesicht.
„Ich hätte nie gedacht, dass sie zu so etwas fähig ist…, ich weiß dass sie eine skrupellose Frau ist, aber jemanden ermorden?“
„Du scheinst wirklich nicht viel über sie zu wissen… und auch wenn es dich nicht tröstet…, mir ist diese Frau auch fremd geworden…“
„Das tut mir so…“
„Hör bitte auf Vater, das bringt jetzt auch nichts mehr…, ich hätte nur einen Wunsch.“
„Ja… welchen?“
„Lass bitte nie wieder den Kontakt zwischen uns abbrechen…!“
Er nahm mich in den Arm und drückte mich fest an sich.
*-*-*
„Ich weiß warum er nicht aufwacht“, meinte Caren und grinste.
„Warum?“, fragte ich leicht genervt.
„Weil er weiß wie viel Arbeit im Verlag auf ihn wartet, sein Tisch quillt bald über vor Schreibkram.“
Unweigerlich musste ich grinsen und nahm fast nicht das leichte Zucken an meiner Hand war.
„Was ist?“, fragte Caren.
„Seine… seine Finger haben sich bewegt… Chris… Chris hörst du mich?“
„Ich hol Melissa“, sagte Caren und verschwand aus dem Zimmer.
„Chris…?“
Sein Mund bewegte sich, er versuchte zu schlucken und verzog das Gesicht.
„Chris? Hörst du mich?“
Seine Augenlider bewegten sich beide gleichzeitig und langsam kamen die Augen zum Vorschein.
„Liam?“, hörte ich Chris leise krächzten.
„Ja Chris ich bin hier.“
Die Tür ging auf und Caren gefolgt von Melissa und einem Arzt kamen ins Gesicht.
„Er ist aufgewacht“, rief ich ihnen aufgeregt entgegen.
Der Arzt umrundete das Bett und lass auf den Geräten, an denen Chris hing. Dann kam dieser berühmte Kugelschreiber zum Vorschein und leuchtete ihm in die Augen.
„Mr. Habert, sie wissen wo sie sind?“
Chris Augen bewegten sich verwirrt umher.
„Ich denke im Krankenhaus, denn zu Hause haben wir keine Arzt.“
Ich musste grinsen, denn seinen Humor hatte er nicht verloren.
„Mum?“
„Ja mein Junge, ich bin hier!“
„Was ist passiert? Hat mich ein Laster überrollt?“
Doch noch bevor Melissa antworten konnte, machte dies der Arzt.
„Sie sind angeschossen worden…“
„Angeschossen…?
Verwirrt schaute er erst mich dann seine Mutter und Caren an.
„Sie können sich nicht mehr erinnern?“
„Doch… irgendwie… ein Wagen“, dann schaute er auf mich.
„Deine Mutter… sie hat auf mich geschossen…“
Ich nickte und Tränen traten mir in die Augen. Ich wollte etwas sagen, aber wieder kam der Doktor nun mir zu vor.
„Spüren sie das?“, fragte der Weißkittel und piekte Chris in den großen Zeh.
„Was soll ich spüren?“
Der Arzt sah uns an.
„Was ist? Was soll ich spüren?“, fragte Chris und schaute zwischen uns umher.
„Mr. Habert, die Schussverletzung war schwer… sie haben sehr viel Blut verloren…“
Chris schaute zu seinen Füßen hinunter.
„Warum kann ich meine Füße nicht bewegen“, Tränen liefen über seine Wangen.
„Die Kugel hat ihr Rückgrat verletzt…“
Geschockt sah er uns an und fing dann laut an zu brüllen.
„Neeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeein…!“
*-*-*
Chris
Missmutig schaute ich den Rollstuhl an.
„Können wir?“, fragte Liam.
Er war in den letzten Wochen jeden Tag bei mir gesessen, hatte jede meiner üblen Launen über sich ergehen lassen. Und nun stand er wieder da, lieb grinsend und wartete auf mich. Ich nickte.
Er hob mich sanft an und setzte mich in den Rollstuhl.
„Dein Vater müsste eigentlich schon hier sein“, meinte er und verfrachtete meine Tasche einfach auf meinen Schoss.
„He, Kopf hoch, es kann nur besser werden“, meinte er und küsste mich sanft auf meinen Mund.
„Wenn du es sagst…“, antwortete ich mürrisch.
„Ist mein Schatz aber wieder gut gelaunt und dass wo du hier endlich heraus darfst.“
Dazu äußerte ich nichts.
Er öffnete die Tür, kam zu mir zurück und schob meinen Rollstuhl nach draußen. Zum ersten Mal seit ich hier eingeliefert worden war, verließ ich nicht auf dem Krankenbett das Zimmer. Sonst wurde ich immer zu irgendwelchen Untersuchungen auf dem Bett geschoben.
Er schob mich den Gang runter und hielt erst vor dem Fahrstuhl an, der sich wenige Sekunden später wie durch Wunderhand öffnete. Vor uns stand mein Vater.
„Oh ihr seid schon fertig… hallo Chris… hallo Sohnemann“, meinte er und wuschelte mir durchs Haar.
Noch so ein fröhlicher Mensch.
„Vorsicht…, er ist bissig“, meinte Liam und Dad fing an zu lachen.
„Ha… ha…!“
Dad ging vor mir auf die Knie.
„Hör mal Junge, es ist so wie es ist und wir bemühen uns alle dir so gut zu helfen, wie wir können, der Rest liegt bei dir…“
Ich atmete tief durch und verdrehte die Augen.
„Es tut mir leid, dass ich nicht freudig aufspringe, weil ich endlich hier heraus komme.“
„Ein Lächeln wäre mal ein Anfang“, hörte ich Liam hinter mir sagen.
Ich drehte meinen Kopf und versuchte ein gequältes Lächeln hervorzubringen.
„Das ist ja schon ein Anfang, aber das üben wir noch ein bisschen!“, kam es grinsend von Liam.
„Komm Liam, ich habe direkt vor dem Krankenhaus geparkt, nicht dass der Wagen noch angeschleppt wird.“
*-*-*
Wir fuhren die Auffahrt hinauf, alles sah so aus wie immer. Nein, doch nicht. An der Veranda befand sich eine Rampe. Wohl extra wegen mir angefertigt. Die Tür ging auf und nacheinander kamen Mum, Grandma und Caren heraus.
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Dad hielt den Wagen an und Liam war sofort aus den Wagen.
„Hallo“, rief er den Dreien zu und lief nach hinten, kurze Zeit später tauchte er wieder mit meinem Rollstuhl auf.
Er öffnete meine Tür und legte seine Arme um mich. Als wäre ich ein Leichtgewicht, hob er mich aus dem Wagen und setzte mich auf den Rollstuhl.
„Danke“, meinte ich leise und er lächelte mich an.
„Hallo Junge“, hörte ich Grandma, die nun plötzlich vor mir stand und innig an sich drückte. Der obligatorische Kuss auf die Wange fehlte auch nicht.
„Du siehst gut aus“, meinte sie und nickte nur.
„Hallo Chris, ich durfte beiwohnen, als deine Mutter ihren berühmten Apfelkuchen backte, es duftet herrlich im Haus“, meinte Caren und umarmte mich ebenso, nur das Küsschen fehlte.
„Willkommen zu Hause“, lächelte mich Mum an.
Ich lächelte sie ebenso an.
„Schon besser!“, meinte Liam und schob mich grinsend ins Haus.
*-*-*
„Boah, ich kann nicht mehr! Ich hab dies hier so vermisst, das gute Essen…, dass Haus… einfach alles.“
Alle lächelten mich an, doch dann kam ein Gedanken in mir auf.
„Öhm… entschuldigt, wenn ich blöd frage… wer trägt mich jetzt in mein Zimmer hinauf?“
Das Grinsen der anderen wich nicht und Liam stand auf.
„Du wirst dich selbst du deine Muskelkraft ins Zimmer befördern.“
„Hä? Ich soll da rauf krabbeln?“
Alle fingen an zu lachen.
„Nein“, begann deine Mutter, „dein Vater und ich haben beschlossen, dass wir bis auf weiteres oben schlafen werden… in deinem Zimmer und du bekommst unser Schlafzimmer.“
Ich schaute die beide lange an und bemerkte, dass Dad mit seiner Hand die ganze Zeit Mums Hand umschlossen hielt.
„Nach deinem… Unfall hatten wir viel Zeit zum Reden und uns noch einmal zusammengerauft“, meinte Dad.
„Danke“, meinte ich nur, „dann werde ich mir mein neues Zimmer mal in Augenschein nehmen.
Liam sprang auf.
„Lass es mich bitte selbst versuchen“, meinte ich.
Etwas umständlich verließ ich den Tisch und rollte Richtung Schlafzimmertür, welches jetzt ein Schild mit meinem Namen trug, was mir vorher nicht aufgefallen war. Langsam öffnete ich die Tür. Einige meiner Möbel kamen zum Vorschein, aber mir fiel gleich das größere und höhere Bett auf, das vor dem Fenster stand.
„Ein neues Bett…“
„Ja…, wir dachten, wenn Liam hier öfter mal nächtigen möchte, wäre ein größeres Bett doch praktisch“, hörte ich Mum sagen.
Chris hinter mir, beugte sich leichte vorüber zu mir.
„Willst du das denn?“
„Was?“
„Dass ich ab und zu über Nacht bleibe…“
Mir war bewusst, dass ich in den letzten Tagen nicht der Netteste war. Ich hob meine Arme, zog ihn zu mir und hoffte, ein Kuss beantwortete seine Frage.
„Danke“, hauchte er leise.
„So, hier ist Chris Tasche, lassen wir die Herren doch mal alleine.“
Mein Vater zog die Tür hinter sich zu und Liam kniete sich vor mir hin.
„Wie geht es dir?“, meinte er und griff nach meinen Händen.
„Durchwachsen… ich weiß grad nicht was ich denken soll. Ihr tut so viel für mich…, obwohl ich immer so scheiße drauf bin.“
„Selbsterkenntnis ist der beste Weg zur Besserung…“
Er lächelte mich an.
„Ich bin froh, dass ich dich habe“, meinte ich und zog ihn an mich heran.
„Und ich dich!“
Er drückte mich ganz fest an sich.
*-*-*

 

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5 Kommentare

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  1. Hallo Pit, es freut mich unheimlich, endlich mal wieder eine Storie von dir zu lesen und dann auch eine sehr gelungene. Teils harter, trauriger Stoff, richtig klasse umgesetzt. Gibts evtl. eine Fortsetzung?
    Wie gehts dir denn so, hoffentlich besser?

    VlG aus Hahnstätten

    Andy

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    • Joachim auf 31. August 2014 bei 16:00
    • Antworten

    Hallo Pit,
    schön, dass Du mal wieder eine Geschichte veröffentlicht hast. Habe sie nahezu verschlungen. Und das liegt nicht nur daran, das es den ganzen Vormittag geregnet hat. Ich werde mich bemühen auch demnächst wieder eine Geschichte hier zu veröffentlichen (Die zweite).
    Ich hoffe, das es Dir gesundheitlich schon wieder sehr gut geht.
    Ich wünsche Dir auf jeden Fall weiterhin alles Gute!

    Liebe Grüße aus Berlin
    Joachim

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  2. Hallo ihr Lieben,
    leider kann ich euch keine positive Mitteilung geben. Seit ersten Juli bin ich zum Frührentner gemacht worden, weil ich nicht mehr arbeitsfähig bin. Bin Tagesformabhängig geworden, gribt Tage da schlafe ich fast nur, aus Kraftmangel, aber auch Tage, da kann ich wenigstens mal einkaufen gehen.
    Abends versuche ich immer in “Begleitung” Spaziergang zu machen, weil es das einzige ist, das ich machen darf, sonst sind sämtliche sportlichen Tätigkeiten verboten, da zu gefährlich für mich.
    Hört sich alles recht negativ an, aber ich versuche das beste daraus zu machen.
    Liebe Grüße
    euer Pit

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      • Joachim auf 1. September 2014 bei 21:42
      • Antworten

      Hallo Pit,

      das ist ja keine schöne Meldung. Ich kenne ja nur Deine Geschichten auf dieser Seite. Aber wer solch schöne Geschichten schreibt, kann nur ein liebenswerter Mensch sein. Ich wünsche Dir auf jeden Fall viel Kraft. Es ist bestimmt nicht leicht, nicht mehr alles machen zu können, was man bisher gerne gemacht hat, aber Du darfst dabei niemals den Mut verlieren.

      >>Never give up – never surrender << Spruch aus 'Galaxy Quest'

      Liebe Grüße aus Berlin
      Joachim

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    • Andy auf 3. September 2014 bei 16:40
    • Antworten

    Ohje, das ist ja übel, erschüttert mich jetzt. Ich wünsche dir viel kraft um damit klarzukommen. Lass den Kopf nicht hängen, es geht irgendwie immer weiter. Auch wenn die Situation noch so ausweglos erscheint. Das hat mich das leben gelehrt.

    Ganz liebe Grüße aus Hahnstätten

    Andy

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