Austauschschüler

„Na toll“, schimpfte ich lautstark „IHR entscheidet das einfach mal so, weil’s euch grad passt und ICH darf dann den Babysitter spielen … das habt ihr euch ja wieder fein ausgedacht!“

Meine Mam wirkte nicht sonderlich erfreut und wollte gerade etwas erwidern, als sich mein Vater in den Streit einbrachte: „Jetzt übertreib mal nicht so … du sollst dich ja nur um ihn kümmern, bis er sich eingelebt hat … außerdem … von Babysitten kann wohl nicht die Rede sein … er ist immerhin schon 17!“

„SCHON siebzehn?“, äffte ich ihn nach … „was soll ich denn mit dem anstellen?! Und AUßERDEM! An dem Tag, hätte ich eigentlich schon was vorgehabt! … ihr hättet zumindest mal FRAGEN können!“

Jetzt meldete sich auch meine Mutter verärgert zu Wort: „Also, junger Mann, es ist mir schon klar, warum du dich so aufregst, aber es handelt sich doch erst mal nur um ein paar Stunden! Außerdem kann man es jetzt nicht mehr ändern … es ist schon alles geregelt und der Junge kommt am Freitag … da kannst dich aufführen wie du willst, es bleibt dabei.“

Als ich dazwischenfahren wollte, hob sie nur die Hand: „Lass mich ausreden … du wirst ihn also vom Flughafen abholen und dann fährst du ihn zu uns nach Haus … bis dahin sind dein Vater und ich auch von der Arbeit da und dann kannst du machen, was du willst …“

Ich schaute sie einfach nur wartend an … ich spürte es förmlich … das war noch nicht alles … irgendein Haken kommt bestimmt noch nach, denn so glimpflich war eine Diskussion mit meinen Eltern noch nie ausgegangen. Als die beiden mich einfach nur anstarrten, maulte ich noch: „wenn ihr meint“ und wollte gerade die Küche verlassen, als meine Mutter noch ansetzte, etwas zu sagen … genervt blieb ich stehen und drehte mich fragend noch mal um.

„Ich finde es übrigens schade, dass du uns in dieser Situation so wenig Verständnis entgegenbringst. Wir sind im Moment sehr eingespannt im Betrieb und haben aber in der Vergangenheit immer versucht, dir zu helfen, wenn mal wieder …“ Sie stockte und sagte dann auch nichts mehr und ich wär innerlich am liebsten in die Luft gegangen.

Toll war das wieder … immer dieselbe Tour, wenn ich mal meinen eigenen Kopf durchsetzen wollte. Erst einfach hinter meinem Rücken entscheiden und dann so tun, als hätte ICH ihnen nie geholfen, nur weil ich EIN Mal anderes im Sinn hatte.

Das war wieder mal typisch … sind eigentlich alle Eltern so?

Ich schaute sie also nun direkt an und versuchte dabei ein möglichst Hypergenervtes Gesicht aufzusetzen. Um einen ruhigen Ton bemüht sagte ich: „Ich hol den Bengel vom Flughafen ab DANN fahr ich ihn hierher und DANN fahr ich zu den anderen.“

Meine Mutter lächelte dankbar und mit einem solchen Strahlen im Gesicht, als hätten

wir nicht gerade genau darüber gestritten und ich ging endlich meiner Wege.

Mit einer sagenhaften Wut im Bauch ließ ich die Tür meines Zimmers zuknallen, warf mich aufs Bett und zündete mir erst mal ne Zigarette an …

Was soll denn das eigentlich? Meinen lieben Eltern fällt nichts besseres ein, als dass wir einen Austausch-Schüler aufnehmen sollten … weil das hebt nämlich das Ansehen in der Schule ungemein, schließlich ist mein Vater im Schulrat tätig und so weiter und so fort.

Toll, DIE haben ja auch nichts weiter zu tun, als dem Typen drei Monate lang ein Dach über dem Kopf und was zu Essen zu geben … ICH hab doch dann die Arbeit mit dem. ICH soll dem die Gegend zeigen und ICH soll dafür sorgen, dass er sich bei uns wohl fühlt und sich gut einlebt.

Die haben doch wohl komplett ne Meise.

DREI Monate lang soll ich den Babysitter spielen für den Kerl.

Also, jetzt erst mal zur Info: Meine Eltern sind oft hypernervend … beide im eigenen Betrieb berufstätig, mein Vater ist zudem noch im Schulrat, im Stadtrat … was das heißt, brauch ich ja wohl nicht dazu sagen. Ständig irgendwelche Grillpartys, bei denen wir heile Welt vorspielten, oder irgendwelche Veranstaltungen oder was auch immer.

Meine gewisse Neigung hatten meine Eltern zwar mit Murren, aber dennoch hingenommen … allerdings mit dem Hintergedanken, dass diese „Phase“ irgendwann mal wieder vorbeigeht.

Ja, nun zu mir: mein Name ist Maik … also, das ist keine Abkürzung oder so, ich heiße wirklich Maik. Genauer Maik-Pascal, aber so genau will ich es ja dann doch nicht nehmen … für Freunde einfach nur Maik. Ich bin 21 Jahre alt, hab mein Abi als Jahrgangsbester abgelegt und gönn mir jetzt grad ein Jahr Pause … ab nächstem Jahr will ich dann mein Studium „Mediendesign“ starten.

Ja, aber bis dahin ist ja noch lang hin.

So zu meiner Optik: Ich bin relativ groß, um die 1,90, sehr sportlich, hab dunkelblonde Haare, braune Augen. Bart trage ich kaum … höchstens mal so Dreitage-Stoppeln.

Was ich vielleicht noch hinzufügen möchte: Ich bin ziemlich schwul, soviel also zu meiner vorhin genannten „Neigung“ … also, ich hab schon auch Erfahrungen mit Frauen, aber das war noch nie so mein Ding … seit ich meine ersten Erfahrungen mit Männern gesammelt habe, erst recht nicht mehr. Einen festen Freund hab ich zurzeit nicht … meine letzte Beziehung liegt auch schon etwas zurück.

Also, ich hätte schon gern einen festen Partner, aber na ja, es sollte wenn, dann schon was dauerhaftes sein und solang ich des Gefühl nicht bei nem Kerl hab, solang werd ich wohl auf Solopfaden rumpirschen … und mal ehrlich, so schlecht ist das ja auch nicht.

Ich komm und geh wann es mir passt, brauch niemanden ne Rechenschaft abgeben und auf körperlicher Ebene kann man auch so seinen Spaß haben. Oft zwar allein, aber hin und wieder geh ich auch mal mit einem heim – zu IHM heim allerdings nur. Das müssen meine Eltern ja nicht immer mitbekommen, schließlich ist ihnen das auch schon so schwer genug gefallen, das zu schlucken.

Sollt ich wirklich meinen Traummann kennen lernen, dann werd ich ihn schon vorstellen, aber momentan seh ich das ziemlich locker.

Über diesen Austausch-Schüler weiß ich bis jetzt noch gar nichts … hab ja schließlich grad erst erfahren, dass da überhaupt einer kommt.

Aber is sowieso egal … ich zeig dem ein bisschen die Gegend und der Fall hat sich. Werd mich doch nicht drei Monate lang mit so nem pubertierenden, nervenden Teenie abgeben … hab ja schließlich auch meine Bedürfnisse, die ich auf keinen Fall so lang zurückstellen werde.

1. F l i e g e n d e U n g e h e u e r

So, nun war also der ominöse Freitag angerückt … unaufhaltsam wie ich leider feststellen musste. Dementsprechend mies war auch meine Laune an diesem Morgen. Vor Wut über die Ungerechtigkeit des ganzen Universums hätte ich auch beinah meinen Wecker ums Leben gebracht, als dieser einfach nicht mehr aufhören wollte, dieses nervige Geräusch von sich zu geben. Noch übler gelaunt wackelte ich ins Bad, wo ich mir erst mal das Knie am Wannenrand anhaute, als ich mich während dem Zähneputzen umdrehte und mich draufsetzen wollte.

Als ich mich endlich einigermaßen zivilisiert hatte, stampfte ich unüberhörbar die Treppe hinunter, wo meine Eltern grad noch ihren Kaffee tranken, bevor sie in den Betrieb fuhren … ja, ja, dachte ich nur … fahrt ihr nur in euren Betrieb und lasst mich babysitten.

Wortlos nahm ich mir eine Tasse aus dem Schrank und schenkte mir frischen Kaffee ein, an dem ich mir auch gleich die Zunge verbrannte. Meine Mutter konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Tja, frischer Kaffee ist heiß, mein Sohn“, meinte dann auch noch mein Vater schadenfroh, als just in dem Moment das Telefon klingelte … ich wurde gleich hellhörig … womöglich meinte es das Schicksal gnädig und der Gast taucht doch nicht auf?

Genau das waren mein erster Gedanke und gleichzeitig auch mein sehnlichster Wunsch und sogleich verfinsterte sich die Miene von Dad zusehends. Als er aufgelegt hatte, holte er noch mal tief Luft und meinte dann kleinlaut: „Es gab ein Problem in der Firma“

Oh, oh, mir schwante nichts Gutes. „Maik, hör mal, es ist wirklich ein Notfall und ich brauche Deine Mutter in der Firma.“

„Es wird wohl heute spät werden.“

Nein, nicht auch das noch, die Krone folgte sofort: „Du müsstest heut bei unserem Gast bleiben“, auf meinen entsetzten Blick fügte er schnell hinzu „wir können ihn doch nicht einfach in der Fremde allein hocken lassen … es ist immerhin der erste Tag!“

Ich nahm wortlos meine Kaffeetasse und ging ebenso wortlos in mein Zimmer hinauf.

Dort angekommen blieb ich stehen und knallte mit einem Schlag die Tür zu und zwar so laut, dass es wahrscheinlich die ganze Straße entlang zu hören war.

Nach ein paar Minuten kam dann meine Mutter hoch und nach einem leisen Klopfen betrat sie mein Zimmer. „Maik, ich versteh dich ja … du hast dein eigenes Leben und du bist alt genug. Aber ich kann es nicht ändern. Bitte lass deinen Ärger nicht an Julien aus“ …

„Oh, Julien … was für ein edler Name“, schmollte ich nur.

„Maik, jetzt hör aber mal auf … vielleicht mögt ihr euch ja sogar … wär doch toll … außerdem sollst du dich ja nicht andauernd um ihn kümmern. Nur halt, bis er sich etwas eingelebt hat. Und … eben heute…“

Als ich einfach nicht mehr antwortete, meinte sie: „Ich muss jetzt zur Arbeit … Juliens Flieger landet um 13:30“

„Wie soll ich denn den Typen überhaupt erkennen?“, maulte ich dann doch noch nach.

„Warte einfach an der Gepäckausgabe mit einem Schild … wir geben ihm telefonisch Bescheid, dass DU ihn abholen kommst, also schreib bloß Maik drauf … ich muss jetzt wirklich los.“

Mit einem letzten bittenden Blick ging sie aus meinem Zimmer und ich war allein. Das würd ich auch bleiben, bis ich diesen Bengel holen musste, denn meinen Kumpels durfte ich ja absagen.

13:35

Mann, ist hier ein Betrieb … selbst an der Gepäckausgabe war alles voller Leute und so ging ich noch mal nach draußen, um eine zu rauchen … weglaufen kann er ja schlecht, dachte ich sarkastisch bei mir.

Als ich wieder kam, hatte sich die Menschenmasse schon etwas gelichtet und so hielt ich gelangweilt mein Schild hoch. Nichts.

Auch nach zehn Minuten kam kein pubertierendes nerviges Etwas auf mich zu und so begann ich mich langsam wirklich zu langweilen und musste so auch diesen gewissen Blick nicht mehr spielen.

Nach weiteren zehn Minuten wurde ich dann schon etwas nervös … war ich vielleicht an der falschen Gepäckausgabe? Ich schaute noch einmal auf die Tafel, dann auf die Schilder … nein, ich war richtig hier. Mittlerweile waren vielleicht noch 20 Leute da, was angesichts der Menge von eben wie nichts wirkte.

Ich ließ meinen Blick über die Gesichter der Leute streifen, aber keiner, der auch nur halbwegs in dem fraglichen Alter war, war zu sehen.

Mist! Meine Eltern würden mir was erzählen, wenn ich ohne ihn zu Hause ankam … ich beschloss noch mal nach draußen zu gehen, um ne Zigarette zur Beruhigung zu rauchen.

Draußen angelangt stellte ich mein Schild ab und lehnte es an meinen Beinen an und gerade in dem Moment, als ich die Zigarette anzündete, hörte ich hinter mir eine schüchterne Stimme: „’ello Maik?“

Ich drehte mich hastig um und ließ erst mal die Zigarette vor Schreck fallen. Schnell bückte ich mich danach und sah ihn dann noch mal an.

„Isch bin Julien“, stellte er sich schüchtern und mit dem absolut süßesten Lächeln, das ich jemals gesehen habe, vor und hielt mir seine Hand hin. Als ich sie immer noch total perplex nicht ergriff, ließ er sie enttäuscht sinken.

O je, toller Start, dachte ich und so bemühte ich mich, ein nicht allzu dämliches Lächeln aufzusetzen und sagte: „Hi, ich bin Maik.“

Er lächelte leicht und schien darauf zu warten, dass ich irgendwas sagte. „Ahm, ja … bringen wir deine Sachen zum Auto“ … ich bückte mich nach zwei der größeren Koffer und überließ ihm die zwei kleineren. Als wir das ganze Zeug ins Auto geladen hatten, war mir schleierhaft, wie er, ohne von mir gesehen zu werden, aus der Gepäckausgabe an mir vorbei gekommen war. Und das allein.

Ich setzte mich ans Steuer und wartete, bis er sich angeschnallt hatte und fuhr dann los.

Wir würden etwa 20 Minuten bis nach Hause brauchen, und da er von sich aus keine Anstalten machte, ein Gespräch zu beginnen, sagte auch ich nichts.

Ich warf nur hin und wieder einen verstohlenen Blick in seine Richtung.

Er saß ganz ruhig da, die Schenkel leicht geöffnet, die Hände ruhend auf seinem Schoß … ich merkte, wie er sich zwar die Gegend ansah, aber trotzdem oft traurig den Blick senkte.

Auf meine aufmunternd gemeinte Frage, ob er schon Heimweh hätte, reagierte er etwas verspätet … er schüttelte nur den Kopf und lächelte dabei.

Ich musste während der Fahrt zumindest innerlich grinsen … da hatte ich einen nervenden pubertären Teenie erwartet, war die ganze Zeit auf ein fliegendes Ungeheuer gewappnet … und dann saß neben mir der süßeste Typ, der mir jemals begegnet ist.

2. S c h w a n o d e r E n t l e i n ?

Als wir bei meinem Elternhaus angekommen waren, war tatsächlich niemand da und meine Eltern waren wohl wirklich im Betrieb eingespannt, so luden wir zu zweit das ganze Gepäck aus und schafften es in das Zimmer, das von nun an sein eigenes Reich darstellen sollte.

Ich zeigte ihm das komplette Haus, zeigte ihm, wo sich Toilette und Bad befanden, führte ihn in die Küche, in das Wohnzimmer und zeigte ihm zuletzt auch mein Zimmer.

Unsere Zimmer befanden sich nebeneinander und gegenüber war das Bad. Er musterte alles sehr zügig, zeigte dabei aber nicht allzu viel Interesse … nicht einmal in meinem Zimmer wollte er sich umsehen.

Als wir schließlich unseren Rundgang beendet hatten, fragte ich ihn: „Was möchtest du tun? Erst auspacken oder hast du Hunger oder möchtest du duschen?“

Er wollte erst auf sein Zimmer und gleich ein paar Sachen auspacken und so ließ ich ihn ungestört dabei und machte es mir in meinem eigenen Zimmer vorm PC bequem. Dabei ließ ich meine Zimmertür offen, um ihm nicht das Gefühl zu geben, dass ich ihn ausgrenzen wollte, falls er rüber kommen wolle … aber er kam nicht.

Stattdessen hörte ich nach etwa einer halben Stunde Wasser aus dem Bad. Nach einer weiteren halben Stunde klopfte er dann zaghaft an meine Tür und teilte mir schüchtern mit, dass das Bad wieder frei sei.

Aha, dachte ich mir … nun, das hätte ich zwar auch so mitbekommen, aber ich lächelte und bedankte mich für die Auskunft.

Er sagte nichts mehr und ging rüber in sein Zimmer.

Hmm … komischer Kauz, dachte ich so bei mir … zwar süß, aber seltsam. Ich zündete mir eine Kippe an und ging ans Fenster, um es zu öffnen.

Als ich fertig geraucht hatte, beschloss ich, doch mal zu dem Gast rüber zu gehen.

Auch er hatte die Zimmertür offen stehen lassen und so konnte ich ihn dabei beobachten, wie er am Fenster stand und irgendwie sehr, sehr traurig aussah. Ich klopfte und wartete gar nicht auf das Herein, sondern steuerte gleich auf ihn zu … in dem Zimmer sah es noch ziemlich chaotisch aus. Im offenen Schrank sah ich, dass er schon einige Kleidungsstücke verstaut hatte und auf dem Nachttisch stand ein Bild von ihm mit einem Pferd. Das Pferd stand hinter ihm und blickte quasi über seine Schulter in die Kamera … wobei über seine Schulter gut gesagt ist, denn es war riesig. Julien sah unbeschreiblich glücklich aus und lachte dem Photographen entgegen … womit der ihn wohl so zum Lachen gebracht hatte?

Julien sah mich erwartungsvoll an und so suchte ich irgendeinen Grund, um ein Gespräch anzufangen … da mir nix Besseres einfiel, sprach ich ihn auf das Bild an aber er erzählte nicht viel darüber … nur dass es sein eigenes Pferd sei und er mit einem Freund unterwegs gewesen war.

Und schon kippte das „Gespräch“, wenn man es so nennen wollte wieder und wir standen uns schweigend gegenüber. Ich fragte dann, ob er Hunger habe oder ich ihm die Gegend ein bisschen zeigen soll, aber er schüttelte nur den Kopf und meinte, er sei vom Flug noch sehr müde und wolle sich lieber etwas hinlegen.

Ok, das war dann wohl eindeutig ein Rauswurf aus seinem Zimmer und so wünschte ich ihm einen guten Schlaf und verließ … ein bisschen beleidigt, muss ich zugeben … das Zimmer. Klar, so eine Ausrede könnte man schon hinnehmen … aber nach 3 Stunden Flug so erschöpft sein? Das kaufte ich ihm einfach nicht ganz ab.

Er schloss die Tür auch diesmal nicht und so sah ich, als ich ein paar Minuten später in die Küche runter ging, dass er sich tatsächlich hingelegt hatte und mit samt den Klamotten und ohne Decke auf dem Bett eingeschlafen war. Zumindest sah es so aus, weil er die Augen geschlossen hatte … um ihn herum noch immer jede Menge Klamotten und andere Sachen liegend.

Etwas leiser als ich gerade noch vorhatte, holte ich mir was zu trinken und nahm auch für ihn sicherheitshalber ein Glas mit. Als ich wieder nach oben kam, hatte er sich auf die Seite gedreht und so konnte ich sein Gesicht zwar nicht mehr erkennen, aber ich sah deutlich dass er zitterte … so als würde er weinen.

Als ich näher kam, hörte ich ihn auch schon leise schluchzen.

Ich überlegte noch einen Moment, ob ich zu ihm gehen sollte oder ihn lieber ungestört lassen sollte, aber eigentlich … wenn er hätte allein sein wollen, dann hätte er doch wohl die Tür geschlossen und so ging ich zielstrebig auf die andere Seite des Bettes, damit er mich sehen konnte.

Erschrocken wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht und sah mich dann trotzig an. ich ging in die Hocke und fragte, ob ich ihm helfen könne, da schüttelte er nur wortlos den Kopf … auch die Frage, ob er reden wolle, verneinte er wortlos.

Etwas ratlos fragte ich dann, was denn eigentlich los war und — oohoooh —- sein Blick sprach daraufhin Bände … na ja, was heißt Bände, eigentlich las ich nur den einen einzigen Satz darin, nämlich „Was geht DICH das an“.

„Falls du doch reden möchtest, ich bin in meinem Zimmer drüben … kannst jederzeit kommen“, bot ich ihm aber trotzdem an und erhob mich.

Ich sah ihn noch einmal an und er schloss genervt die Augen. Kann mich ja schlecht aufdrängen, war mein Gedanke und so verließ ich sein Zimmer.

Vielleicht hat der Kleine ja Heimweh, dachte ich noch gehässig … ok, war zwar unfair, schließlich hab ich keine Ahnung von seinem Leben … aber das ganze hatte mich tierisch genervt.

Der tut ja gerade so, als wär ich schuld an allem … an was auch immer.

Er kam jedenfalls nicht in mein Zimmer … er lag auf seinem Bett, ich saß allein am Schreibtisch … eigentlich ganz so, als wäre gar kein Besuch da.

Trotzdem konnte ich mich nicht richtig konzentrieren … auch wenn er sich äußerst still verhielt, ich wusste doch, dass er da war … und das war ein äußerst seltsames Gefühl.

Ob ich noch mal rüber gehen sollte? Ich entschied mich eindeutig dagegen, aufdrängen wollte ich mich schließlich auch nicht. Als ich durchs noch immer offene Fenster hörte, wie ein Auto in die Garage gefahren wurde, stand ich auf und blickte erst mal in den Hof … meine Mutter.

Ich ging also doch zu Julien ins rüber, klopfte artig an den Türrahmen, denn auch seine Tür war noch immer offen. Er reagierte aber nicht darauf und so trat ich einfach so in den Raum. Erst als ich vor seinem Bett stand, schien er mich überhaupt zu bemerken und jetzt sah ich auch wieso … er hatte sich nen Musikplayer eingestöpselt und hörte lautstark Musik. Als er mich also sah, nahm er die Ohrenstöpsel heraus und schaute mich fragend an.

„Meine Mutter ist gerade heimgekommen … ich möchte sie dir kurz vorstellen.“

Er nickte und stand sofort auf, ich ging voran die Treppe hinunter. In dem Moment schloss Mam auch schon die Tür auf und rief durchs ganze Haus: „Hi Jungs!“

Unten angekommen begrüßte sie Julien äußerst herzlich und quetschte ihn auch gleich aus … wie der Flug war, ob ihm sein Zimmer gefiele, was er heute Abend essen wolle und so weiter und so fort.

Da ich mich schlecht davonschleichen konnte, blieb mir nix anderes übrig den beiden gelangweilt zuzuhören … und diese Langeweile war mir wohl extrem ins Gesicht geschrieben, denn meine Mutter warf mir einen eisigen Blick zu, bevor wir alle nacheinander in die Küche gingen, wo erst mal jeder ne Tasse Kaffee bekam.

Julien blieb aber auch meiner Mutter gegenüber äußerst einsilbig, zwar höflich aber er erzählte kaum von sich.

Meine Mutter meinte dann übertrieben fröhlich zu mir: „Maik, warum zeigst du Julien nicht den Park? Ist doch großartig bei dem Wetter heut und vielleicht trefft ihr ja ein paar deiner Freunde?“

Ja toll … dräng mir den Typen nur auf, dachte ich aufgebracht und genau selbigen Satz legte ich unmissverständlich in meinen Blick.

Meine Mam reagierte allerdings nicht darauf, sondern meinte nur mit einem süffisanten Grinsen, wir sollten um acht wieder zurück sein, denn dann würden wir zusammen mit Dad Essen gehen.

Julien schien übrigens genauso begeistert zu sein wie ich, als ich noch kurz meine Zigaretten und den Autoschlüssel aus meinem Zimmer holte und mit ihm das Haus verließ.

Gut, dann fahren wir halt in den Park, dachte ich pampig.

Dort angekommen, es war nicht mal ne Viertelstunde vergangen, stellte ich den Wagen auf dem zugehörigen Parkplatz ab, stieg aus und zündete mir gleich ne neue Kippe an. Als auch er ausgestiegen war, stand er wieder nur da und wartete, dass ich irgendwas machte, so meinte ich leicht genervt: „Komm mit.“

Während er so neben mir herlief sagte er kein Wort und ich erzählte ihm ein paar Dinge aus dem Park: „Etwa in der Mitte vom Park befindet sich ein etwas größerer See, an dem die Leute im Sommer auch baden, Außenrum sind jede Menge Feuerstellen verteilt und es wird auch oft gegrillt hier. Im Großen und Ganzen bildet der Park DEN Treffpunkt für jedermann … hier findest du jung und alt, Sportler, Poeten sogar Maler. Also, wenn du Anschluss suchst, dann findest den am ehesten hier. Aber auch, wenn du nur nachdenken willst, ist das genauso der richtige Ort … is ja groß genug … setzen wir uns da vorne auf die Bank?“

Er nickte wortlos und hob gleichzeitig die Schultern … Mann, wenn ich dem die ganze Zeit immer so die Worte aus der Nase ziehen musste, wird das nie was mit ner Unterhaltung.

Also setzten wir uns auf meine Lieblingsbank … ich war ja auch so öfter hier … man hatte einen wunderbaren Blick auf den weitläufigen Park und konnte aber auch den See beobachten. Die Bank lag zwischen drei großen, dickstämmigen Bäumen, sodass man auch mit Schatten gesegnet war.

Während ich mich ziemlich auf die Bank lümmelte und beide Arme auf die Lehne legte, saß Julien sehr aufrecht neben mir, hatte seine Hände auf seinem Schoß ruhen und beobachtete still die Enten und auch einzelne Schwäne, die sich auf dem See treiben ließen. Ich sah ihn eine Weile schweigend an und auch er sagte nichts … war der tatsächlich so verklemmt oder einfach nur schüchtern? Aber sollte er tatsächlich so schüchtern sein, wie hatte der sich jemals alleine in den Flieger getraut?

Ich schaute dann auch ne Zeit lang den Vögel auf dem Wasser zu, konnte aber nicht verhindern, dass mein Blick immer wieder in seine Richtung wanderte.

Mir fiel auf, dass ich ihn noch gar nicht richtig angesehen hatte … also, schon, aber nicht so mit der Ruhe. Er war auf den zweiten Blick noch mindestens genauso süß wie auf den ersten und außergewöhnlich hübsch war er zudem.

Er war nicht besonders groß … vielleicht knapp 1,70 … aller- wirklich allerhöchstens … dabei aber sehr schlank, schon fast zierlich. Kaum zu glauben, dass der auf so ein großes Pferd rauf kam, wie ich es auf seinem Bild gesehen hatte. Er hatte blonde Haare, etwas heller als meine und trug sie relativ lang, nämlich bis übers Kinn, aber nach hinten in den Nacken gekämmt. Er hatte grüne Augen und auffallend dunkle Wimpern und Augenbrauen, aber das schien von Natur aus so zu sein. Also, er war nicht geschminkt oder so und auch seine Haarfarbe sah sehr natürlich aus.

Seine Haut war leicht gebräunt und wirkte weich und … hmm … irgendwie edel, so wie Samt. Und erst sein Blick … Mann, ich denk da könnt wohl jeder schwach werden, Männlein wie Weiblein, höchstwahrscheinlich sogar Heten, dachte ich mit einem Grinsen.

Julien wirkte insgesamt sehr zerbrechlich irgendwie … auch sah sein Blick unsagbar traurig aus und eine unüberwindbare Sehnsucht schien aus ihnen zu strahlen.

Als hätte er das Paradies gesehen und wieder verloren.

Seine Lippen strahlten eine geheimnisvolle Leidenschaft aus, der ich mich kaum entziehen konnte und seine Hände … er hatte schlanke Hände und trug am linken Daumen und Mittelfinger je einen silbernen Ring … ich glaube, diese Hände konnten unheimlich zärtlich sein.

Mir kam langsam in den Sinn, dass neben mir ein richtiger Traummann saß … na ja, wenn man das von einem Siebzehnjährigen schon sagen kann … tja, wenn er halt bloß auch reden könnte.

Wir saßen bestimmt schon ne halbe Stunde da, aber er sagte kein Wort, sondern starrte immer noch mit dieser unübersehbaren Sehnsucht auf den See … er wirkte total gedankenverloren, so als wäre er Lichtjahre entfernt.

Ich wandte meinen Blick wieder ab, kramte meine Zigarettenschachtel aus der Hosentasche und zündete mir eine Kippe an … da fragte er mit diesem schnuckeligen französischen Dialekt, ob ich eine für ihn übrig hätte.

Überrascht hielt ich ihm die offene Schachtel hin und er zog sich eine raus und sah mich dann an … da ich nicht reagierte, fragte er „Feuer?“ …

„Ähm klar“, verdattert hielt ich im die Flamme vom Feuerzeug vor die Kippe und er zog fest daran.

„Hab nich mitbekommen, dass du rauchst“, bemerkte ich verwundert.

„Die erste in Deutschland“, meinte er mit einem Lächeln, das die Bezeichnung Lächeln nicht im Mindesten verdiente … er verzog eigentlich nur die Mundwinkel nach oben und es sah einfach nur unheimlich traurig aus. Ich nickte nur.

Und wieder kehrte diese drückende Stille ein, aber er lehnte sich zumindest etwas entspannter an die Bank an … vertieft in seine Gedanken zog er hin und wieder an der Zigarette und beobachtete den Rauch, wie der sich langsam verflüchtigte.

Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass wir langsam wieder los sollten … ich wollt vorm Essen noch duschen. Schweigend machten wir uns also auf den Weg zurück zum Auto und dabei kam mir doch tatsächlich ein bekanntes Gesicht entgegen … allerdings wusste ich nicht, ob ich mich da drüber freuen sollte oder nicht. Also, wäre ich allein gewesen, hätte ich mich mit Sicherheit wahnsinnig gefreut, aber so in Begleitung …

Ich hoffte nur, dass es nicht allzu peinlich wurde.

Ich konnte mir ein Grinsen aber nicht verkneifen, als wir auf ihn zugingen und auch Michael grinste übers ganze Gesicht … auf gleicher Höhe angelangt riss er mich gleich in seine Arme und küsste mich links und rechts auf die Wange.

„Hey Maik, du altes Haus … wo steckst denn immer?“, meinte er lachend und wir kamen sofort wieder ins Gespräch … ja, mit Michael konnte man jede Menge Spaß haben, nicht nur verbal. Wir hatten schon die eine oder andere Nacht miteinander verbracht, aber was Festes ist irgendwie nie draus geworden. Wir redeten da auch nicht groß darüber … er wollte nichts Festes und mir war es im Bezug auf ihn auch lieber so. Ich fand es ok, so wie es war.

Mitten im Gespräch meinte er dann: „Was hast denn da für nen Schnuckel dabei?“ und grinste in Juliens Richtung, was mich natürlich knallrot anlaufen ließ.

„Ahm … das ist Julien … er wohnt die nächsten Monate bei uns als Austausch-Schüler“

„Oha“, meinte Michael nur mit einem Zwinkern in Juliens Richtung und reichte ihm galant die Hand. Julien begrüßte ihn höflich, aber mit seiner typischen Distanz und Michael verabschiedete sich dann auch ziemlich schnell, allerdings nicht, ohne mir einen Klaps auf den Hintern zu geben.

Ok, das war jetzt eindeutig gewesen … jetzt MUSSTE Julien eigentlich mitbekommen haben, was Sache ist, aber er sagte keinen Ton dazu.

Ich fing natürlich auch nicht an mit dem Thema … geht ihn ja schließlich gar nix an.

3. N e r v i g e r T e e n i e ?

Als wir an diesem Abend bei unserem Lieblingsitaliener essen waren, mussten auch meine herzallerliebsten Eltern feststellen, wie schwer es war, mit Julien eine Unterhaltung am Laufen zu halten.

Auf sämtliche Fragen antwortete er zwar sehr freundlich, aber eben immer nur einsilbig und so knapp wie möglich.

So aßen wir gezwungenermaßen ziemlich wortkarg, wobei das eigentlich nicht so unsere Art ist. Bei uns gibt es eigentlich immer irgendwas zu bereden, aber so in Gegenwart von nem doch ziemlich Fremden, der außerdem selbst ziemlich redefaul war, ist das halt auch nicht so einfach.

Dieser Abend zog sich dahin, wie Kaugummi, der auf der Straße klebend langsam zäh wird und am Schuh kleben bleibt.

Und kaum waren wir endlich wieder zu Haus, wünschte er uns allen eine gute Nacht und verschwand augenblicklich auf sein Zimmer.

Ich guckte meine Eltern fragend an und die zuckten aber nur mit den Schultern.

„Er muss sich bestimmt erst noch an alles gewöhnen“, meinte meine Mutter hoffnungsvoll.

Ich hob nur kurz die Augenbrauen ohne Antwort und so dürfte wohl ziemlich klar sein, was ich davon hielt.

„Nu denn, ich hau mich auch in die Falle“, meinte ich dann.

So wünschten wir uns auch noch eine gute Nacht und ich stieg langsam die Treppe hinauf. Als ich an Juliens Zimmer vorbeikam, sah ich, dass die Tür einen Spalt offen stand und so wollte ich ihm auch noch mal eine gute Nacht wünschen. Als ich klopfte, reagierte er allerdings nicht und so schob ich die Tür ungefragt auf.

Er hatte das Licht ausgeschaltet, stand mit nacktem Oberkörper am Fenster und rauchte noch eine. Als er mich bemerkte, drehte er sich nur kurz zu mir um, sagte aber nichts.

„Kann ich eine mitrauchen?“, fragte ich dann, ging ohne eine Antwort abzuwarten auf ihn zu und er hielt mir die Schachtel hin, worauf ich mir dankend eine herausnahm.

Er starrte weiterhin aus dem Fenster und schwieg mich beharrlich an.

„Warum machst du das eigentlich?“ fragte ich und als er mich verwundert anschaute, fügte ich noch hinzu „Ich mein, diesen Aufenthalt hier … ich denk, du sprichst ziemlich gut Deutsch und verstehst uns auch gut.“

Er sah mich wieder nur traurig an und ich befürchtete schon, er würde gar nicht erst antworten, schließlich senkte er den Blick und sprach leise: „Das war die Idee von meinen Eltern … sie meinten, es tät mir gut, mal woanders hinzukommen … was anderes zu erleben.“

„Aha … aber gleich drei Monate? Du hättest ja auch irgendwohin in Urlaub fahren können?“

Diesmal sagte er tatsächlich nichts mehr darauf, sondern starrte nur hinaus.

Nachdem mir nach ein paar Minuten klar wurde, dass er offenbar nicht reden wollte, bedankte ich mich noch mal für die Zigarette und wünschte ihm eine gute Nacht, er nickte darauf nur und ich verließ das Zimmer.

Ich schloss meine Zimmertür auch diesmal gegen meine sonstige Gewohnheit nicht ganz, sondern ließ sie einen Spalt offen stehen, dann löschte ich das Licht, zog mich aus und warf mich aufs Bett. Ich legte die Arme unter den Kopf und starrte an die Decke, während ich über Julien nachgrübelte.

Ich fand ihn mittlerweile mehr als seltsam. Klar, er sah wahnsinnig toll aus … richtig zum Verlieben … wirkte auch total sympathisch irgendwie … aber er war so verschlossen, wie ich noch nie einen Menschen erlebt habe. Ich glaubte auch nicht an die Theorie meiner Mutter, von wegen, er müsste sich erst einleben.

Nein, ich war sicher, da steckte mehr dahinter … schließlich fiel mir dieses Bild auf seinem Nachttisch ein … darauf sah er so unendlich glücklich aus … und irgendwie dachte ich, das passte viel mehr zu seiner Ausstrahlung … dieses Lachen war dazu da, in seinem Gesicht zu leben. Aber was war bloß mit ihm los?

Vielleicht war er sauer auf seine Eltern, weil die ihn hierher geschickt hatten? Vielleicht wollte er gar nicht hier sein? Vielleicht konnte er auch einfach uns bzw. mich nicht leiden? Fragen über Fragen …

Ich muss irgendwann eingeschlafen sein, denn als ich die Augen wieder aufmachte, war es fünf Uhr morgens. Verschlafen streckte ich mich erstmal und gähnte herzhaft und sprang dann aus dem Bett. Ich zog mir nur Shorts über und machte mich auf den Weg ins Bad, wo ich die nächsten zehn Minuten damit verbrachte, mich irgendwie tageslichttauglich zu gestalten. Rasieren ließ ich für heute sein, die Stoppeln waren eh kaum sichtbar.

Als ich das Badezimmer wieder verließ, hörte ich aus Juliens Zimmer leise Musik. War der etwa auch schon wach? Ich schlich zu seiner Tür, die noch immer einen Spalt offen stand und sah ihn am Fenster stehen, fast an derselben Stelle wie gestern und immer noch mit derselben Jeans. Als ich leise klopfte, drehte er sich zur Tür und …

und er lächelte! Er lächelte mich tatsächlich an. Etwas verlegen kam ich ins Zimmer und er warf die Zigarettenschachtel gleich in meine Richtung.

Ich grinste, nahm eine Kippe und das Feuerzeug heraus und gesellte mich zu ihm ans Fenster.

„Guten Morgen“, meinte ich, als ich meine Zigarette angezündet hatte und ihm die Schachtel zurückgab.

„Bonjour Monsieur“, erwiderte er mit diesem zuckersüßen französischen Dialekt. „Hast du gut geschlafen?“, wollte ich wissen, aber er schüttelte nur den Kopf.

„Oh, das tut mir leid … lag es am Bett?“, fragte ich und er schüttelte auch auf diese Frage nur den Kopf. Diesmal fragte ich nicht weiter … wenn er darüber was sagten wollte, würde er es wohl von selbst tun.

Als ich fertig geraucht hatte, fragte ich, ob er gleich frühstücken wolle und er nickte. „Ok, ich bin gleich wieder da, ich zieh mir nur was an.“

Als ich fertig angezogen aus meinem Zimmer stürmte, stand er bereits auf dem Gang und wartete auf mich. Zur Jeans trug er jetzt ein weißes Shirt, war aber immer noch barfuss und so gingen wir gemeinsam zur Küche runter.

„Kaffee?“

„Oui.“

Ok, ich schaltete erst mal den Kaffee ein und begann dann, das Frühstück herzurichten … Butter, Croissants (wie solls auch anders sein, für unseren französischen Gast) … dazu Marmelade und Käse und verschiedene Obstsorten. Während ich das Tablett mit dem Frühstück darauf nahm, trug er die Tassen und Teller mit nach draußen, wo wir alles auf der Veranda aufbauten. Ich ging noch mal rein und holte die Kaffeekanne und goss uns beiden ein.

Er nahm dazu nur Zucker, keine Milch wie mir gleich auffiel …

„Und ich dachte, in Frankreich trinkt man nur Milchkaffee“, bemerkte ich mit einem Grinsen.

Er hob kokett die Augenbrauen und machte dazu einen Schmollmund, bevor er erwiderte: „Und ich dachte, in Bayern isst man nur Weißwurst zum Frühstück?“

Hey, der Kleine hatte ja Humor und ich lachte: „Touché“

So saßen wir da und frühstückten dann aber schweigend … recht viel gesprächiger als gestern war er nämlich nicht, auch wenn er wohl bessere Laune zu haben schien. Gerade als wir fertig waren, kamen dann meine Eltern hinzu … natürlich auch beide bewaffnet mit Kaffeetassen und einer strahlend guter Laune

Sie wünschten uns einen guten Morgen und während sie sich zu uns setzten fragte mein Vater Julien, ob alles in Ordnung sei soweit und dieser nickte nur schweigend … aber immerhin mit einem kleinen Lächeln.

„Maik, was machst du heute noch?“, wollte meine Mutter ganz unverfänglich wissen … allerdings konnte sie mich nicht täuschen … sie wusste ganz genau, was ich heute noch vorhabe und heckt bestimmt schon wieder irgendwas aus und so antwortete ich

„Wir haben für heut nen Grillabend geplant … kommen jede Menge Leute hin“

Mit einem unschuldigen Lächeln meinte sie dann gleich: „Ach das ist ja ne tolle Sache … da könntest du doch Julien mitnehmen, damit er schon mal ein paar nette Leute kennen lernt.“

Ich nahm langsam einen Schluck Kaffee und ließ meine Mutter dabei nicht aus den Augen und nachdem ich sie auf diese Weise erst mal gehörig nervös gemacht hatte, meinte ich grinsend:

„Klar … das heißt, wenn du überhaupt Lust dazu hast“, fragte ich in Juliens Richtung.

Der schien irgendwie wieder in ner anderer Galaxie gewesen zu sein, denn er sah mich so erschrocken an, dass allen klar sein musste, er hatte kein Wort mitbekommen.

Und so erklärte ich ihm: „Ich hab für heut mit Freunden eine Grillparty geplant … wenn du möchtest, kannst du gern mitkommen.“

Er sah erst mich an, dann meine Eltern, die beide zustimmend und ermutigend lächelten und nickte dann langsam.

Für mich sah er eher so aus, als hätten wir ihm gerade angeboten, dass er zusammen mit mir über glühend heiße Kohlen laufen dürfe. Er hatte null Bock drauf, wollte aber wohl nur nicht unhöflich wirken und stimmte deshalb zu … Aber hey, ich hatte schließlich auch nicht allzu viel Bock, meine gesamte Zeit mit nem Fremden zu verbringen … Ok, mit IHM vielleicht schon, aber ich war trotzdem von Anfang gegen diese Idee gewesen.

Julien verschwand gleich nach dem Frühstück wieder in seinem Zimmer und ich zog es vor, auf der Veranda ein Buch zu lesen, während meine Eltern in die Stadt zum Einkaufen fuhren. Zwischendurch lief ich barfuss durch den Garten und genoss die warmen Sonnenstrahlen.

Als ich zufällig mal nach oben guckte, sah ich Julien am Fenster stehen und winkte zu ihm hoch … er hob nur kurz die Hand und verschwand dann aus meinem Blickfeld. Was machte er da bloß die ganze Zeit da oben?

Ich mag Neugier nicht, deshalb versuche immer alles gleich herauszubekommen, bevor ich sinnlos rumgrüble. Kurzerhand lief ich also einfach zu ihm rauf und klopfte an … obwohl die Tür weit offen stand. Er hatte sich aufs Bett gelegt und starrte an die Decke.

Als ich ins Zimmer kam, hob er nur fragend die Augenbrauen und ich meinte: „Ich dachte, die willst vielleicht mit runter in den Garten kommen … ist echt tolles Wetter heut.“

Er sah mich forschend an und schüttelte dann den Kopf: „Nein, ich … ich bleib lieber hier im Zimmer.“

„Warum eigentlich?“, rutschte es mir raus … eigentlich ist es ja seine Sache, aber mir ging das halt auf die Nerven. Das kann doch nicht die ganzen drei Monate so weitergehen.

Er stützte sich jetzt auf die Ellbogen und schaute mich einfach nur an und sagte: „Ich denke nach.“

„Und worüber, wenn ich fragen darf?“

„Nein.“

„Was?“

„Nein … du darfst nicht fragen.“

„Aha“, meinte ich nur noch säuerlich und machte auf der Stelle kehrt. Soll er doch hier im Zimmer versauern, wenn er meint. Ich für meinen Teil werd ganz bestimmt nicht in der Bude hocken und mich um nen nervigen Teenie kümmern.

So schnappte ich mir mein Buch und eine Decke und legte mich mitten in den Garten auf den Rasen … und zwar so, dass er mich sehen musste, sollte er ans Fenster kommen.

Als ich nach einer halben Stunde zufällig nach oben sah, stand er tatsächlich dort und schien mich zu beobachten. Überaus fröhlich winkte ich wieder zu ihm hoch, er aber schüttelte nur den Kopf und zündete sich ne Zigarette an. „Eingebildeter Chauvie“, dachte ich nur und widmete mich wieder meinem Buch.

4. N a c h t s, w e n n e s d r a u ß e n d u n k e l i s t …

Um acht machte ich mich mit Julien auf den Weg zur Party, die bestimmt schon am laufen war.

Wir fuhren etwa zwanzig Minuten und sprachen während der ganzen Zeit kein Wort miteinander … warum er nichts sagte, keine Ahnung … ich für meinen Teil war jedenfalls beleidigt ohne Ende.

Als ich den Wagen parkte, fielen mir schon die unzähligen Autos auf … ja, die Party war tatsächlich schon am Laufen.

Auf dem Weg zum Haus merkte ich, wie er immer langsamer wurde, und so versuchte ich, nicht allzu genervt zu wirken, als ich mich nach ihm umdrehte und ihn fragend anschaute.

Er sagte nichts, aber er wirkte ziemlich ängstlich und so ging ich zu ihm zurück und versuchte ihn aufzumuntern: „Die sind alle ganz nett … keine Angst.“

Er sah mich wieder nur wortlos an und schüttelte den Kopf.

„Was meinst du?“

„Ich will da nicht rein“, sagte er kleinlaut.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst!“, rutschte es mir raus, doch er nickte nur.

„Und das sagst du JETZT? Nachdem wir schon da sind?“

Er zuckte zusammen und starrte auf den Boden und ich bekam sofort das Gefühl, als hätte ich ihn geschlagen oder so und so legte ich meinen Arm auf seine Schulter und wollte irgendwas sagen … na ja, eigentlich VERSUCHTE ich, meinen Arm um seine Schultern zulegen, denn er wich sofort zurück und bekam einen panischen Ausdruck in den Augen.

Verdammt, was war denn bloß mit dem Kerl los?

Ich sah ihn jetzt mindestens genauso erschrocken an, wie er mich und wusste nicht, was ich machen soll … er fasste sich als erster wieder und meinte leise: „Wenn du mir den Autoschlüssel gibst, dann warte ich im Auto auf dich … du kannst deine Freunde treffen, deine Eltern sind beruhigt und ich kann wenigstens alleine sein.“

„Sonst noch was? Ich lass dich doch nicht stundenlang alleine im Auto sitzen … so eine Party kann lang dauern!“, meinte ich aufgebracht.

Mein schroffer Ton tat mir aber sofort leid, als ich sah, wie eine einzelne Träne über seine Wange lief. Ich ging wieder auf ihn zu, diesmal ohne ihn zu berühren und meinte leise: „Es tut mir leid, Julien … ich wollte dich nicht anschreien.“

Er wischte sich schnell die Träne weg und nickte trotzig und blieb bei seiner Meinung: „Ich will da nicht rein.“

„Aber kannst du mir nicht wenigstens einen Grund sagen?“, fragte ich in bemüht ruhigem Ton und er schüttelte langsam den Kopf.

Genervt zündete ich zwei Zigaretten an und reichte ihm einfach eine … er nahm sie an, sagte aber nichts.

So standen wir erst mal schweigend da, bis er sich doch noch dazu durchringen konnte, einen Ton dazu zu sagen: „Ich hab keine Ahnung, was ich hier soll … ich kenn hier niemanden und hab auch keine Lust jemanden kennenzulernen …“

Als ich nichts dazu sagte, fuhr er fort: „Und der einzige DEN ich kenne, kann mich nicht leiden … was soll ich denn dass“ … „Ich würd lieber im Auto Musik hören.“

Jetzt war ich aber schon leicht geschockt … wie kommt der drauf, dass ich ihn nicht leiden kann? Ich mein … ok, er nervt mich manchmal gewaltig … und zwar richtig gewaltig, was normal schon selten bei mir ist, vor allem, wenn ich jemanden gerade mal zwei Tage kenn. Aber immerhin war ER doch selbst schuld daran, so wie er sich die ganze Zeit aufführt.

Was wollte er denn jetzt hören? Soll ich mich vielleicht einschmeicheln und erzählen, alles halb so schlimm? Ne, so bin ich ganz bestimmt nicht drauf … wenn, dann sollte er sich schon wie ein normaler Mensch benehmen. Basta!

Ich reichte ihm wortlos die Schlüssel und drehte mich dann einfach zum Haus und ließ ihn stehen.

Als ich bei der Tür war, wandte ich mich dann doch noch mal um … er war schon in Richtung Auto unterwegs und so klingelte ich trotzig.

Mein Kumpel war reichlich überrascht, mich alleine zu sehen, schließlich hatte ich telefonisch angekündigt, dass ich jemanden mitbringe und ich meinte nur giftig: „Der Monsieur wünscht alleine zu sein.“

Wie man sich denken kann, kam bei mir nicht allzu viel Stimmung auf … immer wieder sah ich auf die Uhr und wartete irgendwie darauf, dass Julien vielleicht doch noch reinkommen würde. Aber nach geschlagenen zwei Stunden war immer noch nichts von ihm zu sehen und so beschloss ich, für heute nach Hause zu fahren. Hat doch auch keinen Sinn, wenn man gar nicht richtig da ist. Mein Zorn auf ihn wuchs dadurch enorm … die Party war schon seit zwei Wochen geplant und ich hatte mich echt drauf gefreut … und dieser Kerl vermasselt mir einfach so den Abend … nur weil er zu feige oder was weiß ich ist, mit rein zukommen. Da hätte er sich doch gleich zu Hause in seinem Zimmer verkriechen können.

Reichlich angesäuert machte ich mich also auf den Weg zum Auto … als ich an der Beifahrerseite vorbeikam, sah ich, dass er eingeschlafen war.

Wow, egal, wie sehr mich der Typ nervte … er sah megasüß aus … aber mir fiel auch auf, dass er geweint haben musste … seine Augen waren leicht geschwollen, hatte eine rote Nase und hielt außerdem noch immer ein Taschentuch in der Hand.

Als ich an die Fensterscheibe klopfte schreckte er benommen auf und brauchte einen Moment, um sich zu Recht zu finden.

Dann entsperrte er die Tür und stieg aus. Er begrüßte mich nicht und sah mich noch nicht einmal an.

Ich stand da und musterte ihn genau, aber er wich meinem Blick aus und so fragte ich: „Alles in Ordnung?“

Nun sah er mich doch an, hob nur eine Augenbraue und schüttelte den Kopf … ob als Antwort oder über meine Frage, konnte ich nicht ganz erkennen.

„Lass uns heimfahren, ok?“

Er schaute mich überrascht an und meinte: „Jetzt schon? du warst doch kaum drinnen?“

„Denkst du, des macht Spaß, wenn ich weiß, dass du hier alleine rumhockst?“, keifte ich ihn säuerlich an und er zuckte erschrocken zusammen und starrte auf den Boden.

Ich schnaufte ärgerlich durch und fragte: „Willst du noch in den Park?“

Zu meiner Überraschung nickte er leicht und so fuhren wir zusammen in den Park und gingen auch gleich zu meiner Lieblingsbank … in dieser Nacht war rein gar nichts los und so saßen wir allein da und blickten auf den See … Es wirkte alles schon leicht gespenstisch im zarten Mondlicht, aber auch sehr friedlich. Wir redeten nicht miteinander sondern saßen einfach nur da. Schließlich zog ich meine Zigaretten heraus und bot ihm eine an, er nahm sie und wartete, bis ich ihm Feuer gegeben hatte.

In die Stille hinein sagte ich dann leise: „Es stimmt nicht, dass ich dich nicht leiden kann.“

Aus den Augenwinkeln sah ich, dass er sich überrascht zu mir drehte und so sah ich auch ihm direkt ins Gesicht. Ich zog an meiner Zigarette und fügte hinzu: „Aber du kannst furchtbar nerven, weißt du?“

Ich setzte dem Satz noch ein Grinsen nach, als er mich schockiert ansah und siehe da, ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

„Ich kann nichts dafür“, meinte er leise und ich lachte etwas lauter: „Ach ja? Bist du vielleicht ferngesteuert?“

Verwirrt guckte er mich einen Moment an und schüttelte dann den Kopf, er schnippte seine Kippe weg und zündete sich gleich eine neue an, schließlich fing er leise an: „Meine Eltern haben diesen Aufenthalt in Deutschland arrangiert, ohne mich zu fragen … ich stand einfach vor vollendeten Tatsachen…“

„Ging mir doch genauso“, unterbrach ich ihn und er fuhr fort.

„Aber deine Eltern machen das nicht, weil sie denken, du solltest mehr Zeit mit anderen verbringen …“ er holte noch einmal tief Luft und fuhr dann fort

„Nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, wollte ich mit niemandem etwas zu tun haben … ich wollte einfach nur meine Ruhe haben … und dass man mich alleine lässt …“

Ich sah, wie er wieder zu weinen anfing und reichte ihm eine ganze Packung Taschentücher worauf er dankbar lächelte.

„Aber alle anderen wissen natürlich viel besser, was gut für mich ist … die haben mich einfach gezwungen hierher zu kommen … denn mit irgendjemandem müsste ich mich ja abgeben die drei Monate.“

„Ich …“ er schüttelte den Kopf, „ich will das alles doch gar nicht.“

Hilfesuchend sah er mich kurz an und wandte aber sofort den Blick ab.

Auf sowas war ich nicht ganz gefasst und so fragte ich ihn leise: „Was ist passiert? Warum willst du denn alleine sein?“

Zuerst sah er mich wieder mit diesem genervten Blick an … den, der da sagt, was geht DICH das an … dann aber wurde er weicher, ich sah, dass er nur mit Mühe die Tränen zurückhalten konnte und nur noch in der Lage war, den Kopf zu schütteln.

Was hatte der Kleine bloß erlebt, dass er so verzweifelt war?

„Ist schon gut … du kannst jederzeit mit mir reden … aber du musst es nicht, hörst du?“

Er nickte leicht und stand dann auf und ging ein paar Schritte auf den See zu, dann drehte er sich zu mir um und ich erhob mich ebenfalls.

Er wartete, bis ich neben ihm war und wir spazierten schweigend ein Stück am See entlang. Julien schien sich wieder beruhigt zu haben, zumindest weinte er nicht mehr.

Schließlich blieb er stehen und bat mich, ihn heimzubringen. „Du kannst ja dann doch noch auf die Party, so spät ist es noch nicht.“

„Nein, schon gut … ich bleib daheim.“

Meine Eltern staunten nicht schlecht, als wir um halb zwölf schon durch die Tür marschierten. Julien grüßte die beiden freundlich … man sah ihm nicht mehr an, wie verzweifelt er eben noch gewesen war. Wir blieben beide noch ne halbe Stunde unten und gingen dann beide hoch … er in sein und ich in mein Zimmer, nachdem wir uns eine gute Nacht gewünscht hatten.

Ich zog mich wie gewohnt ganz aus und verkroch mich unter der Decke, schlief jedoch nicht ein, sondern starrte an die Decke. Ich hatte das kleine Schranklicht eingeschaltet und grübelte nun so vor mich hin, als ich ein leises Geräusch von der Tür her vernahm.

Ich blickte auf und da stand Julien still da … Gott, war der süß, wie er da so dastand, schüchtern und im nem quietschbunten Schlafanzug.

Ich lächelte und setzte mich auf: „Komm doch rein.“

Er drehte sich noch mal um und schloss die Tür, kam dann näher und blieb neben meinem Bett stehen … allerdings ohne ein Wort zu sagen.

„Was ist los?“

„Nichts“, meinte er und wollte sich schon wieder abwenden.

„Hey, hey … jetzt bleib doch mal da“, als er innehielt, fragte ich „möchtest du reden?“. Er schaute mich traurig an und schüttelte nur den Kopf, ich wartete vergeblich auf eine Erklärung und meinte schließlich:

„Komm her und setz dich“. Dabei klopfte ich leicht aufs Bett.

Schüchtern setzte er sich zu mir ans Bett und als er immer noch keinen Ton von sich gab, fragte ich erneut und in sanfterem Ton: „Was ist los, hmm?“

Er saß da, schaute nur traurig und spielte mit seinen Händen … aber eine Antwort bekam ich nicht. Der Typ wurde immer seltsamer, fand ich … warum war er in meinem Zimmer, wenn er nichts sagen wollte? Er saß wirklich einfach nur da, starrte auf seine Hände und sagte kein Wort.

Ok … dachte ich mit einem leichten Anflug von Gereiztheit … neuer Versuch: „Möchtest du nicht darüber reden?“

Er sah kurz auf und schüttelte den Kopf … ansonsten keine Reaktion … einfach nur Schweigen. Ich atmete tief ein und überlegte, was bei dem Jungen eigentlich verkehrt lief. Neuer Versuch? Oder sollte ich gar nichts mehr sagen und einfach abwarten, ob ihm irgendwann mal ein Wort von selbst rausrutscht? Aufstehen und eine rauchen wollt ich jetzt auch nicht, schließlich saß ich nackt unter der Decke …

Als er nach ein paar Minuten immer noch beharrlich schwieg, fragte ich schließlich: „Fühlst du dich einsam?“

DA! Eine Reaktion … er sah mich mit großen Augen an und nickte dann leicht … das blieb allerdings die einzige Reaktion seinerseits … er blickte wieder äußerst gespannt auf seine Hände.

Ich habs gestern schon bemerkt … seltsamer Kauz … äußerst seltsam.

Dann sah er mich mit einem undefinierbaren Blick an, stand auf und wandte sich zum gehen.

Total perplex rief ich aus: „Hey, was is denn jetzt los? Wo willst du hin?

Er drehte sich zu mir: „Auf mein Zimmer.“

Total verdattert schaute ich ihn an und hob die Augenbrauen: „Und warum?“

„Weil ich müde bin.“

„Ja … aber … was wolltest du überhaupt hier?“

Er beantwortete … wie zu erwarten … auch diese Frage nicht und wünschte mir stattdessen eine gute Nacht.

Als er mein Zimmer verlassen hatte, schüttelte ich erst mal den Kopf und schwang mich dann aus dem Bett, um mir noch ne Zigarette zu gönnen.

Als ich also am Fenster stand und gedankenverloren rauchte, hörte ich wieder ein Geräusch an der Tür und drehte mich um … Julien war noch mal rein gekommen und starrte mich schockiert an … als er meinem Blick begegnete, stolperte er fast rückwärts und war auch gleich wieder verschwunden.

Abermals schüttelte ich nur den Kopf … Ok, ich stand da nackt … aber is ja nicht so, als hätte ich irgendwelche außerirdischen Körperteile an mir … deswegen gleich so ausflippen?

Ich rauchte fertig, zog mir dann noch mal die Jeans über und ging zu ihm rüber … die Tür war wie immer einen Spalt offen … als ich eintrat, konnte ich ihn allerdings nicht finden … da ich aber die Badtür ich auch nicht gehört hatte, MUßTE er eigentlich hier drin sein. Ich trat ans Fenster und da sah ich ihn … er saß auf dem Boden an der von der Tür abgewandten Seite des Bettes, die Beine angezogen und das Gesicht zwischen seinen Armen versteckt.

„Hey“, sagte ich leise, um ihn dazu zu bringen, mal aufzuschauen … er musste mich gehört haben, aber reagierte trotzdem nicht.

„Hey, jetzt hör aber mal auf … warum warst du noch mal bei mir drüben?“

Er sah mich nun doch an … schüttelte aber nur den Kopf … als ich ihn weiter ansah, sagte er leise: „Ich will weg von hier!“

„Darf ich?“, fragte ich mit einem Blick auf seine Zigarettenschachtel und er nickte … „Du auch?“ … wieder ein Nicken. Also zündete ich gleich zwei an und reichte ihm dann eine. Er stand auf und ging ans Fenster.

Ich fragte dann leise: „Liegt es an mir?“

Als er mich darauf nur ratlos anschaute, fügte ich hinzu: „Dass du weg willst? Hab ich dir was getan?“

Er sah jetzt fast verzweifelt aus, sagte aber nichts weiter, sondern schüttelte nur den Kopf.

Als wir beide fertig geraucht hatten, machte er immer noch keine Anstalten, irgendwas zu sagen und so meinte ich leise: „Ich werd jetzt wieder rüber gehen … wenn du möchtest … du kannst jederzeit rüberkommen, ok?“

Er nickte schweigend und so wünschte ich ihm eine gute Nacht ging in mein Zimmer … ich legte mich gleich hin, ließ aber das schwache Schranklicht an … nur, falls Julien doch noch kam. Was soll ich sagen … er kam natürlich nicht und ich schlief dann doch bald ein.

5. J u s t a n o t h e r m a n i c S u n d a y

Heut war wieder strahlender Sonnenschein und ich genoss die Wärme schon so früh am Morgen. Da noch keiner im Haus wach war, machte ich es mir alleine auf der Veranda gemütlich, natürlich nicht, ohne vorher Kaffee gemacht zu haben.

Ich hatte mir die Zeitung aus dem Briefkasten geholt und belegte beinah den ganzen Tisch damit, auf Frühstück hatte ich nicht so Recht Lust.

Es dauerte nicht lange und auch Julien kam verschlafen aus dem Haus … ich musste erst mal grinsen, weil er gar so ein verknautschtes Gesicht aufsetzte und fragte lachend: „Was hast DU denn getrieben letzte Nacht? Schaust aus, als hättest wochenlang nicht geschlafen…“

Er schien nicht gerade bester Laune zu sein, denn er lächelte nicht mal und meinte, er hätte ja auch nicht geschlafen.

Wortlos ging ich nach drinnen und holte ihm ne Tasse Kaffee … mit Zucker, ohne Milch, die er auch dankend annahm.

Als wir so dasaßen fragte ich ihn, ob er Hunger hätte … Kopfschütteln.

Er zündete sich ne Zigarette an und trank noch mal vom Kaffee … meinen Kommentar dazu konnte ich mir gerade noch verkneifen … war das nicht das typische Nuttenfrühstück? Kaffee und Zigaretten … so nannten es zumindest immer meine Kumpels.

Aber Julien dürfte das wohl nicht allzu witzig finden.

Er redete kein Wort mit mir und verschwand nach seiner ersten Zigarette gleich wieder … außer zum Essen bekam ich ihn heut gar nicht mehr zu Gesicht. Nun, da er nicht von sich aus runterkommen wollte, ging ich auch nicht zu ihm rauf ins Zimmer. Der wird wohl seine Gründe haben, warum er allein sein wollte.

Ich fuhr an diesem Tag auch nicht weg, sondern lag den ganzen Tag im Garten rum und ließ Gott nen guten Menschen sein.

Zwischendurch rief mal mein Kumpel an, bei dem gestern die Party lief … er erzählte mir, dass die Stimmung immer bombastischer wurde, je mehr der Abend vorrückte und ging aber freundlicherweise nicht auf Details ein … er wusste ja haargenau, dass ich nur wegen Julien so früh abgedampft war. Ich für meinen Teil wär wahrscheinlich die ganze Nacht geblieben.

So fragte er mich dann auch ein bisschen über „meinen Franzosen-Heini“ aus, aber da er nicht mal mit mir sonderlich viel redete, konnte ich nicht viel über ihn sagen. „Bin froh, wenn übernächste Woche die Schule beginnt“, meinte ich dann noch, „denn dann wär er zumindest den ganzen Vormittag aus dem Haus.“

Christian quittierte das mit einem so lauten Lachen, dass ich das Telefon ein paar Zentimeter von mir weg hielt … dabei sah ich gerade noch einen Schatten durch die Glastür verschwinden.

„Oh Shit … ich glaub, das hat er jetzt mitbekommen“, jammerte ich Chris gleich vor und verabschiedete mich schnell von ihm … ich war schon an der Tür und wollte zu Julien rauf laufen, aber im letzten Moment überlegte ich es mir anders.

War es denn MEINE Schuld, dass ER so seltsam war? Der brauchte sich doch gar

nicht wundern, dass ich so genervt von ihm war!

Also ging ich wieder auf meinen Platz … konnte allerdings jetzt nicht mehr ruhig sitzen … so stand ich schon nach wenigen Minuten wieder auf und ging in mein Zimmer, um mir ein Buch zu holen … zu IHM reinzuschauen, fiel mir ja im Traum nicht ein.

Bis … ja, bis ich ein leises Schluchzen aus seinem Zimmer kommend hörte. Ich spürte einen Stich in der Magengegend und mir wurde ganz schlecht … Mist! Hatte ich ihn so sehr verletzt? Ich bekam ein schlechtes Gewissen und versuchte mich, in seine Lage zu versetzen … seine Eltern hatten ihn immerhin gegen seinen Willen hierher geschickt, damit er gezwungen war, Anschluss zu suchen. ER wollte das ja gar nicht. Und anstatt es ihm so leicht wie möglich zu machen, machte ich mich am Telefon über ihn lustig und war genervt von ihm. Was musste der bloß von mir denken?

Leise öffnete ich die Tür ohne anzuklopfen und fand ihn neben dem Bett kauernd … wieder so, dass man ihn von der Tür aus nicht sehen konnte.

Sein Gesicht war tränenüberströmt und als er mich bemerkte, starrte er mich nur hasserfüllt an.

Ich ging neben ihm in die Hocke und legte meine Hand leicht auf seine Schulter … da er sprang plötzlich auf und schrie mit tränenerstickter Stimme, ich solle ihn bloß nicht anfassen!

Dann lief er ins Bad, knallte die Tür zu und ich hörte sogar, wie er sie abschloss.

Ich stand ohne jedes Gefühl da … ich hatte keine Ahnung, was in ihn gefahren war … langsam ließ ich mich auf sein Bett sinken und war zu keinem vernünftigen Gedanken mehr fähig … mir wurde wieder schlecht.

Nach ein paar Minuten klopfte ich leise an die Badezimmertür … als sich nichts rührte, klopfte ich etwas lauter … wieder nichts … auch auf mein Rufen reagierte er nicht.

„Julien, mach die Tür auf!“, rief ich nun, nur um gegen eine verschlossene Tür ohne jeden Laut dahinter zu starren.

Der Typ macht mich noch wahnsinnig!

Ich ging in mein Zimmer und beschloss, dort einfach auf ihn zu warten, irgendwann musste er ja auch mal wieder rauskommen.

Allerdings schien er das nicht so zu sehen … denn nach fast zwei Stunden war die Badezimmertür immer noch fest verschlossen.

Ich machte noch einen Versuch und klopfte leise an die Tür … wie zu erwarten keine Reaktion, auch nicht auf ein erneutes lauteres Klopfen.

Ich wand mich wieder um und wollte gerade zurück in mein Zimmer gehen, als ich plötzlich hörte, wie der Schlüssel im Schloss gedreht wurde … die Tür selbst öffnete er zwar nicht, aber er hatte zumindest schon mal aufgeschlossen.

Ich ging also zur Tür zurück, öffnete sie langsam und betrat das Badezimmer. Drinnen schloss ich die Tür wieder, aber ohne abzuschließen … nicht, dass er noch auf den Gedanken kam, ich wolle über ihn herfallen.

Er saß geknickt auf dem Badewannenrand, sah mich nicht mal an … aber er weinte zumindest nicht mehr.

Wortlos setzte ich mich in gebührendem Abstand neben ihn und wartete, dass er was sagte … schien ihn nicht großartig zu stören, denn er sagte keinen Ton.

Schließlich atmete ich hörbar ein und begann: „Jetzt sag mir endlich, was mit dir los ist … ich hab dieses Gehabe echt satt.“

Er wandte mir langsam sein Gesicht zu, setzte einen trotzigen Blick auf und meinte dann gehässig: „Du Armer!“

Was in Gottes Namen sollte DAS jetzt schon wieder?!

Genervt blies ich Luft aus … „Was soll das? Wieso bist du mir gegenüber so feindselig?“

Er starrte wieder auf den Boden und sagte nichts mehr … wie konnte so ein süßer Mensch nur so starrsinnig sein?

„Gehen wir eine rauchen?“, fragte ich dann noch, um wenigstens meinen guten Willen zu einem näheren Gespräch zu zeigen und er stand sogar auf und verließ das Badezimmer. Ich folgte ihm und in seinem Zimmer trafen wir uns zum Rauchen.

„Können wir in den Park fahren?“, fragte er mich plötzlich und ich starrte ihn erstmal nur überrascht an … tatsächlich eine Frage kommend aus seinem Mund …

schließlich nickte ich: „Klar, können wir machen.“

Nicht mal zwanzig Minuten später saßen wir auf „unserer“ Bank und schwiegen uns erst mal ne Zigarettenlänge lang an, bevor er kleinlaut und kaum hörbar sagte: „Es tut mir leid, wie ich mich verhalten habe.“

Ich sah ihn an: „Und sagst du mir auch, warum?“

„Warum es mir leid tut?“

Gereizt meinte ich dann: „Nein … ich will wissen, WARUM du so drauf bist … das passt irgendwie nicht zur dir…“

„Als ob DU beurteilen könntest, was zu mir passt!“, maulte er dann auch schon wieder, aber als er meinen Blick sah, sagte er erst mal gar nichts mehr.

Nachdem er sich eine neue Zigarette angezündet hatte, begann er leise: „Es ist nicht leicht, weißt du … ich …“, er atmete tief durch und sprach weiter, „nachdem ich entlassen wurde …“, er stockte und ich war nicht sicher, ob er überhaupt weiter sprechen würde, aber er tat es, „ich war fast ein Jahr im Krankenhaus … genauer gesagt elf Monate …“, sein Blick wurde leer, seine Stimme versagte und er schüttelte nur noch den Kopf.

Ich fühlte mich in dem Moment so hilflos wie noch nie … ich hatte ja keine Ahnung, was da passiert war … warum er im Krankenhaus war und warum so lange … ich konnte ihn nicht trösten … konnte ihn nicht mal in den Arm nehmen, denn ich hatte Angst, dass er wieder abhauen würde.

So saß ich einfach nur da und wartete, dass er von sich aus weiter sprechen konnte.

Julien zündete sich derweil schon wieder eine Zigarette an und meinte mit zittriger Stimme: „Sie haben es dir nicht erzählt, oder?“

Ratlos schaute ich ihn an, „Nein, was denn?“

Er sah mich kurz an und ließ seinen Blick über mich hinweg durch den Park schweifen … er blieb am See hängen, wo er traurig die Schwäne beobachtete. Er schien mit sich selbst zu ringen, ob er das überhaupt erzählen wollte oder nicht. Schließlich richtete er sich auf, holte noch einmal tief Luft und begann dann:

„Es war kurz nach meinem sechzehnten Geburtstag … wir … also, mein Freund und ich, waren ausreiten …“, mir fiel sofort auf, er hatte Freund gesagt … gut, ich achtete da vielleicht zu sehr drauf … mein Freund konnte genauso gut mein bester Freund sein und ich fragte auch gar nicht danach … ich wollte ihn nicht unterbrechen, wenn er sich endlich mal dazu durchringen konnte, etwas über sich zu erzählen.

Er schien sich dabei auch weit in der Vergangenheit zu befinden, „es war ein sonniger Tag, so wie heute, und wir waren mit Artax und Sammy unterwegs … unsere Pferde“, fügte er mit einem Lächeln in meine Richtung hinzu.

„Wir waren noch nicht lange unterwegs gewesen, wir mussten ja erst mal zum Wald reiten, bevor wir unsere richtige Tour beginnen konnten … dabei mussten wir auch einige Straßen überqueren …“

Er senkte den Blick und schwieg, ich drängte ihn nicht, weiterzureden … er musste entscheiden, was und wie viel er mir erzählen wollte.

Ich hörte wie er schwer atmete … er konnte nur mit Mühe die Tränen zurückhalten und sah mich Hilfe suchend an … er schüttelte den Kopf und konnte gerade noch flüstern: „Ich kann nicht!“, bevor die Trauer ihn übermannte.

Er brach in sich zusammen und fing an zu schluchzen … ich überwand mich dann doch, rutschte näher und legte meinen Arm um ihn … ich spürte, wie er sich im ersten Moment anspannte, dann aber komplett in sich zusammensank.

Er zitterte am ganzen Körper, während er in meinen Armen weinte und ich versuchte, ihn einfach durch meine Gegenwart zu trösten. Er klammerte sich an mich und ich hielt ihn einfach nur fest … es dauerte lange, sehr lange bis seine Tränen versiegt waren und auch dann ließ ich ihn noch nicht los, sondern streichelte im Gegenteil noch seinen Rücken.

Nach einer kleinen Ewigkeit löste er sich von mir und sah mich verlegen an … sein Gefühlsausbruch schien ihm total peinlich zu sein.

Er versuchte ein Lächeln auf seine Lippen zu zwingen und meinte, er würde gern heimfahren und mit sich alleine sein.

Ich nickte und so fuhren wir heim, wo er sich dann den ganzen Tag allein in seinem Zimmer verkroch … er hatte sogar die Tür verschlossen.

Auch die nächsten Tage bekam ich ihn selten zu Gesicht, außer zu den Mahlzeiten natürlich … seine Zimmertür war immer geschlossen und nur manchmal sah ich ihn am Fenster stehen. Ich konnte die Trauer spüren, die in seinem Inneren wütete … sah die Verzweiflung in seinen Augen.

Von der Schule hatte er sich mit Einverständnis seiner Eltern, die das Ganze telefonisch geregelt hatten, erst mal freistellen lassen. Sie hatten wohl eingesehen, dass der Schmerz ihres Sohnes nicht durch neue Kontakte gelindert werden konnte.

Das konnten nur die Zeit und sein eigener Wille.

Ich persönlich bezweifelte ja sowieso, dass er überhaupt jemals auf die deutsche Schule gehen würde.

6. N e u a n f a n g ?

Julien hatte sich mittlerweile geschlagene drei Wochen total zurückgezogen … man bekam ihn kaum zu Gesicht und wenn, dann schwieg er beharrlich.

Ich war in den drei Wochen fast täglich zu Hause geblieben, hatte nebenbei mein Zimmer umgeräumt, Gartenarbeiten erledigt oder lag einfach nur in der Sonne. Nach diesem Erlebnis im Park wollte ich für ihn einfach immer greifbar sein … nur falls er jemanden zum Reden haben wollte.

Eines Tages, ich war wieder mal besonders früh am Morgen fit und saß schon auf der Veranda mit meinem Kaffee, meinen Zigaretten und der Zeitung, da stand Julien auf einmal hinter der Glastür … er klopfte leise an die Verandatür und kam zu mir raus, als ich aufsah, in der Hand hielt er bereits selbst einen Kaffee.

Mit einem freudigen Lächeln wünschte ich ihm einen wunderschönen guten Morgen und legte die Zeitung weg, als er sich zu mir setzte.

Ich freute mich ehrlich, dass er zu mir raus kam.

Er schien das nicht direkt erwartet zu haben und fragte mich zaghaft, was ich heute machen würde.

Ha, ha, dachte ich amüsiert … nachdem ich die letzten drei Wochen zu Hause gehockt war, damit ich in seiner Nähe bleiben konnte, werd ich ausgerechnet heute bestimmt nicht unterwegs sein. Laut sagte ich aber nur: „Hmm … keine Ahnung, hab noch nicht drüber nachgedacht … warum fragst du?“

Mit einem traurigen … oder … nein, eher mit einem schüchternen Blick erforschte er die Kaffeetasse, bevor er mich direkt ansah und fragte: „Hast du Lust, dass wir in den Park fahren?“

Ich konnte meine Überraschung nicht verbergen, als ich antwortete: „Ahm … ja klar … warum nicht?“

Er stand auf und meinte noch: „In einer Stunde?“

Ich nickte und er lächelte erleichtert, bevor er mitsamt seiner Kaffeetasse wieder im Haus verschwand.

Genau eine Stunde klopfte ich an seine Zimmertür und er riss sie auf, als wäre er direkt dahinter gestanden und hätte gewartet. Schon seltsam … da wohnen wir im selben Haus nebeneinander und ich fühlte mich, als würd ich ihn bei sich zu Hause abholen … na ja, im Prinzip war sein Zimmer sein zu Hause … er hatte sein Reich in den letzten drei Wochen immer verschlossen und so hatte ich keine Ahnung, wie es da drin jetzt aussah.

Er lächelte mich an und wir gingen zusammen runter … als ich meinen Eltern noch kurz Bescheid gab, dass wir in den Park wollten, sahen die mich nur überrascht an, konnten sich aber dann doch noch dazu durchringen uns viel Spaß zu wünschen.

Angekommen beim Park machten wir uns gleich auf zu „unserer“ Bank, wo wir beide erst mal eine Zigarette zur Entspannung rauchten.

„Es ist sehr schön hier“, bemerkte Julien nach ein paar Minuten.

Lächelnd stimmte ich ihm zu: „Ja, ich komm seit Jahren regelmäßig hierher … eigentlich egal, warum … wenn ich allein sein will, oder Freunde treffe.“

Er sah mich an und lächelte kurz, sagte aber darauf nichts.

Nach einer Weile flüsterte er, kaum hörbar: „Danke Maik!“

Überrascht sah ich ihn an „Wofür denn?“

„Na, dass du da warst … die ganze Zeit.“ Auf meinen belämmerten Blick hin lachte er und meinte: „Denkst du, ich bin aufm Mond aufgewachsen? Ich weiß, warum du die letzten Wochen jeden Tag zu Hause warst. Und dafür danke ich dir … auch dafür, dass du mich nie gedrängt hast, was zu sagen.“

Es war ihm tatsächlich aufgefallen … jetzt war ich es, der den Tränen nahe war und so konnte ich nur nicken und dabei versuchen, ein Lächeln zustande zu bringen.

Nach einigen weiteren Minuten Schweigen meinte er dann: „Ich war früher oft in solchen Parks ausreiten … Artax liebte es, durch flaches Wasser zu galoppieren.“

„Wer kümmert sich um ihn, während du hier in Deutschland bist?“

Autsch! Falsche Frage … ich merkte es schon, als ich die Frage noch nicht einmal ganz ausgesprochen hatte.

Er zuckte zusammen und ich sah, wie er tapfer die Tränen zurückdrängte … er lächelte gequält und meinte dann: „Artax wurde bei dem Unfall getötet.“

„Das tut mir leid, Julien.“

Er senkte seinen Blick und sagte leise: „Du kannst nichts dafür.“

Julien schien sich gut im Griff zu haben … ohne ein weiteres Wort zündete er zwei Zigaretten an und reichte mir davon eine … mit einem Grinsen nahm ich sie dankend an und meinte: „Du kannst Gedanken lesen, wie?“

Er grinste mindestens genauso frech, nahm seine Kippe zwischen die Lippen und stand dann auf … allerdings nicht um zum See rüber zugehen, wie ich vermutet hatte, sondern um seine Geldbörse aus der Hosentasche zu ziehen. Er öffnete sie und setzte sich wieder neben mich.

Dann zog er einige Bilder daraus hervor und ich rückte neugierig näher. Mit einem Lächeln zeigte er mir das erste Bild, es waren zwei Pferde darauf zu sehen … das große schwarze kannte ich von dem Bild aus seinem Zimmer

„Das ist Artax“, meinte er und zeigte eben auf dieses Pferd. Das zweite darauf war rotbraun-weiß gescheckt „und das ist Sammy … er gehörte meinem damaligen Freund“

„Deinem damaligen Freund?“

Er guckte mich überrascht an und meinte „Ja, von dem ich dir doch erzählt habe … na ja, is ja schon ganze drei Wochen her … kein Problem, wenn du’s vergessen hast.“

„Nein, nein … so meinte ich das nicht. Ich … weil … ach, nicht so wichtig.“

War das jetzt sein damaliger Freund oder EIN damaliger Freund? Ich traute mich das dann doch nicht zu fragen, schließlich war das nicht der Grund, warum er mir die Bilder zeigte.

Er guckte mich noch recht seltsam an und steckte das erste Bild nach hinten. Auf dem zweiten sah man ihn mit seinen Eltern … seine Mutter war genauso blond wie er und ungefähr in der gleichen Größe, sein Vater hatte eher dunkelblonde Haare und überragte die beiden um bestimmt einen Kopf. „Meine Mutter, sie heißt Marie und mein Vater Pierre“, erklärte er.

Damit kam er zum dritten und letzten Bild … allerdings schien ihm das ein bisschen peinlich zu sein. „Das ist mein Freund von damals, Pascal“, meinte er.

„Pascal? So ein Zufall … das ist der zweite Teil von meinem Vornamen“, sagte ich und auf seinen fragenden Blick meinte ich noch dazu „Ich heiße eigentlich Maik-Pascal … aber des is immer so lang, deshalb stell ich meistens nur mit Maik vor.“

Nun lächelte auch Julien und ich besah mir das Bild genauer. Er schien auf dem Bild sehr, sehr glücklich zu sein … Pascal stand hinter Julien und hatte beide Arme um ihn geschlungen … er lachte mindestens genauso breit wie Julien selbst.

„Pascal war ein sehr fröhlicher Mensch … man hatte immer irgendwas zum Lachen mit ihm … leider war er auch sehr leichtsinnig“, fügte Julien mit einem traurigen Blick hinzu.

„Wie meinst du das?“, konnte ich mir daraufhin nicht verkneifen.

Er sah mich kurz an, lächelte müde und steckte die Bilder wieder zurück in die Geldbörse, die er dann wieder in die Hosentasche stopfte.

Dann zuckte er mit den Schultern und erklärte: „Er hat ständig irgendeinen Mist gebaut, in der Schule, zu Hause, sogar im Stall konnte er sich so manches nicht verkneifen“, Julien schüttelte kurz den Kopf und sagte dann: „Der Unfall damals … es war SEINE Schuld … er wollte nicht auf mich hören und fing an mit Sammy einen steilen Abhang runterzugaloppieren … ich … ich bin ihm mit Artax einfach hinterher.“

Julien zündete sich eine weitere Zigarette an und fuhr fort „Wir wussten beide nicht dass am Ende des Abhangs eine Straße kam … und wir wurden beide von einem LKW erfasst.“

Er senkte den Blick und sprach auch nicht weiter … ich wusste nicht recht, wie ich mit der Geschichte umgehen sollte … sollte ich ihn irgendwas dazu fragen oder würde ihm die Erinnerung nur unnötig wehtun? Sollte ich gar nichts dazu sagen oder würde er dann denken, dass mich sein Leben nicht interessiert?

Er schien meine Unsicherheit zu bemerken und lächelte kurz „Gehen wir ein Stück?“

Ich nickte und so erhoben wir uns und gingen in Richtung des Sees, um den wir dann einfach herumgingen … man muss dazu sagen, der See ist schon ziemlich groß, man ist da schon ne Stunde unterwegs, bis man ihn umrundet hat. Nach einigen Metern fragte ich schließlich, was mit dem LKW-Fahrer passiert ist.

„Nichts … er kam zwar von der Straße ab, als er das Lenkrad verriss, aber dabei passierte ihm nichts. Belangen konnte man ihn natürlich auch nicht … er konnte ja nichts dafür und hätte uns vorher auch gar nicht sehen können.“

„Und … und mit dir?“

Julien blieb kurz stehen und sah mich an, dann senkte er den Blick und starrte auf den Boden: „Ich lag vier Monate lang im Koma … als ich aufwachte, musste ich so ziemlich alles neu lernen, was eigentlich selbstverständlich ist für andere … selbst das essen.“

„Das ist ja furchtbar“, rutschte es mir raus.

„Nun, ich lebe“, meinte er mit einem Schulterzucken … „mein Pferd allerdings nicht mehr … ebenso wie Sammy. Pascal wurde beim Aufprall ein paar Meter den Abhang zurückgeschleudert … außer ein einigen Knochenbrüchen und einer Gehirnerschütterung fehlte ihm nichts.“

„Und … wo ist er dann jetzt? Warum bist du nicht bei ihm in Frankreich?“, fragte ich verwundert … ich hatte erst angenommen, dass er bei dem Unfall getötet wurde.

Leise antwortete Julien: „Ich will ihn nicht sehen … ich konnte ihm das einfach nicht verzeihen … ich“, verzweifelt suchte er nach Worten „ständig musste ICH für ihn geradestehen … und immer und immer wieder habe ich ihm verziehen … egal, welchen Mist er wieder ausgefressen hatte … ich konnte einfach nicht mehr … Artax war mein ein und alles …“

Nach kurzem Schweigen meinte Julien dann: „Ich hab mich die Zeit danach immer mehr von den anderen zurückgezogen … mir kam das alles so lächerlich vor … ich wollte lieber für mich sein und dann meinten meine Eltern plötzlich, so kann es nicht weitergehen … und dann haben sie mich einfach nach Deutschland verfrachtet. Mein Vater kennt den Direktor der örtlichen Schule ziemlich gut … und ja … hier bin ich also.“

„Ich … so ungern ich es zugebe … aber ich hab mittlerweile selbst eingesehen, dass es so nicht weitergehen kann. Die Geschichte mit Pascal hab ich abgeschlossen … wir haben sogar ein paar Mal telefoniert, seit ich hier bin“, Julien lächelte erleichtert … ich allerdings spürte einen kleinen Stich in der Magengegend.

Würde er mir jetzt mitteilen, dass ihm meine Gegenwart zwar sehr geholfen hätte, er aber jetzt lieber mit Pascal einen Neuanfang wagen wollte?

Und tatsächlich, gleich darauf meinte er: „Wir haben uns ausgesprochen … es war von ihm genauso wenig gewollt damals … egal, welchen Mist er immer angezettelt hatte, es war nie mit böser Absicht. Und er wollte auch im Leben nicht, dass unsren Pferden … oder mir … irgendetwas passiert. Er konnte sich das selbst nie verzeihen. Wie gesagt, wir haben die letzten Wochen oft und lange telefoniert … wir haben uns dabei sogar über andere Dinge unterhalten.

Es hat wahnsinnig gut getan, vor allem mit IHM über dieses Thema zu reden und ich denke, ich kann das endlich abschließen für mich.

gut, ich würde trotzdem nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen … also … näher mein ich. Also … schon … aber nicht mehr in der Weise wie damals.“

7. W i e s a g t m a n i n F r a n k r e i s c h ?

Wir fuhren erst nachmittags wieder heim und meine Eltern guckten reichlich erstaunt, als Julien und ich lachend in den Garten kamen.

Als wir sie bemerkten, verstummten wir erst mal, mussten aber dann gleich wieder loslachen.

„Was ist denn bei euch so komisch?“, meinte meine Mam und wir antworteten gleichzeitig „Ach nix!“, was schon wieder für nen Lacher sorgte.

„Sagt mal, habt ihr heut schon was vor?“, fragte ich äußerst unschuldig und als meine Eltern verneinten, schlug ich ein Grillfest vor … bei uns im Garten. Da ich ja wusste, dass meine Eltern total auf solche Party abfuhren, konnte ich natürlich sicher sein, dass sie zustimmen würden. Während die beiden noch schnell Einkaufen fuhren, lud ich drei meiner besten Freunde ein … ich wollte ihnen unbedingt Julien vorstellen.

Der Abend wurde der totale Hit … Chris, Steffi und Daniel mochten Julien auf Anhieb und meine Eltern hatten noch ein paar Nachbarn eingeladen … weil sie wollten ja nicht den ganzen Abend „mit dem jungen Gemüse“ verbringen, wie uns mein Dad allen Ernstes aber mit einem gespielt fiesen Lachen mitteilte.

Einzig und allein Steffi hätte es beinah geschafft, mir die Laune zu verderben, als sie die Frage stellte, was wir eigentlich dann in zwei Monaten machen würden … nämlich dann, wenn Julien wieder nach Frankreich ginge.

Auf einen Schlag war Schweigen im Garten angesagt und sämtliche Augenpaare waren auf uns gerichtet … nun, darüber hatte ich mir gar keine Gedanken gemacht … ich war halt einfach froh, dass Julien nun doch Vertrauen zu mir zu fassen schien.

Zögerlich antwortete ER dann auf die Frage: „Nun … ich …“, er guckte nervös zwischen meinen Eltern und mir hin und her, schluckte kurz und meinte dann, „also, wenn’s denn soweit ist … dann … also, man könnte es bestimmt arrangieren, dass ich für ne längere Zeit hier bleiben kann.“

Julien sah mir ganz kurz in die Augen und wandte dann sofort seinen Blick ab.

Ich sah meine Eltern an, die beide von einem Ohr zum anderen grinsten und dann wieder Julien: „Du meinst …?“

Erst da schaute er wieder zu mir hoch: „Ich wollte nichts davon erzählen … ich weiß ja nicht … ahm … wie du dazu stehst…“

Ich begann zu lachen: „DU weißt nicht, wie ich dazu stehe? … ich hab mich schon am ersten Tag total in dich verliebt!“

Julien lächelte erleichtert und ich fiel ihm erst mal um den Hals und ließ ihn minutenlang nicht mehr los.

Als ich ihm ins Gesicht sah, sah ich wieder diese Sehnsucht in seinen Augen und er flüsterte: „J’aimerais bien t’embrasser.“

Auf meinen belämmerten Blick hin flüsterte er dann mit einem hämischen Grinsen: „Bitte küss mich, Maik!“

Dieser Aufforderung kam ich nur zu gern nach und unsere Lippen berührten sich schon in der nächsten Sekunde voller Zärtlichkeit und Vertrauen.

Im Garten war es still geblieben und ich dachte noch glücklich … jetzt muss ich meinen Eltern meinen Traummann wohl nicht mehr vorstellen … sie kennen ihn ja schon seit fast einem Monat

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