Zoogeschichten I – Teil 1

1. Der erste Tag

So da stand ich nun, vor dem großen Tor. Ich war mächtig aufgeregt. Nun war es also soweit, mein erster Tag. Jetzt würde meine Lehre beginnen. Ich nahm die Codekarte heraus und zog sie durch den Scanner.

Ein kurzes Surren, ein Klickgeräusch und das Tor sprang auf. Ich schob es langsam auf und ging hinein. Wie ich angewiesen wurde, verschloss ich es auch gleich wieder. Herr Trebnitz hatte mir im Vorfeld alles gezeigt.

Von ihm bekam ich auch meine Codekarte und eine kurze Einweisung über die Regeln hier. Viel konnte er mir natürlich nicht sagen, denn ich musste ja alles erst einmal durchlaufen. Ich steckte die Karte wieder in mein Shirt, nahm meinen Rucksack und lief zum ersten Gebäude.

Hier sollte ich mich bei einer Frau Christens melden. Ich suchte den Eingang und fand ihn schließlich auch. Mir fiel auf, dass es ein blöder Gedanke war, meine Codekarte weg zu tun, denn hier brauchte ich sie wahrscheinlich an fast allen Türen.

So holte ich sie wieder hervor und zog sie ebenso durch den Scanner. Die Tür sprang auf und ich betrat das Haus. Mir wehte ein Duft von Heu und frischem Obst entgegen. So zog ich die Tür wieder hinter mir zu und folgte den Stimmen, die ich hörte.

„Bayerlein ist ausgerutscht und voll ins Wasser gefallen“, hörte ich eine männliche Stimme sagen.

Dann folgte lautes Gelächter. Ich atmete noch einmal tief durch und bog um die Ecke, wo die Stimmen herkamen. Da standen mehrere Leute und schnippelten Gemüse.

„Guten Morgen“, sagte ich.

Alle drehten sich nach mir um.

„Morgen, oh ein neues Gesicht“, meinte eine Frau.

„Ich bin Dennis Kahlberg und soll mich hier bei einer Frau Christens melden.“

„Ah unser neuer Azubi!“, sagte eine andere Frau, „ da willst du wohl zu mir.“

Sie wusch sich schnell die Hände, bevor sie mir die Hand reichte.

„Hallo ich bin Sabine Christens und die nächsten drei Monate für dich zuständig, bevor du die Abteilung wechselst.“

Ich nickte und schüttelte ihr die Hand.

„So Dennis, am Besten du legst deine Sachen da drüben in den Aufenthaltsraum rein, einen Spint suchen wir nachher für dich. Erst müssen wir mal unser Frühstück fertig machen und verteilen, dann haben wir etwas Luft.“

Ich nickte wieder und tat wie geheißen. Ich stellte meinen Rucksack auf einen Stuhl und hängte meine Jacke darüber. Stolz prangte von meinem grünen Shirt „Tierpfleger“. Herr Trebnitz hatte mich nicht nur eingewiesen, er hatte mich im Vorfeld auch schon mit Klamotten versorgt.

So ging ich zurück in diese Küche, wo die Anderen schon wieder am Lachen waren.

„So Dennis, da sind Messer und Schüsseln, neben Horst ist noch ein Platz frei.“

Ich nahm ihr die Sachen ab und ging zu diesem Horst.

„Hallo Dennis!“

„Hallo.“

„Brauchst keine Angst zu haben, wir beißen alle nicht, höchstens unsere Einwohner hier“, meinte Horst, worauf alle wieder anfingen zu lachen.

Er zeigte mir kurz, wie ich das Gemüse und das Obst schneiden musste. Schnell merkte ich, dass ich langsam schneiden musste, da das Messer doch recht scharf war. Gleich am ersten Tag meiner Lehre einen Unfall, das sollte nicht sein.

Nachdem alles geschnitten war und ich es in zwei Schüsseln verteilt hatte, machten wir noch alles sauber.

„So Dennis, du kommst dann mit mir“, meinte Frau Christens, „ und ich bin die Sabine, wir duzen uns alle hier.“

„Danke. Dass ich Dennis heiße, weiß ja jeder schon.“

Sabine lächelte. Sie nahm ihre vier Schüsseln auf den Arm und ich folgte ihr aus der Küche.

„Hast du schon mal was mit Tieren zu tun gehabt?“

„Ich hatte selber einen Hund und eine Katze, aber mehr noch nicht.“

„Und wie kommst du dann gerade auf den Zoo?“

„Solange ich denken kann, haben mich meine Eltern hier immer in den Zoo geschleppt. Irgendwann hab ich angefangen, die Pfleger zu beobachten, wie sie mit den Tieren umgehen.“

„Traumjob?“

„Schon irgendwie, die Tierwelt fasziniert mich.“

„Ja dann mal los. Mal sehen, ob es dir hier wirklich gefällt. Du musst wissen, nicht alles ist hier so schön, kann auch mal Knochenarbeit sein.“

Sie lief mit mir einige Gänge durch, bis wir an die Käfige kamen. Tiere konnte ich aber keine sehen.

„So, hier sind wir in der Bärenabteilung.“

„Bären?“ Wow!“

„Ja, ich bin für die Bären zuständig.“

„Und was für Bären habt ihr hier alles?“

„Ich dachte, du warst regelmäßiger Zoobesucher.“

„Ja schon, aber da hab ich nie so richtig auf die Tiersorten geachtet.“

„Also, wir haben hier die Braunbären, Brillenbären und Klammerbären, auch Malaienbär genannt, und ein Pärchen Kragenbären.“

„Die vertragen sich?“

„Nein, eigentlich weniger, aber sie werden auch getrennt im Gehege gehalten.“

Sabine hatte mittlerweile ihre Schüsseln abgestellt, ich tat es ihr nach.

„Ach, jetzt habe ich etwas vergessen, warte einen Augenblick, ich muss noch etwas holen.“

Und schon war sie verschwunden. Ich schaute mich ein wenig um. An jedem Käfig war ein Schild angebracht, was für ein Tier hier hauste. Name, Alter und auch Besonderheiten. Bei Bruno, dem Braunbären stand etwas mit Ball spielen, ich musste grinsen.

„So, da bin ich wieder.“

Sabine kam mit einer Babyflasche zurück.

„Jetzt werden wir mal den Kleinen besuchen.“

„Den Kleinen?“

„Ja, unseren Nachwuchs der Klammerbären. Er ist von der Mutter nicht angenommen worden, so müssen wir eben einspringen und wenn du Lust hast, kannst du ihm gleich seine Milch geben.“

„Klar, gerne sogar“, meinte ich lächelnd.

Sie schloss die Tür zu einer Art Büro auf, wo ich eine große Holzkiste in der Ecke entdecken konnte, aber auch leisen Knurren vernahm.

„He du kleiner Bär, schon wach heut morgen??“, sagte Sabine und zog den Rollladen hoch.

Sie öffnete den Deckel und zum Vorschein kam ein kleiner schwarzer Bär mit großen Augen.

„Der ist aber süß“, entglitt mir.

Sabine strahlte.

„So nun komm mal her und lerne Dennis kennen!“

Sie bückte sich und holte den Bären aus seiner Kiste. Er strampelte etwas, aber schmiegte sich sofort an Sabine.

„Du kannst ihn ruhig streicheln, so gewöhnt er sich dann auch gleich an deinen Geruch.“

„Meinen Geruch?“

„Ja, die Tiere erkennen dich entweder an deiner Stimme oder an deinem Geruch, das können sich die meisten merken.“

Vorsichtig näherte ich mich dem Kleinen mit meiner Hand, an der er erst langsam schnüffelte und dann anfing, mit der Zunge darüber zu lecken, sie fühlte sich so rau an.

„So und jetzt versuchst du ihn mal zu nehmen“, sagte Sabine und reichte ihn mir.

Der Kleine schien nicht gerade fasziniert davon zu sein. Er brummte und beschwerte sich recht kräftig. Doch als ich ihn an meinem Shirt hielt, wurde er ruhiger.

„So ist richtig, kraule ihn ruhig etwas, das mag er.“

Sabine holte nun die Flasche.

„So und nun legst du ihn etwas auf deinen Arm, wie ein Baby“, ich tat, wie geheißen, auch wenn ich noch nie ein Baby gehalten hatte, „hier ist die Flasche. Die kennt er gut, wirst sehen, du hast keine Probleme mit ihm.“

Sie hatte Recht, sobald ich mit dem Nuckel an seine Schnauze kam, begann er zu trinken.

„Wie heißt er eigentlich?“

„Wir haben noch keinen Namen für ihn, aber vielleicht fällt dir etwas Gutes ein. So, jetzt muss ich aber die anderen Füttern, die warten bestimmt schon, komm einfach mit, mit dem Racker.“

Ich folgte ihr nach draußen auf den Flur zu den Käfigen. Sie entriegelte irgendwelche Hebel. Dann zog sie daran und ich konnte erkennen, dass sich dadurch Schieber in den Wänden öffneten.

Und schon konnte ich den ersten Bären sehen. Er kam mir recht groß vor, aber so dicht war ich auch noch nie an einem Bären.

„Morgen Theo, na schon Hunger?“, meinte Sabine.

Theo kam ans Gitter und schnüffelte in meine Richtung. War es jetzt der kleine Bär, der immer noch liegend vergnügt an seiner Flasche trank, oder hatte er mich anvisiert. Sabine ging ans Gitter und hielt ihre Hand flach an das Gestänge.

Theo leckte über ihre Hand und brummte.

„Na, frühstücken?“, meinte Sabine und holte eine Schüssel.

Sie gab ihm nach und nach mehrere Früchte, aber auch Gemüse.

„Ich dachte immer, Bären bekommen Fleisch“, sagte ich.

„Nein Bären sind hauptsächlich Vegetarier, nur wenn es im Spätsommer und Herbst darum geht, sich Winterspeck anzufressen, essen sie auch Fleisch oder Fisch.“

Weitere Braubären kamen nun herein, am Schluss konnte ich sechs zählen. Der Kleine auf meinem Arm murrte. Ich schaute hinunter, seine Flasche war leer.

„Schon leergetrunken?“, meinte ich zu ihm, „noch mehr?“

„Du kannst ihm einen Apfel geben, da hat er eine Weile zu nagen“, meinte Sabine, während sie die anderen Bären fütterte.

Ich nahm mir einen Apfel aus der Schüssel und hielt ihn ihm hin. Sofort griff er danach, spielte aber eher damit, als dass er ihn essen wollte. Etwas hilflos sah ich zu Sabine.

„Wenn er nur damit spielt, dann hat er auch keinen Hunger mehr. Aber am Besten bringst du ihn zurück in seine Box und hilfst dann mir. Er braucht jetzt eh sein Verdauungsnickerchen. Später kannst dich dann weiter um ihn kümmern.“

So ging ich ins Büro zurück und setzte den Kleinen in seine Box.

„He lass los, ich komme doch nachher wieder.“

Jetzt wusste ich, warum er ein Klammerbär war. Seine Nägel an den Tatzen waren leicht gebogen und reichten aus, sich um mein Handgelenk zu klammern. Nachdem ich ihn endlich gelöst hatte, ging ich zu Sabine zurück, die nun schon bei anderen Bären stand.

In den Käfigen saßen gemütlich die Bären und machten sich über ihre Rationen an Obst her.

„Wenn sie wieder draußen sind, steht Reinigung an. Dort vorne sind Besen. Du kannst dann in den Käfig und anfangen zu fegen. Auch etwas, was jeden Tag ansteht“, sagte Sabine.

Es dauerte noch eine ganze Weile, bis alle gefüttert waren und es dann endlich vorzogen, wieder hinaus ins Gehege zu gehen. Ich schnappte mir einen Besen und ging an den ersten Käfig. Daneben hing ein Schlüssel und so schloss ich das schwere Gitter auf.

Etwas schwerfällig stieg ich nun rein, die Türen waren nicht sehr groß und begann zu fegen. Viel Dreck war es ja nicht, aber das war auch gut so. Ich hörte etwas brummen und wunderte mich schon, dass man das von draußen so gut hören konnte.

„Dennis!“, schrie Sabine.

Erschrocken drehte ich mich in ihre Richtung und folgte ihrem Blick. Da stand noch ein Schieber offen, in dem sich gerade noch ein Bär befand. Ich sah auch, dass der Schieber, der in meinen Käfig führte, ebenso offen stand.

Ich traute mich nicht, mich zu bewegen, starrte entsetzt zu dem Bären, der still da stand und mich anschaute. Dann setzte er sich in Bewegung, direkt auf mich zu.

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