Rumtopf und Apfelkuchen

»Manchmal wünschte ich, es würde die Matrix wirklich geben. Dann könnte ich wenigstens die Hoffnung haben, dass eines Tages jemand mit einer roten Pille vor mir stehen würde.
Ich würde die Pille nehmen, sie schlucken und dem Überbringer kräftig in die Fresse hauen um ihn dann zu fragen, wo er die verdammten letzten Jahre gewesen sei.«

Es folgt der übliche Abspann mit überlauter Musik bei dem sich langsam schon der Vorhang schließt. Warum können die im Kino nicht mal den Abspann ganz auf der Leinwand laufen lassen? Da war nämlich ein junger Schauspieler, von dem ich gern den Namen gewusst hätte.

Benjamin legt seine Hand auf meine Schulter und veranlasst mich nun auch aufzustehen und den Massen in Richtung Ausgang anzuschließen.

Puh, ich mag so ein Gedränge nicht. Ich hätte gern noch ein wenig gewartet bis es ruhiger geworden ist. Der Gedanke an die frische Luft draußen lässt jedoch nun auch meine Beine zum Ausgang tapern.

Vor der Tür sauge ich erstmal tief den frischen Wind in mich hinein. Wind ist eigentlich untertrieben. Kräftige Sturmböen treiben durch die Seitengasse und wirbeln Papier und Pappbecher durch die Luft.

„Du Mario, wollen wir noch was essen?“

Das ist mal wieder typisch für Benjamin. Er hat immer Hunger und kann alles essen. Wo lässt mein Schatz das bloß?

„Hm, ich weiß nicht. Ich muss mit der Kohle etwas haushalten und wir wollen doch über Ostern nach Österreich.“

Benni schaut erst etwas traurig, kann jedoch meinem trainierten Dackelblick nicht widerstehen und springt lachend voran in den peitschenden Wind.

„Was meinst Du, gehen wir noch ein wenig am Kanal spazieren?“ stelle ich neugierig zur Diskussion.

„Okay, aber vorher ziehen wir uns was anderes an!“

„Einverstanden“. Zufrieden stiefeln wir los. Weit haben wir es nicht nach Hause und schaffen es gerade noch als wieder ein kräftiger Schauer seinen Wassermassen die Freiheit zurückgibt.

 

Unsere Wohnung ist nicht sonderlich groß. Zwei Zimmer, Küche, Bad. Vor der Essdiele haben wir dafür einen schönen Balkon mit Blick auf den Nord-Ostsee-Kanal.

Wir. Ja, also, das sind Benjamin und ich.

Benjamin ist 19 und im letzten Ausbildungsjahr zum Bankkaufmann. Er ist ein regelrechter Wirbelwind.

Die Ruhe und Gelassenheit, die er im Berufsleben vorzeigen muss, gleicht er in der Freizeit durch vielseitige Aktivitäten wieder aus. So ist wahrscheinlich auch zu erklären, dass er so schlank bleibt. Hatte ich schon angesprochen dass er ständig am futtern ist?

Benjamin hat blonde Haare und glitzernde blaue Augen – Augen zum verlieben.

Wir sind beide 180 cm groß und bringen mal gerade 62 Kilo auf die Waage.

Bei mir liegt das aber an der Ernährung. Ich esse kein Fleisch. Na ja, zugegeben – also sage ich mal fast kein Fleisch.

Dadurch, dass wir die gleiche Größe und Figur haben, können wir prima unsere Klamotten untereinander austauschen.

Wenn ich mir also mal wieder eine tolle Jeans gekauft habe, dann kann ich davon ausgehen, dass Benjamin sie in der nächsten Woche trägt.

Der größte Vorteil liegt allerdings bei den teuren Klamotten, da wir beide im Berufsleben Anzugträger sind. Auf diese Weise sparen wir eine Menge Geld.

Ich, ach ja, ich heiße Mario.

Mutter Natur gab mir pechschwarze Haare und tiefdunkle Augen und im Vergleich zu Benjamin eine etwas mehr gebräunte Hautfarbe, womit wohl meine italienische Abstammung bewiesen ist.

Die Haare trage ich etwa streichholzlang mit blondierten Spitzen, meist mit Gel wild abstehend gestylt.

Ich bin gelernter Versicherungskaufmann.

Vor 6 Wochen hatte ich meine Abschlussprüfung und in zwei Wochen (Karfreitag) feiern wir meinen 20. Geburtstag im Snowboardurlaub.

Ja und dann kreist da noch was Dunkles am Horizont.

Letzte Woche bekam ich Nachricht vom Kreiswehrersatzamt.

Ich werde im Juni zur Bundeswehr eingezogen.

Ich hätte zwar verweigern können, aber der Zivildienst geht ja noch länger und man weiß auch nicht, wo man da landet. Also Pflegedienst wäre ganz bestimmt nicht so mein Ding.

Also Augen zu, Zähne zusammenbeißen und durch. Es sind ja nur neun Monate.

Millionen von Jungs haben die Bundeswehr schon vor mir überstanden, also werde ich das auch irgendwie hinbekommen.

Und Homosexualität wird da ja mittlerweile wohl auch toleriert. Obwohl ich mir eigentlich nicht vorgenommen habe mich dort zu outen.

Mit dem Umziehen bin ich fertig. Mir ist nach einem Schluck O-Saft. Ich gehe in die Küche und was sehe ich. Da hockt da doch dieses Gerippe von Benjamin nur in Boxershorts und knabbert an dem letzten Stück kalter Pizza von heute Mittag.

Ich kann diesem Anblick nicht widerstehen. Grinsend schleiche ich mich von hinten an und lege meine Arme um seine nackte Brust.

Quiekend zuckt es zusammen. „Ih, du bist ganz kalt!“

Ich wende mich seinem Gesicht zu und beginne an seinen Lippen zu lecken.

„Hm, etwas viel Oregano würde ich sagen und – hattest du Knoblauch auf die Pizza gelegt?“

Nun lacht auch er wieder. „Heute ist doch Freitag, da können wir uns das mal erlauben!“

„Komm Benni, zieh dich an. Sonst fange ich im Ölzeug an zu schwitzen. Ich passe auch auf deine Pizza auf.“

Wie erwartet flitzt Benni ins Schlafzimmer und ich genehmige mir den erhofften Saft.

Man ist der Junge flink. Ich habe mein Glas noch nicht leer da schiebt er sich fertig angezogen noch schnell die letzte Pizzaecke in den süßen Mund.

„Soll ich die Knipse mitnehmen?“ frage ich Benjamin. „Ne, lass mal gut sein. Jetzt im Dunkeln ist alles zu schnell verwackelt.“

Ich muss hier wohl anmerken, dass Benjamin immer total begeistert ist von den riesigen Ozeandampfern, die da im Kanal fast lautlos an einem vorbei gleiten.

Man hat oft den Eindruck, sie wären zum Greifen nahe.

Zugegeben, wenn da eins von den gewaltigen Kreuzfahrtschiffen auftaucht, packt auch mich oft das Fernweh. Irgendwann einmal wollen wir beide auch eine Kreuzfahrt machen.

Dann aber auf einem Segler.

Endlich hat Benjamin nun seine Schuhe an und mir die Senkel wieder aufgezogen und verkündet stolz „Erster!!!“

Ja, so ist mein Schatz, hyperaktiv, nur dummes Zeug im Kopf und – ja und total lieb!

Kaum ist die Haustür hinter uns ins Schloss gefallen zeigt uns der blanke Hans was er kann

(Anmerkung des Autors: blanker Hans sagt man an der Nordseeküste für Sturm).

Kräftig peitscht uns der Wind Wasser ins Gesicht.

Ich glaube der Sturm hat noch etwas zugelegt.

Benjamin und ich legen uns gegenseitig einen Arm um die Schulter und geben uns so einander mehr halt (und vielleicht auch etwas Wärme und Zuneigung).

Irgendwie ist es ein tolles, ja fast aufregendes Gefühl gemeinsam der Naturgewalt zu trotzen.

Nach etwa einer Stunde im Kampf gegen den Wind am Kanalufer drehen wir um. Nicht ein einziges Schiff haben wir gesehen. Da der Wind genau quer zum Kanal weht, haben die vermutlich den Betrieb aus Sicherheitsgründen eingestellt. Schade.

Der Heimweg ist für mich angenehmer. Diesmal geht Benjamin auf der Windseite und hält das Gröbste von mir ab.

Es ist schon nach Mitternacht als ich die Wohnungstür aufschließe.

Wir gehen direkt ins Bad und entledigen uns dem nassen Ölzeug.

Diesmal ist Benjamin auf ehrliche Weise als erster fertig und sitzt schon im Schlafanzug im  Wohnzimmer auf dem Sofa. Auf dem Tisch hat er zwei Gläser bereitgestellt und mit seinem Taschenmesser fummelt er an einer Flasche Rotwein (italienischen natürlich) herum.

„Meinst Du nicht, es wäre Zeit fürs Bett?“ frage ich etwas zweifelnd.

„Ne, ne, Du hast mir jetzt viel zu kalte Hände und Füße“ lacht er los.

Also gut. Rein in meinen Schlafanzug. Ich ziehe noch schnell frische Socken an und meinen Bademantel über und schon kuscheln wir zwei.

Mit der Fernbedienung bringe ich den CD-Player in Gang und ganz leise stimmt eine fernöstliche Melodie an.

Feng Shui steht auf dem Cover. Benni hatte mir die CD zu Weihnachten geschenkt. Es ist genau die Art von Musik, die zum Kuscheln passt.

„Wie hat Dir denn der Film im Kino gefallen?“

„Zuviel Aktion und Science Fiction. Du weißt doch, ich mag Komödien lieber.“ erwidere ich nach ein wenig Überlegung.

„Ja, ich gebe zu, ich hatte mir auch mehr davon versprochen.“

Benjamin nippt an seinem Glas und gibt mir einen langen Kuss.

„Hmmm, perfekt. Reste von Oregano, ein Hauch Knoblauch und nun noch der Wein.

Ich sollte mal ausprobieren, ob ich Dich auch in Olivenöl einlegen und dann mit Käse überbacken kann.“

Kaum ausgesprochen packt sich Benni meine Füße und beginnt mich heftig unter den Sohlen zu kitzeln. „Hier hasst du deinen Käse. Hm, scheint Parmesan zu sein – ziemlich alt – mindestens 19 Jahre…“

Kichernd winde ich mich wie ein Aal bis Benni mich aus der Tortur entlässt.

Mein Atem hat sich wieder ein wenig beruhigt und ich schmiege mich ganz dicht an ihn.

Zärtlich streiche ich ihm durch das Gesicht. Wie ich diese glatte Haut bewundere. Seine kaum vorhandenen Bartstoppeln sind ganz weich, fast wie ein Flaum.

„Ich liebe Dich – ganz doll!“

„Ich Dich auch und Sonntags doppelt…“ höre ich von Benni.

Vorsichtig angelt er nach den Gläsern und wir stoßen miteinander an.

„Weißt Du noch, damals, als wir Brüderschaft getrunken haben?“ stelle ich in den Raum, als ich mein Glas wieder abgestellt habe.

„Wie könnte ich das vergessen. Schließlich ist bei Brüderschaft ein Zungenkuss nicht gerade üblich!“ lacht Benni.

Ja, so fing damals alles an. Das war quasi mein Coming out bei Benjamin. Da er es offensichtlich richtig genoss war es im gleichen Zuge auch sein Coming out bei mir.

Fast vier Jahre ist das nun her.

Seit zwei Jahren haben wir nun hier diese schöne Wohnung. Sie ist zwar noch nicht komplett so eingerichtet wie wir es gerne hätten, aber wir sparen tapfer auf jedes einzelne Möbelstück.

„Du Mario, wie wird das denn, wenn Du zur Bundeswehr musst. Ich meine, wie oft sehen wir uns dann?“

„Du kennst doch meine Kollegin Angelina. Ihr Bruder ist auch gerade beim Bund. Sie hat mir erzählt, dass er nur die ersten vier Wochen nicht nach Hause kam.

Das hat aber wohl auch mit daran gelegen, das er seine Grundausbildung irgendwo in Bayern bei Nürnberg gemacht hat.“

„Vier Wochen – das überlebe ich nicht!“ höre ich von Benjamin.

„Ach und wie war das, als du letztes Jahr die zwei Wochen in Mailand dieses komische Seminar besucht hast?“

„Äh, das war ganz was anderes. Außerdem wimmelte es da von total knackigen jungen Italienern mit schwarzen lockigen Haaren, rostbrauner Haut und strahlend weißen Zähnen und … aua“

Weiter kam er nicht. Grinst aber spitzbübisch wie immer.

„Kommst Du Benni? Ich bin müde…“ Fragend schaue ich in sein niedliches Gesicht und wie erhofft schwingt er sich auf die Beine und begleitet mich ins Schlafzimmer.

„Mario, stellst Du bitte den Wecker auf neun Uhr. Wir wollen doch morgen noch auf den Wochenmarkt.“

„Ist gebongt“ antworte ich. Ich öffne noch das Fenster auf kipp und vernehme sofort wieder das Heulen des Windes. Eine angenehme Geräuschkulisse um im warmen Bettchen etwas Schönes zu träumen…

Oh ist das herrlich. Es ist Samstag. Endlich einmal wieder ausschlafen. Benjamin scheint noch ganz weit weg zu sein.

Sein Atem ist ganz flach und gleichmäßig und – ja und er riecht nach Knoblauch.

Nicht heftig, aber ich nehme es deutlich wahr. Es stört mich aber nicht.

Bei meiner Familie zu Hause gab es jeden Tag irgendetwas zu essen, wo Knoblauch drin war. Ich bin also mit Knoblauch groß geworden.

Die blonden Haare liegen wild verteilt über das Kopfkissen. Wie ein Engel liegt er da. Zumindest stelle ich mir so einen Engel in etwa vor.

Ganz langsam lasse ich meine Hände auf Erkundung ausschwärmen. Vorsichtig schiebe ich meine rechte Hand unter sein Oberteil. Behutsam streiche ich ihm über die unbehaarte Brust.

Ups. Seine Nippel stehen mit einem mal fest und steif.

Mit der linken Hand streiche ich ihm ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und beginne ihn mit kleinen Küsschen zu verwöhnen. Erst die Nasenspitze. Dann seine linke Wange, schließlich knabbere ich an seinem Ohrläppchen.

Benjamin beginnt sich zu rekeln. Er dreht sich auf den Rücken und gibt ein ganz leises Grunzen von sich.

Ich mache weiter.

Meine rechte Hand wandert jetzt aus dem Oberteil heraus und sucht weiter unter ihr Glück, äh, ich meine mein Glück.

„Guten Morgen mein Schatz. Hast Du gut geschlafen?“ will Benjamin wissen. Er klingt aber noch ziemlich weit weg.

„Guten Morgen mein Prinz. In deiner Gegenwart werde ich immer gut schlafen!“

„Wie spät ist es denn? Ich habe den Wecker gar nicht gehört:“

Ich drehe mich um, um die Zeit zu peilen, doch…

„Scheiße Benni, der Wecker ist aus. Also, ich meine ganz aus, also null, keine Anzeige mehr nichts…“

„Benjamin richtet sich mit einem Satz auf und fummelt nach seiner Armbanduhr, die er über Nacht immer ablegt. „Misst, ist schon zehn Uhr durch. Nun aber schnell. Gehst Du zuerst unter die Dusche? Ich mach Kaffee.“

Gesagt, getan. Auch ich schwinge mich mit einem Satz aus dem Bett, verpasse dem Scheißwecker noch einen kräftigen Hieb, womit er in die Ecke fliegt und das Gehäuse aufplatzen lässt. Jetzt ist er ganz hinüber.

Duschen ist schnell erledigt. Das kalte Wasser hat gut getan und mich einen Moment an unseren Spaziergang gestern im Sturm erinnert. Doch jetzt ist keine Zeit zum Träumen.

Ich rufe kurz Benjamin, dass die Dusche frei ist und widme mich meiner Zahnbürste.

Oh man, da kommt der Bengel doch glatt splitternackt ins Bad und betritt die Duschkabine.

Klein Mario reagiert sofort und macht mir bewusst, dass ich ja auch nur ein kleines Handtuch um den Hals habe und sonst nichts. Hihi, dumm gelaufen.

Im Schlafzimmer suche ich für uns Wäsche aus dem Schrank. Ich mache das Fenster nun weit auf und lege das Bettzeug zurück. Die Wäsche nehme ich mit ins Wohnzimmer, schließlich muss man sich ja nicht gerade in der Kälte anziehen, oder?

Ah, es duftet herrlich nach Kaffee. Ich gieße auch für Benjamin schon die Tasse ein. Er mag ihn nicht gern all zu heiß.

Den Geräuschen nach ist er nun auch fertig. „Hast du mir auch was zum Anziehen rausgelegt?“

„Aber sicher doch mein Schatz!“

„Danke, ich könnte Dich knuddeln.“

„Tu´s doch…“

Benjamin streift sich gerade den dicken Rollkragenpullover über als er die Küche betritt.

„Mario, hast du einen Plan, was wir auf dem Markt alles besorgen müssen?“

„Klaro, ich habe das Rezept im Kopf und somit auch die paar Zutaten die wir frisch kaufen müssen. Und anschließend sollten wir noch ins Kaufhaus in der Innenstadt. Wir brauchen einen neuen Wecker, oder besser zwei. Ich dachte da an so ein Teil mit Funkuhr und Weckradio, oder so…“

„Klingt gut, aber was wird so ein Teil kosten?“

„Egal Benni, ich schätze 50 bis 80 Euro müssen wir wohl anlegen, aber ohne Wecker geht es nicht. Ich bin froh, dass das nicht in der Woche passiert ist!“ gebe ich zu Bedenken.

Der Kaffee ist ausgeschlürft und schon sitzen wir auf unseren Fahrrädern in Richtung Wochenmarkt. Der Wind hat fast ganz nachgelassen und es scheint sogar die Sonne. Dennoch ist es schneidend kalt im Gesicht. Mir laufen vom Fahrtwind sogar ein paar Tränen aus den Augen. Bei all der Eile habe ich meine Fahrradbrille vergessen.

Nach vier Kilometern sind wir da und schließen unsere Räder ab.

Nun kehrt wieder Ruhe in unsere Gemüter. Wir sind rechtzeitig da und brauchen nun nicht mehr zu hasten.

Gemütlich streifen wir von Stand zu Stand und beäugen die ausgelegten Waren. Das ist was ganz anderes, als das welke Gemüse aus dem Supermarkt.

Ja und dann der Fisch. Ja, der ist richtig frisch und riecht nicht. Ah, ich freue mich schon jetzt auf das Essen.

Ruckzuck haben wir alles beisammen, was wir für das Wochenende brauchen. Kaum 45 Minuten sind vergangen und wir stehen wieder bei unseren Rädern.

Nun also weiter zum Kaufhaus. Es waren noch mal so ca. drei Kilometer als wir unsere Räder vor dem großen Haus parken.

„Du Benni, ich bleibe mit unserem Einkauf bei den Rädern. Es wäre nicht gut, wenn der Fisch im Kaufhaus warm wird. Außerdem hast du von technischen Dingen eh mehr Ahnung. Und denke dran, kaufe gleich zwei, dann haben wir auf jedem Nachtisch einen Wecker. Einverstanden?“

„Ja, aber dann musst Du mir etwas Geld geben. Ich habe nur noch 30 Euro in der Tasche.“

„Pass auf, hier ist meine Geldkarte. Bezahle damit, okay?“

„Okay, dann mal bis gleich!“

Ein wenig Wind pfeift immer noch um die Hausecke und ich bekomme langsam kalte Finger.

Dennoch spüre ich im Gesicht die langsam anwachsende Energie die von der Sonne auf die Nordhalbkugel unseres Planeten entsendet wird.

Ich ziehe mir gerade meine Handschuhe an, als auch Benjamin wieder in mein Blickfeld gelangt.

Und, dreimal dürft ihr raten. Er ist natürlich schon wieder am mümmeln.

Bei mir angekommen schiebt er sich gerade das letzte Stück einer Currywurst in den Mund und stöhnt genüsslich.

Zu gern würde ich jetzt die Currysoße an ihm probieren, aber in der Öffentlichkeit halten wir uns doch ganz gern zurück.

Man muss ja nicht gerade provozieren, oder?

„Na, wie viel kann ich von meinem Konto abschreiben?“

„Ich glaube ich war sparsam. Zweimal 44,50 Euronen. Es gab da zwar auch ein Teil für 38, aber das wäre dann ein Radio gewesen, wo man zur Sendereinstellung noch kurbeln muss und auch so machte es keinen verlässlichen Eindruck.

Warte ab bis wir daheim sind. Da erkläre ich Dir dann alles. Ist jedenfalls super einfach zu bedienen und selbst ein Stromausfall kann uns nun nichts mehr anhaben.“

Also aufgestiegen und die Fahrräder zurück nach Hause gelenkt.

Zum Glück geht es jetzt ganz leicht bergab (soweit man hier von hügelig überhaupt reden kann).

Punkt ein Uhr schiebe ich den Rotbarsch auf seinem Gemüsebett in den Backofen.

„Benni, in einer halben Stunde können wir essen. Deckst Du bitte schon mal den Tisch!“

„Zu spät, ist längst schon erledigt. Können wir den Rest Rotwein dazu trinken?“

„Ne Benni, der ist zum Essen zu schade und auch viel zu kräftig. Im Kühlschrank liegt eine Flasche Weißwein. Das ist ein trockener und ganz leicht. Der ist zum Fisch ideal. Nimm bitte den.

Aber Du kannst uns einen kleinen Sherry einschenken.“

„Schon wieder zu spät… hihi“

Benjamin kommt mit den besagten kleinen Gläsern in die Küche. „Was gibt es denn zum Fisch dazu?“

„Selbst gemachtes Kartoffelpüree und Feldsalat mit deinem Lieblingsdressing!“

„Wow, ist heute Feiertag?“

Wir nehmen ein Schlückchen vom Sherry. Hmm lecker.

„So, Benni, nun zeig mir mal die Wunderwerke der Weckkunst.“

Benjamin führt mich ins Schlafzimmer. Er hat sogar die Betten gemacht und die Wecker auch schon aufgestellt und angeschlossen.

„Also, so wie du vorgeschlagen hast, holen sich die Teile die Uhrzeit über Funk. Man kann zwei unterschiedliche Weckzeiten einstellen.

Du kannst dich durch einen Summton oder vom Radio wecken lassen.

Auch zum Einschlafen kann man Musik hören und nach vorgewählter Zeit geht das Radio dann aus.

Außerdem ist da auch eine Batterie drin, die das Gerät versorgt falls mal der Strom ausfällt.

Na, zufrieden mit meinem Einkauf?“

Ich setze mich auf meine Bettkante und betrachte den Wecker ein wenig genauer. Es ist sogar ein Markengerät eines bekannten Herstellers. Ja und die wenigen Tasten sind wirklich selbsterklärend. Das nenne ich benutzerfreundlich.

„Benni, das hast Du wirklich sehr gut gemacht. Ich bin stolz auf dich. Welchen Sender hast Du denn eingestellt?“

„Na Radio Schleswig-Holstein natürlich. Den magst Du doch auch am liebsten, oder?“

„Ja genau – super. Man könnte sich schon fast darauf freuen mal wieder geweckt zu werden.“

„Och, schade, das heute Morgen gefiel mir nämlich auch ganz gut…“

Zum Glück rappelt in der Küche der Kurzzeitwecker und deutet an, dass der Fisch fertig ist.

Es ist schon später Nachmittag als wir mal wieder am Kanal spazieren gehen. In der Nähe der Lotsenstation ist eine Gasstätte, wo wir uns bei einem Kaffee etwas aufwärmen.

Es ist ganz schön kalt geworden. Durch den leichten Wind fühlt es sich auf der Haut wie Minusgrade an.

„Du Mario, was hältst Du davon, wenn wir dem fiesen Wetter ein Schnippchen schlagen und morgen mal in das neue Spaßbad fahren?“

„Ehrlich gesagt, nicht viel. Also Lust hätte ich schon, aber die unvorhergesehenen Ausgaben für die Weckradios und der geplante Urlaub. Ne Du, ich finde wir sollten das Geld lieber für den Urlaub sparen, damit wir uns wenigstens da dann mal etwas leisten können.“

Benjamin verzieht kurz den Mund, sagt aber nichts. Dann rückt er etwas näher und ergreift unterm Tisch meine Hand und drückt sie.

Vermutlich heißt das soviel wie: hast ja Recht.

Ein paar Tische weiter sitzt ein Ehepaar mit einem Kind, äh oder besser einem Jugendlichen.

Der Junge beobachtet uns nun schon eine ganze Weile. Jedes mal, wenn ich aufsehe, schaut er ganz schnell weg. Den kriege ich, denke ich mir. Ich erzähle Benjamin von meiner Entdeckung und er will auch mitmachen.

Jetzt starren wir beide den Jungen an.

Es dauert nur wenige Minuten und er merkt es und wird voll nervös.

Irgendwann kann er nicht mehr und lacht uns aufrichtig an.

Er sagt etwas zu seinen Eltern, steht auf und kommt zu uns rüber.

„Darf ich?“ dabei deutet er auf einen freien Stuhl.

„Klar, setz Dich und entschuldige, wir wollten dich nicht ärgern.“

„Wieso, ist doch eigentlich ganz lustig. Aber darf ich mal was fragen?“

„Natürlich, wir beißen nicht. Jedenfalls nicht jeden…“ lacht Benjamin.

„Ja, also, die Tischdecke reicht nicht sehr weit runter und ich habe gesehen, wie Ihr euch die Hände haltet. Seid ihr…, also ich meine“

„Schwul? Sag es ruhig, das ist doch nichts schlimmes.“ unterbreche ich ihn.

„Ja, das meinte ich. Also seid ihr?“

„Ja, von Kopf bis Fuß und alle beide und wir sind super glücklich dabei!“ Es klang ein ganze Portion Stolz mit, als Benjamin das herausbrachte.

„Entschuldigt, dass ich das gefragt habe. Aber ich habe noch nie Schwule kennen gelernt und außerdem habe ich sie mir immer ganz anders vorgestellt. Also – ja ich weiß auch nicht“

„Mach Dir nichts daraus. Jetzt kennst Du gleich zwei und siehe da, es sind ganz normale Menschen.“ erwidert Benjamin.

„Wenn Du uns näher kennen lernen willst, kannst Du uns ja einfach mal besuchen, aber bitte nur am Wochenende. Eiderweg 17. Und da bei Voigt / Spataro klingeln.

„Schade, daraus wird wohl nichts, wir sind hier nur auf Besuch bei Verwandten. Morgen geht es wieder nach Hause. Echt Schade. Ist trotzdem nett von euch – danke. So, ich muss wieder rüber zu meinen Eltern, die stellen sonst bloß blöde Fragen. Tschüß!“ sprachs und entschwand.

Auf dem Heimweg überlegen Benjamin und ich, was wir alles so für den Urlaub brauchen bzw. mitnehmen wollen, sollen, müssen.

Auf jeden Fall müssen wir mal die Skianzüge anprobieren, ob die noch passen. Ich bin mir zwar sicher, seit dem 16. Lebensjahr nicht mehr gewachsen zu sein, aber die Schultern sind vielleicht ein ganz klein bisschen breiter geworden.

Ganz allmählich setzt die Dämmerung ein. Schon vor ein paar Minuten versank die Sonne am Horizont. Ich bin mir nicht sicher, ob es nur Einbildung ist, aber irgendwie wird mir mit einem mal kalt. Benjamin drückt sich nun auch näher an mich heran. Vielleicht empfindet er genauso.

Den Abend lassen wir gemütlich angehen. Nachdem Benjamin über den Inhalt des Kühlschrankes hergefallen ist, habe ich es mir auf dem Sofa bequem gemacht und ein Buch vorgeholt, in dem ich nun schon fast vier Wochen lese. Doch meist werde ich abgelenkt und komme dann nicht richtig voran. Schon einige male habe ich eine Seite gelesen, ohne zu wissen was da eigentlich steht. Kennt ihr das?

So geht es mir immer wenn Benjamin gleichzeitig den Fernseher an hat.

Doch oh Wunder, auch Benjamin hat sich ein Buch geschnappt und kommt zu mir gekuschelt.

Manchmal lerne ich immer noch wieder etwas Neues an ihm kennen.

Ich muss wohl etwas eingenickt sein. Richtig wach werde ich als Benjamin aufsteht und ins Bad geht. Mühselig rappele ich mich auf und gehe mich im Schlafzimmer umziehen. Mein linker Arm ist ganz taub. Da hatte wohl Benjamin drauf gelegen. So, nun bin ich dran mit Zähneputzen. Hoffentlich wärmt Benjamin schon mal das Bett vor…

Es ist ein herrlicher Tag – strahlender Sonnenschein.

Noch.

Gegen Abend soll von Westen wieder Regen aufkommen.

Benjamin war vorhin im Keller und hat den Karton mit unserer Wintersportausrüstung rausgesucht.

Kaum zu glauben, aber wir haben Glück. Alles ist wohlbehalten und passt noch hervorragend.

Ehrlich gesagt wäre ich auch nicht gerade glücklich gewesen, wenn wir schon wieder was hätten neu kaufen müssen.

Den Tag verbringen wir in aller Ruhe. Nachdem wir ein paar Uhren nun auch noch per Hand auf Sommerzeit umgestellt haben sind so ziemlich alle Pflichten erledigt.

Ich komme endlich in meinem Buch einige Kapitel weiter und Benjamin surft im Internet um etwas mehr von unserem Wintersportort zu erfahren.

So klingt ein schönes Wochenende aus mit viel Vorfreude auf einen lang ersehnten Winterurlaub in den Alpen.

Die letzte Arbeitwoche vergeht wie im Fluge und jeden Tag steigert sich die Vorfreude auf den Schnee und das Snowboarden. Benjamin hat viel erzählt, was er im Internet über den Ort gefunden hat, nur über unsere Pension hat er gar nichts gefunden. Wird wohl ein ziemlich kleines Anwesen sein. Egal, dafür ist sie günstig und wir brauchen sie ja nur zum Schlafen.

Endlich ist es soweit. Wieder ist Wochenende und wir beginnen unsere sieben Sachen zu packen. Schon vor Jahren habe ich mir mal einen Packzettel erstellt, wo alles draufsteht, was man so beim Kofferpacken leicht vergessen könnte.

Sorgfältig legen wir die Sachen auf dem großen Bett zurecht bis alles vollzählig ist. Dann geht es los mit ordentlich zusammenlegen und verstauen.

Anfänglich dachte ich, dass meine Sachen niemals in einen Koffer und einen Rucksack passen werden. Doch zum Schluss ist sogar im Rucksack noch reichlich Platz für den Reiseproviant. Abschließend schnalle ich das Snowboard auf den Rucksack und fertig.

Man, ich bin ganz schön aufgeregt. Es wird unser erster gemeinsamer Urlaub ohne ein Elternteil. Oh, ja richtig, Eltern, ich soll ja ab und an mal anrufen. Da sollte ich vielleicht noch das Ladegerät vom Handy einpacken. Nun hätte ich trotz aller Sorgfalt beinahe doch was vergessen.

„Benni, wo hast du die Fahrkarten?“

„In meinem Rucksack, rechte Außentasche, der rote Umschlag. Da sind auch unsere Reisepässe und Impfausweise!“

„Reisepässe, Impfausweise? He wir fahren nach Austria und nicht Australia!?!“

„Mario, okay, Reisepässe wären vielleicht nicht nötig, aber Impfausweis kann nie schaden, oder?“

Na ja, viel Platz nehmen die Sachen nicht weg und schaden kann es auch nicht.

Es wird Abend und ich bin immer noch ganz aufgeregt.

Benjamin zaubert aus den letzten Resten, die im Kühlschrank noch zu finden sind eine kleine kalte Platte und hat Tee dazu gemacht.

So hocken wir vor der Flimmerkiste und lassen uns von einem Freitagabendkrimi berieseln.

Also ich bekomme kaum etwas mit. In Gedanken träume ich wie sich mein Schatz und ich im Schnee austoben.

Nur äußerst widerwillig erkenne ich die flotte Musik als das Wecksignal an. Von links spüre ich wie Benjamin sich über mich beugt und mir ganz sanft einen Kuss aufhaucht.

„Guten Morgen mein Traumprinz. Komm langsam hoch ich bin schon fertig und das Bad ist frei.“

„Oh du Traumkiller, ich war mit dir gerade auf einer Superpiste…“

„Und was bin ich, wenn ich sage: der Kaffee ist fertig?“

Das ist gemein. Er weiß genau, dass er mich damit immer aus dem Bett kriegt.

Also gut. Mit etwas Schwung hüpfe ich aus dem Bett und Benjamin beginnt sogleich mit dem Lüften.

Eine viertel Stunde später sitzen wir gemütlich in der Essdiele und schlürfen unseren letzten Kaffee daheim für die nächsten 2 Wochen.

Dann wird es auch langsam Zeit. Warm angezogen nehmen wir unser Gepäck auf und stiefeln zur Bushaltestelle. Sie ist zum Glück nur 50 Meter von unserer Haustür entfernt.

Es ist ein Überlandbus und hat prompt 10 Minuten Verspätung, aber das macht nichts. Wir haben von vornherein genügend Sicherheitspolster in unserem Zeitplan vorgesehen.

Nach 20 Minuten sind wir am Bahnhof.

Ich liebe es hier zu stehen und anderen Reisenden bei ihrem hektischen Treiben zuzusehen.

Zugegeben, gestern war ich auch ziemlich nervös, aber jetzt bin ich die Ruhe in Person. Selbst Benjamin ist für seine Verhältnisse sehr ruhig und ausgeglichen.

Benjamin hat in einem Aushang eine Deutschlandkarte entdeckt, in der alle Schienenwege der Bahn eingezeichnet sind. Er lotst mich dorthin und erklärt mir den Reiseverlauf.

Also jetzt zunächst mit dem IC nach Hamburg. Umsteigen in einen ICE über Hannover, Würzburg, Augsburg, München. Wieder umsteigen und dann über Innsbruck und schon sind wir fast da.

So um 20 Uhr sollten wir angekommen sein, wenn alles klappt.

Kling gut.

In zehn Minuten soll unser Zug kommen, also wird es Zeit mal hoch auf den Bahnsteig zu gehen.

Anhand des Wagenstandanzeigers können wir uns schon mal ein wenig orientieren wo in etwa der Wagen mit unseren Sitzplätzen zum Stehen kommt. Benjamin macht natürlich wieder ein Spiel daraus, wer von uns beiden wohl näher an der Einstiegstür stehen wird.

Nur wenige Minuten später kommt der erwartete Zug mit leichtem quietschen zum Stehen.

Ja wer hat jetzt gewonnen, wir stehen beide vor einem Einstieg, aber Benjamin vor dem des Waggons, in dem unsere Plätze reserviert sind. Okay ich gebe mich geschlagen. Man soll den jüngeren ja auch mal das Glück gönnen (grins).

Benjamin geht voran und hat auch rasch unser Abteil gefunden. Es sind nur unsere beiden Fensterplätze reserviert. Probleme haben wir allerdings mit den Rucksäcken, bzw. mit den aufgeschnallten Boards.

Die passen nicht oben ins Gepäckregal. Da sonst keiner im Abteil ist und der Zug sowieso recht leer erschien, entschließen wir uns die Rucksäcke einfach auf die freien Sitze zu stellen.

Benjamin macht sich auf dem Fensterplatz mit Blick in Fahrtrichtung breit. Ich habe eigentlich keine rechte Lust mich ihm gegenüber zu setzen. Natürlich wäre es toll ihn die ganze Zeit ansehen zu können, aber ich fürchte wir würden mit den Beinen ins Gedränge kommen.

Also setze ich mich neben Benjamin. Im ersten Moment schaut er zwar etwas verdattert, beginnt aber zu grinsen als ich die Armlehne zwischen uns hochklappe.

„Kuscheltime?“ kommt es nur ganz knapp von ihm.

„Genau…“ gesagt getan und noch bevor der Zug anrollt habe ich schon eine bequeme Stelle an seiner Schulter gefunden.

Kurz vor Hamburg werde ich wieder munter. Ich habe tatsächlich fast eine Stunde tief und fest geschlafen.

„Na Benni, wie weit ist es noch?“

„Schätze fünf Minuten. Hast Du gut geschlafen?“

„Hmmm, fantastisch. War eigentlich gar keine Fahrkartenkontrolle?“

„Doch, doch!“ schmunzelt er.

„Und, hat der nicht doof geguckt?“

„Nö, erstens war es eine Sie und zweitens hat sie gelächelt, als sie Dich sah. Hihi! Sie sagte noch so was wie: ach wie süß…“

„Da hat sie ganz bestimmt nur mich mit gemeint!“ und schon bekomme ich einen leichten Knuff zwischen die Rippen.

Langsam rappeln wir uns auf, ziehen die dicken Jacken wieder an und begeben uns mit all unserem Gepäck zum Ausgang. Keine Minute zu früh, denn der Zug fährt gerade in Hamburg Hbf ein.

Benjamin steigt zuerst aus und nimmt auf dem Bahnsteig unser Gepäck entgegen.

„Was meinst Du? Ich schlage vor, wir suchen zuerst den Bahnsteig von dem es weitergeht und dann hole ich uns ein paar Burger und was zu trinken als Proviant?“

„Klingt gut!“ vernehme ich von Benjamin.

„Also dann mal los, Herr Reiseführer.“

Wir brauchen nicht lange zu suchen und haben den Bahnsteig für die Weiterfahrt gefunden. Ist alles sehr übersichtlich hier. Ja, man muss die Bahn auch mal loben.

Laut Anzeigetafel soll der Zug sogar schon jeden Moment kommen, hat dann aber eine halbe Stunde Aufenthalt. Also warte ich noch mit dem Einkauf um Benjamin beim Gepäck zu helfen, wenn der Zug kommt.

Da kommt auch schon der übliche Aufruf, an der Bahnsteigkante Vorsicht walten zu lassen, da der Zug einfährt.

Wieder haben wir uns an der richtigen Stelle postiert und stehen direkt vor unserem Waggon. Diesmal ist es ein Großraumwagen und wir haben wieder Fensterplätze reserviert, direkt in der Mitte des Waggons wo man sich gegenübersitzen kann und sogar einen Tisch hat.

Die anderen zwei Plätze sind schon belegt. Die beiden Jungs sehen aus, als wenn sie Studenten wären.

Jedenfalls sind sie sehr nett und helfen uns mit dem Gepäck, ja sie räumen ihr eigenes sogar etwas zur Seite damit wir die Boards ordentlich verstauen können.

Ich verabschiede mich kurz von Benjamin und mache mich eilig auf dem Weg zum Burgershop.

Ich habe Glück und es nicht viel los. Für jeden drei Burger gekauft und dann zügig weiter um zwei große Orangenlimo zu ergattern.

Auch das verläuft ohne Probleme.

Zurück im Zug finde ich Benjamin schon fest in Unterhaltung mit unseren neuen Reisegefährten.

„Möchtest Du jetzt schon was essen?“ frage ich Benjamin kurz.

„Nö, die Dinger schmecken mir auch kalt.“

Das ist ja was ganz Neues. Benjamin hat keinen Hunger.

Erinnert mich mal daran. Diesen Tag muss ich im Kalender ganz dick und rot anstreichen!

„Also nach Österreich wollt ihr? Dem Gepäck nach zu urteilen macht ihr da also Badeurlaub?“ setzt der Junge neben Benjamin das Gespräch fort.

Benjamin hat diesmal übrigens mir den Platz mit Blick in Fahrtrichtung überlassen.

„Ja fast richtig. Wir wollen Wellenreiten und um diese Jahreszeit ist die Brandung auf´m Gletscher besonders gut!“

Mit dieser Schlagfertigkeit von Benjamin hat der arme Kerl wohl nicht gerechnet, jedenfalls bricht am ganzen Tisch Gelächter aus.

Als der Zug endlich in Bewegung kommt, sind wir schon ein paar Runden weiter.

Der Junge neben mir heißt Rafael und ist 22 Jahre alt. Ihm gegenüber, also neben Benjamin sitzt Johannes. Er wird in 6 Wochen 22. Beide studieren in München Germanistik, wofür das auch immer gut sein soll.

Sie kommen gerade von Sylt, wo wohl die Eltern von Johannes ein Ferienhaus haben. Die müssen also ganz gut Kohle haben.

Na ja, jedem das seine.

Wir sind auch zufrieden mit dem was wir haben. Und so schlecht geht es uns nun wirklich nicht.

Noch verhältnismäßig langsam schlängelt sich der ICE durch den Hamburger Hafen. Einen Moment gilt sowohl meine als auch Benjamins Aufmerksamkeit also der Aussicht. Doch unsere Hoffnung ein paar große Schiffe zu sehen ist schnell zerschlagen. Nur ein Forschungsschiff, direkt an den Elbbrücken bekommen wir zu sehen. Das war es dann auch schon.

Rafael hat in der Zwischenzeit eine Schachtel mit Spielkarten hervorgeholt. Solche habe ich noch nie gesehen. UNO steht auf der Schachtel sowie auf den Rückseiten der Karten.

„Was ist? Habt ihr Lust auf ein wenig Zeitvertreib?“

Eigentlich wollte ich ja ein wenig in meinem Buch weiter lesen. Da bin ich gerade an einer sehr spannenden Stelle. Doch was soll’s. Im Urlaub werde ich bestimmt noch genug Gelegenheit zum Lesen haben.

„Ich kenne das Spiel nicht. Kannst Du mir das erklären?“ erwidere ich mutig.

„Du das ist ganz einfach. Kennst du Mau-Mau?“ fragt Rafael.

„Klar, das habe ich schon als Kind gern gespielt!“

„Na siehst du, und das hier ist fast das gleiche. Also pass mal auf…“

Im wahrsten Sinne des Wortes vergeht die Zeit wie im Zuge (oder heißt es im Fluge?).

Jedenfalls haben wir sehr viel Spaß und unsere Burger schon gänzlich vergessen. Nur meine Limo habe ich schon fast ausgetrunken. Liegt wohl an der trockenen Luft von der Klimaanlage.

Irgendwann gegen Mittag machen wir eine Pause und die beiden Mitfahrer wollen ins Bistro und sich ein Bierchen gönnen.

Benjamin und ich nutzen die Gelegenheit und wir verputzen unsere Burger. Benjamin hat Recht. Kalt schmecken die auch gar nicht so schlecht. Nur wird mir langsam der Mund etwas trocken, denn Limo habe ich keine mehr.

Ich sage Benjamin bescheid, dass ich mir aus dem Bistro was zu trinken holen will. Doch da reicht er mir seine Flasche.

„Komm, kriegst von mir was ab. Dann kannst Du bestimmt bis München durchhalten.“

Oh man, ich könnte ihn knuddeln. Das ist eben auch Benjamin. Er teilt gern mit anderen und mit mir ganz besonders.

„Danke mein Schatz!“

Den letzten Satz hat Johannes gehört. Ich habe nicht gesehen, dass sie zurückkommen, weil sie aus dem hinteren Zugteil kommen.

Wortlos setzen sie sich wieder hin.

Nach einer Weile spricht Johannes ganz leise „Äh, ich habe da eben was aufgeschnappt. Also nicht das ich gelauscht habe, aber ich habe es halt gehört. Seit ihr zwei Freunde, äh, also ich meine ein Paar?“

„Ja. Richtig erkannt. Und? Ist das ein Problem für Dich?“ fragt Benjamin vorsichtig.

„Nö, überhaupt nicht. Für mich zählt nur der Charakter und ihr zwei seid sehr nett und gut drauf. War vielleicht dumm, dass ich überhaupt gefragt habe.“

„Macht ja nichts, solange es Dich nicht stört. Okay?“ Wie es scheint schloss Benjamin damit das Thema ab.

Ich glaube Johannes tut es echt leid, dass er uns das gefragt hat. Eigentlich könnte ich ja auch was dazu sagen, aber das Thema scheint beendet und dabei will ich es dann auch belassen.

Was geht andere unser Sexualleben an?

Ich muss mal wieder eingenickt sein. Jedenfalls registriert mein Bewusstsein das Quietschen der Bremsen eines anderen Zuges. Wir stehen in Augsburg im Bahnhof und die Ansagesprecherin verliest gerade die Anschlusszüge für den gerade eingefahrenen Zug am selben Bahnsteig.

„Na Mario, ausgeschlafen?“ vernehme ich von Rafael.

„Abgebrochen, nur abgebrochen.“ lache ich.

„In Ordnung, wenn du dann weiterschlafen willst lege den Kopf aber bitte auf die andere Seite. Meine Schulter ist ganz lahm geworden.“

Langsam steigt mir eine gewisse Röte ins Gesicht und Benjamin kichert was das Zeug hält.

„Tschuldigung, das habe ich nicht gemerkt. Warum hast Du mich nicht geweckt, oder Du Benni?“

„Wie sagte im letzten Zug die Schaffnerin? Och wie süß…“

„Benjamin Voigt. Das schreit nach Genugtuung!“

„Oooh, ich zittere vor Angst.“

Und wieder bricht allgemeines Gelächter am Tisch aus. Diesmal auf meine Kosten.

Na ja, sollen sie ihren Spaß haben.

„Wie geht es denn für Euch ab München weiter?“ fragt Johannes.

„So etwa 40 Minuten nach Ankunft geht ein EC in Richtung Innsbruck.“ antwortet Benjamin.

„Oh je, das ist vermutlich am anderen Ende vom Bahnhof. Aber ihr habt doppelt Glück. Erstens endet dieser Zug in München. Ihr könnt euch also mit eurem sperrigen Gepäck Zeit lassen und müsst nicht durch das dichte Gewusel und zweitens stehen in München auf dem Bahnsteig Gepäckwagen. Also ihr braucht nichts zu schleppen.“

„Oh das klingt echt gut!“ freue ich mich.

„Benni, du hattest doch da eben das Faltblatt mit dem Fahrplan. Wie lange ist es noch?“

„Also bis München, Moment. Ja, also wenn wir im Fahrplan pünktlich sind, dann sind es jetzt noch 20 Minuten. Aber ich habe vorhin in Augsburg nicht auf die Abfahrtszeit geachtet, weil es hier im Zug gerade was zu Lachen gab…“

„Blödmann!“

„Angenehm, Voigt.“

Das war er wieder. Mein Benjamin. Ach, ich liebe ihn.

In München gibt es nur einen kurzen Abschied von unseren Reisegefährten. Die beiden haben es wohl eilig nach Hause zu kommen. Eigentlich schade, denn die waren wirklich sehr nett.

Aber was soll’s. Jetzt müssen wir uns auch um unsere Sachen und die Weiterfahrt kümmern.

Als der große Andrang an den Ausgängen nachlässt sammeln auch wir unser Gepäck, ziehen uns wieder warm an und auf geht es.

Puh, ist das warm hier. Die haben hier wohl gerade Fön. Das sind bestimmt 15 Grad.

Benjamin hat einen Gepäckwagen gefunden und macht sich damit auf den Weg zu mir.

Ja, so geht es bedeutend leichter.

Auf dem Weg zum neuen Bahnsteig, der tatsächlich am anderen Ende gelegen ist, passieren wir diverse Imbissbuden und entschließen uns noch mal zwei Flaschen Limo zu erstehen.

Zu Essen holen wir nichts mehr, weil wir uns für heute Abend noch ein gutes Restaurant suchen wollen.

Gemütlich zotteln wir weiter zum designierten Bahnsteig und siehe da, der Zug für uns ist schon bereitgestellt.

Das ist ja praktisch, zumal wir für diesen Zug keine Sitzplatzreservierung haben.

Wir brauchen nicht lange zu suchen, da die Leute von der Pension in einer E-Mail geschrieben hatten, dass es günstig sei, wenn wir möglichst weit hinten einsteigen, weil der Ausgang bei denen am Bahnhof sich in Höhe des hinteren Zugteils befinden würde.

Das Verstauen der Rucksäcke mit den Boards gestaltet sich wieder als Problem. In der Hoffnung, dass der Zug nicht so voll wird, stellen wir die Rucksäcke also wieder auf die uns gegenüber liegenden Sitzplätze.

Benjamin erklärt mir nun noch einmal den Reiseverlauf, wenn wir erst einmal durch Innsbruck durch sind. Leider hat er keinen Ausdruck von der Strecke. Er erzählt, dass es nach Innsbruck die nächste Haltestelle sein soll. So jedenfalls haben es unsere Gastgeber in der Mail beschrieben.

Wie wir da so fachsimpeln, setzt sich der Zug knarrend und ächzend in Bewegung.

Man, München ist auch ganz schön groß. Es dauert eine ganze Zeit bis wir die dichte Besiedelung gegen schönere Landschaft eingetauscht haben.

So etwa eine halbe Stunde später bekommen wir ein wunderschönes Naturschauspiel geboten.

Im Zuge des Sonnenunterganges ist schon rund um uns rum Dämmerung angesagt. Aber die schneebedeckten Gipfel der schon erkennbaren Berge leuchten feurig in orange/rot.

So etwas hat auch Benjamin noch nie gesehen, obwohl auch er schon öfter im Winterurlaub war.

Also so eine tolle Fernsicht hat man wohl nur bei Fön.

Nun ist es ganz dunkel und ich krame endlich mein Buch aus dem Rucksack. Benjamin holt sich seinen MP3-Player raus und setzt sich die Ohrstöpsel ein. Zum Glück ist er kein Freund von lauter Mucke und somit stört er mich nicht.

Irgendwann halten wir in Rosenheim, aber das registriere ich nur beiläufig.

Ebenso geht es mit den nächsten drei Bahnhöfen.

Dann ist es soweit und wir halten in Innsbruck.

Ich mache Benjamin darauf aufmerksam, da er die Augen geschlossen und sich ganz in die Musik vertieft hat.

„Okay!“ sagt er und verstaut seinen Player wieder in seinem Rucksack.

„Komm lass uns packen. Keine Ahnung wie weit es bis zur nächsten Station ist.“

Nebenbei beobachten wir weiter hinten im Waggon wie es andere Reisende mit ebenfalls schwerem Gepäck es uns gleich tun. Vielleicht machen sie es aber auch nur uns nach und verlassen sich auf uns – hihi. Irgendwie lustig.

Die Fahrt dauert dann doch fast 20 Minuten, aber der Zug fährt auch nicht gerade schnell.

Endlich die Fahrt verlangsamt sich. Noch ein letzter schriller Pfiff von der Lok und wir fahren in einen kleinen unscheinbaren Bahnhof ein.

Wir sind da. Na ja, fast. Mittlerweile mit Routine steigt Benjamin wieder zuerst aus und ich reiche ihm alle Gepäckstücke auf den schneebedeckten Bahnsteig.

Die anderen Fahrgäste weiter hinter versuchen es lieber mit Hektik und Gedränge.

So, wo ist denn nun hier der Ausgang?

Wir warten bis der Zug den Bahnhof verlassen hat und siehe da, nun sehen wir auch den Hotelbus einer großen bekannten Hotelkette der auch uns mitnehmen soll.

„Kommens hier ’rüber, Herrschaften“ werden wir begrüßt.

Jetzt erkenne ich auch die Stufen, die hinunter auf die Gleise führen und somit den Ausgang präsentieren.

Der Fahrer des Busses ist sehr höflich und hilfsbereit. Zuerst verstaut er das Gepäck der anderen Urlauber und erst ganz zum Schluss unseres, nachdem er sich versichert hat, das wir beide die Gäste der Pension Rosenbach sind. Beim Einsteigen bittet er uns möglichst weit vorn zu sitzen, da er uns zuerst abliefern wird.

Während der Fahrt, die wirklich sehr langsam von statten geht, erzählt uns der Fahrer, dass wir wirklich Glück hätten. Es hat in den letzten 4 Tagen fast einen Meter Neuschnee gegeben und die Pisten seien jetzt in einem optimalen Zustand.

Eine dreiviertel Stunde später erreichen wir unseren Urlaubsort. Nicht allzu weit vom Ortseingang entfernt biegt er recht ab und fährt eine recht schmale Zufahrt zu unserer Pension hinauf.

Vor uns tut sich ein schönes Fachwerkhaus auf und es stehen auch schon zwei ältere Leutchen im Eingangsbereich.

„Herzlich willkommen auf dem Stubaier“

Nach dieser kurzen aber sehr herzlichen Begrüßung wird ein junger Bursche angewiesen unser Gepäck auf unser Zimmer zu bringen.

Ah, endlich sind wir da.

„Möchten´s noch etwas essen? Eigentlich ist unsere Küche nämlich schon zu.“ werden wir ganz höflich gefragt.

„Nein, vielen Dank. Wir werden uns jetzt nur ein wenig frisch machen und uns dann im Dorf noch ein wenig die Beine vertreten. Wir haben jetzt fast zwölf Stunden nur gesessen, da brauchen wir noch ein wenig Bewegung und vor allem frische Luft.“

„Ja gehen s’ nur. Frische Luft gibt’s hier genug. Hier haben sie einen Haustürschlüssel, warten s’, ich mache den mit an ihrem Zimmerschlüssel fest.“

Man, die denken ja an alles.

Also, ich glaube hier wird es uns gefallen.

Die nächste angenehme Überraschung ist das Zimmer. Es ist schön groß und urgemütlich eingerichtet und da steht ein Ehebett!

Was jedoch noch mehr überrascht. Wir haben ein eigenes WC und eine eigene Dusche.

Also was will man mehr.

Ich wasche mir schnell mal durchs Gesicht und die Hände.

Ein frischer Sweater und die Jeans gegen eine Thermohose getauscht und ich bin fertig für unsere Nachtwanderung zu einem guten Restaurant.

Ich habe einen richtigen Heißhunger, ich würde sogar Fleisch essen.

Benjamin ist auch schnell fertig. Wir sind uns einig, dass wir erst morgen richtig auspacken wollen.

Zum Glück hatten wir beim Packen so etwas berücksichtig und Waschzeug sowie Schlafanzüge ganz oben auf verstaut.

Wieder draußen an der frischen, aber recht kalten Winterluft lassen wir erst einmal unseren Blick in die Runde schweifen. Vorhin ging ja alles so schnell, da haben wir die Landschaft gar nicht richtig wahrgenommen.

Die schneebedeckten Berge ringsum reflektieren ein wenig die Lichter aus dem Dorf. Darüber ein sternenklarer Himmel.

Also los geht’s. Schon die ersten Schritte vermitteln uns, wo wir sind. Intensiv knirscht der Schnee unter unseren Stiefeln. Wie lange schon hatte ich dieses Knirschen nicht mehr gehört und gespürt.

Und der Schnee ist richtig weiß, also nicht so eine schmuddelige Matsche, nein richtig weißer fester Schnee.

Oh man was freue ich mich schon auf morgen, auf unsere erste Abfahrt.

Benjamin hakt sich ganz vorsichtig bei mir ein und beginnt zu schwelgen:

„Du Mario, ist das nicht wunderschön?“

Wir stiefeln also los. Es dauert nicht lang und wir finden bei einer Bushaltestelle einen Ortsplan mit viel Werbung der örtlichen Gastronomie;

den werden wir in den nächsten Tagen mal genauer studieren müssen. Jetzt gehen wir einfach mal auf gut Glück weiter.

Keine Ahnung, wie lange wir so rumgewandert sind. Jedenfalls stehen wir vor einem Gasthaus, das recht gut besucht zu sein scheint. Ein erster Blick auf die ausgehängte Speisekarte verheißt Gutes und wir kehren ein.

Bei einem Glas heißen Tee haben wir dann auch unsere Wahl getroffen und ich brauche kein Fleisch zu essen.

Während wir warten lassen wir den langen Tag noch einmal Revue passieren. So manches Mal müssen wir echt lachen über das, was wir heute so alles erlebt haben.

Ganz nebenbei scannen wir auch unser Umfeld. Wie es scheint sind die Mehrheit der anwesenden Gäste auch eher der jüngeren Generation zuzuordnen. Also ich schätze mal so zwischen 20 und 30 Jahre. Ich sehe kaum jemanden der älter zu sein scheint.

Meist sind es Grüppchen zwischen zwei und fünf Personen.

Also wenn das hochgerechnet auf alle Touristen hier im Ort zutreffen soll, dann werden wir wohl noch einigen Spaß haben.

Ah, da kommt jetzt auch unsere Bestellung. Hm, sieht echt lecker aus. Und nun entschuldigt bitte, aber ich möchte meine Forelle genießen.

„He Benni, mach sofort das Fenster wieder zu!“ entfährt es mir. Hat der Lausbub doch einfach das Fenster sperrangelweit aufgerissen und das bei eisigem Frost!

„Guten Morgen Tigerchen. Hast Du gut geschlafen?“ so nennt er mich ab und zu, seit ich die blondierten Strähnchen habe.

„Benni, bitte, bitte mach das Fenster wieder zu!“

„Okay, dann komm aber in die Puschen. Frühstück gibt es hier nur bis 10 Uhr.“

Also gut. Frühstück war hier wohl das Zauberwort und der Gedanke an einen frischen heißen Kaffee.

Meine zurück gewonnene Energie sollte tatsächlich belohnt werden. Also die Österreicher verstehen etwas von einem guten Kaffee. Der Rest vom Frühstück fällt zwar etwas einfacher aus, aber es ist in Ordnung. Nur bin ich nicht wirklich ein Freund von all diesen abgepackten Portionsbecherchen. Wenigstens gibt es den Käse frisch aufgeschnitten und sogar ein weich gekochtes Ei (in Deutschland ist das, glaube ich, in der Gastronomie verboten).

Nach dem ausgiebigen Frühstück erhalten wir von der Wirtin unsere Pisten- und Liftpässe und es kann losgehen.

Kaum zehn Minuten brauchten wir um die Koffer und Rucksäcke komplett auszupacken.

Die Boards haben wir wieder auf die Rucksäcke geschnallt und los geht’s zu unserer ersten Runde.

Auf dem Weg in den Ort besprechen wir, wie wir es angehen wollen.

Bei einer kleinen Anhöhe, von der vier Lifts abgehen, finden wir eine Pistenkarte, auf der alle Pisten verzeichnet sind und auf der temporär gesperrte Pisten gekennzeichnet sind. Die einzelnen Pisten haben je nach Schwierigkeitsgrad unterschiedliche farbliche Markierungen.

„Du Benjamin, ich finde wir sollten mit einer ganz leichten anfangen, bis sich der Körper an die Bewegungsabläufe wieder gewöhnt hat. Wir können uns ja dann nach und nach wieder zur alten Form steigern.“

„Das ist sehr vernünftig, junger Mann!“ klingt es von hinten.

Erschrocken drehen wir uns um. Da steht ein Herr mit einem leuchtend roten Anorak. Es ist unschwer zu erkennen, dass der Mann der hiesigen Bergwacht angehört.

„Sie glauben gar nicht, wie viele Touristen sich jedes Jahr überschätzen und, schwups, ist ein Haxen gebrochen.“

„Ja, das kann ich mir sogar lebhaft vorstellen. Welche Piste würden sie uns empfehlen? Wir sind erst gestern angekommen.“

„Also mit dem Snowboard solltet ihr erst einmal die blaue Piste versuchen. Die ist nicht all zu steil aber es sind genügend Unebenheiten darin, so das ihr auch das Hupfen wieder versuchen könnt.“

„Vielen Dank!“

„Also Benni, wollen wir?“

„Ich kann es kaum noch erwarten! Aufi…“

Der richtige Lift ist gefunden und es geht bergauf.

Wow, war das geil. Und das soll eine Anfängerabfahrt gewesen sein. Zweimal bin ich auf dem Hinterteil gelandet. Benjamin ist natürlich sauber durchgekommen und hat auch kaum einen Huggel ausgelassen. Wie es scheint machen sich all seine sportlichen Aktivitäten daheim nun doch bemerkbar. Er ist viel gelenkiger als ich.

Die gleiche Piste sind wir noch zweimal abgefahren.

Jetzt verlangt Benjamin allerdings nach etwas mehr Pep.

Ich bin einverstanden. Wenn ich schön vorsichtig bin, werde ich das nun auch wieder schaffen.

Die neue Abfahrt ist deutlich steiler und offensichtlich auch für Snowboarder vorbehalten. Jedenfalls sehe ich hier niemanden mit Ski.

Benjamin gibt mir eine halbe Minute Vorsprung, da ich ihm sagte, dass ich sehr vorsichtig fahren werde. Nach kurzer Zeit rauscht er wie ein geölter Blitz an mir vorbei. Ein klein wenig beneide ich ihn. Aber ich bin überzeugt in zwei, oder drei Tagen habe ich auch meine alte Form wieder.

Auch diese Piste erleben wir dreimal, bis wir Lust auf etwas Heißes bekommen.

An einer Hütte suchen wir uns einen Platz. Da ist ein Tisch mit zwei Jungs, wo noch was frei ist. Er ist günstig gelegen. Direkt in der Sonne und wir können die Snowboards im Auge behalten.

„Entschuldigung, sind die beiden Plätze noch frei?“

„Ja klar, setzt euch!“ werden wir freundlich aufgefordert. Benjamin macht sich auf um zwei Tee zu bestellen.

„Du Dein Freund ist echt gut auf dem Board, warum geht ihr nicht auf die ganz große Piste? Die hat im ersten Abschnitt jetzt sogar einen Anflug von Tiefschnee.“

„Ja, er ist echt gut, aber wir wollen es langsam angehen. Wir sind gestern erst angekommen und wollen nichts riskieren.“

Benjamin kommt mit den heiß ersehnten Teetassen.

„Du wolltest doch auch mit Zitrone, oder?“

„Ja danke Benni, das tut jetzt bestimmt gut.“

„Und was macht dein Hintern? Tut’s noch weh?“

„Nö, geht schon. Einen blauen Fleck wird es wohl nicht geben.“

„Du Mario, sind das nicht die Jungs, die gestern Abend am Tisch neben uns gesessen haben?“

„Ah, jetzt weiß ich auch woher ihr mir bekannt vorkommt!“ mischt sich einer der Jungs ein.

„Also ich bin Jörg Rosenbach und mein Gegenüber ist Thomas Werner.“

„Ich heiße Mario Spataro und das ist mein Freund Benjamin Voigt. Nett euch kennen zu lernen.

Dem Dialekt nach seid ihr von hier?“

„Ja und nein. Also ich komme von hier, lebe aber mit Thomas in Salzburg in einer WG. Wir studieren da seit einem halben Jahr.“

„Ich komme aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Klagenfurt.“ ergänzt Thomas.

„Ich denke jetzt bin ich dran. Ich komme gebürtig aus Flensburg und lebe seit zwei Jahren mit Mario zusammen in der Nähe von Rendsburg. Ich bin noch in der Berufsausbildung.“

„Ja und auf mich trifft es fast genauso zu. Nur, dass ich vor kurzem meine Ausbildung abgeschlossen habe“ beende ich die kurze Vorstellungsrunde.

„Du Jörg, gibt es hier im Ort viele Familien, die Rosenbach heißen?“

„Nein, wieso fragst Du?“

„Ach ich dachte nur…

Also die Pension, in der wir wohnen, die heiß auch Rosenbach.“

„Hähä, das ist ja ein Zufall. Die gehört meinen Eltern. Dann kennt ihr ja auch sicher schon meine Schwester Michelle. Die saß doch übrigens gestern auch mit bei uns am Tisch.“ lacht Jörg.

„Äh, nicht das ich wüsste. Da war nur ein Bub, der uns das Gepäck rauf getragen hat. Benni, hast Du da noch jemanden gesehen?“

„Ein Mädchen? Hm, also ehrlich gesagt habe ich da nicht so drauf geachtet.“

„Ah ja, also der Bub ist der Alois und ist mein kleiner Bruder. Wenn keine Schule ist, muss er in der Pension mit anpacken. Und Michelle ist bei meinen Eltern in der Ausbildung zur Hotelfachfrau. Steht aber auch viel in Küche. Sie kocht super gut.“

„Dann wohnt ihr also auch in der Pension?“ will Benjamin wissen.

Ich stehe derweil auf, um noch einmal Tee zu holen. „Soll ich Euch auch was mitbringen?“

„Ja bitte das gleiche was ihr da trinkt!“ kommt es von Thomas spontan.

„Also, was meinst Du?“ bekomme ich gerade noch mit als ich die Teegläser abstelle.

„Das muss ich erst mit Mario besprechen, aber es klingt irgendwie schon verlockend.“

„Na, was habt ihr da hinter meinem Rücken gegen mich ausgeheckt?“ will ich sofort neugierig wissen.

Jörg ergreift wieder das Wort.

„Also ausgeheckt ist wohl nicht ganz zutreffend. Meine Eltern habe ein Stück den Hang weiter hoch eine Ski-/Jagdhütte, die sie ab und zu auch mal vermieten. Meistens jedoch nur im Sommer, weil vielen im Winter der Weg zu beschwerlich ist und der Umstand, dass man selber heizen muss ist auch so manchem lästig. Zurzeit bewohnen Thomas und ich die Hütte.

Platz ist da für sechs Erwachsene und man könnte dann noch für vier Kinder zusätzlich Betten aufstellen. Es gibt einen riesigen Wohnraum, eine kleine Küche, vier Schlafzimmer, also zwei Doppel- und zwei Einzelzimmer sowie zwei Nasszellen mit WC und Dusche. Die im Obergeschoss hat sogar auch eine Badewanne.

Für uns beide ist das natürlich viel zu groß und wir verlaufen uns fast darin.

Wir haben Benjamin eben angeboten, dass ihr zu uns in die Hütte umziehen könntet, wenn ihr Lust habt. Das finanzielle regele ich dann schon mit meinem Vater. Habt ihr bei uns Halbpension?“

„Nein, nur Übernachtung mit Frühstück. Also was mich betrifft klingt das auch recht reizvoll. Können wir uns das vorher mal ansehen? Denn Bergsteiger sind wir halt nicht.“

„Kein Problem. Wenn wir den Tee ausgetrunken haben können wir ja mal ganz abfahren zurück ins Tal und dann bei uns in der Hütte was zu Mittag machen.

Mögt ihr Spaghetti?“

Benjamin muss laut losprusten und hätte sich fast am Tee verschluckt.

„Du Jörg, Mario ist original italienische Abstammung. Ich glaube kaum, dass ihr ihm beim Thema Pasta irgendetwas vormachen könnt!“

Nun steckt das Gelächter alle an. Wir sind inzwischen eine richtig lustige Runde.

Genau wie wir es uns vorgenommen haben, fahren wir also zurück ins Tal.

Zehn Minuten später stellen wir an der Pension unsere Boards ab und machen uns an den Aufstieg. So schlimm ist es gar nicht, abgesehen davon dass der Weg nicht geräumt ist und somit nur ein Trampelpfad im Schnee entstanden ist. So marschieren wir also hintereinander den schmalen Pfad zur Hütte.

Schon wenige Wegebiegungen später erkennen wir weiter oben das große Holzhaus. Von wegen Hütte. Also das war ja wohl leicht untertrieben. Kein Wunder, das die beiden Jungs sich darin etwas einsam vorkommen.

Insgesamt dauert der Aufstieg etwa eine halbe Stunde.

Vor der Front mit der Haustür gibt es unter einem Dachvorbau eine Art Terrasse.

Auf dieser ist fein säuberlich der Schnee geräumt, so dass es keine Probleme macht uns gegenseitig den Schnee abzuklopfen und die Stiefel grob vom Schnee zu befreien.

Jörg öffnet die Tür und bittet uns in dem vor uns liegendem Windfang die Stiefel und Jacken auszuziehen.

Jörg öffnet nun die zweite Tür und der Blick in den Wohnraum wird frei.

„Wartet einen Moment, ich hole Euch ein paar Filzpantoffeln, oder wollt ihr auf Socken laufen? Aber seid vorsichtig, das Parkett ist sehr glatt.“

„Ich glaube Pantoffeln wären wohl besser.“ erwidert Benjamin und ich nicke sprachlos.

Oh man ist das schön. Alles aus Holz – einfach traumhaft. Schon allein der Anblick strahlt eine wohnliche Wärme aus. Ich bin mir nicht sicher, ob es Einbildung ist, aber ich glaube das Holz sogar riechen zu können.

Jörg reicht uns jedem ein Paar Pantoffeln, und legt den Kopf etwas verlegen auf die Seite als er fragt:

„Ach ja, eines habe ich noch vergessen. Ist einer von Euch Raucher? Hier in der Hütte ist strenges Rauchverbot!“

„Da kann ich Dich beruhigen. Damit haben wir beide nichts am Hut, im Gegenteil. Es ekelt uns sogar ein wenig, wenn wir diesem Qualm ausgesetzt sein müssen.“ beteuere ich.

„Thomas, zeigst du den Beiden mal alles? Ich kümmere mich derweil um das Essen.“

„Kleinen Moment Jörg, ich will nur eben den Kamin anfeuern.“

Kamin? Habe ich richtig gehört? Das muss ich sehen.

Oh Boy, ja tatsächlich. Um die Ecke sehe ich jetzt das Wohnzimmer erst im vollen Ausmaß.

Und da ist mitten drin wie eine Säule die kreisrunde, gemauerte offene Feuerstelle mit einem gewaltigen Rauchabzug. Rund um ist der Boden mit Edelstahlblech abgedeckt. In sicherem Abstand stehen drei Zweiersitzgruppen und zwei einzelne Sessel, dazwischen kleine Beistelltischchen.

Ein Stück weiter am großen Fenster noch einmal ein Dreiersofa mit Couchtisch und zwei weitere Sessel. Am anderen Ende neben der Küchentür ein großer Esstisch mit 8 Stühlen und natürlich wieder ein großes Fenster.

Zwischendrin und bei der Sitzecke am Fenster liegen hier und da diverse Lammfelle am Boden.

Ich bin hin und her gerissen. Benjamin merkt es und packt mich am Arm.

„Das ist schön, nicht wahr?“ stammele ich vor mich hin.

Das Holz fängt an zu knistern und fängt schnell Feuer. Es muss gut getrocknet sein, denn es qualmt fast gar nicht.

Thomas legt schon jetzt noch ein paar größere Scheite auf und widmet sich wieder uns, um uns die anderen Räume zu zeigen.

„Also hier unten ist das kleine Bad mit WC und die beiden Einzelzimmer. Diese werden schon von Jörg und mir bewohnt. So, nun kommt mal mit nach oben. Also hier und da vorne, das sind die beiden Doppelschlafzimmer, jeweils mit Ehebett. Die Zimmer sind beide identisch. Also gleich groß und gleich eingerichtet.“

Thomas öffnet die Tür zum ersten Zimmer. Zunächst ist es recht dunkel, aber als Thomas die Fensterläden aufkurbelt erstrahlt der Raum in seiner vollen Pracht.

Also, der Architekt, der hier zum Zuge kam, hat sein Geld zu Recht verdient.

„Ja und abschließend nun das große Badezimmer mit WC. Eigentlich sollte ich Badelandschaft sagen!“

Ja Wahnsinn. Eine riesengroße Eckbadewanne in lindgrün. Da passen locker drei Leute gleichzeitig rein. Das Bad ist bis unter die Decke ebenfalls in einem ganz blassen grün gekachelt und seit das Licht angeschaltet ist hört man das Rauschen eines starken Dunstabzuges. Der Fußboden ist gefliest und die Decke wie überall aus Holz.

Thomas erklärt, dass die Lüftung noch eine halbe Stunde nachläuft, wenn man das Licht ausschaltet um Schimmelbildung vorzubeugen, obwohl alles Holz entsprechend vorbehandelt ist.

„So, wenn ihr also Lust habt, dann könnt ihr euch jetzt jeder ein Schlafzimmer aussuchen, aber wie gesagt, sie sind beide identisch.“

Benjamin fängt an zu grinsen und ich habe Mühe mich zurück zu halten.

Gemütlich folgen wir Thomas wieder nach unten und ich werfe einen Blick in die Küche aus der ich Jörg werkeln höre.

„Jörg, darf ich dir ein wenig helfen?“ frage ich zurückhaltend.

„Hey Mario, sehr gern sogar. Schließlich will ich doch wissen was so ein kleiner Italiener alles drauf hat.“

„Na ja, ich glaube nicht, dass du das alles wirklich wissen willst, aber in der Küche helfe ich dir gerne.“ Ich habe echt Mühe mir das grinsen zu verkneifen.

„Äh, was meinst Du?“

„Ach, vergiss es. War nur ein dummer Spruch…“

Jörg hat schon Hackfleisch angebraten und löscht es gerade ab. Ich reiche ihm Tomatenmark und, oh toll, er hat frischen Paprika und frische Kräuter. Das ist gut, die haben viel mehr Aroma.

So wirbeln wir also zu zweit in der Küche und Benjamin deckt mit Thomas den Tisch.

„Trinkt ihr auch ein Glas Rotwein mit oder ist es euch noch zu früh für ein Gläschen?“ fragt Thomas.

„Also ich sage nicht nein. Was ist es denn für einer, denn Mario schwört natürlich auf italienische Weine?“ antwortet Benjamin.

„Moment mal. Ja, das habe ich erwartet, es ist natürlich österreichischer…“

„Frag mal Mario.“

„Er sagt, er will ihn in jedem Fall probieren.“

Mittlerweile hat sich die Wärme vom Kamin gleichmäßig verteilt und es ist richtig gemütlich geworden. Das Mittagessen liegt jetzt schon eine Stunde zurück.

Mit Geschirr haben wir fast nichts am Hut. Es gibt hier sogar einen Geschirrspüler.

Also planen wir den Nachmittag aus.

Wir – soll heißen, dass wir nun zu viert sind und, dass Benjamin und ich umziehen werden.

Jörg hat mit seinem Vater telefoniert und alles klar gemacht.

Als erstes wollen wir den Umzug erledigen.

Ganz nach dem Motto: erst die Arbeit dann das Vergnügen.

Natürlich wollen Thomas und Jörg uns helfen.

Hinter der Hütte zaubern sie einen sehr großen Schlitten hervor. Ich habe allerdings nicht damit gerechnet, dass er nicht nur für das Gepäck vorgesehen ist.

Nein, die Jungs wollen allen ernstes mit dem Ding und mit uns den Berg runter zur Pension rodeln. Wenn das mal gut geht.

Obwohl Benjamin und ich hinten saßen sind wir alle von Kopf bis Fuß voll Schnee. Aber es war trotzdem affengeil. Das müssen wir unbedingt noch öfter machen.

Von allem Schnee wieder befreit (durch die Kälte lässt er sich leicht abklopfen) stürmen wir die Pension und beginnen wieder die Koffer zu packen. Thomas befestigt derweil die Snowboards auf dem Schlitten und Jörg versorg sich im Vorratslager mit Proviant für die nächsten Tage. Benjamin hat ihm gesteckt, dass ich nicht besonders auf Fleisch stehe und deshalb packt Jörg auch viel Gemüse ein.

Etwa eine halbe Stunde haben wir gebraucht, als alles auf dem Schlitten verstaut und festgezurrt ist. Der Schlitten hat zwei unterschiedlich lange Zuggurte, die man sich um die Hüfte schnallen kann und dann im Gänsemarsch den Schlitten hinter sich her zieht.

Jörg und ich machen den Anfang. Durch die gemeinsame Küchenarbeit sind wir ja fast schon ein eingespieltes Team.

Auf halber Strecke bestehen Benjamin und Thomas darauf, dass sie nun an der Reihe sind.

Ich bin zwar noch kein bisschen erschöpft aber bitte, wenn sie doch darauf bestehen.

Insgesamt dauerte der Aufstieg mit dem Schlitten jetzt auch nur vielleicht zehn Minuten länger.

Allerdings haben wir unterwegs auch ein wenig rumgealbert und die Flugfähigkeit so mancher Schneebälle erkundet. …

Die Boards lassen wir draußen stehen auf dem terrassenartigen Vorbau.

Dann geht es an das Gepäck. Benjamin und ich beschließen die Koffer sofort auszupacken.

Thomas stutzt zwar ein wenig, dass wir nur ein Schlafzimmer nehmen, sagt aber nichts.

In Rekordzeit ist alles fein säuberlich im großen Spiegelschrank im Schlafzimmer verstaut

und wir finden uns wieder am Kamin ein.

„So, wir sind soweit, wollen wir jetzt wieder auf die Piste?“ fragt Benjamin.

Ein Blick in die Runde und alle Gesichter strahlen.

„Warum haben wir denn dann bloß die Boards hier ganz nach oben geschleppt? “ will ich wissen.

„Ah, gut dass du fragst. Es gibt von hier eine seichte Abfahrt hinter der Besiedelung bis etwa zur Mitte vom Ort. Von da ist es ja bekanntlich nur einen Katzensprung zu den Liftstationen!“

erklärt uns Jörg.

„Fein, das hört sich viel versprechend an. Und die seichte Abfahrt geht mit dem Board auch jetzt mit dem hohen Neuschnee?“ frage ich noch einmal nach.

„Besser als mit Skiern. Du wirst sehen, was ich unter seicht verstehe…“ lacht Jörg und auch Thomas kann sich ein Lachen nicht verkeifen.

Die Jungs hatten natürlich untertrieben. Es handelt sich um eine wirklich schöne aber auch zügige Abfahrt. Keine fünf Minuten vergehen und wir stehen mitten im Ort. Von der Pension zu Fuß dauert es etwa eine halbe Stunde.

Sechs- oder siebenmal haben wir die Pisten noch unsicher gemacht. Nach zwei Abfahrten von der Piste vom Vormittag, wo wir uns kennen gelernt haben, trauten wir uns an den nächsten Schwierigkeitsgrad.

Als wir uns zum letzten Mal vom Lift ganz nach oben befördern ließen war es schon dunkel geworden. Aber kein Problem. Die Hauptpisten sind hier bis 22 Uhr beleuchtet.

Wir haben uns vorgenommen in Viererformation bergab zu wedeln. Das ist gar nicht so einfach die Geschwindigkeit exakt den anderen anzupassen. Macht aber richtig Spaß.

„Wollen wir hier im Ort noch irgendwo etwas trinken gehen oder lieber in der Hütte?“

„Also, was mich betrifft, ich habe etwas geschwitzt und es wäre mir unangenehm, jetzt irgendwo hinzugehen, ohne vorher zu duschen.“ gebe ich zu bedenken.

„Stimmt, daran habe ich gerade nicht gedacht. Also ab nach Hause, okay?“ beschließt Thomas und erntet keinen Widerspruch, sondern zustimmendes Nicken.

Fast wortlos stiefeln wir zurück zur Hütte und nehmen erst jetzt wieder bewusst das Knirschen unter den Schuhsohlen wahr.

Sonst ist es unheimlich still. Der hohe Schnee scheint fast alle Geräusche zu verschlucken.

Nun beginnt der Anstieg auf unserem Privatpfad. Jeder ist mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt und es macht sich vielleicht auch langsam Müdigkeit breit.

Schlagartig ist die Stille durchbrochen. Jörg schreit mit einem mal auf.

Das war ja klar. Benjamin hat mal wieder seine tollen fünf Minuten.

Er geht ganz vorn als erster und hat wohl einen schneebedeckten Zweig von einem Baum etwas mit sich gezogen, um ihn dann zurückschnellen zu lassen.

Die volle Schneeladung landete bei Jörg im Gesicht.

Ich kann gar nicht so schnell gucken, wie mit einem Mal eine regelrechte Rauferei im tiefen Schnee im Gange ist.

Thomas und ich lassen es uns nicht nehmen und wir stürzen uns mitten rein ins Getümmel.

Ich habe keine Ahnung wie lange das so ging. Irgendwann jedenfalls geht mir allmählich die Puste aus und auch die anderen werden immer ruhiger.

„Jungs, könnt ihr mir mal helfen? Mir fehlt ein Handschuh.“ höre ich Thomas japsen.

Auf allen vieren durchpflügen wir nun den lockeren Schnee und dann kommt auch schon von Jörg die erlösende Nachricht. Er hat den Bösewicht gefunden.

Bin ich froh, als die Hütte in Sicht kommt. Mein Pullover fühlt sich nass an. Ich glaube mir hat vorhin wohl irgendjemand Schnee in den Kragen gestopft. Wenn ich mich recht erinnere habe ich das allerdings bei einem der anderen auch getan. Nur wegen der Dunkelheit weiß ich jetzt nicht bei wem.

Endlich ist die Hütte erreicht.

„So Jungs, bitte lasst alle nassen Klamotten hier im Windfang, die bringen wir dann nachher oben in die Dachkammer. Durch den Kamin sind die da in ein paar Stunden wieder trocken. Okay?“ ordnet Jörg an.

Antwort erhält er keine, aber alle gehorchen.

„Ich sehne mich jetzt nur nach einem heißen Bad.“ gebe ich müde von mir.

„Oh ja, tolle Idee. da mache ich mit“ stimmt Benjamin mit ein.

„Meint ihr, dass ich da auch noch Platz habe?“ fragt Thomas.

„Klar, also drei passen in die Wanne da oben allemal rein.“ stimme ich zu.

Auch Benjamin nickt zustimmend.

So verteilen wir uns in dem großen Haus und bereiten alles vor. Ich gehe sogleich ins obere Bad und drehe schon mal das Wasser auf. Ich warte bis ich die richtige Temperatur eingeregelt habe und gebe noch etwas Schaumbad in die Wanne.

Im Schlafzimmer ist Benjamin schon soweit. Er greift sich aus dem Schrank jeweils eine frische Garnitur Unterwäsche für uns beide und huscht rüber ins Bad, wie ihn Gott geschaffen hat.

Handtücher liegen im Bad genügend bereit, wie ich gesehen habe.

Nur wenige Minuten später liege ich neben Benjamin unter einem dichten Schaumteppich.

Ich lasse noch ein wenig heißes Wasser nachlaufen, da kommt auch schon Thomas.

Benjamin beginnt mit einem mal tierisch zu grinsen und ich weiß im ersten Moment nicht was er hat.

Vorsichtig macht er eine leicht nickende Kopfbewegung in Richtung Thomas und dann sehe ich den Auslöser für Benjamins Ausgelassenheit.

Thomas kommt doch tatsächlich in einer Badehose angestiefelt und steigt auch so zu uns ins Wasser.

Ein klein wenig komme ich mir schäbig vor. Es wird Thomas bestimmt peinlich sein, wenn er sieht, dass wir völlig ohne Hüllen hier im Wasser liegen. Ich muss irgendwie zusehen, wie ich ihm das ersparen kann. Das Beste wird sein wir gehen erst aus dem Wasser, wenn er fertig ist.

Inzwischen hat Thomas eine Unterhaltung begonnen. Er fragt uns nach unseren Berufen und Hobbys und so. Von sich erzählt er, dass er Zoologie studiert. Ich wusste gar nicht, dass das ein Studienfach ist. Sportlich ist er auch. Er spielt Handball im Verein.

Inzwischen hat sich Benjamin hinter mich gesetzt und angefangen mir die Schultern zu massieren. Ich spüre da eine leichte Verspannung und jetzt im heißen Wasser lässt sich das leicht wegmassieren.

So vergeht die Zeit und wir haben uns eine Menge voneinander erzählt.

Dann ist es soweit und Thomas rekelt sich wieder aus dem Wasser, schnappt sich eines der großen Badelaken und rubbelt sich ab.

Was ich nicht einkalkuliert habe ist, dass der Schaum mittlerweile vollkommen zusammengefallen ist und ..

„Sagt mal, habt ihr gar nichts an? Ich Trottel. Und ich habe extra wegen euch eine Badehose

angezogen. Warum habt ihr nichts gesagt?“ verlegen schüttelt er den Kopf.

„Ist doch nicht schlimm, oder?“ versucht Benjamin die Woge zu glätten.

„Nein, natürlich nicht, aber ein wenig albern komme ich mir jetzt doch vor.“

„He, Thomas. Es weiß ja keiner, außer uns. Okay?“ zweiter Versuch von Benjamin.

„Danke! Also, Schwamm drüber.“ Jetzt lacht Thomas wieder.

„Um weitere Missverständnisse zu vermeiden, Jörg und ich ziehen schon jetzt die Schlafanzüge an, da es am Kamin gleich schön mollig warm wird. Aber Socken sollte man trotzdem zusätzlich anziehen.“

„Danke für den Tipp. Zu Hause halten wir das meist auch so um diese Uhrzeit.“ Ich bin froh, dass Thomas das so locker weggesteckt hat.

„Du Benjamin, wollen wir es ihnen sagen? Ich meine es macht das Zusammenleben in gewisser Hinsicht leichter.“

„Mario, du wirst lachen, aber der gleiche Gedanke schoss mir schon vorhin durch den Kopf als wir uns im Schnee ausgetobt haben.“

„Also dann sagen wir es ihnen.“ Damit ist es beschlossene Sache und ich bin mir sicher, dass es keine Probleme geben wird.

Auf dem großen Esstisch steht eine schön zurechtgemachte kalte Platte.

Jörg hat ganz offensichtlich unsere lange Badezeit genutzt und liebevoll kleine Canapés angefertigt. Allein der Anblick lässt mir schon das Wasser im Munde zusammen laufen.

Auch meiner weniger vorhandenen Vorliebe für Fleisch und Wurst hat er Rechnung getragen.

Es sind auch sehr viele Häppchen mit Käse, Frischkäse, Kräuterquark, Tomaten und Heringssalat vertreten. Alles nett garniert mit Salatblättern, Gürkchen, Radieschen, Zwiebelringen, Schnittlauch und so weiter.

Ich bin total begeistert.

„Mein Gott Jörg, wo hast du das denn gelernt?“ frage ich total verzückt.

„Schon vergessen, ich bin in der Gastronomie groß geworden. Da bekommt das halt gratis mit!“ antwortet er mit stolzgeschwelter Brust.

Gemeinsam nehmen wir an dem großen Tisch Platz und die Schlafanzug-Dinerparty beginnt.

Benjamin schenkt jedem von dem Früchtetee ein, als ich zu unserem coming out ansetze.

„Jörg, Thomas, da ist noch etwas, was wir euch gerne sagen möchten. Also Benjamin und ich, also wir sind homosexuell und wir sind ein Paar!“ so, das hat gesessen, oder?

„Cool, und, schmecken die Schnittchen? Du Mario, wenn Du gerne magst, wir haben auch noch Mozzarella und frisches Basilikum für die Tomatenschnittchen.

Ja, das hat nun wirklich gesessen.

Cool.

Mehr hat Jörg nicht gesagt.

„Soll das heißen, dass ihr da keine Probleme mit habt?“ hake ich nach.

„Nö, warum? Unser dritter Mitbewohner in der WG in Salzburg ist auch schwul. Ab und zu bringt er dann auch mal seinen Freund mit und die schmusen sogar vorm Fernseher wenn wir dabei sind. Na und? Ich knutsche ja auch mit meiner Freundin, wenn er dabei ist. Jeder soll so leben wie er mag. Hauptsache alle sind glücklich.“

Mit dieser Ansicht von Thomas habe ich nun echt nicht gerechnet.

Aber sie klingt wohl überlegt und nicht einfach dahergeredet.

Mit einem Blick zu Benjamin ernte ich nur ein leichtes Schulterzucken. Also ergebe ich mich wieder der kalten Platte und genieße jetzt jedes Häppchen noch mehr als zuvor.

Der lange Tag hat hungrig gemacht und so bleibt uns nichts anderes übrig, als dass Jörg und ich in der Küche noch zwei Baguettestangen aufschneiden und wie gehabt belegen.

Thomas hat inzwischen noch eine Kanne Tee aufgegossen.

„Was machen wir mit dem angebrochenen Abend. Ich habe Lust irgendetwas zu spielen. Ihr auch?“ stellt Benjamin die Frage in den Raum.

„Hm, mal überlegen. Also da vorn in der Kommode müssten ein paar Spiele sein. Ich glaube da ist Monopoly und halt die üblichen einfachen Gesellschaftsspiele.“

„Oh ja, Mensch ärgere Dich nicht. Zu viert wäre das genial. Habt ihr Lust?“ Benjamin erntet allgemeine Zustimmung und schon ist die Sache beschlossen.

Nicht ganz eine Stunde später haben wir die Möbel ein wenig zur Seite geschoben und es uns auf ein paar Lammfellen direkt am Kamin gemütlich gemacht. Keine Menschenseele stört es, das Benjamin und ich dabei ganz eng beieinander hocken.

So gegen 21.30 Uhr wärmt Jörg zwei Flaschen Glühwein auf, was allgemeine Zustimmung und später Heiterkeit auslöst.

Irgendwann kommt das Spiel ganz zum Erliegen und es werden viele Geschichten und Erlebnisse erzählt. Am meisten müssen die Zwei lachen, als Benjamin ihnen verklickert, wie wir Brüderschaft getrunken haben.

Benjamin und ich sind die ersten heute Morgen, als wir die Treppen runterkommen.

Die anderen Beiden scheinen noch zu schlafen.

Auf leisen Sohlen bringen wir das Wohnzimmer wieder in Ordnung.

„Also einer von uns muss jetzt runter zur Pension die Brötchen abholen und der andere macht den Kamin sauber, heizt ihn wieder an und bereitet Frühstück vor.“ stelle ich zur Diskussion.

„Oh man, zur Pension und zurück, da ist man eine Stunde unterwegs. Was hältst Du davon wenn wir beide mit dem Schlitten runterfahren und ihn gemeinsam wieder hochziehen.“

„Ne, Benjamin, dann kann man genauso gut allein mit dem Snowboard runterdüsen.“

„Okay, überredet. Du willst mich wohl unbedingt loswerden…“ erwidert nun ein Schmollnase.

„He, Benjamin. Erzähl nicht so ein dummes Zeug. Du weißt ganz genau wie ich dich jede einzelne Minute vermissen werde. Ich liebe Dich doch. Aber wir müssen auch ein wenig vernünftig sein. Ja?“

Viel hat es nicht gebracht, aber als ich ihm einen richtig dicken Kuss gebe ist er wieder versöhnt.

Gemeinsam ziehen wir unsere Wintersachen an. Benjamin um die Brötchen zu holen und ich um neues Kaminholz von dem Stapel hinter der Hütte ins Haus zu holen.

„Benjamin warte, ich verpacke Dir noch eben den Müll und die Asche, die kannst Du dann gleich bei der Pension entsorgen.“

Gesagt getan.

Ein letzter Kuss und Benjamin schwingt sich mit dem Board in Fahrt.

Mist, ausgerechnet jetzt fängt es wieder an zu schneien.

Der Frühstückstisch ist schnell gedeckt. Die verderblichen Sachen lasse ich noch im Kühlschrank bis alle am Tisch sitzen. Der Kamin ist nun auch schon soweit, dass ich die ersten dicken Holzscheite auflegen kann.

Mit der ersten Tasse Kaffee setze ich mich an den Kamin und lasse mich vom Züngeln der Flammen und dem leisen Knistern im Holz berauschen.

Huch mein Handy klingelt. Ach ja, ich sollte ja auch meine Eltern anrufen. Das habe ich total vergessen. Das werden sie bestimmt sein.

Seltsam, noch bevor ich es aus meiner Anoraktasche rausholen kann hat es schon wieder aufgehört.

Im Display steht: 1 verpasster Anruf.

Ich klicke weiter, das war Benjamin. Hm, sehr merkwürdig.

Ich klicke auf Rückruf. Es kommt aber sofort die Mailbox. Der gewünschte Teilnehmer ist zurzeit nicht erreichbar. Wenn sie eine Nachricht hinterlassen wollen sprechen sie nach – klick.

Irgendetwas stimmt da nicht. Erst ruft er mich an und dann ist er nicht erreichbar.

Ganz langsam beginnt sich mein Magen zusammenzuziehen und mich überkommt ein seltsames Unbehagen, wie ich es noch nie gespürt habe. Ich wähle noch einmal Benjamins Nummer.

Wieder das gleiche. Jetzt reicht es.

Ich gehe nach hinten ins Zimmer von Jörg und wecke ihn. Total aufgeregt schildere ich ihm, warum ich mir Sorgen mache.

„Mario, nun bleib mal ganz ruhig. Ich ziehe mir jetzt erst mal was an und dann erzählst mir mal der Reihe nach was dich so beunruhigt.“

Mittlerweile ist es eine dreiviertel Stunde her seit Benjamin mit dem Snowboard losgefahren ist.

Er müsste längst wieder da sein.

Jörg hat sich nun alles noch einmal in Ruhe von mir angehört. Er schnappt sich sein Handy und ruft seine Eltern an.

„Hi Paps, Jörg hier. Du, war der Benjamin Voigt schon bei euch und hat unsere Brötchen abgeholt? Nicht? Ja du, dann vermissen wir ihn jetzt. Sagst Du der Bergwacht bescheid? Wir beginnen mit der Suche von hier oben, er trägt eine rotweiße Jacke und eine orangefarbene Hose. Ja Paps, wir werden vorsichtig sein. Ciao!“

„Los Mario weck bitte Thomas.“ Ich lasse mich kein zweites mal auffordern und gehe auch zu Thomas ins Zimmer und reiße den armen Kerl aus dem Schlaf.

Kurz und knappt schildert Jörg dem Thomas die Lage und mir ist speiübel.

„Wie fühlst Du Dich Mario. Meinst Du, Du kannst mitkommen. Sechs Augen sehen mehr als vier.“

„Klar komme ich mit. Was denkst Du denn?“

„Okay, okay, aber Du musst mir versprechen, dass du alle meine Anweisung befolgen wirst, egal welche. Einverstanden?“

„Versprochen – ehrlich!“

Somit ist alles geklärt. Zügig legen wir unsere Ausrüstung an. Jörg geht ganz nach hinten und holt aus der Abstellkammer einen roten Rucksack, wo auch der Sticker von der Bergwacht aufgenäht ist.

„Diese Ausrüstung hat die Bergwacht in allen abgelegenen Hütten deponiert. Da ist so ziemlich alles dabei, was man im Notfall gebrauchen könnte.“ erklärt Jörg, als er meinem skeptischen Blick begegnet.

Vor der Hütte ruft Jörg noch einmal seinen Vater an und sagt bescheid, dass wir zu dritt sind und nun mit der Suche talwärts beginnen.

„Mario wir fahren ganz langsam. Du bleibst so dicht wie möglich am Trampelpfad. Wir wollen versuchen möglichst seine Spur zu finden und dieser zu folgen. Thomas, du fährst etwa 15 Meter rechts von Mario. Links brauchen wir nicht suchen, da ist der Wall mit der Baumreihe. Ich suche noch weiter recht von euch. Alles klar? Gut also dann mal los.“

Gehorsam bringe ich mein Board ganz langsam in Bewegung. Das ist gar nicht so einfach, da man immer wieder stecken bleibt. Aber zu Fuß würde es auch nicht gehen, da abseits vom Trampelpfad der Schnee zu tief ist. Direkt vor mir ist eine Spur. Hier muss er einen Rechtsschwung gefahren sein. Danach verliert sich die Spur wieder.

Wir sind jetzt eine viertel Stunde unterwegs und mal gerade fast einhundert Meter weit.

Und weiter geht die Suche.

Nach weiteren Zehn Minuten meint Thomas etwas zwischen den Bäumen links vom Trampelpfad zu sehen.

„Macht ihr hier ganz normal weiter, ich sehe mir das mal an.“ befiehlt Jörg.

Jörg nimmt Schwung und fährt auf die von Thomas beschriebenen Bäume zu.

„Hier ist er! Kommt her!“

Als wir ankommen ist Jörg schon dabei Benjamin zu untersuchen.

Jörg fummelt sein Handy raus und ruft bei der Bergwacht an.

„Hi, ich bin Jörg Rosenbach. Es geht um den vermissten Benjamin Voigt. Wir haben ihn gefunden. Er hat Atmung und Puls, ist aber nicht ansprechbar. Er liegt eingeklemmt zwischen zwei Bäumen. Äußere Verletzungen keine. Position: etwa 150 bis 200 Meter südlich der Rosenbachhütte. Wir brauchen hier Hilfe. Ja, verstanden. Wann meinen sie können die Kameraden hier sein? Ja, das machen wir. Danke und Ende.“

„In dem Rucksack soll so eine Aluminium-Thermodecke sein. Die sollen wir soweit möglich um ihn wickeln. Wir sollen ihn aber auf keinem Fall bewegen. Die Bergwachtkameraden und auch ein Notarzt sind auf dem Weg. Macht ihr das mit der Decke ich rufe nur noch schnell meinen Vater an.“

Das mit der Thermodecke gestaltet sich schwieriger als ich zunächst angenommen habe. Wie wickelt man jemanden darin ein, der zum Teil mit Schnee bedeckt, zwischen zwei Bäumen eingeklemmt ist und obendrein nicht bewegt werden darf?

Zu meiner Verwunderung laufen momentan alle meine Handlungen total mechanisch.

Während ich mich oben in der Hütte am liebsten erbrochen hätte, so bin ich jetzt irgendwie total kalt und sachlich. Es ist so, dass ich fast Angst vor mir selber bekomme.

Ich gehe jetzt vorsichtig um die Bäume herum. Ich muss aber sehr aufpassen denn es geht nur wenige Zentimeter weiter gut 4 Meter steil bergab.

Jetzt sehe ich Benjamins Gesicht. Ein wenig Hautabschürfung am Kinn und an der rechten Wange. Sonst ist scheinbar alles in Ordnung. Vorsichtig streiche ich ihm über die Stirn.

„Benni. Benni, hörst Du mich?“ – Keine Reaktion.

Mein rechter Fuß verliert langsam an Halt und ich ziehe es vor, wieder auf die sichere Seite der Bäume zurückzukehren. Vorsichtig mache ich mich auf den Rückweg, da kommen auch schon drei Männer der Bergwacht.

Einer der Männer beginnt sofort mit der Untersuchung. Ein anderer schnallt Benjamin das Board von den Schuhen.

Jetzt kommt auch der Notarzt. Er lässt sich kurz in die Lage einweisen und untersucht dann auch noch einmal Benjamin.

Der Arzt legt Benjamin einen Zugang und hängt einen Tropf daran.

Dann geht er auf Jörg zu.

„Hallo Herr Rosenbach. Gehört der Junge zu ihnen?“

„Ja und nein. Er ist mit diesem jungen Mann bei uns zu Besuch in der Hütte.“

„Ja schön. Also machen sie sich keine Sorgen. Augenscheinlich ist der Junge unverletzt.

Er hat einen Schock und ist etwas unterkühlt. Da er ohne Bewusstsein ist bekommen wir ihn da nicht so ohne weiteres raus. Die Bergwacht hat im Tal Bescheid gegeben, das wir hier eine Motorsäge brauchen. Aber das dauert halt noch eine Weile.“

„Herr Doktor, oben in der Hütte haben wir eine Motorsäge. Ich könnte die in spätestens zehn Minuten hier haben.“

„Ja, dann aber los!“

Noch bevor ich richtig verstanden habe was hier nun eigentlich laufen soll ist Jörg losgelaufen Richtung Hütte. Das Tempo, das er dabei zu Tage legt ist wahrlich atemberaubend.

Es sind kaum 5 Minuten vergangen, da kommt Jörg mit dem großen Schlitten in einem wilden Schneegestöber angerast und bringt den Schlitten punktgenau zum Stehen.

Dankbar nehmen die Bergwachtmänner die Säge entgegen. Der Arzt beugt sich nun von hinten über Benjamin und versuch mit der Thermodecke eine Art Gesichtschutz zu falten.

Wir werden angewiesen Benjamin festzuhalten, damit er nicht wegrutschen kann, wenn der Baum fällt.

Der Motor der Säge wird gestartet. Der Mann setzt die Säge so tief an wie es nur geht und beginnt auf der von Benjamin abgewandten Seite. Dort schneidet er behutsam einen großen Keil aus dem Baum. Nun beginnt er auf der anderen Seite und arbeitet sich zu dem Keil vor als auch schon der Baum zu kippen beginnt. Im gleichen Moment packt der Notarzt zu und zieht Benjamin zu sich hoch.

„Junge, Junge, du bist ja leicht wie eine Feder!“ lästert der Arzt und legt Benjamin auf dem Schlitten ab.

Von hinten tippt mir Thomas auf die Schulter.

„Das lag zwischen den Bäumen im Schnee.“

Ich schau mich um und da hat Thomas das Handy von Benjamin in der Hand. Ich nehme es. Als ich es einschalten will gibt es nur ein kurzes piep und es ist wieder aus. Der Akku ist leer.

Das erklärt einiges und wird in Zukunft bestimmt nicht wieder vorkommen.

In diesem Moment kommt Benjamin wieder zu sich.

„Hallo Leute ist hier eine Party, von der ich nichts weiß?“

„Wie es aussieht ist das ihre Party. Hallo ich bin Doktor Reindl. Wie fühlen sie sich?“

„Mir ist schweinekalt und ich habe das Gefühl, als wenn jemand auf meinen Rippen sitzt.“

„Okay. Ich werde sie jetzt von Kopf bis Fuß untersuchen und sie sagen sofort Bescheid wenn es irgendwo weh tut. Ja?“

„Okay.“

Inzwischen hat Jörg von der Bergwacht die Motorsäge zurück. Jörg hat Thomas gebeten diese schon mal langsam zurück zur Hütte zu bringen und dort im Kamin Holz nachzulegen, da wir bestimmt bald nachkommen.

„Ja Herr Voigt, soweit so gut. Nun versuchen sie einmal aufzustehen. Ja, das ist gut. Ist ihnen schwindelig, nein? na prima. Herr Voigt sie haben eine leichte Rippenprellung. Das ist nichts Ernstes. Wird höchstens mal beim Husten oder Lachen etwas zwicken in den nächsten drei Tagen. Wenn sie gleich oben in der Hütte sind, legen sie sich noch etwas hin und wärmen sich wieder richtig auf.

Ich gebe ihren Freunden gleich noch ein paar Pillen mit. Sie haben einen Schock. Es könnte passieren, dass sie mal nachts davon träumen und nicht wieder einschlafen können. Dann nehmen sie eine davon, aber nur dann. Verstanden?“

„Ja, und danke Herr Doktor.“

Die Truppe macht sich auf den Weg zurück ins Tal. Jörg hat sich zuvor schon ausführlich bei den Männern der Bergwacht bedankt.

Obwohl Benjamin nicht will, wird er verdonnert auf dem Schlitten zu sitzen. Dafür darf er alle Snowboards halten. Thomas und ich ziehen gemeinsam den Schlitten zurück zur Hütte. Ist ja nicht weit. Kaum angekommen bekomme ich mit einem mal weiche Knie. Mit aller Kraft versuche ich mir nichts anmerken zu lassen und stützt mich ein wenig an der Hauswand ab.

Erst jetzt fühle ich die Anspannung, die ich wohl mit übernatürlicher Kraft die ganze Zeit verdrängt hatte. Meine Gefühle kehren zurück und verlangen ihren freien Lauf. Mühsam gelingt es mir die Tränen zurückzuhalten. Noch.

Gemeinsam geleiten wir Benjamin ins Haus. Nachdem wir ihn ausgezogen haben (nein, natürlich nur den Snowboardanzug), verfrachten wir ihn sogleich auf das große Sofa.

Jörg reicht ihm eine Wolldecke in die ich ihn ganz fest einpacke.

„Man Benni, mache das bitte nie wieder. Ich hatte eine Schweineangst um dich.“

Ich kann es jetzt nicht mehr verhindern, aber nun kommen die Tränen und rollen ungebremst durch mein Gesicht. Benjamin greift zitterig nach meiner Hand und drückt sie ganz fest. Auch ihm kullern ein paar Tränen durchs Gesicht.

„Du Mario, Jörgs Bruder war gerade da und hat die Brötchen gebracht. Meinst Du Benjamin kann mit uns am Tisch essen?“

„Nein, besser nicht, der Arzt sagte er soll heute lieber liegen bleiben. Ich mache ihm die Brötchen fertig und bringe sie ihm dann her.“

„Nix da, einer für alle, alle für einen. Komm Thomas heute wird am Couchtisch gegessen.“

setzt sich Jörg durch.

Cool, das nenne ich Freunde. Ich kann gar nicht so schnell gucken, wie die Jungs alles rüber getragen haben.

Die Platte ist leer geputzt und alle sind satt geworden. Benjamin fühlt sich schon wieder ganz gut und seine Lippen sind auch nicht mehr blau. Er friert auch nicht mehr.

„Du Mario, ich habe vorhin beim Sturz instinktiv alle Muskeln verkrampft. Ich fürchte ich werde einen Muskelkater bekommen, es sei denn ich nehme ein ganz heißes Bad.“

„Kein Problem, jetzt wo du wieder durchgewärmt bist, kannst Du das gerne machen. Aber nur unter Aufsicht!“

„Ja gerne, kommst du mit? Dann kannst du mich auch ein wenig massieren.“

„Hm, schade, aber ich habe eben Jörg versprochen, das ich ihn begleite. Er will runter zur Pension und frische Lebensmittel holen. Für euch brauchen wir Fleisch und für mich viel Gemüse und Salat. Jörg möchte gern, dass ich mir das Gemüse selbst aussuche. Schließlich kennt er ja nicht so meinen Geschmack und meine Vorlieben wie du.

Bist du jetzt sauer?“

„Ach was, Mario! Doch nicht wegen solcher Lappalie. Vielleicht wäre Thomas ja bereit auf mich aufzupassen.“

„Soll ich ihn fragen?“

„Wie, du hast nichts dagegen? Und wenn ich ihn diesmal ganz nackt sehe?“

„Hihi, Benjamin, du weißt ich liebe dich. Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt. Dazu gehört auch Vertrauen. Ich vertraue Dir. Reicht das? So, und nun frage ich Thomas, was er davon hält.“ Benjamin schaut mich an wie ein Eichhörnchen.

„Hallo Thomas, du, Benjamin möchte gerne ein heißes Bad nehmen. Ich möchte aber, dass er dabei unter Aufsicht ist. Könntest Du auf ihn Acht geben, denn ich habe Jörg versprochen mit ihm frischen Proviant zu holen.“

„Klar kein Problem. Meinst Du ich könnte dabei auch in die Wanne. Ich bin auch ein wenig abgespannt.“

„Dumme Frage. Wieso nicht, du hast doch schon mal mit uns gebadet. Also, wenn du dich dann bitte um alles kümmern würdest. Und bitte, lasse Benjamin nicht allein. Ich mache mir immer noch Sorgen um ihn!“

So, das wäre geregelt. Ich sage Jörg Bescheid, dass wir los können und ziehe mich wieder Winterfest an. Jörg macht sich gerade noch ein paar Notizen, was wir so alles brauchen werden. Er hat so eine Vermutung, dass in den nächsten Tagen mehr Pasta durch die Töpfe geht als sonst. Komisch, wie kommt er bloß auf die Idee – hihi.

Nun ist auch Jörg umgezogen. Wir machen den Schlitten klar und ab geht die Post.

Im Vorratslager der Pension fällt mir fast die Kinnlade runter. Also derjenige, der für dieses Haus den Einkauf macht versteht sein Handwerk. Alle erdenklichen Frischgemüse finde ich im Kühlraum. Durch die Bank in bester Qualität.

Nach etwa fünfzehn Minuten haben wir zusammen was wir so für die nächsten paar Tage brauchen.

Jörg bittet mich schon den Schlitten zu beladen, weil er noch kurz etwas mit seinen Eltern bereden will.

Der Rückweg ging schneller als ich befürchtet hatte. Ich glaube so langsam baue ich Kondition auf und gewöhne mich an den steilen Weg.

Wir haben nur 25 Minuten gebraucht.

„Du Jörg, was hältst Du davon, wenn wir gleich nur einen kleinen Imbiss machen. Dann kannst du mit Thomas noch den ganzen Nachmittag auf die Piste. Ich koche dann was für den Abend.“

„Hey, klingt echt gut. Da ja nun am Vormittag nichts gelaufen ist, haben wir dann vom Nachmittag umso mehr. Sagst du es Thomas und Benjamin?“

„Ja mache ich, die haben jetzt eh lange genug im Wasser gelegen.“

Als ich im Obergeschoß ankommen ist Benjamin schon im Schlafzimmer und zieht sich gerade einen Jogginganzug über. Thomas klart noch das Bad wieder auf und flitzt im Bademantel nach unten in sein Zimmer.

„Na Benni, geht es dir jetzt wieder etwas besser?“

„Also wenn du mich so fragst, ich fühle mich wieder topfit. Aber ich will mal tun was der Arzt gesagt hat und lege mich unten gleich wieder hin.

Was machst Du denn noch heute Nachmittag?“

„Hm, vielleicht mit dir ein wenig kuscheln? Die Jungs schicke ich auf die Piste.“

Ich erkläre Benjamin kurz, was ich mit Thomas besprochen habe.

Benjamin findet es sehr fair und hält es für die richtige Entscheidung.

Kaum eine halbe Stunde später sind Thomas und Jörg wie üblich vermummt und schnallen sich die Boards unter die Stiefel.

„Und es macht euch wirklich nichts aus, dass wir Fun haben und ihr in der Bude hocken müsst?“ fragt Jörg noch einmal sehr fürsorglich.

„Nein, absolut nicht und morgen sind wir ja auch hoffentlich wieder dabei! Viel Spaß!“ verabschiede ich die Jungs.

Ich schnappe mir noch eine Ladung Kaminholz und begebe mich wieder in die warme Stube.

„So, Benni, wir haben Sturmfrei…“ grinse ich und Benjamin legt wieder sein schelmisches Gesicht auf.

„Haben die gesagt, wann sie zurückkommen?“

„Jörg meinte, sie wollen wieder bis in die Dunkelheit fahren. Außerdem will er kurz durchklingeln, wenn sie die Piste verlassen. Dann habe ich immer noch eine Stunde um das Essen vorzubereiten.“ erwidere ich.

Ich lege noch etwas Holz in den Kamin und trolle mich zu Benjamin.

„Erzähl doch mal, was eigentlich passiert ist.“

Benjamin rutscht ganz dicht an die Rückenlehne und macht mir so etwas Platz.

Vorsichtig lege ich mich zu ihm und schlage die Wolldecke über unsere Beine.

„Genau kann ich es auch nicht erklären. Ich war ja gerade erst losgefahren. Mit dem letzten Schwinger kam ich gerade erst ordentlich in Fahrt, da kam von den Bäumen eine Ladung Schnee herunter – mir direkt ins Gesicht.

Die Skibrille war sofort dicht und ich sah nichts mehr.

Ich wollte mich gerade nach hinten fallen lassen, da krachte es.

Es fühlte sich an, als wenn mir jemand erst einen Kinnschieber verpasste und dann auf die Brust boxte.

Einen Moment lang bekam ich fast keine Luft mehr und ich sah bunte Ringe vor den Augen.

Ich habe keine Ahnung wie lange ich da so hing.

Jedenfalls konnte ich mich fast nicht bewegen.

Nur der linke Arm war etwas frei.

Ich versuchte mir mit den Zähnen den Handschuh auszuziehen, aber ich bekam den Klettverschluss nicht zu fassen.

Also versuchte ich mit Handschuh das Handy rauszufummeln.

Es dauerte eine ganze Zeit und langsam kam ein wenig Panik in mir auf.

Endlich hatte ich das Handy.

Ich versuchte dich über Kurzwahl anzurufen, da rutscht mir das verdammte Ding weg und lag unerreichbar direkt vor mir im Schnee.

Ich wusste, dass ich noch nicht weit weg war, also schrie ich um Hilfe bis mir langsam schwarz vor Augen wurde.

Es wurde immer dunkler um mich rum und jedes Geräusch erstarb.

Langsam kam da diese Stimmung, die mir mit einem mal alles scheißegal erscheinen ließ und von da an ist Filmriss.“

Wieder kullern ein paar Tränen. Nicht nur bei Benjamin.

Vorsichtig schmiegt er sich noch dichter an mich ran.

Behutsam wusele ich mit meiner Rechten durch seinen blonden Schopf.

Er rekelt sich ein wenig und liegt mit einem mal auf mir und bettet seinen Kopf auf meiner Brust. Wie Elektrizität durchströmt seine Wärme meinen Körper.

Klein Mario reagiert und macht sich deutlich bemerkbar. Auch sein Gegenüber scheint nicht zu ruhen.

Benjamin wölbt sich ein wenig wie eine Brücke und flink haben seine Finger meinen Gürtel geöffnet. Auch ich wölbe mich ein wenig und Benjamin streift meine Jeans geschwind ein wenig runter.

Mit seiner Jogginghose habe ich es leichter. Der Gummibund leistet keinen ernsthaften Widerstand.

Langsam beginnt Benjamin sich an mir zu reiben. Anfänglich wirklich nur ganz langsam und behutsam. Mit tiefer Sinnlichkeit steigert Benjamin nach und den Rhythmus seiner Bewegung.

Ich werde fast wahnsinnig, so stark ist die Lust in mir. Immer stärker empfinde ich nun regelrecht eine Hitze, die Benjamin auf mich überträgt.

Unsere Lippen finden sich bei geschlossenen Augen und die Zungen vermählen sich.

Immer heftiger werden die Bewegungen.

Ich kann schon nicht mehr gleichmäßig atmen. Immer wieder halte ich die Luft an, um sie dann mit einem Stöhnen herauszupressen.

Auch Benjamin ist von einem Hecheln ins Stöhnen übergegangen.

Er zieht seine Zunge zurück, bäumt sich auf und auch mein ganzer Körper wird mit einem mal steif wie ein Brett und das schönste Gefühl der Welt lässt mich ein paar mal zucken, bevor ich in mich zusammensacke.

Benjamin liegt total schlapp auf mir und sein Atem wird immer ruhiger.

Er hält immer noch die Augen geschlossen.

Es ist dunkel und nur die Flammen im Kamin geben dem Raum eine lebendige Atmosphäre.

Mein Handy klingelt.

Vorsichtig schiebe ich Benjamin zur Seite und rappele mich auf.

„Spataro. Ah, Jörg, ja ist gut. Danke für den Anruf.“

„Kommen die beiden jetzt?“ höre ich von der Couch eine verschlafene Stimme.

„Ja, sie machen sich gleich auf den Heimweg. Sie haben sich gerade noch einen Tee geholt und wollen dann los. Also habe ich etwas mehr als eine Stunde.

„Komm, Mario, lass uns eben ganz kurz duschen gehen. Ich habe ziemlich geschwitzt.“

„Okay, aber es muss wirklich ganz schnell gehen.“

Und tatsächlich. Sehr diszipliniert erledigen wir die Körperpflege in weniger als zehn Minuten.

Auch ich fühle mich nun wieder wohler.

So klingt ein weiterer Abend aus. Allerdings wird es heute nicht so spät. Benjamin möchte früh ins Bett und ich begleite ihn natürlich.

Die nächsten Tage passiert eigentlich nichts Besonderes. Benjamin ist wieder der alte.

Von den Folgen einer Rippenprellung habe ich bei ihm nichts bemerkt, außer einem blauen Fleck unter dem rechten Arm. Auch die bunten Pillen, die uns der Arzt überlassen hatte bedürfen keiner Anwendung.

Mittlerweile befahren wir alle vier auch die schwierigste Piste und haben unbeschreiblichen Fun.

In der Hütte sind wir eigentlich nur zum Essen und Schlafen (und kuscheln!).

Ich fühle etwas sehr warmes im Gesicht. Nein, es ist nicht der Atem von Benjamin. Es ist permanent und wird stärker. Vorsichtig öffne ich die Augen um sie gleich wieder zu schließen.

Die Sonne strahlt mit aller Kraft durchs Fenster und brennt auf meinem schwarzen Haar.

Es ist Karfreitag und heute braucht keiner die Brötchen zu holen, weil, es keine geben wird.

Gestern war alles grau in grau und gegen Abend begann ein heftiges Schneegestöber.

Ich schäle mich aus dem Bett und gehe ans Fenster. Vorsichtig versuche ich es lautlos zu öffnen.

Ich beuge mich hinaus und erblicke einen tiefblauen Himmel. Die Sonne steht schon fast zwei Handbreit über den Bergen und alles erscheint so friedlich. Tief atme ich die eisigkalte Luft ein. Mein Atem verbreitet eine lange weiße Dampffahne.

Die Bäume lassen unter der schweren Schneelast ihre Zweige tief hängen.

Es mutet fast weihnachtlich an.

Komm Mario, jetzt fang dich wieder, es ist fast Ostern!

Doch als so ein Romantiker, wie ich nun mal einer bin, genieße ich die schöne Aussicht noch einen Moment. Auf leisen Sohlen schleiche ich zu Benjamins Nachtschränkchen und schnappe mir die Digitalknipse. Fünfmal macht es leise Klick und dieses schöne Naturschauspiel ist für immer elektronisch gespeichert.

„Morgen Tigerchen. Machst Du bitte das Fenster wieder zu und kommst noch auf eine Minute ins Bettchen?“

Im ersten Moment erschrecke ich ein wenig, denn ich habe nicht bemerkt, dass Benjamin aufgewacht ist. Zu sehr haben mich wohl die Eindrücke in ihrem Bann gehabt.

Eilig und gehorsam schließe ich das Fenster, lege die Kamera zur Seite und krieche wieder unter die Decke.

„Ih, du bist schon wieder ganz kalt.“

„Du kannst mich ja wieder aufwärmen – wenn du willst!“ grinse ich verschmitzt.

Benjamin dreht sich und mit einem kurzen Schwung sitzt er auf meinem Bauch. Mit seinen warmen Händen greift er meine Arme und führt sie weit auseinandergestreckt über meinen Kopf. Sein Gesicht beugt er zu mir herunter und unsere Lippen finden zusammen.

Ein kurzer aber inniger Kuss.

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag mein Schatz. Du sollst immer gesund bleiben und lange leben – mit mir!!!“

Er sprach es sehr langsam und auch ganz leise, aber es klang soviel Liebe in den Worten mit, dass mir doch tatsächlich eine Träne abhanden geht.

Benjamin lässt nun meine Hände los. Er zieht eine kleine Schachtel unter seinem Kissen hervor, fummelt etwas und legt mir was um den Hals.

Es fühlt sich gar nicht kalt an.

„Heb mal bitte kurz den Kopf etwas an.“ werde ich aufgefordert.

Ein paar Sekunden und er ist fertig.

„Komm Tigerchen, steht auf und schau in den Spiegel.“

Instinktiv fahre ich natürlich gleich mit den Händen an den Hals um das Neue zu betasten. Eine Kette mit einem Anhänger, soviel ist schon mal klar.

Ich hüpfe aus dem Bett und eile zum Spiegelschrank. Benjamin tut es mir gleich, stellt sich hinter mich und seine Hände umfassen meine Hüfte.

Sanft knutscht er mich links am Hals als ich erkenne, was er mir da umgelegt hat.

Ein feingliederiges Goldkettchen mit einem Anhänger aus Tigerauge in Form eines Herzens.

Der Anhänger ist etwa so groß wie eine 20 Cent Münze und hat eine feine, unregelmäßige Maserung die zwischen fast schwarz und honigfarben schillert. Je nach Lichteinfall verändert er seine Farben.

Ich bin mir meiner Gefühle nicht mehr im Klaren. Es schwankt zwischen überwältig und total gerührt.

Schon wieder kullern Tränen und ich drehe mich zu meinem Schatz um.

„Danke, wirklich danke. Das ist ein wunderschönes Geschenk.“

„Ja, nicht war. Es steht dir auch ungemein gut. Bei deiner Bräune und den schwarzen Haaren kommt der Edelstein so richtig zur Geltung.“

Es folgt eine lange Umarmung und eine regelrechte Kussattacke.

„Komm Mario, lass uns nun Duschen gehen, die anderen warten bestimmt schon mit dem Frühstück.“ Sein Wunsch ist mir Befehl.

Ruckzuck ist etwas frische Wäsche rausgesucht und wir verschwinden im Bad.

In Rekordzeit sind wir stubenrein und angekleidet. Ich habe mir einen schwarzen Sweater von Benjamin genommen und trage den Anhänger darüber. Vor dem schwarzen Hintergrund scheint er beinahe zu leuchten. Jedenfalls wird jeder Lichtstrahl im Stein reflektiert.

Schon beim Verlassen des Badezimmers hat meine feine Nase den Kaffeeduft registriert.

Wie vermutet sitzen Jörg und Thomas am Kamin und warten geduldig mit dem Frühstück auf uns.

Als sie uns erblicken stehen sie gleich auf und kommen strahlend auf mich zu.

„Guten Morgen Mario, herzlichen Glückwunsch zum Geburttag“

„Auch ich möchte dir herzlich gratulieren. Du sollst fortan immer glücklich sein!“ ergänzt

Jörg noch. Beide umarmen mich nach einander und drücken mich einen kurzen Augenblick.

Nun erblicke ich den Frühstückstisch. Heute liegt eine bunte Tischdecke auf mit schönen Frühlingsmotiven. An meinem Stammplatz brennt eine große, dicke Kerze und mein Gedeck

ist mit schon ergrünten Birkenzweigen eingerahmt.

„Oh man, ihr seid alle so lieb zu mir. Das kann ich gar nicht wieder gut machen.“

„Das sollst Du auch gar nicht. Heute ist dein Ehrentag. Das ist das doch das Mindeste, was wir unter diesen Umständen für dich tun können.“ freut sich Thomas und wirkt ein wenig verlegen.

„Danke Jungs! Woher wisst ihr eigentlich, dass ich heute Geburtstag habe?“

Die Jungs grinsen und Benjamin studiert total unschuldig und desinteressiert die Maserung der Holzdecke.

Na ja, kann man so einem Schnuckel etwas übel nehmen? Außerdem muss ich zugeben, dass ich mich unheimlich freue.

Wir setzen uns und die ersten Scheiben Toast werden in das Röstgerät geschoben.

„Mario, sag, was ist das für ein schöner Anhänger. Hast Du den von Benjamin bekommen?“

„Yep, das ist Tigerauge. Ich glaube der Edelstein kommt aus Südafrika.“

„Stimmt“ fällt Benjamin mit ein „und in Afrika glaubt man er würde vor Verwünschungen und Dämonen schützen.“

„Na, dann bin ich ja jetzt vor euch in Sicherheit!“ ergänze ich und alle fangen an zu lachen.

Wir lassen uns sehr viel Zeit, obwohl mich das schöne Wetter förmlich anzieht.

Als alles aufgeräumt ist, stellt Thomas einen Tisch auf die Terrasse und einen Karton mit Eiern.

„Was soll das denn werden?“ fragt Benjamin skeptisch.

„Wir wollen noch ein wenig Osterdekoration basteln. Holt ihr bitte mal vier Stühle raus. Es ist Windstill und in der Sonne lässt es sich prima aushalten. Nur feste Schuhe sollte ihr anziehen.“

Nun kommt auch Jörg mit einer Schüssel, Zahnstochern, Streichhölzern und einer Rolle Garn sowie ein paar Farbtöpfchen, Pinsel und einer alten Zeitung.

Zunächst breitet er ein paar Seiten der Zeitung über den Tisch aus und dann geht es los.

„Habt ihr schon einmal Eier ausgeblasen?“ fragt Jörg.

Benjamin und ich schauen uns kurz an und prusten laut los. Ich spüre wie ich dabei rot anlaufe.

„Ist was? Habe ich was Falsches gesagt?“

„Hör auf, ich kriege keine Luft mehr!“ schreit Benjamin.

„Du Jörg, ich glaube, den beiden geht dabei in der Phantasie etwas anderes durch den Kopf, als du gemeint hast.“ Nun ist es Jörg, der zunächst die Gesichtsfarbe wechselt, aber dann auch herzhaft zu lachen beginnt.

Nach einer Weile kriegen wir uns wieder ein und beginnen mit etwas mehr Ernsthaftigkeit unsere Bastelstunde.

Jörg piekt mit den Zahnstochern jeweils gegenüberliegend Löcher in die Eier.

„Man muss ziemlich tief einstechen, damit auch das Dotter kaputt geht. Bei frischen Eiern hast du sonst keine Chance den Inhalt durch das enge Loch auszublasen!“ erklärt Jörg.

Benjamin und ich haben das Ausblasen übernommen. Jetzt verstehe ich Jörgs Erklärungen.

Auch mit dem zerstochenen Dotter ist es unheimlich anstrengend das Ei auszublasen.

Benjamin und ich wechseln uns ab, kommen aber trotzdem ganz schön ins Schwitzen.

Thomas schneidet derweil ein paar Streichhölzchen in etwa einen Zentimeter lange Stückchen, knotet etwas Garn daran und führt dann das Hölzchen in das obere Loch einer leeren Eierschale. Fertig ist der Aufhänger.

„Ich habe übrigens die Eier vorher mit etwas Essig abgerieben. So haftet die Farbe nachher besser auf den Schalen.“ führt Jörg seinen Unterricht fort.

Es sind zwar nur 10 Eier, aber Benjamin und ich brauchen über eine halbe Stunde um sie alle auszublasen. Ich hätte mir im Traum nicht vorgestellt, dass es so anstrengend ist.

Jörg nimmt die Schüssel mit dem „Rührei“ und bringt sie in den Kühlschrank.

„So, Jungs nun kommt der angenehme Teil. Malstunde ist jetzt angesagt“ grinst Jörg als er zurück ist. „ Aber gebt acht, dass ihr euch nicht selber anmalt, die Farbe geht aus der Wäsche nur ganz schwer wieder raus!“

Vorsorglich hole ich mir eine Schürze aus der Küche und ein paar Tücher von der Küchenrolle.

Jeder malt nun drauf los. Nach Herzenslust und was ihm gerade einfällt. Ich versuche mich an einem kleinen Hasen und mit ein klein wenig Phantasie kann man ihn auch als einen solchen erkennen. Noch ein paar Blümchen darum herum und fertig.

Dem nächsten gebe ich zunächst eine komplette dunkelblaue Grundfärbung und lasse es erstmal trocknen. Danach bringe ich mit Gelb einfache aber wirkungsvolle Verzierungen auf. Sieht auch nicht schlecht aus.

Nach etwa einer weiteren Stunde haben Jörg Thomas und ich jeweils drei Eier in den unterschiedlichsten Weisen verziert.

Nur Benjamin sitzt noch immer an nur einem Ei und das mit voller Hingabe.

Ich lehne mich an ihn und versuche zu erkennen was da entsteht.

„Wow, Benni! Du hast mir noch nie erzählt, das du Malen kannst!“ Benjamin schaut etwas verlegen.

„Na ja, in der Schule hatte ich in Kunst immer eine Eins.“

Noch ein paar Pinselstriche und auch er ist fertig. Ein kleiner Tiger vor einem Bambushain ist entstanden. Ich bin mir sicher, dass weder Jörg noch Thomas die wahre Bedeutung des Gemäldes erahnen. Dafür weiß ich es umso besser und drücke völlig ungeniert Benjamin einen sanften Kuss auf die Wange.

„Danke!“ flüstere ich dabei leise in sein Ohr. „Der ist wunderschön!“

„Wir haben sehr spät gefrühstückt, ich bin dafür, wir lassen Mittag ausfallen und finden uns zur Kaffeestunde wieder ein.“ schlägt Jörg vor. Ich möchte mich inzwischen ein wenig aufs Ohr hauen. Ich fühle mich ein wenig kaputt.

„In Ordnung. Du habt ihr noch die Schneeschuhe in der Abstellkammer?“

„Ja Thomas, da sollten sechs Paar an der Wand hängen. Ich glaube auch, sie die Tage noch gesehen zu haben. Willst Du wandern?“

„Klar jetzt mit dem Neuschnee, ist doch genial und macht Laune. Außerdem waren Benjamin und Mario noch nicht auf dem Gipfel eures Hausberges.“

„In Ordnung, du kennst die Route ja schon. Nehmt aber bitte jeder einen Lawinenpiepser mit und jeder sein Handy. Und geht kein Risiko ein, das ist die schöne Aussicht da oben nun auch nicht wert!“ Jörg gähnt und zieht sich in sein Zimmer zurück.

„Seit ihr schon mal mit Schneeschuhen gewandert?“ Benjamin und ich schauen uns an und zucken mit den Schultern.

„Okay, lass uns eben die Terrasse aufräumen und dann zieht gleich eure Snowboardanzüge an.“

Eine Weile später stehen wir abmarschbereit wieder auf der Terrasse. Benjamin hat noch schnell eine neue Speicherkarte und Batterien in die Digicam eingesetzt.

„Also, eigentlich ist es gar nicht schwer. Ihr müsst nur etwas breitbeinig gehen, etwa so wie die Skater mit den tief hängenden Hosen. Dann solltet ihr darauf achten, dass ihr die Schuhe bewusst sehr hoch hebt für den nächsten Schritt, so dass der Schuh immer von oben auf den Schnee aufgesetzt wird. Nun müsst ihr nur noch aufpassen, dass ihr euch nicht selbst auf den Schuh tretet.

Eigentlich ganz einfach, aber für den ungeübten auch etwas anstrengend. Deshalb werden wir auch ganz langsam gehen. Er schnallt sich einen Rucksack auf den Rücken und geht los.

Das erste Stück geht es so einiger Maßen. Ich bin mir, trotz der ausführlichen Erklärung doch ein paar Mal auf den eigenen Schuh getreten.

Nun wird der Pfad steiler und Thomas verlangsamt das Tempo noch weiter. Schritt für Schritt erklimmen wir im tiefen Schnee einen nicht sichtbaren Pfad.

„Ihr habt eigentlich ein super Glück. Ich war mit Jörg auch im Herbst hier und da war der Weg nicht begehbar. Lauter loses Geröll. Versteht ihr?“

„Wann bist du diesen Weg denn das letzte mal gegangen?“ frage ich etwas beängstigt.

„Am Samstag. Also am Tag bevor wir euch kennen gelernt haben. Also keine Sorge. Wir werden schon nicht vom Pfad abkommen.“ beruhigt Thomas mich.

Nach weiteren fünf Minuten macht Thomas halt.

„So Jungs. Nun verschnauft euch mal einen kurzen Moment. Aber wirklich nur kurz, sonst fangt ihr an zu frieren.“ Dankbar setze ich mich in den Schnee und streife die Schneeschuhe ab. Der Blick ins Tal und auf die gegenüberliegenden Berge ist jetzt schon unbeschreiblich.

Benjamin ist noch hinter mir stehen geblieben und den Klickgeräuschen nach fängt er die Aussicht mit der Kamera ein.

„Wie viele Bilder passen auf die Speicherkarte?“ fragt Thomas.

„Ich habe jetzt eine 1 GB-Karte drin. Damit kann ich 300 Pics bei höchster Auflösung machen.“ erklärt Benjamin sachlich.

„Cool. Ich wollte nur sicherstellen, dass du nachher, oben auf dem Gipfel noch genügend Reserve hast. Du wirst schon sehen warum.“

Die Bemerkung macht mich nun allerdings neugierig. Ich streife mir die Schneeschuhe wieder über und Thomas hilft mir beim Aufstehen.

Thomas legt uns beiden jeweils einen Arm um die Schulter und blickt noch einmal gemeinsam mit uns ins Tal.

„Kommt Jungs, diese Aussicht ist nur zum Anfüttern.“

Ich muss zugeben, als Tourführer versteht Thomas es uns zu motivieren.

Es geht weiter sehr steil bergauf und Thomas hat jetzt eine noch langsamere Schrittfolge gewählt. Dennoch kommen wir ganz gut voran.

Noch einmal machen wir eine ebenso kurze Rast wie vorhin und dann beginnt der Endaufstieg.

Die Steigung lässt langsam nach. Erst jetzt bemerke ich rein zufällig, dass hier keine Bäume mehr stehen.

Immer mehr flacht sich das Gelände ab. Und jetzt, fast wie auf einer kleinen Ebene erkenne ich im Schnee zwei Erhöhungen.

„Wir sind da, bevor ihr euch ausruht, helft mir mal kurz.“ Aus seinem Rucksack zieht Thomas ein kleines Kehrblech.

„Unter diesem Hügelchen sollten sich eigentlich zwei Bänke und ein Tisch befinden. Ich kümmere mich mal um das kleine Gipfelkreuz.“ und deutet ein paar Meter weiter auf eine andere Schneewehe.

Tatsächlich legen wir geschwind besagte Sitzgelegenheit und den Tisch frei. Es geht ganz leicht, da der Schnee nicht klebt. Auch Thomas hat nur mit den Händen das Gipfelkreuz soweit freigelegt, dass man es gut erkennen kann.

Thomas und ich lassen uns am Tisch nieder während Benjamin mit der Kamera ein Motiv nach dem anderen einfängt.

„Mario, komm mal her, von hier kann man den ganzen Gletscher einsehen!“ Dieser Aufforderung bedurfte es kein zweites Mal. Vorsichtig stiefele ich zu ihm hinüber und er hat Recht. Ein beeindruckendes Panorama breitet sich da vor uns aus. Ich umschlinge Benjamin von hinten mit meinen Armen.

„Es ist wunderschön, nicht wahr? Und alles so friedlich und so still. Die Natur ist einfach vollkommen. Und wir beide stehen mittendrin. Benjamin – ich liebe dich – ganz doll.“

Stolpernd dreht er sich langsam um, spielt mit seiner Nase an meiner und gibt mir dann einen ganz langen Kuss.

„Ich dich doch auch, Tigerchen. Ich gebe dich nie wieder her.“

„Ich will ja nicht stören, aber wer hat Lust auf einen heißen Kaffee?“

Was? Kaffee? höre ich da dieses Zauberwort?

Tatsächlich. Auf dem Tisch stehen eine Thermoskanne und eine kleine Rolle mit diesen runden mit Schoki gefüllten Keksen.

So schnell wie es die Schneeschuhe erlauben, eilen wir zu Thomas.

„Sorry Jungs, in der Eile habe ich leider weitere Becher vergessen. Also müssen wir wohl oder übel alle aus diesem trinken.“

Wo ist das Problem?

„Ih git, da ist ja gar kein Zucker drin?“ beschwert sich Benjamin.

„Das ist Absicht. So löscht der Kaffee besser den Durst. Ach ja und nicht vergessen, Kaffee treibt. Bevor wir den Rückweg antreten solltet ihr noch mal pinkeln!“ Da spricht der Pragmatiker.

Nach und nach finden auch die Kekse den Weg ihrer Bestimmung. Und immer wieder macht der Kaffeebecher seine Runde. Thomas füllte ihn absichtlich nicht zu voll, da er sonst zu schnell auskühlen würde.

Thomas ist da wie ich. Kaffee muss heiß sein. Nur Benjamin mag ihn lieber weniger heiß und so bekommt er immer den Becher als letzter in der Runde.

„Mario, hier nimm mal die Tube. Das ist eine medizinische Sonnenschutzcreme. Ich glaube du solltest Benjamin mal damit behandeln.“

„Oha, hast Recht. Das wird höchste Zeit. Aber warum machst du es nicht selbst? Traust du dich nicht einen Schwulen anzufassen?“

„Hähä, nachdem ich schon mit Benjamin nackt gebadet habe??? Also kann das gar nicht so schlimm sein.“

Langsam geht Thomas um den Tisch und setzt sich vor Benjamin auf die Bank.

Die Nase von Benjamin hat wirklich schon einen Sonnenbrand und auch die Lippen sehen sehr spröde aus.

Behutsam trägt Thomas ihm einen Strang der Salbe auf und massiert sie mit kreisenden Bewegungen in die Haut ein. Ganz zieht die Salbe nicht ein und so hat nun Benjamin eine weiße Nase.

Ich kann es mir nicht verkneifen und stimme flötend die Melodie eines bekannten Weihnachtsliedes an, in dem es um eine rote Nase geht.

Zum Glück sitzt Benjamin mit dem Rücken zu mir und kann sich nicht wehren.

„Thomas, du solltest dich auch eincremen. Ein wenig bist du auch gerötet.“ sagt Benjamin.

„Machst du das bitte.“ erwidert dieser.

„Man Mario, hast du ein Glück. Hast du schon jemals im Leben einen Sonnenbrand gehabt?“ will Thomas von mir wissen.

„Äh, schreibt man Sonnenbrand mit T oder mit DT?“

„Okay, schon verstanden.“

Ich schenke nun den letzten Schluck Kaffee ein und stopfe die leere Keksverpackung wieder in den Rucksack von Thomas.

Ein letztes Mal macht der Becher die Runde und dann ist auch die Thermoskanne wieder verstaut.

„Ah, ist das schön hier. Und gar nicht kalt. Schade, dass wieder gehen müssen!“ stelle ich abschließend fest.

„Täusche dich nicht. Aber ihr habt unbeschreibliches Glück. Heute kommt alles zusammen. Trockene Luft und dadurch die Superfernsicht und dann auch noch Windstille. Das zusammen gibt es höchsten zweimal im Jahr. Was schätzt ihr wie viel Grad es sind? Ich habe es so auch noch nicht erlebt. Auch bei mir zu Hause nicht.“

„Hm, ich sage mal -5 Grad“. schätzt Benjamin.

„Ne, niemals. also ich würde sagen ganz kapp unter Null.“ ergänze ich.

„Ha, da sprechen die norddeutschen Küstenbewohner. Also, kleiner Tipp. Vorhin an der Hütte war es minus 12. Wir sind fast 700 Meter aufgestiegen, somit dürften es hier rein rechnerisch etwa -17 Grad sein.“ belehrt uns Thomas.

„Rechnerisch? Gibt es da eine Formel?“ will Benjamin wissen.

„Ja, ich bin Segelflieger, und da haben die uns beigebracht, dass in einer Standardatmosphäre die Temperatur pro 1000 Fuß Höhenzunahme um 2 Grad abnimmt.“

„Aha.“ gebe ich zum Besten, obwohl ich nur Bahnhof verstanden habe. Aber er wird wohl Recht haben.

Thomas hat mittlerweile seinen Rucksack aufgenommen und schreitet voran in den Fußspuren die wir beim Aufstieg hinterlassen haben.

Noch einmal lasse ich verträumt meinen Blick die wunderschöne Aussicht einfangen. Wenn Thomas Recht hat, dann werden wir ein so wundervolles Panorama wohl nie wieder mit eigenen Augen sehen.

Thomas hält noch einmal an.

„Benjamin, gibst du mir mal deine Kamera? Ich gehe mal ein paar Schritte voraus und mache dann von euch ein paar Bilder vom Abstieg. So etwas fehlt euch ja noch von dieser Tour.“

„Okay. Meinst du, du kannst damit umgehen.“

„Ja, unser Mitbewohner in Salzburg hat glaube ich die gleiche.“

Und schon stiefelt Thomas etwas voraus. Als er den Arm hebt und uns zuwinkt marschieren auch wir weiter, gehen jetzt aber nebeneinander.

Die Bilder sind im Kasten und Benjamin verstaut die Kamera wieder in der Innentasche seines Anoraks.

„Achtung Benjamin, Mario! Jetzt kommen wir langsam wieder an die steile Strecke. Es klingt zwar vielleicht nicht logisch, aber mit den Schneeschuhen ist der Weg bergab viel schwieriger als bergauf. Also seit behutsam und achtet konzentriert auf jeden einzelnen Schritt. Es ist egal wie lange wir brauchen. Okay?“

Wir setzen unseren Marsch fort. Vorneweg Thomas, der das Tempo vorgibt, dann der hübsche Junge mit der weißen Cremenase und ich mache den Abschluss. Oh shit, jetzt bin ich mir wieder selbst auf den Schuh getreten. Wie wild rudere ich mit den Armen, wachse um Längen und kann nur noch einen Urschrei ausbringen.

„Aus dem Weg!!!“

Im letzten Moment erkenne ich noch, dass Thomas tatsächlich einen gewaltigen Sprung zur Seite macht, dann ist alles nur noch weiß und die Welt um mich herum dreht sich.

Ich stoße gegen irgendetwas Weiches, aber kullere noch weiter und weiter.

Lange dauert es nicht und die Erde steht wieder still und mein Gesicht steckt im Schnee.

„Danke, das war es was ich jetzt unbedingt brauchte!“ kichert Benjamin, der ein Stück hinter mir liegt.

„Gern geschehen mein Hase. Du weißt ja, für dich tue ich alles. Nun mal ehrlich alles klar bei Dir?“

„Außer ein wenig Schnee im Nacken ist nichts passiert.“ Mittlerweile hat er sich hingesetzt, die Handschuhe ausgezogen und versucht sich den Schnee aus dem Kragen zu pulen.

Ich versuche aufzustehen, aber es geht nicht. Die Stiefel finden keinen Widerstand und versinken einfach im Tiefschnee.

Ein Stück weiter oben kringelt sich Thomas vor Lachen.

„Schade, dass ich die Kamera zurückgegeben habe. Das ist ein Bild für die Götter.“

Benjamin spielt mit und fummelt die Knipse hervor.

„Hier, tue dir keinen Zwang an.“ grinst und übergibt Thomas das Gerät.

Aus allen Richtungen lichtet Thomas nun zwei unfreiwillige Schneemänner ab, während ich meine rote Strickpudelmütze aus dem Schnee ausgrabe.

Zum Glück ist es so kalt, dass sich der Schnee mühelos abklopfen lässt.

Nach und nach hat nun Thomas unsere Schneeschuhe zusammengesucht und kontrolliert.

Es ist nichts kaputt gegangen und wir können sie wieder anlegen.

Nun hilft er uns wieder auf die Beine und ist immer noch am Lachen.

Auch Benjamin lacht ungeniert und jappst nach Luft.

Nach und nach beruhigen wir uns und Thomas schenkt es sich, uns noch einmal zur Vorsicht zu ermahnen.

Vorsichtiger als vorher folge ich meinen Gefährten und achte nun aber genau darauf, wo ich hintrete.

Ohne weitere Zwischenfälle erreichen wir das Basiscamp, äh, ich meine die Rosenbachhütte.

Ich bin total erschöpft und habe Hunger und Durst.

Benjamin hingegen, quirlig wie er ist, hat sich ruckzuck seiner Winterausrüstung entledigt, sammelt die Schneeschuhe ein und beginnt für Ordnung zu sorgen.

Auch ich quäle mich nach und nach aus dem warmen Anzug und folge in das gut geheizte Wohnzimmer.

„Oh man. Sage mal, Mario, wirst du immer so schnell braun?“ fragt Jörg kopfschüttelnd als er mich sieht.

Er sitzt mit ausgestreckten Beinen am Kamin und hat ein Taschenbuch auf dem Schoß.

„Ja, das ist mein italienisches Blut. Ich brauche nur das Wort Sonne zu schreiben und schon färbt sich die Haut.“ lache ich. Auch er muss grinsen.

„Benni ist da genau das Gegenteil.  Ich fürchte, er hat sich ein wenig die Nase verbrannt.“

„Hat Thomas euch die Creme gegeben?“

„Ja und er hat Benni auch liebevoll behandelt.“ grinse ich.

„Dann ist ja gut. Morgen wird dann davon nichts mehr zu sehen sein.“ beruhigt mich Jörg.

Ich gehe mir kurz die Hände und das Gesicht waschen und schon sind wir wieder alle versammelt als Jörg beginnt an der gedeckten Kaffeetafel einzuschenken.

„Ich dachte mir, zur Feier des Tages wäre ein Gläschen Rumtopf zum Kaffee eine gute Idee.“

stellt Jörg so einfach in den Raum.

Oh, oh, so eine Erfahrung habe ich schon einmal gemacht. Wie das wohl enden wird. Aber auch ich stimme mit einem kräftigen Nicken zu.

Auf der Anrichte stehen dieser verdächtige Tonkrug und vier Bowlegläser mit so kleinen Cocktailspießchen.

„Thomas, würdest Du das bitte übernehmen? ich hole noch eben was aus der Küche.“

Benjamin und ich schließen uns Thomas an, und empfangen jeder ein gefülltes Glas, welches sofort sein charakteristisches Aroma freigibt.

Jörg ist nun auch wieder da und wir stoßen gemeinsam an.

„Auf deinen Zwanzigsten, lieber Mario!“ führt Thomas die Runde an.

Wir nehmen den ersten Schluck und begeben uns zum Esstisch.

Nun bleibt mir aber die Spucke weg. Da steht ein Kuchen.

„Wo kommt der denn her?“ Ungläubig schaue ich in die Runde.

„Ja glaubst Du denn wirklich, dass ein Student in meinem zarten Alter schon einen Mittagsschlaf braucht? Außerdem wollten die vielen Eier ja sinnvoll verwertet werden!“ Thomas lacht und alle anderen fallen mit ein.

„Sagt bloß ihr wusstet davon?“ Zuerst schaue ich Benjamin an, dann Thomas. Schon wieder zwei lammfromme Gesichter die zur Zimmerdecke schauen.

Nacheinander umarme ich sie und drücke sie ganz fest. Zum Schluss Jörg und sage deutlich vernehmbar für alle:

„Danke, ihr seid so lieb. Danke!“

Thomas erhebt noch einmal das Glas und sagt:

„Prost, also ist uns diese Überraschung ja gelungen!“

„Prost!“

Wir setzen uns und Jörg schneidet den Kuchen an.

Ich bekomme ganz glasige Augen im Kerzenschein und bin total gerührt.

Nervös greifen meine Hände zum Anhänger an meiner Kette.

Benjamin legt seine linke Hand auf meinen rechten Oberschenkel.

„Ist ja schon gut. Komm probiere den Kuchen.“ haucht er mir ins Ohr.

Willig folge ich der Anweisung.

„Hmmm, Apfelkuchen! Und der ist ja sogar noch lauwarm und so saftig und überhaupt. Hmmm, lecker!?!“

„Ja, ich musste ihn sogar kurz nach draußen stellen. Der ist erst seine einer halben Stunde aus dem Ofen.“ erklärt Jörg.

„Wo hast du backen gelernt?“ frage ich neugierig mit vollem Mund.

„Schon meine Herkunft vergessen? Aber Spaß beiseite. Das ist ein ganz einfacher Rührteig. Äpfel geschält und draufgeschnippelt, ein paar Streusel drüber und ab in den Ofen. Backzeit nach Gefühl und aus die Maus!“ Alle schmunzeln und genießen.

„Bitte glaubt mir, das ist der schönste Geburtstag, den ich je erlebt habe. Einfach perfekt. Da passt heute aber auch alles zusammen. Ich Danke euch. Danke, euch allen!!!“

Wir tafeln lustig weiter. Kaffee, Kuchen und immer wieder ein klitzekleines Schlückchen Rumtopf aus dem mittlerweile dritten Gläschen. Hihi.

Die Stimmung ist super.

Der Kuchen ist bis zum letzten Krümel verschwunden und die Kaffeetafel abgeräumt.

Ich darf mir was wünschen wie es weitergeht und entscheide mich für ein einfaches Kartenspiel: Mau-Mau.

Simpel, aber immer wieder gern genommen.

So feiern wir bis tief in die Nacht. Jörg hat irgendwann noch mal ein paar Schnittchen gemacht, aber fragt mich nicht was da drauf war.

Jedenfalls bin ich unheimlich glücklich und dieser süße Junge in meinen Armen mit dem Engelshaar auch.

Den Samstag lasse ich aus Gründen der Diskretion wohl besser aus. Vielleicht nur soviel, dass Jörg ein deftiges Katerfrühstück aufgefahren hat und wir uns von den Pisten ferngehalten haben.

Vielleicht sollte ich aber erwähnen, dass Toni den Jörg angerufen hat. Toni ist der Inhaber der Skihütte, wo wir immer unseren Tee zwischen den Abfahrten trinken.

Er hat gefragt ob wir morgen aushelfen können, um Ostereier zu verstecken. Seine Söhne, die das sonst machen, liegen mit Grippe im Bett.

Selbstverständlich hat Jörg zugesagt.

„Guten Morgen ihr Schlafmützen, fröhliche Ostern!“ weckt uns jemand total unchristlich.

Mein Blick in die Runde lässt mich zweifeln, ob das Realität ist, oder nur ein ganz, ganz böser Traum.

„Benni, kannst du mich mal kneifen?“ „Autsch!“

Das darf doch nicht wahr sein. Es ist noch dunkel!!!

„Kommt Jungs, ich weiß es ist noch sehr früh, aber wir müssen spätestens um 7 Uhr bei Toni sein, sonst schaffen wir das nicht. Es wollen 1000 Eier versteckt werden und die Kids dürfen um 10 Uhr mit der Suche anfangen!“

„Ist der Kaffee fertig?“ ist das einzige was mir momentan dazu einfällt.

„Klaro, oder glaubst du ich bin lebensmüde und wecke dich vorher?“ beschwichtigt Jörg mich.

Tja, dieses Zauberwort wirkt doch immer wieder bei mir. Noch schlaftrunken taste ich mich die Treppe runter und folge mit meiner Nase dem untrüglichen Duft Südamerikas.

„Gibst du mir auch einen Schluck?“ haucht Benjamin müde vor sich hin.

„Ich habe dir schon einen eingeschenkt. Nur halbvoll, damit er nicht so heiß ist.“ antworte ich und streiche ihm zärtlich mit meiner rechten Hand den Rücken rauf und runter.

„Danke. Du bist echt lieb.“

„Ich weiß.“ lächele ich.

„So, ich gehe duschen, kommst du mit?“

„Geh ruhig schon vor, ich trinke nur in Ruhe aus, dann bin ich bei dir.“ antwort mein Schatz.

Wie üblich nehme ich für Benjamin gleich frische Wäsche mit ins Bad und ergebe mich dann dem kalten Wasserstrahl.

Gemeinsam setzen wir uns an den gedeckten Frühstückstisch.

„Sage mal Jörg, wann bist Du denn aufgestanden?“ will Benjamin wissen.

„Kurz vor fünf. Ich bin sogar von selbst wach geworden.“

„Tapfer, tapfer, kann ich da nur sagen.“

Sonst wortlos genießen wir unser Toastbrot und die weich gekochten Eier.

Erst jetzt bemerke ich den schönen Osterstrauß auf dem Tisch.

Zweige von verschiedenen Bäumen, alle mit schon geöffneten Knospen. Natürlich hängen die von uns bemalten Eier daran und ein paar bunte Schleifen sind auch noch angebracht.

„Jörg hast Du auch den Osterstrauß gemacht?“ frage ich neugierig und auch bewundernd.

„Nein, das war Thomas. Den hat er gestern Abend noch fertig gestellt. Schön, nicht wahr?“

„Nicht nur schön. Ich würde lieber sagen romantisch. Da sage noch mal einer, Männer wären kaltherzig.“ Thomas schaut ein wenig verlegen, aber auch ein ganze Portion Stolz ist in dem Mienenspiel vorhanden. Zu Recht!

Der Tisch ist abgeräumt, wir fertig angezogen und bereit aufzubrechen.

Wir haben Glück. Die Sonne ist zwar noch nicht aufgegangen, aber die Dämmerung hat schon eingesetzt. Das Licht reicht soweit aus, dass wir mit den Snowboards zur Ortsmitte fahren können.

1000 Schokoladenostereier und -osterhasen. Habt Ihr so viele auf einmal schon gesehen?

Toni gibt uns kurz eine Einweisung, wo überall, in welchem Umkreis und wie wir die Süßigkeiten verstecken können, sollen, dürfen.

Jeder bekommt ein Körbchen mit dem wir die zu versteckende Ware transportieren können und schon geht es los. Toni selbst legt selbstverständlich auch Hand an.

„Du Toni, darf ich auch kleine Nestkuhlen in den Schnee drücken mit gleich vier Eiern drin.“

„Du bist Benjamin richtig? Also Benjamin, du darfst alles. Aber am besten sieht es dann vielleicht aus, wenn du in so ein Nest einen Hasen setzt und dann ein paar von den kleineren Eiern dazu legst!“

„Oh ja, gute Idee. Danke!“

Benjamin ist mal wieder mit aller Begeisterung und voll Schwung dabei. Schon zum zweiten Mal füllt er sein Körbchen wieder auf.

Aber auch wir anderen kommen gut voran und entdecken immer wieder neue Möglichkeiten für ein geeignetes Versteck.

Schon etwa zwei Stunden sind wir mit Eifer dabei, als uns Toni mit einem Pfiff zur Hütte beordert.

„Kommt Jungs, macht mal Pause. Ich habe frisch Tee aufgegossen, der wird uns gut tun.“

Dankbar nehmen wir die heißen Gläser entgegen.

„Wir sind sehr gut im Rennen. Ich schätze noch etwa zwanzig Minuten und wir sind fertig.“ stellt Toni zufrieden fest.

„Damit eines klar ist, für den Rest eures Urlaubs habt ihr Tee und Kaffee bei mir frei, soviel ihr mögt. Das ist das mindeste, was ich euch schuldig bin!“ ergänzt Toni noch.

Zu einer Antwort kann sich keiner von uns durchringen. Irgendwie ist es uns fast peinlich. Zumindest fühle ich so. Schließlich macht es doch auch Spaß und ich freue mich schon jetzt darauf, wenn die Kids nachher mit der Suche beginnen.

Die Teepause ist vorbei und wir machen uns weiter auf die Suche nach geeigneten und originellen Versteckmöglichkeiten.

Wie schon von Toni vermutet sind wir bald fertig.

„Ich nehme stark an, dass ihr hier bleibt und die funkelnden Kinderaugen sehen wollt, nicht wahr?“

„Klar Toni, ich glaube ich spreche hier für alle, aber das lassen wir uns bestimmt nicht entgehen!“ bestätigt Jörg spontan und wir nicken zustimmend.

Im Hintergrund vernehme ich die typischen Geräusche, als die Liftanlagen in Betrieb genommen werden.

„Jörg, da vorn auf der Ausgabetheke liegen Rollen mit kleinen Plastiktüten. Bitte nehmt euch davon und gebt jedem Kind eine Tüte. Sonst schmilzt denen die Schoki in der Hand.“

„Ja gern, ich kann es kaum erwarten bis es losgeht!“

Ich frage mich wer aufgeregter ist. Die Kinder oder wir? Jedenfalls kommen da schon die ersten Touristen mit ihren Kindern.

Thomas und ich geben wie geplant Tüten aus.

Jörg schlürft noch an einem Tee und Benjamin fängt das ganze Geschehen mit seinem Fotoapparat ein.

Die letzten Wolkenfetzen ziehen nach Osten ab und geben den Sonnenstrahlen den Weg frei.

Ich wage es gar nicht mir vorzustellen, was hier los wäre, wenn es jetzt ein Schneegestöber geben würde. Nein – undenkbar. Das wäre eine Katastrophe.

Schnell schiebe ich die bösen Gedankenfetzen zur Seite und erfreue mich an den vielen glücklichen Kinderaugen.

Ab und zu werfe ich einen Blick auf den süßesten Jungen hier weit und breit. Benjamins Augen gleichen denen der Kinder. Auch er strahlt.

Oh man, was ist das für ein Spaß.

Schade, dass Benjamin und ich niemals Kinder haben werden.

Hihi, es ist echt interessant wo die Kleinen überall lang krabbeln und klettern. Selbst an Stellen, wo ich niemals gedacht hätte, dass sie für Kinder erreichbar sind.

Abseits sehe ich wie Thomas mal wieder bei Benjamin steht. Was machen die denn da?

Ups, die Sonne zeigt wohl schon wieder Wirkung.

„Hat Benjamin schon wieder eine rote Nase?“

„Noch nicht. Aber Vorbeugen ist besser. Dafür brauche ich es jetzt auch nur ganz dünn aufzutragen und es sieht nicht so doof aus!“ klärt mich Thomas auf.

„Danke Thomas. Mario, kommst Du mit, ich gebe einen Tee aus?“ lächelt mein Freund.

„Oh ja, gern. Jörg hat gerade meinen Platz übernommen.“

„Hast Du ein paar schöne Bilder machen können?“

„Sind nicht alle Bilder von Kindern mit glücklichen Augen irgendwie schön?“ philosophiert Benjamin.

„Stimmt. War wohl eher eine dumme Frage.“

Etwas querab weint ein kleines Mädchen. So wie es aussieht ist es wohl auf einen Schokihasen getreten.

Thomas hat das auch gesehen und eilt zu dem Mädchen um es zu trösten. Leider kann ich nicht verstehen, was er dem Kind sagt, aber es scheint sich tatsächlich zu beruhigen und macht sich weiter auf die Suche.

Es ist fast Mittag als sich die Show langsam auflöst. Nur noch ganz selten scheint ein Kind etwas zu finden.

Wir beschließen uns nun auch abzusetzen. Wir verabschieden uns von Toni und wünschen ihm noch einen frohen Ostertag.

„Kochen, oder Restaurant?“ frage ich und schaue zu Jörg.

„Restaurant!!! Bis wir in der Hütte sind und gekocht haben ist es zwei Uhr durch. Das überlebe ich nicht!“ kommt sofort die Antwort von Jörg.

Benjamin und Thomas nicken intensiv ihre Zustimmung und auch ich bin total hungrig.

Unter der ortskundigen Führung von Jörg finden wir in einer Seitenstraße ein recht modernes Restaurant in dem relativ wenig los ist.

Wir überlegen nicht lange und treten ein. Jörg wird schon wissen, warum er uns hier hingeführt hat.

Nach opulenten Mahl und drei Flaschen Wein verlassen wir die gastliche Stätte und schlendern gemütlich zurück zu Tonis Hütte um unsere Snowboard einzusammeln.

Ich glaube ich habe einen leichten Schwips.

Mir ist alles egal. Auf dem Heimweg hake ich mich mutig bei Benjamin ein und so stiefeln wir langsam den beiden Jungs hinterher.

Das kleine Nickerchen hat gut getan und wir lassen den Abend in aller Ruhe und Stille ausklingen. Benjamin und ich haben es uns am Kamin gemütlich gemacht und lesen in unseren Büchern. Was Thomas und Jörg machen weiß ich ehrlich gesagt nicht. Zu tief bin ich in dem Buch versunken.

Der Vormittag verlief schon fast wie immer, mit dem einzigen Unterschied, dass Benjamin und ich sehr lange in der Wanne gelegen haben.

Den Mittag sind wir zu Jörgs Eltern in der Pension eingeladen.

Ist natürlich ein Vorteil, wenn man selbst keine Arbeit hat, dafür müssen jedoch Benjamin und ich uns zusammenreißen und ordentlich benehmen (also nichts mit Händchen halten und so).

Zum Glück wissen die Rosenbachs über meine Essvorlieben bescheid und haben entsprechend Rücksicht genommen.

Nun haben wir auch Michelle und Alois näher kennen lernen dürfen. Beide sind sehr nett.

Besonders Alois ist ein recht cleveres Kerlchen und für sein Alter schon sehr vernünftig.

Wir bleiben noch den ganzen Nachmittag in lockerer Runde zusammen und führen viele sehr spannende Unterhaltungen. Kurzum, auch dieser Tag ist ein gelungener Festtag, nur diesmal halt in sehr familiärer Atmosphäre.

Die Tage der Woche sind in Routine übergegangen.

Essen, Piste, Essen, Piste, Essen, Feiern, Kopfschmerzen und so weiter.

Nein, nein, also ganz so schlimm ist es wahrlich nicht.

Aber es passierte auch nichts, was eine besondere Erwähnung wert gewesen wäre.

Und so kommt es wie es nun mal kommen muss.

Gestern Abend haben Benjamin und ich soweit möglich schon gepackt.

Jörg hat versprochen uns zum Bahnhof zu fahren.

Heute Morgen mussten wir mal wieder vor dem Wachwerden aufstehen und nun sitzen wir beim Frühstück zusammen. Thomas will auch mitkommen zum Bahnhof.

Was das Zusammensitzen betrifft, so habe ich mit Absicht das Wort gemütlich weggelassen.

Irgendwie ist die Stimmung gedrückt, bzw. es will gar keine Aufkommen.

Benjamin hat nur zwei Aufbackbrötchen gegessen. Für seine Verhältnisse ist das geradezu ein Nichts.

Im Moment schreibt er zwei Zettel für die Jungs mit Anschrift und E-Mail-Adresse.

Unsere Handynummern haben die Jungs ja schon.

Nun greift sich Thomas den Block und schreibt uns seine Daten auf. Jörg hat mir eine Visitenkarte gegeben.

„Versprecht ihr mir, dass ihr wirklich zu Weihnachten wiederkommt?“ fragt Jörg noch einmal und legt den Kopf etwas skeptisch zur Seite.

Ich schaue zu Benjamin und er zu mir. Wir nicken uns zu.

„Fest versprochen! Ehrenwort!“ beteuert Benjamin und hält seine Hand mit der Handfläche nach oben über die Mitte des Tisches, worauf erst Jörg, dann ich und zum Schluss Thomas einschlagen.

Ich schau auf meine Uhr und stehe auf.

„Es hilft alles nichts. Es wird Zeit, wenn wir den Zug nicht verpassen wollen.“

Mein Aufbruch steckt an und alle stehen nun auf.

Während Benjamin und ich uns anziehen stellt Thomas noch schnell die Lebensmittel in den Kühlschrank.

Den Schlitten mit dem Gepäck lässt Thomas vor sich her gleiten und wir kommen gut voran.

Niemand spricht. Die Stimmung ist nahezu unheimlich.

Bei der Pension wird umgeladen und die letzte gemeinsame Etappe des Urlaubs nimmt ihren Verlauf.

Am Bahnhof helfen die Jungs und kommen mit auf den Bahnsteig.

Als noch weit entfernt ein Pfiff der Lok die Stille durchbricht beginnen wir mit dem Abschied nehmen.

„So Jungs, jetzt rede ich mal Klartext. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt für Trübsal, Trauer, oder Tränen. Klar? Lass uns jetzt einfach daran denken, wie schön die letzten beiden Wochen waren, was wir alles erlebt haben und wie viel wir gelacht haben. Okay?

Ich jedenfalls habe jetzt nur noch das im Kopf und die Vorfreude auf das Wiedersehen!!!“

Wow, so habe ich Benjamin ja noch nie erlebt, aber er hat total Recht.

Der Zug fährt gerade ein, als wir uns alle nacheinander umarmen und fest drücken.

Wir steigen ein und die Jungs reichen uns Stück für Stück das Gepäck hoch.

„Gute Reise und ruft bitte kurz an wenn ihr zu Hause seid.“

„Klar machen wir!“ rufe ich zurück und der Zug setzt seine Fahrt fort.

Die Sitzplatzsuche ist eigentlich gar keine, denn der Waggon scheint komplett leer zu sein.

Wir machen es uns gemütlich und Benjamin beginnt die Unterhaltung.

„Erinnerst du dich wie du uns bei den Jungs geoutet hast?“

So geht es die ganze lange Fahrt bis wir wieder zu Hause sind.

Szene für Szene des gesamten Urlaubs holen wir uns in Erinnerung und müssen so manches Mal so doll lachen, dass sich andere Fahrgäste zu uns umsehen.

Fazit ist, das waren bislang unser aufregendster Urlaub, unser erlebnisreichstes Osterfest und mein schönster Geburtstag! Wir haben ganz tolle Freunde gewonnen und neben mir sitzt der liebste Junge der Welt!!!

 

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