02. Türchen – Samtpfote und Engelshaar

Rainer steuerte den Wagen die große Auffahrt hinauf und parkte ihn vor dem Haus.

„So, wir sind da, raus mit euch“, meinte er und stellte den Wagen ab.

Ich griff nach Mikas Box und zog sie mit mir nach draußen. Ein kühles Lüftchen wehte mir entgegen und es roch auch irgendwie frisch. Rainer begann mein Gepäck auszuladen. Als ich das alles so da stehen sah, war ich schon verwundert, was ich alles besaß.

„Da werden wir wohl mehrmals laufen müssen, bis wir das alles drin haben“, meinte Rainer und wischte sich die Stirn ab.

„Sollten wir nicht mal erst den Jungen anmelden?“, fragte Mum.

„Du hast Recht, Silke. Hast du alle Papiere?“

„Ja, alles in meiner Tasche.“

So blieb mein Gepäck erstmal hinter dem Wagen stehen. Einzig alleine Mika nahm ich mit, die wollte ich nicht hier draußen stehen lassen. Wir liefen die paar Stufen zum Haupteingang hinauf.

Rainer zog die große Glastür auf und ließ uns beide passieren. Er folgte uns. Vor uns tat sich eine kleine Halle auf. Eine große Treppe führte nach oben, dann sah ich noch ein paar weitere Türen.

„Kann ich ihnen helfen?“, hörte ich plötzlich eine weibliche Stimme.

Wir drehten uns um und sahen eine etwas ältere Dame, die ihre Haare streng nach hinten gebunden hatte.

„Marek ist mein Name ich möchte gerne meinen Sohn Jens hier anmelden, wir haben einen Termin bei Herrn Sönker“, sagte Mum.

„Oh, ja sie werden schon erwartet, würden sie mir bitte folgen, mein Name ist übrigens Fräulein Sniedel, die Sekretärin von Herrn Doktor Sönker.“

Ich musste mir ein Grinsen verbeißen, der Nachname war ja heftig. Rainer schien meine Gedanken zu lesen, denn auch er kämpfte damit, nicht zu grinsen. Wir folgten also dieser Frau Sniedel an der Treppe vorbei.

Sie führte uns in einen Raum, der eher einem Esszimmer ähnelte.

„Würden sie bitte Platz nehmen, ich werde Herrn Doktor Sönker Bescheid geben, dass sie da sind.“

So verließ uns die liebe Frau Sniedel wieder. Ich konnte nicht anders und begann zu kichern. Rainer stimmte ebenfalls mit ein.

„Was gibt es denn zu kichern?“, fragte Mum und sah uns verständnislos an.

„Nichts“, meinte Rainer und grinste mich an.

Bevor Mum etwas sagen konnte öffnete sich die Tür, durch die zuvor Frau Sniedel verschwunden war. Ein recht großer Mann mittleren Alters kam herein. Er schien eine Frohnatur zu sein, denn er lächelte ständig.

Mum und Rainer erhoben sich und so tat ich es auch.

„Guten Tag, mein Name ist Sönker, ich bin der Schulleiter hier.“

„Marek“, sagte Mum, „und das ist mein Sohn Jens“.

„Kirstner“, meinte Rainer, „der Lebensgefährte von Frau Marek.“

Sönker schüttelte beiden die Hände.

„Und du bist also Jens, der das restliche Schuljahr bei uns verbringen möchte“, meinte er und schüttelte mir ebenso die Hand.

Von möchten war hier nie die Rede, aber ich nickte artig dem Doktor zu.

„Sie müssen entschuldigen, dass ich etwas wenig Zeit habe, aber unsere Schüler müssten bald von ihrer Forscherwoche in Hamburg zurück kommen und wir wollen eine kleine Empfangsparty geben.“

Hört sich gar nicht schlecht an, eine Empfangsparty vom Direktor für seine Schüler. Scheint ja ein gutes Verhältnis zu ihnen zu haben, aber was zum Teufel war eine Forscherwoche?

„Am besten wird es sein, ich nehme Jens gleich mit und zeige ihm sein Zimmer. Frau Sniedel wird sich mit ihnen um die Papiere kümmern.“

Mum nickte.

„Oh, wer ist den das?“, fragte Herr Sönker und beugte sich zu Mika hinunter, an den ich gar nicht mehr gedacht hatte.

„Mein Kater Mika.“

„Den solltest du herausholen, der sieht ja völlig verängstigt aus, aber hier wird es ihm sicher gefallen, gibt viele Mäuse in diesem alten Gemäuer.“

Ich öffnete die Klappe und zog Mika vorsichtig aus seiner Transporterbox.

Wird auch endlich Zeit, dass mich hier jemand rausholt. Man ich bin doch keine Käfigkatze! Ich bin ein stolzer Kater und brauche meine Freiheiten.

Herr Sönker schob mich sanft vor sich her aus dem Zimmer. Mika, schien es mir, schaute mich etwas vorwurfsvoll an, aber konnte ich es ihm verdenken?

„Wie ist dein erster Eindruck?“

„Bitte?“, fragte ich erstaunt.

„Wie ist dein erster Eindruck von dieser Schule, meinte ich.“

„In Ordnung…“

„Und warum hast du dich für unsere Schule entschieden.“

Wir waren mittlerweile in der kleinen Halle am Eingang. Ich hielt inne. Herr Sönker blieb ebenfalls stehen und schaute mich an. Ich dagegen senkte meinen Blick und streichelte Mika.

„Habe ich nicht…“, gab ich im Flüsterton von mir.

„Das habe ich mir schon gedacht, aber keine Sorge, fast kein Schüler dieser Schule kam freiwillig hier her, Jens.“

„Wieso?“, fragte ich verwundert.

„Ich denke, dass wirst du schnell herausfinden, Junge, aber nun lass uns erst einmal dein Zimmer anschauen.“

Ich nickte und folgte ihm. Wir liefen die Treppe ins obere Stockwerk hinauf.

„Es wird dir sicher hier gefallen und du wirst dich schnell einleben. Ah da vorne Zimmer 24, dass ist ab sofort deins.“

Er öffnete die Tür und ging voran. Statt eines karg eingerichteten Zimmer erwartete mich eine Überraschung. Ein modern eingerichtetes Zimmer, das keinerlei Wünsche offen ließ. Ich setzte Mika ab, der Gleich das Bett als sein Refugium erkor.

„Ihm scheint es zu gefallen“, meinte Sönker und lächelte wieder.

„Herr Sönker?“, hörte ich eine Stimme auf dem Flur.

„Jonas, ich bin hier in Zimmer 24.“

Wenige Sekunden später tauchte ein junger Mann in Blaumann auf.

„Ich habe hier einen Wagen voller Gepäck…“

„Das gehört sicher alles Jens hier.“

„Okay!“

Er verschwand kurz, um später mit einem Wagen voll mit meinem Gepäck wieder zu erscheinen.

„Viel Gepäck muss ich sagen“, meinte Sönker und ich musste grinsen.

„Herr Sönker ich gehe schon mal unten, der Bus muss gleich ankommen“, meinte Jonas und verließ das Zimmer.

Ich hörte ihn auf dem Flur „guten Tag“ sagen und wenige Sekunden später standen meine Eltern in der Tür.

„Wow, das nenn ich mal Zimmer“, meinte Rainer.

Meine Mum schaute sich kritisch um, nickte aber.

„So, Jens, jetzt richtest du dich erst einmal ein, ich werde nachher jemanden schicken um dich hier abzuholen. Ich muss jetzt schnell hinunter, denn die Zeit drängt. Frau Marek… Herr Kirstner, ich wünsche ihnen eine gute Heimfahrt, denn ich denke, wir werden uns nicht mehr sehen. Wir bleiben natürlich in telefonischer Verbindung.“

Er schüttelte den beiden die Hände und verließ schnell das Zimmer.

„Soll ich dir bei Auspacken helfen?“, fragte Mum, aber ich schüttelte den Kopf.

„Ihr… habt doch noch… so einen langen Heimweg…“

„Jens hat Recht, Silke. Wir haben noch ein ganzes Stück zu fahren.“

Mum atmete tief durch.

„Ich hoffe, wir haben keinen Fehler gemacht…“

„Silke, mach dir keinen Kopf. Jens wird es sicher hier gefallen.“

„Okay mein Junge, lass dich noch einmal drücken…“, sagte Mum und ohne auf eine Antwort meinerseits abzuwarten, drückte sie mich fest an sich.

Als sie mich losgelassen hatte, klopfte Rainer mir auf die Schulter.

„Und kümmere dich gut um Mika…, dort in der Kiste ist etwas Katzenfutter für ihn…, wenn etwas ist ruf einfach an… okay?“

Rainer war eigentlich nett, auch wenn ich im Augenblick viel Abneigung für beide empfand. Ich nickte nur.

„Okay Silke, machen wir uns auf den Weg. Tschüß Jens… und melde dich.“

„Ja Junge, melde dich bitte…“, meinte Mum.

Sie hatte feuchte Augen und so langsam ging mir diese Verabschiedung auf den Keks. Sie verließen beide das Zimmer… nun mein Zimmer und schlossen hinter sich die Tür. Ich seufzte und schaute mich um.

 

Also hier gefällt es mir, viel mehr Platz, als in deinem alten Zimmer, Herrchen und so ein großes Bett, da brauch ich keine Angst zu haben, dass du mich nachts erdrückst.

Mika maunzte und lief auf dem Bett herum. So zog ich meine Jacke aus und warf sie über den Stuhl, der vor dem Schreibtisch stand. Ich begann die erste Kiste zu öffnen und räumte sie auf.

Nach einer drei viertel Stunde hatte ich es doch ehrlich im Eiltempo geschafft, alles auszupacken, aber dafür saß ich jetzt in einem Chaos, denn ich wusste noch nicht genau, wo ich alles hineinräumen sollte.

So begann ich mit den größten Sachen, wie meinen Fernseher und der Musikanlage. Schnell war ein Platz gefunden und zu meiner Überraschung, sogar ein Internetanschluss in meinem Zimmer. Ein Pc wäre jetzt hilfreich gewesen. Daneben saß auch noch ein Telefonanschluss, nur das passende Telefon dazu fehlte.

Mika lief im ganzen Zimmer herum und beschnüffelte alles. Ich dagegen versuchte meiner Kleidung Herr zu werden und sie im Schrank zu verstauen. Das kleine Schränkchen daneben hatte ich noch nicht geöffnet, was ich zugleich nachholte.

Wow… ein kleiner Kühlschrank… hier fehlte wirklich nichts. Ich schaute auf mit Box mit dem Katzenfutter und beschloss diese in den Kühlschrank zu räumen. So geschafft. Das Chaos hatte sich gemindert, aber war noch nicht beseitigt.

Zu dem verspürte ich den Drang auf die Toilette zu müssen. Aber wo war hier die Toilette? Also öffnete ich meine Zimmertür und schaute auf den Flur. Irgendwo hier muss es ja eine Toilette geben.

Ich lief den Flur entlang und schaute mir jede Tür an, aber hier fand ich nur Zimmernummern. Lediglich das letzte Zimmer hatte keine Nummer, so versuchte ich die Tür zu öffnen.

„Suchst du etwas Bestimmtes?“, hörte ich eine Stimme hinter mir.

Ich fuhr zusammen und drehte mich herum. Da stand Jonas.

„Ich suche die Toilette.“

Jonas fing an zu lachen und ich schaute ihn verwirrt an.

„Die ist in deinem Zimmer.“

„In meinem Zimmer… aber wo, ich habe keinen weiteren Raum gesehen.“

„Ja, wenn dich niemand eingeweiht hat… verstehe ich das… komm ich zeige dir dein Bad.“

Ein eigenes Bad… nicht schlecht, so folgte ich Jonas, der mit mir zu meinem Zimmer zurück lief. Dort angekommen, ging er mit mir hinein und zielstrebig auf die freie Wand zu.

„Da ist dein Bad!“, meinte er, drückte auf einer der Blumen, die ich bisher glaubte als Wanddekoration diente.

Die Wand, besser gesagt eine Tür sprang auf und gab mir die Sicht frei auf ein Bad.

„Unser Chef liebt Spielereien, aber das wirst du sicher noch merken. Okay ich muss weiter, wenn du noch etwas brauchst, wenn dich ruhig an mich.“

„Danke.“

„Nichts zu danken, ist mein Job!“

So langsam bekam ich ein schlechtes Gewissen, diese Schule war doch sicher teuer. Eigentlich sollte es mir egal sein, für die Entscheidung von Mum ohne mich zu fragen, aber sie war es nicht.

Und schon war Jonas wieder verschwunden. Ich wollte gerade die heiß ersehnte Toilette benutzen, als ich draußen Lärm hörte. Am Fenster hatte ich Blick auf den Parkplatz, wo vorhin noch Rainers Auto stand.

Nun stand dort ein Bus und ich traute meinen Augen nicht.

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